Sang- und klanglos ausgeschieden

Michael Beleites, Sachsens Beauftragter für die Stasi-Unterlagen – Eine Würdigung

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Er hat sich wahrlich verdient gemacht, schon in der DDR-Zeit, aber auch danach: Michael Beleites, der Sächsische Landesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR. Zehn Jahre lang ist er das gewesen: von 2000 bis vor kurzem – mit einer Wiederwahl nach der ersten fünfjährigen Amtszeit. Seit dem 12. Dezember 2010 ist er das nicht mehr. Einen Tag zuvor war seine zweite Amtszeit ausgelaufen. An einem 12. Dezember vor zehn Jahren hatte die erste Amtszeit auch begonnen. Eine dritte wäre in Sachsen gesetzlich möglich gewesen, anders als in fast allen anderen Bundesländern. Aber ein weiteres Mal mochte er nicht kandidieren, es sei weder für das Amt noch für die ausführende Person gut, ein solches Amt länger als zehn Jahre auszuüben.

 

Keine öffentliche Verabschiedung

 

Sein Ausscheiden hat sich sang- und klanglos vollzogen, eine öffentliche Verabschiedung hat es nicht gegeben. Die zu veranstalten, wäre das sächsische Justizministerium zuständig gewesen. Das hatte dafür aber keinerlei Anstalten gemacht. Vielleicht hat er sich nicht hinreichend beliebt gemacht. Und so hat er sich, um Bilanz zu ziehen, Rechenschaft abzulegen und Dank zu sagen, mittels eines Rundbriefes gleichsam selbst verabschiedet – in Form eines Rundbriefes, wie er schreibt.1) Daher ist der lesenswerte Rundbrief als seine Rede zu verstehen, die er gehalten hätte, wenn es denn eine öffentliche Verabschiedung gegeben hätte.

 

„Ein Mann mit aufrechtem Gang“

 

Immerhin wurde ihm Anerkennung im Plenum des Sächsischen Landtags am 17. Dezember zuteil, als der Jahresbericht des Landesbeauftragten auf der Tagesordnung stand. Da haben die meisten Redner die Gelegenheit genutzt, sich auch für seine Arbeit zu bedanken, wenngleich zumeist ganz allgemein gehalten. Individueller jedoch hat das die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) getan. Sie hat ihn als einen „Mann mit aufrechtem Gang“ gewürdigt. Sie bedauert, dass er nach zehn Jahren als Leiter der Behörde für die Stasi-Unterlagen ausscheidet. Für AbL-Bundesgeschäftsführer Georg Janssen war er „einer der Wenigen, die nach der Wende vor den Fehlentwicklungen in der ostdeutschen Landwirtschaft gewarnt haben“. Schon in seinem Bericht von 2002 habe er eindringlich darauf hingewiesen, dass die Bodenpolitik mit den Flächen der ostdeutschen Bundesländer und der bundeseigenen Bodenverwertungs- und -verwaltungsgesellschaft (BVVG) Neugründungen bäuerlicher Betriebe und bäuerliche Agrarstrukturen verhindere. Damit habe er sich gegen die Politik aller Parteien und des Deutschen Bauernverbandes gestellt, sich aber dennoch in dieser Frage unbeirrt von der Sache leiten lassen. In seinem aktuellen Rundbrief habe er nochmals eindrucksvoll zur Frage der Kollektivierung und der ostdeutschen Landwirtschaft heute Stellung genommen. Darin liest man unter anderem:

 

Die agrarindustrielle Agrarstruktur geradezu zementiert

 

„Wie komplett .. ein historisches Ereignis von großer Tragweite auch beschwiegen werden kann, wenn es den Redaktionen und politischen Meinungsmachern nicht gefällt, das konnte man anhand des 50. Jahrestages der Zwangskollektivierung der ostdeutschen Landwirtschaft beobachten, den wir im Frühjahr 2010 begingen. Etwa 20 Prozent der DDR-Bevölkerung waren selbst oder mit ihren Familien von dieser beispiellosen Despotie betroffen, als Walter Ulbricht am 25. April 1960 die „Vollkollektivierung“ verkündete. Bis heute leidet die Attraktivität der ländlichen Räume Ostdeutschlands erheblich unter einer sozialistisch geprägten agrarindustriellen Monostruktur. Ja, hier ist die Dominanz der aus den LPG hervorgegangenen Großbetriebe, die in besonderem Maße von Subventionen abhängig sind, geradezu zementiert worden.“

