Putin verspielt Russlands wirtschaftliche Zukunft

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Diktatoren sind gemeinhin Agenten nationalistischer Machtrhetorik auf der Basis protektionistischer Politik. Vladimir Putin ist da keine Ausnahme, ganz im Gegenteil: Auf die vom Westen gegen Russland wegen dessen Rolle im Ukraine-Konflikt verhängten Sanktionen will er kämpferisch mit Gegenmaßnahmen antworten, die sich zusammenfassend auf den Nenner bringen lassen: Isolation durch Importsubstitution. Denn Putin will die russische Wirtschaft durchforsten, „wer was in verschiedenen Sektoren“ macht, um daraus nicht nur Maßnahmen der Enteignung oder Zwangsschließung ausländischer Firmen einzuleiten, sondern auch die gesamte Export- und Importpalette einschließlich des Energiesektors mit dem Ziel zu überprüfen, Russlands Außenhandelsstrategie durch eine stärkere Binnenmarktorientierung neu zu strukturieren. Diese Strategie geht Hand in Hand mit der Absicht, Warenimporte zunehmend durch heimische Produktion zu substituieren. Wie in allen von der internationalen Arbeitsteilung weitgehend isolierten Staaten beherrscht auch die russische regierungsamtliche Selbstüberschätzung einer international wettbewerbsfähigen eigenen Wirtschaft die diesbezüglich offiziellen Verlautbarungen.

Was ist der Grad der optimalen Außenorientierung eines Landes? Das war und ist die Frage vor allem von Ländern, die sich entwicklungspolitisch auf dem Pfad der Industrialisierung oder bereits, wie Russland, an ihrer Schwelle befinden. Die meisten Länder haben in ihrer Industrialisierungsstrategie zunächst die Binnenmarktorientierung vor allem auf Basis der Importsubstitution gewählt. Erst nach einer Periode mehr oder weniger erfolgreicher Wachstumsstimulierung ist dann von vielen  Ländern – vor allem in Asien – der Übergang zur Weltmarktorientierung durch Exportstimulierung und -diversifizierung gestaltet worden. Andere vor allem kleinere Länder (z. B. Hongkong, Singapur, Taiwan) sind in ihrer Entwicklungsstrategie von vornherein den Weg über die Exportorientierung gegangen, um sich wegen ihres zu geringen eigenen Marktpotentials sogleich dem internationalen Wettbewerb auszusetzen. Diese Länder haben dadurch frühzeitig nicht nur wettbewerbsfähige Ressourcenallokation im Inneren realisiert, sondern zudem hohe und stabile Wachstumserfolge erzielt.

Wenn Putin im nationalistischen Machtstreben nach einer Neuausrichtung seiner Außenhandelsorientierung die im Geist des alten Sowjetsystems gepflegte Isolierungsstrategie der Binnenmarktorientierung durch Importsubstitution wieder aufleben lässt, dann verspielt er die wirtschaftliche Zukunft seine Landes. Die isolationistische Importsubstitution ist im Sinne derinfant industry-Argumentation, wie die Empirie zeigt, allenfalls erfolgreich als zeitlich begrenzte strategische Vorstufe  zur Exportorientierung. Aber der umgekehrte Weg  ist eine Rolle rückwärts in Bezug auf  bessere Ressourcenallokation und höheres Wirtschaftswachstum, er führt Russland geradewegs in die (noch größere) Armut.

Denn die optimalen Allokationseffekte lassen sich für ein Land am besten durch ein weltmarktorientiertes „neutrales“ Handelsregime erzeugen, das in gleicher Weise Produktionsanreize für  den Weltmarkt und den Binnenmarkt setzt. Im Zentrum stehen dabei komparative Produktionsvorteile, deren Identifikation für ein Land über den Wettbewerbsprozess des Weltmarktes generiert wird. Dagegen steht die Importsubstitution, die die „neutralen“ Allokationsanreize des Weltmarktregimes durch ein Regime der politisch gewollten Produktionsstruktur ersetzt, das gezielt die heimischen gegenüber den ausländischen Produzenten durch Abschottung fördert. Das geschieht dann unabhängig von weltmarktdeterminierten komparativen Produktionsvorteilen und öffnet mithin der internen Allokationsineffizienz, also der politisch erzeugten Ressourcenverschwendung, Tür und Tor. Es ist interessant zu beobachten, dass trotz dieser nachteiligen Effekte vor allem in (überwiegend totalitären) Ländern mit nationalistischer Ideologie Protektion und die Förderung z. B. der nationalen Schwer- und Hochtechnologieindustrie allgemein als im Interesse des Landes liegend angesehen wird.

