Revolutionsgeklitter, März 2019

Am 18. März ist in Berlin nun der Themenwinter zum 100. Jahrestag der Revolution 1918/19 mit insgesamt viel Lamento über die „verratene Revolution“ (Sebastian Haffner), dem „bösen Bluthund“ Noske und auch den vermeintlich tollen Chancen, die eine Räte- (also russ. Sowjet-) Republik gebracht hätte, zu Ende gegangen (https://100jahrerevolution.berlin/#uber-das-projekt ). Natürlich durften in diesem Zusammenhang auch Warnungen vor den aktuellen „Feinden der Demokratie“ und „Fake News“ nicht fehlen. Aufsichtsratsvorsitzender der Kulturprojekte Berlin GmbH, die inhaltlich dafür federführend war, ist praktischerweise Berlins Kultursenator Dr. Lederer (Die Linke).

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Kurz vorher hatte Bundespräsident Steinmeier vorgeschlagen, den 18. März zu einem „Gedenktag der Demokratie“ zu erheben (Link: www.zeit.de/2019/12/demokratie-nationalismus-tradition-gedenktage-geschichtsunterricht/komplettansicht ), allerdings nicht wegen der Märzkämpfe 1919, sondern u.a. weil am 18. März 1848 „in Berlin die demokratische Revolution ihren Höhepunkt erlebte“.

In seinem Gastbeitrag für die ZEIT schreibt Steinmeier (oder auch sein Team) zwar viel Richtiges zur Pflege unseres kulturellen und historischen Erbes, aber wenn man sich mit dem konkreten Geschehen um den 18. März 1848 in Berlin näher beschäftigt, dann merkt man schnell: Was sich an diesem Tag in Berlin ereignete, das ist zu einem Gedenken für die deutsche Demokratie wenig geeignet.

Das Geschehen der Märzkämpfe 1919 ist natürlich mindestens genauso wenig dafür geeignet. Aber der März 1919 war ja auch keine Gedenk-Forderung von Herrn Steinmeier. Wenn überhaupt, wäre als ein Gedenktag für die deutsche Demokratie aus meiner Sicht primär der 19. Januar 1919 sinnvoll, der Tag an dem der demokratische Parlamentarismus der Mehrheitssozialdemokraten gegen die undemokratische Räte-Republik der Kommunisten siegte und endlich freie Wahlen zu Nationalversammlung stattfanden.

Gemeinhin werden Revolutionen ja immer gern als fortschrittliche und positive Ereignisse dargestellt. Ein unterdrücktes Volk erhebt sich demnach meist gegen seine Unterdrücker – wer will da noch auf der Seite der alten Mächte stehen? Wenn der Pulverdampf verflogen ist und eine Revolution Machtverhältnisse geändert hat, dann wollen im Nachhinein immer viele, die vorher noch über Rowdytum lamentiert haben auf der Seite des Volkes stehen. Was dabei gern vergessen wird: Auch in früheren Epochen gab es kaum ein einheitlich agierendes „Volk“, sondern es war mit dem „Gut und Böse“ oft viel komplizierter.

Ausgehend von Frankreich und Italien gab es ab Ende Februar 1848 in verschiedenen Ländern Europas Revolten der Bevölkerung gegen die Obrigkeiten. Wie in diversen deutschen Ländern gab es ab dem März auch in Berlin Forderungen nach Reformen und einem Parlament, dem der König sich unterstellen sollte. Wenn auch zögerlich, so verhandelten der König und seine Minister doch mit den Anführern und waren auch zu gewissen Zugeständnissen bereit. Am 18. März 1848 lösten sich dann bei einer Demonstration vor dem Berliner Stadtschloss durch eine Verkettung unglücklicher Umstände zwei Schüsse von Angehörigen der königlichen Garde, die den preußischen König Friedrich Wilhelm IV zu schützen hatten. Diese Schüsse verletzten zwar niemanden, aber danach begannen vor allem jüngere Berliner Arbeiter und Handwerker wie Tage vorher in Wien spontan mit dem Aufbau von Barrikaden, woraufhin das Militär diese Barrikaden dann stürmte, was letztlich zu ca. 240 zivilen Toten und 200 Toten auf Seiten der Polizeigarden führte. Am 22. März kondolierte der König bei der langen öffentlichen Trauerveranstaltung dann allen Märzgefallenen.(Link: de.wikipedia.org/wiki/M%C3%A4rzrevolution_1848_in_Berlin ).

