Rolle rückwärts

Der Vorschlag der Großelternzeit von Kristina Schröder ist auf den ersten Blick so entwaffnend sympathisch, dass man leider erst auf den zweiten Blick sieht, wohin es führt: Noch weniger Zeit für die eigenen Kinder, noch mehr Altersarmut.

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Ja, wer kann denn schon was dagegen haben, dass Großeltern sich um die Enkelkinder kümmern? Eine Oma, die immer Zeit hat, die Kuchen backt und von früher erzählt. Opa spielt Schach und bringt den Kindern das Angeln bei. Oma liest Bücher und übt Vokabeln. Das müssen die blühenden Landschaften in den Gärten der Mehrgenerationenhäuser sein. Man sieht förmlich vor sich, wie das ganze Dorf, das in Afrika benötigt wird, ein Kind groß zu ziehen, jetzt auch in Deutschland Gestalt annimmt. Generationenübergreifende Solidarität und abends schreitet man Hand in Hand in den Sonnenuntergang. Kommen wir zur Realität.

Weniger Zeit für Familie

Im Familienbericht der Bundesregierung tauchte zu Beginn dieses Jahres erstmals der Vorschlag auf, dass die bisherige Elternzeit, die allen Eltern zusteht, um eine Großelternzeit ergänzt werden soll, damit zukünftig auch Oma und Opa auf die Enkel aufpassen können. Schon damals stellte sich die Frage nach dem Sinn, tun dies doch die allermeisten Großeltern, denen dies räumlich und finanziell möglich, sowieso schon. Warum also einen Anspruch schaffen für etwas, das sowieso geleistet wird? Noch ein paar Eulen nach Athen tragen? In der Betreuungsgelddebatte wird genau dieser Tatbestand immer als „Mitnahmeeffekt“ angeprangert. Was dort falsch ist, wird hier also plötzlich richtig? Für wen ist also dieser neue Anspruch gedacht? Und wer kann es sich leisten kurz vor dem Rentenalter dies überhaupt in Anspruch zu nehmen?

Es entbehrte übrigens schon im Familienbericht mit dem schönen Titel „Zeit für Familie“ einer inneren Logik: Die Expertenrunde hatte herausgefunden, dass sich Eltern vor allem mehr Zeit für die Familie und die Kinder wünschen. Großelternzeit bedeutet aber nicht mehr Zeit der Eltern mit den Kindern, sondern mehr Zeit der Großeltern mit den Enkelkindern.

Mama und Papa wünschen sich also etwas – Oma und Opa bekommen es. Ja, das macht Sinn.

Ebenfalls im Familienbericht stand ergänzend der Vorschlag der Experten, die Elternzeit von drei auf zwei Jahre herab zu kürzen. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Eltern wünschen sich also mehr Zeit, sollen aber ein Jahr weniger bekommen. Zeit für Familie. Im aktuellen Gesetzesentwurf, der derzeit im Kabinett diskutiert wird, ist dieser Vorschlag übrigens nach wie vor enthalten – klugerweise geht Kristina Schröder damit aber nicht lautstark hausieren. Wäre es doch ein Zugeständnis an die Wirtschaft, nicht an die Familien. Ein Jahr weniger bei den Eltern, drei mehr bei den Großeltern, das macht ja nach Adam Riese ein Plus von zwei Jahren und es bleibt doch in der Familie, nicht wahr?

Machen wir uns nichts vor, dies ist ein Großmüttergesetz. Und gleichzeitig inhaltlich eine komplette Rolle rückwärts in der schönen neuen Familienwelt, von der uns immer erzählt wird. Eine Rolle rückwärts in der Frauenpolitik die man Müttern nun schon seit Jahren nahezu aufdrängt und inhaltlich eine Rolle rückwärts in der sogenannten Emanzipationsbewegung. Nicht dass ich es unsympathisch finde, dass Kindererziehung in der Familie bleibt. Ganz im Gegenteil, es wäre ein Gewinn vor allem für die Kinder, aber es passt einfach nicht in das Konzept, das seit Jahren propagiert wird. Es müssen also andere Gründe ausschlaggebend sein, wenn man jetzt die Großmüttergeneration, die man jahrzehntelang von Herd und Kindern weglocken wollte, die als Hausfrauen und Heimchen am Herd verschrien wurden, jetzt wieder genau dorthin zurück schicken will.