 

Kollektivierung ein Bestandteil der kommunistischen Großverbrechen

 

„Die zentrale Lobbyorganisation, die eine Revitalisierung bäuerlicher Strukturen in Ostdeutschland verhindert hat und verhindert, führt den irreführenden Namen „Bauernverband“ und ist im Osten aus dem VdgB hervorgegangen, der ein Instrument des kommunistischen Klassenkampfes der SED gegen den Bauernstand war. … Alle drei Etappen der kommunistischen Agrarpolitik (Bodenreform – Kollektivierung – Industrialisierung) waren dem Ziel der Eliminierung des Bauernstandes untergeordnet. Es ging um eine flächendeckende Proletarisierung der vormals freien Bauern. Diese Etappen waren – auch wenn das ihren Akteuren und Profiteuren zum Teil bis heute nicht bewusst ist – Bestandteil der kommunistischen Großverbrechen. Ohne erkennbare parteipolitische Unterschiede hat die Agrarpolitik der ostdeutschen Bundesländer in den letzten zwanzig Jahren ganz überwiegend die Interessen der Begünstigten der SED-Agrarpolitik vertreten.“

 

Engagiert in der DDR-Umwelt- und Friedensbewegung

 

Die AbL nennt „solche klaren Worte über die ostdeutsche Landwirtschaft“ selten. Sie könnten nur von einem kommen, der integer und in diesem Bereich kompetent sei. Kompetent ist Beleites nicht nur, weil er von 1992 bis 1995 Landwirtschaft studiert hat, sondern auch, weil er in der DDR aufgewachsen ist, sie mit erleiden musste, sich intensiv – auch überregional – an der Umwelt- und Friedensbewegung in der DDR beteiligte und die ersten Protestaktionen gegen Umweltzerstörung und der Chemieregion Wolfen-Bitterfeld initiierte. Auch hat Beleites die Tagung „Zum 50.Jahrestag der Zwangskollektivierung in der DDR und ihre Folgen“ wesentlich mitorganisiert. Aus dieser Tagung, die im April 2010 in Berlin stattfand, ist das Buch „Klassenkampf gegen die Bauern“ entstanden.2)

 

Seit 1983 von der Stasi verfolgt

 

Geboren wurde Beleites 1964 als Sohn eines Pfarrers in Halle. Aufgewachsen ist er in Trebnitz bei Zeitz. Von 1981 bis 1983 absolvierte er eine Ausbildung zum Zoologischen Präparator in Gera und Berlin. Bis 1987 hat er in diesem Beruf am Naturkundemuseum in Gera gearbeitet. Durch sein Mitwirken  in kirchlichen Friedens- und Umweltinitiativen geriet er schnell unter die Beobachtung des DDR-Ministeriums für Staatsicherheit („Stasi“). Daher durfte er weder Abitur machen noch studieren. Seit 1983 verfolgte die Stasi ihn mit einem „Operativen Vorgang“.

 

 

Beleites’ Untergrundschrift „Pechblende“

 

Die Verfolgung verstärkte sich zum „Politisch-operativen Schwerpunkt“ der Stasi-Bezirksverwaltung Gera, als er 1986 mit beispielhaftem Mut begann, zu den ökologischen und gesundheitlichen Folgen des Uranabbaus der SDAG Wismut zu recherchieren. Mit dem, was er dabei herausgefunden hatte, verfasste er als Untergrundschrift die Dokumentation "Pechblende - Der Uranbergbau in der DDR und seine Folgen“, veröffentlicht 1988 in der Lutherstadt Wittenberg. Die „Stasi“ sah in ihm einen gefährlichen Oppositionellen. Sie bespitzelte ihn, setzte ihn unter Druck. Auch durfte nicht ins sozialistische Ausland reisen. Schon 1987 verlor er durch Stasi-Repressionen im Museum seinen Arbeitsplatz. Die Museumsleitung war veranlasst worden, ihn derart zu terrorisieren, dass er unter diesem Druck schließlich selbst kündigte. Er musste sich dann freiberuflich durchschlagen. In seinem Rundbrief schreibt er, eine Gefängnisstrafe sei ihm dank der West-Öffentlichkeit der „Pechblende“ erspart geblieben, doch die „diffuse und dennoch extreme Verfolgungssituation jener Zeit“ werde er nie vergessen.