König Friedrich Wilhelm der IV mag einiges gewesen sein, aber als absolutistischer Bösewicht einer blutigen Konterrevolution gegen das demokratische Volk taugt er nicht. Die Ereignisse 70 Jahre später, die Berliner Märzkämpfe von 1919 (Link: de.wikipedia.org/wiki/Berliner_Märzkämpfe ) eignen sich ebenfalls weder als Feiertag der Demokratie, noch als sozialistischer Märtyrer-Tag. Nur gegen den fanatischen Willen von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, die für eine kommunistische Sowjet-Diktatur kämpften, erreichte die Mehrheits-SPD unter Ebert, Scheidemann und Noske am 19. Januar 1919 die Durchführung von freien, demokratischen Wahlen, aus denen nun mal die Mehrheits-SPD als klarer Wahlsieger hervorging. Die Ermordung Luxemburgs und Liebknechts am 15. Januar 1919 ohne Gerichtsverfahren war sicher Unrecht und ein politischer Fehler der Regierung der Mehrheits-SPD (M-SPD). Eine korrekte Anklage der beiden Kommunistenführer wegen Hochverrats wäre sicher absolut nachvollziehbar gewesen und hätte vermutlich auch zwei Todesurteile zur Folge gehabt.

Da man aber, aus welchen Gründen auch immer, diesen rechtlich korrekten Weg nicht gegangen ist, hat man bis heute Anlass für Legenden und zwei heilige linksextreme Märtyrer geschaffen. Wer was zum Demokratieverständnis z.B. von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht lesen möchte, kann das hier tun:https://www.welt.de/vermischtes/article3826630/Wieso-Liebknecht-und-Luxemburg-nicht-als-Leitbilder-taugen.html?fbclid=IwAR3wE9CS9Q370Jsmc5ELlvTTpwnPnGeYSh0-G9gAxj6uLTl7Tx0vF4PDhMc .

Die Kommunisten waren nie bereit, das demokratische Wahlergebnis vom 19. Januar zu akzeptieren. Sie riefen die Bevölkerung weiter zum Umsturz und zur Errichtung einer proletarischen Diktatur nach Vorbild der Revolution in der Sowjetunion 1917 auf. Die Berliner Märzkämpfe 1919, die mit einem von der KPD ausgerufenen Generalstreik für das Räte-(Sowjet)-System begannen, endeten mit Plünderungen und Barrikadenbau und auf der Gegenseite schließlich dem Schießbefehl des Oberbefehlshabers Gustav Noske (M-SPD): „Jede Person, die mit Waffen in der Hand gegen Regierungstruppen kämpfend angetroffen werden, ist sofort zu erschießen.“ Diese heftigen Kämpfe (Link: de.wikipedia.org/wiki/Berliner_Märzkämpfe ), die erst am 16. März in Lichtenberg (damals noch selbständige Stadt am Rande Berlins) mit Aufhebung des Schießbefehls endeten, kosteten mind. 1200 Menschen das Leben, davon ca. 75 Opfern derwesentlich besser ausgestatteten Freikorps-Mitglieder. Leider ist bei allen historischen Irrungen und Wirrungen allerdings eines auch wahr: Vieles von dem, was damals zu Recht von Bürgern an Mitbestimmung des Volkes und zur Souveränität der Nation gefordert wurde, das werden wir heute nach 171 bzw. 100 Jahren wohl bald schon wieder genauso fordern müssen.

So besteht heute anscheinend immer noch keine Verpflichtung unseres Staates, dass er die Staatsbürger objektiv zu informieren hat. Wie steht es denn heutzutage um Zensur, Meinungs- und einem Versammlungsrecht ohne Blockade? Wie oft liest man, dass alles bereits in Brüssel beschlossen wurde? Von wem? Wer hat diese Kommission gewählt? Niemand. So etwas ist dann leider keine echte Demokratie mehr – es ist mehr und mehr das Verhalteneines arroganten Obrigkeitsstaates, ähnlich dem vor 1919 und 1848. In einer funktionierenden Demokratie bräuchte es keiner Revolution, da sich durch mehrheitlichen Volkswillen ja eine politische Anpassung von allein regeln könnte. Genau das war auch immer die Argumentation der Mehrheits-SPD gegen die Revolution und gegen die Kommunisten.