Allerhöchstens Oma

Es ist unwahrscheinlich, dass sich plötzlich eine ganze Generation Großväter, die ihr ganzes Leben im Beruf gestanden haben, nun dringend um Säuglinge kümmern wollen, kurz bevor sie sich in den wohlverdienten Ruhestand begeben. So wie es in der Regel die Mütter sind, die sich um ihre Kleinkinder kümmern, sind es in der Regel die Großmütter, die den Töchtern und Schwiegertöchtern jetzt schon in der Regel unter die Arme greifen.

Es ist die Generation Großmutter, die oft das klassische Familienmodell gelebt hat, bei dem der Ehemann der Erwerbsarbeit nachgeht und sie die Kinder großgezogen haben. Ihre eigenen Rentenansprüche sind in der Regel ein Witz, sie hängen massiv von der Rente ihres Ehemannes ab. Sprich: Von dieser Rente müssen später zwei Menschen leben. Diese Rente kann nicht gekürzt oder riskiert werden. Opa wird weiter arbeiten gehen und es steht allerhöchstens Oma zur Verfügung.

Hier wiederum haben wir zwei verschiedene Omagenerationen. Diejenigen, die auch nach Auszug der Kinder keine Erwerbstätigkeit aufgenommen haben – sie helfen dann sowieso schon bei der Betreuung der Enkelkinder, ehrenamtlich in der Gemeinde oder bei der Pflege ihrer eigenen Elterngeneration und diejenigen, die nach der Familienphase einen neuen Versuch in die Berufstätigkeit gewagt haben. Kein einfacher Einstieg. Wir wissen, dass es mit steigendem Alter immer schwierig ist, nach mehrjähriger, vielleicht sogar zweistelliger Jahreszahl wieder einen Arbeitsplatz zu bekommen. Wir werden ja ständig davor gewarnt. Wir wissen, dass junge Frauen Schwierigkeiten haben bei der Arbeitssuche, weil sie immer als potentiell Gebärende betrachtet werden, die kurz oder lang wegen Kindern wieder das Unternehmen verlassen. Den älteren Frauen bürden wir gerade in Vorstellungsgesprächen die Frage auf, ob sie auf kurz oder lang wegen Enkelkindern ausfallen werden. Und hören wir nicht schon seit Wochen in der schwelenden Rentendebatte, dass gerade diese Frauen, die kaum eigene Rentenansprüche erwirtschaftet haben, auf direktem Weg in die Altersarmut sind? Genau diese Großmütter, die gerade noch die Kurve bekommen haben, sind nun aber Zielgruppe. Sie sollen den schönen neuen Job wieder sausen lassen, drei Jahre auf Eis legen und sich um die Enkelkinder kümmern.

In der leidigen Betreuungsgelddebatte erzählt man uns Frauen nun bereits seit über einem Jahr, dass wir genau das nicht tun sollten. Das wir uns nicht selbst um die Kinder kümmern sollen, dass sie woanders genauso gut aufgehoben sind. Dass wir es uns weder in Bezug auf Karriere und schon gar nicht in Bezug auf die Rente leisten können, länger als ein Jahr auszufallen. Dass wir um Himmels Willen nicht das traditionelle Familienmodell leben sollen, dass wir uns um unsere eigenen Jobs kümmern und dass wir unsere eigenen Rentenansprüche sammeln sollen, denn Erziehungszeiten für Kinder zählen in der Rente am Schluss kaum. Was also für die junge Frauengeneration grundfalsch, soll jetzt also für die ältere Frauengeneration plötzlich gut sein?