 

„Wer vergibt, tritt aus seiner Opferrolle heraus“

 

Von 1989 bis 1990 war Beleites Mitglied des Geraer Bürgerkomitees zur Stasi-Auflösung in Gera. Im Februar 1990 wurde er Berater des Neuen Forums am Zentralen Runden Tisch in Berlin, 1991 Berater von Greenpeace in Hamburg, 1992 Berater der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im sächsischen Landtag. Dann folgte das Agrarstudium an der Humboldt-Universität in Berlin und an der Fachhochschule für Landwirtschaft im sächsischen Großenhain. Er veröffentliche 1991 die Bücher „Untergrund“3) und 1992 „Altlast Wismut“4).  An seiner Dokumentation „Untergrund“ haben sich neben anderen Stasi-Opfern mit eigenen Beiträgen auch die vier zuständigen Stasi-Offiziere beteiligt. In Beleites’ Rundbrief liest man dazu:  „Ich konnte nach intensiven Gesprächen die Erfahrung machen: Wer vergibt, tritt aus seiner Opferrolle heraus.“ 

 

Die moderate Amtsführung als Schwäche ausgelegt

 

Ebenfalls in seinem Rundbrief schreibt Beleites: „Bis fast zuletzt habe ich geglaubt, dass meine „moderate Amtsführung“ ehemalige Stasi-Mitarbeiter und anderweitig in die SED-Diktatur Verstrickte dazu ermutigt, offener mit den problematischen Seiten ihrer Vergangenheit umzugehen oder zumindest das Gespräch darüber zu suchen. Heute muss ich sagen, dass diese Zurückhaltung von vielen als Schwäche interpretiert wurde, die sie in dem Beschweigen bzw. der Verfälschung ihrer Vergangenheit bestärkt hat.“ Bis zu seiner Ernennung als Landesbeauftragter für die Stasi-Unterlagen lebte Beleites überwiegend als freier Autor in der Nähe von Dresden. Er ist verheiratet und hat drei Kinder. Seine Mitgliedschaft im Stiftungsrat der Stiftung Sächsische Gedenkstätten ist mit dem Ausscheiden aus seinem Amt erloschen. Mitglied im Stiftungsrat der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur ist er weiterhin. Vom kommenden Frühjahr an wird er in die bisher von seiner Frau geführte Gärtnerei einsteigen, aber sich auch wie bisher als Autor und Publizist zu Wort melden.

 

„Das Amt braucht einen neuen Namen und ein neues Profil“

 

Ein Nachfolger für Beleites im Amt des Sächsischen Landesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen ist noch nicht ernannt, auch noch nicht öffentlich benannt. Sachsens Justizminister Jürgen Martens (FDP) hat am 17. Dezember im Landtag gesagt, die Regierung werde erst im neuen Jahr einen Personalvorschlag unterbreiten. Es gebe noch internen Abstimmungsbedarf. Und wie stellt sich Beleites die Nachfolge vor? „Zur Zukunft des Sächsischen Landesbeauftragten nur soviel: Die Behörde braucht einen neuen Namen und ein neues Profil. Ich würde mich freuen, wenn das Amt rasch wieder neu besetzt wird und jemand Nachfolgerin bzw. Nachfolger würde, die/der überparteilich agiert und die Stasi-Akten nicht nur als Archivgut, sondern auch als Dokumente der eigenen Widerstands- und Verfolgungsgeschichte kennengelernt hat.“

 

1) beleites-rundbrief-vom-9122010

2) Michael Beleites, Michael, Friedrich W. Graefe zu Baringdorf u. Robert Grünbaum (Hrsg.): Klassenkampf gegen die Bauern. Die Zwangskollektivierung der ostdeutschen Landwirtschaft und ihre Folgen bis heute. 2010. 167 Seiten. ISBN-13: 9783940938961

 

3) Michael Beleites: Untergrund- Ein Konflikt mit der Stasi in der Uran-Provinz.  Basisdruck Verlag, Berlin 1991. 274 Seiten. ISBN 3-86163-044-3.  (2. erweiterte Auflage 1992, 278 Seiten)

  

4) Michael Beleites: Altlast Wismut. Ausnahmezustand, Umweltkatastrophe und das Sanierungsproblem im deutschen Uranbergbau. Brandes und Apsel Verlag, Frankfurt/Main 1992
ISBN: 3-86099-104-3. Nur noch antiquarisch erhältlich.

 

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