Aus dieser Zeit stammt übrigens auch der heute noch gern zitierte Spruch: „Wer hat uns verraten? Sozialdemokraten!“ Das riefen damals die Kommunisten. Nichtkommunisten sollten es sich heute besser verkneifen, die SPD für die Weimarer Republik mit solchen Kommunistensprüchen zu verhöhnen. Denn die heutige Kritik an dieser SPD ist schließlich etwas ganz anderes.Wenn alle Altparteien inklusive der SPD heute ein Parteien-Kartell bilden (https://de.wikipedia.org/wiki/Kartellpartei ), bräuchten wir dann vielleicht erst mal eine neue „Märzdemonstration 2.0“, um in unserem Lande eine wirkliche Demokratie erst mal wieder herzustellen? Nun, da wird Herr Steinmeier unter „Eintreten für die Demokratie“ sicher etwas anderes verstehen

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: karlheinz gampe

@Stasiopfer in USA

Auch mein Opa wollte seinen Kaiser wieder haben. Das Problem waren die Bündnisse. Russland war mit Serbien verbunden, wo der österreichische Thronfolger ermordet (mit Rückendeckung der serbischen Regierung) wurde und Deutschland war verbündet mit Österreich.

Gravatar: Stasiopfer_in_USA

Wenn man bedenkt, was es fuer einen Mist gab ab 1918, dann wundert einem gar nichts mehr. Ich war in der gluecklichen Lage, als Kind in der DDR viele Rentner um mich herum gehabt zu haben, welche die Kaiserzeit vermissten. Meine geliebte Uromi in Ostberlin Pankow sagte mir so einige Wochen vor ihrem Tod: "Kein Versailler Vertrag, kein Hitler." Sie hasste alles, was nach Seiner Majestaet kam. Der 1. Weltkrieg war die Urkatastrophe. Warum hat unser Kaiser nur den Fehler gemacht und den Zaren nicht unterstuezt!?

Gravatar: Werner N.

Episodenhistoriker und das intellektuelle Establishment tragen durch ihre Fälschungen und Auslassungen bei den Revolutionsereignissen 1918 /19 bei. Sie verursach(t)en dadurch Fehleinschätzungen und -reaktionen.

Man nehme das Beispiel München: Zur 100 Jahr–Feier der Revolution 1917/18 im vergangenen Jahr verklärten bayerische Politiker, Kirchen, Verbände, Gewerkschaften, Ausstellungen Kurt Eisner, der die „baierische Republik“ ausrief – übrigens zwei Tage vor Berlin. Sie stilisierten ihn zum Demokraten hoch. Beharrlich wird ausgeblendet, dass er eine Räterepublik wollte. Es sei wiederholt: Eisner hatte mit Demokratie nichts am Hut.

Dann die Sache mit dem Brief in der Rocktasche, in dem der USPD–Sozialist seinen Rücktritt als „provisorischer“, selbst ernannter Bayer. Ministerpräsident erklärt haben soll. Selbst der bedeutende Joachim Fest wiederholt nur obigen Standardsatz, fragt weder, ob es den Brief tatsächlich gab, noch wie er lautete. M.W. (man korrigiere mich) hat ihn lediglich der Historiker W. Effenberger veröffentlicht – und hier war Eisner ehrlicher – von Rücktritt ist keine Rede. Seine Absicht war vielmehr als Vorsitzender des *Zentralrates der Arbeiter–, Bauern– und Soldaten–Räte*, diesen im Weimarer Parlament eine „kontrollierende“ Rolle einzuräumen. Damit Intellektuelle das nicht in den falschen Hals kriegen, sei betont, der heimtückische Mord durch Graf Arco soll damit weder relativiert noch gut geheißen werden.

Ein weiteres stiefmütterlich behandeltes Thema ist der Einfluss der *Thule–Gesellschaft* auf Hitler. Diese war ein antisemitischer „Orden für die deutsche Art“, der sich – wie A.H. – als Zentrale der Gegenrevolution in Bayern verstand. (Wohlgemerkt: Gegen die bolschewistische Revolution, denn das wird ebenfalls ständig unter den Teppich gekehrt). Sicher trat Hitler bei Eisners Begräbnis mit roter Armbinde auf, bald danach aber trug er die mit dem Hakenkreuz. Dass sich dieses auf der Titelseite der Verbandszeitung befand, erfährt man nur über Umwege. Stattdessen wird vom arischen Indien fabuliert. Die Gesellschaft gründete auch die „Deutsche Arbeiter–Partei“, um Arbeiter zu gewinnen. Aus ihr ging später die NSDAP hervor. (www. *Marx. Bibliothek*).