Man kann diese Sache nur mit Zynismus einigermaßen logisch gerade ziehen. Die Rentenansprüche, die sich die Großmütter auf den letzten Metern vor der Rente noch sichern können, sind minimal, um nicht zu sagen irrelevant. Da können sie doch wenigstens dafür sorgen, dass die Töchter und Schwiegertöchter nicht ins gleiche Fettnäpfchen geraten und die gleichen Dummheiten begehen, indem sie eigensinnig selbst ihre Kinder groß ziehen. Und die Wirtschaft nimmt sowieso lieber junge Fachkräfte, als ältere mit langen Erwerbspausen. Auch hier also eine Win-Win-Situation. Die ältere Frauengeneration ist also nur noch fürs Kindererziehen zu gebrauchen und soll auf dem Arbeitsmarkt Platz schaffen für ihre eigenen Töchter.

Zum Dank ein Kinderlachen

Weiter gedacht wird aus dem Recht zur Großelternzeit vielleicht bald eine moralische Pflicht. Aus dem Recht auf einen Kindergartenplatz ist heute schließlich auch bereits fast eine Pflicht geworden. Reden wir nicht längst vom böswilligen „Fernhalten“ von wertvoller Bildung, wenn Eltern selbst erziehen? Das Puzzle fügt sich am Schluss unmerklich zu einem Gesamtbild zusammen: Eltern sollen Kinder bekommen, gleichzeitig wird die Elternzeit zusammen gekürzt, sodass man nicht einmal wenn man gerne will, drei Jahre bei den Kindern bleiben kann. In die Lücke sollen nun Großeltern springen. Wenn die Eltern vielleicht doch ein schlechtes Gewissen haben, ihr Kind nach einem Jahr weg zu geben, dann kann ja jetzt Oma oder Opa übernehmen, das beruhigt und ist auch faktisch eine bessere Lösung. Günstig ist es übrigens für den Staat auch. Jeder Krippenplatz, der nicht gebaut werden muss, spart monatlich pro Kind 1.200 Euro. Das Betreuungsgeld braucht man auch nicht, Opa verdient ja genug und die Eltern sind auch in Lohn und Brot. Das sind wieder mehr Steuerzahler, weniger Sozialkosten. Passt.

Konsequenterweise sollen die Großeltern natürlich nichts für ihre Leistung bekommen – außer vielleicht einem Kinderlachen und einem feuchten Händedruck. Sie wären in der Zeit weder kranken- noch arbeitslosenversichert. Ein bisschen müssen sie schließlich schon selbst dafür tun, dass sie großzügigerweise ihre Enkelkinder bespaßen dürfen. Ob sie rentenversichert sind in der Zeit, hängt noch in den Sternen bzw. am Tauziehen im Kabinett, wahrscheinlich ist es nicht. Sie haben also ihre eigenen Kinder großgezogen und damit Rentenzahler geschaffen, sie sollen die Generation ihrer Enkel großziehen und damit die Renten ihrer Kinder sichern, selbst aber dafür nicht einmal Rentenpunkte erhalten und werden am Schluss mit nichts belohnt. Man muss schon wahnsinnig oder einfach herzensgut sein, wenn man sich auf so einen Deal einlässt.

Dieser Beitrag erschien zuerst auf TheEuropean.de.

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Karla

Was bitte soll ein guter "Sachbeitrag" sein?

Und polemisch ist der Text auch nicht, sondern pointiert. Die Begriffe werden ja gern je nach eigenem Standpunkt vertauscht.

Gravatar: pirat

eine Internetseite mit dem Namen "Freie Welt", die ständig zensiert, ist letztlich nur das Sprachrohr verkappter Sozialisten, die sich mit pseudo-konservativen Kleidern schmücken. Aber naja was will man man von unmündigen unterwürfigen Mainstream-Bloggern auch anderes erwarten. Schämt euch freie Welt: Putin = Freie Welt!

Gravatar: franz dreesen

Bravo, Fr. Kelle,sie sind wirklich eine Emanizipierte Frau!Alles was bisher von Ihnen auf diesem Kanal erschienen ist,hat mich beeindruckt!
Weiter SO!

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