Dem ökonomischen Argument der Weltmarktorientierung setzen die Vertreter der Importsubstitutionspolitik gewöhnlich das politische Argument der Dependenz-Theorie entgegen, dass der Weltmarkt keineswegs ein „neutrales“ Handelsregime sei, sondern vielmehr beherrscht werde von den politischen Interessen der dominanten Welthandelsteilnehmerstaaten, von denen man sich isolieren müsse. Das ist auch Putins Argumentation, wenn er etwa „Vergeltung“ dafür ankündigt, dass die EU wegen spezifischer Verstöße Russlands gegen marktwirtschaftliche WTO-Regeln (z.B. neuerdings die Einführung einer Recycling-Gebühr auf neue Automobile als Kompensation für Zollsenkungen) vor die WTO gezogen ist. Aber in der Tat bieten die gegenwärtigen Umfeldbedingungen des Weltmarktes, die sich durch zunehmende ökonomische Sanktionen des Westens gegen Russland darstellen, kein ideales Muster für den Handel gemäß  internationaler komparativer Wettbewerbsvorteile. Insofern sind wirtschaftliche Sanktionen für alle Beteiligten immer wohlstandsschädlich.

Aber die Putinsche Politik ist der Auslöser für die Sanktionen und die vermutlich längerfristige Reallokationen der russlandrelevanten internationalen Handelsströme. Denn zum einen gibt es ein – vor allem europäisches – Umdenken in der Frage der Energielieferabhängigkeit von Russland in Richtung stärkerer Diversifizierung der Lieferländer. Zum anderen erzeugt die russische Energiepolitik den Anreiz für andere Staaten, verstärkt neue Techniken der Energiegewinnung  (z. B. Fracking) zu entwickeln, die die Lieferabhängigkeit von Russland reduzieren. Dies bedeutet, dass sich die energiepolitischen komparativen Vorteile Russlands signifikant verringern werden. So wird Russland nicht umhin kommen, sich dem Strukturwandel der internationalen komparativen Vorteile zu stellen, in dem Russland ganz augenscheinlich selbstverschuldet nicht zu den Gewinnern zählt.

Hier bahnt sich für Russland zudem ein verhängnisvoller circulus vitiosus an: Die Sanktionen des Westens sowie die Umorientierung der Energieimporteure werden über einen Rückgang der Exporte die russische Leistungsbilanz belasten mit der Folge eines erhöhten Devisenbedarfs und einer erhöhten Auslandverschuldung. Russlands Auslandsabhängigkeit, die sich bereits heute durch den hohen Importanteil (ca. 50 %) bei den Konsumgütern und durch einen latenten Mangel an Kapital inklusive industrie- und wissenschaftsorientiertem Humankapital manifestiert, wird also steigen. Dies ist die klassische Situation für die Einleitung von Importbeschränkungen in einer politisch angelegten Importsubstitutionsstrategie, wie sie traditionell schon von vielen Schwellen- und Entwicklungsländern gefahren worden ist. Das Ergebnis war für sie und wird auch für Russland eine deutliche Wachstumsabschwächung sein. Sie geht dann Hand in Hand mit einer Währungsabwertung sowie einer signifikanten Erhöhung der Risikoprämien auf den internationalen Kapitalmärkten.

In Länderstudien zeigt sich, dass im Gegensatz zur Exportorientierung die Strategie der Importsubstitution nicht dauerhaft erfolgreich durchzuhalten ist, sondern nach längeren Phasen der Wachstumsschwäche zum ökonomischen und politischen Attraktivitätsverlust tendiert. Der Hauptgrund liegt in den falschen Anreizen, die die Institutionen der Importsubstitution auf alle Beteiligten (Gewinner und Verlierer der Protektion) aussenden. In Ländern mit ausgeprägter Bürokratie, mächtigen Gewerkschaften und einflussreichem Militär wie in Russland hält die Attraktivität der Importsubstitution erfahrungsgemäß länger vor. Der entscheidende Knackpunkt liegt aber in der Verfügbarkeit über Devisen und Auslandskredite, also in der Zahlungsbilanz, begründet. Je länger Russland über ausreichende Devisenbestände verfügen kann und noch Zugang zum internationalen Kapitalmarkt hat, desto länger dauert die allokationsverzerrende Importsubstitutionsphase, die ein Umsteuern auf Devisenzuflüsse durch weltmarktgesteuerte Exportorientierung als weniger dringlich erscheinen lässt.