Demzufolge wird das Etikett mit dem Inhalt der Flasche verwechselt. Artikel und Kommentare auch dieses Blogs liegen falsch, wenn sie das „Dritte Reich“ für eine linke, sozialistische „Bewegung“ halten. Salopp gesagt, war es eine „großdeutsche“ *Thule–Gesellschaft* – und die war (wie der Führer) gegen Marxismus, Bolschewismus und Räterepublik.

Gravatar: Hajo

Wer fährt denn schon mit vollem Bauch und gebuchtem Urlaub (ein Wort aus dem 13. Jahrhundert und bedeuted mit Erlaubnis des Herrn, sinngemäß) und dazu hin noch mit seinem SUW zur Revolution, das ist doch ein irriger Gedanke, damals waren solche Aufstände noch aus der Not heraus gegeben, heute sind sie einfach desinteressiert und faul und begeben sich somit in die Unfreiheit bis nachfolgende Generationen das ausbügeln müssen, was sie heute vergeigt haben, tolle Aussichten für all jene, die ihre Zukunft noch vor sich haben, da kann man nur noch mit dem Kopf schütteln.

Gravatar: Ekkehardt Fritz Beyer

... „Kurz vorher hatte Bundespräsident Steinmeier vorgeschlagen, den 18. März zu einem „Gedenktag der Demokratie“ zu erheben (Link: www.zeit.de/2019/12/demokratie-nationalismus-tradition-gedenktage-geschichtsunterricht/komplettansicht ), allerdings
nicht wegen der Märzkämpfe 1919, sondern u.a. weil am 18. März 1848 „in Berlin die demokratische Revolution ihren Höhepunkt erlebte“. ...

Ist es bei einer kanzelnden Göttin(?), die auch m. E. ohne jegliches Einfühlungsmögen ist
https://www.freiewelt.net/nachricht/angela-merkel-kanzlerin-ohne-einfuehlungsvermoegen-10073081/,
samt der scheinbar von ihr zusammen ´gewürfelten` Bundesregierung, welche ihren Auftrag gegenüber
dem deutschen Volk nicht mehr erfüllt
https://www.youtube.com/watch?v=lvr4c1Y-G7o,
nicht längst wieder allerhöchste Zeit dafür???

Auch weil ganz spezielle Eigenheiten der DDR nun sehr offensichtlich noch getoppt werden sollen!!!
https://www.journalistenwatch.com/2019/03/22/koelner-umweltdezernent-schuelerdemos/

Gravatar: harald44

Die Pluralismus-Krankheit ist eine Krankheit der Gegenwart, alles mögliche wiederholt in den Plural (=Mehrzahl) zu setzen, ohne daß sich der Satzsinn dadurch verändert bzw. verbessert.
Beispiel: "Ausgehend von Frankreich und Italien gab es ab Ende Februar 1848 in verschiedenen Ländern Europas Revolten der Bevölkerung gegen die Obrigkeiten."
Einfacher und besseres Deutsch ist:
"Ausgehend von Frankreich und Italien gab es ab Ende Februar 1848 in verschiedenen Ländern Europas eine Revolte der Bevölkerung gegen die Obrigkeit."
Man sieht, daß der Satzsinn derselbe ist, so daß zwei Mehrzahlformen in ein und demselben Satz unnötig sind.

Zurück zur angeblichen Demokratie in der BRD von heute: Faktisch gibt es im deutschen Bundestag nur noch ein Zweiparteiensystem. Das eine ist die Gruppe der täglich das eigene Volk verratenden Parteien unter Führung der sogenannten GRÜNEN, und das andere ist die AfD.

Gravatar: karlheinz gampe

Ermordung ist Mord und die Mehrheits SPD unter Noske hat Mitglieder ihres linken Flügels ermorden lassen, das ist Fakt und nicht zu beschönigen wie in dem Artikel hier versucht wird. Das es ohne diese Morde zu einer Räterepublik gekommen wäre, ist auch an den Haaren herbei gezogene Spekulation. Denn von einer Scherbe im Mosaik kann man nicht aufs Ganze Schließen.

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