Beitrag erschien auch auf: wirtschaftlichefreiheit.de

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: fishman

Rein ökonomisch betrachtet haben Sie ja Recht. Aber jetzt geht es wieder darum, sollen wir alles ökonomische dem menschlichen, sicherheitspolitischen usw. unterordnen. Ganz klares NEIN von mir. Würde Rußland sich und seinen Markt wohlwollend dem Raubtierkapitalismus der amerikanischen Finanzeliten öffnen, wäre es auf längere Sicht hoffnungslos unterlegen und dabei ginge alles noch sehr schnell. Das was wir länderübergreifend brauchen ist eine Art Selbstbeschränkung des Machbaren. Dazu gehört auch ein anderes Geldsystem in erster Linie. Wir brauchen auf lange Sicht kein System das wirtschaftlich zwar unbestritten erfolgreich ist, das Reiche aber immer reicher macht und die Mehrheit immer ärmer und ein Klima sozialer Kälte schafft. Die Lösung für ein gerechteres Miteinander hat sicherlich noch keiner gefunden. Von daher sollte man im Ansatz Putins , der sicher über die Konsequenzen seines Handels voll informiert ist, nicht nur selbstzerstörerrische Elemente suchen. Politisch haben Sie ihn ebenfalls voll vorverurteilt. Mit schwarz- weiß- denken kommt man hier nicht weiter. Im Gegensatz zu unseren Politikern, die es zulassen daß ein ganzer Kontinent von nicht gewählten EU-Geheimverhandlern, den Großkonzernen ausgeliefert wird, ist das Vorgehen Putins jedenfalls nicht unbedingt auf Dauer angelegt und von daher auch wieder korrigierbar.

Gravatar: Karin Weber

Der Autor geht scheinbar davon aus, dass Russland sein Wirtschaftssystem an den Westen knüpft. Das muss Russland nicht, denn das benachbarte China, Indien oder aufstrebende Länder in Lateinamerika stehen als verlässliche Partner zur Verfügung. Schon oft glaubten irgendwelche Phantasten, dieses Land niederringen zu können. Auf Dauer hat das bisher niemand geschafft, auch die derzeitige Aktion der VSA und ihrer Vasallen wird verpuffen.

Wenn "Wirtschaftswaise" in Deutschland sich zu Wort melden, höre ich schon gar nicht mehr hin. Diese Leute hätten die Finanz- u. Wirtschaftskrise des gesamten westlichen Systems erkennen müssen .. so sie soviel Ahnung hätten, wie sie zu haben uns vorgaukeln.

Putin weiß genau was er macht, Russland hat die Rohstoffe. So ist die Faktenlage.

Wenn man Russland weiterhin willkürlich mit Sanktionen bombardiert, dann schießt man sich nur selbst ins Knie. Eine Ausgrenzung auf dem Kapitalmarkt hat nur zur Folge, dass Russland seine Verbindlichkeiten nicht bedienen wird. Hoffentlich jammern die notleidenden Banken dann in Deutschland nicht und lassen sich wieder vom Bürger mit Steuergeldern retten. Dank Merkel & Schäuble wurde ja die Demokratie an die Bedürfnisse der Wirtschaft angepasst.

Gravatar: Florian Hohenwarter

Man kann die Lage auch etwas anders zusammenfassen:
Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion war das Bestreben der USA, der Erhalt bzw. der Ausbau ihrer Hegemonie. Unter dem Alkoholiker Jelzin konnten westliche Konzerne die Industrieanlagen auflösen und die Bodenschätze ausplündern. Erst als Putin an die Macht kam, wurden große Teile der Wirtschaft wieder verstaatlicht und die Ausplünderung der Bodenschätze gestoppt. Somit wurde Putin ein Gegner des Westens. Welche Pläne die USA mit Russland haben, kann man in Zbgiewnew Brzezinskis "Die einzige Weltmacht" nachlesen. Darin ist auch beschrieben, welche Rolle die Ukraine in dieser Geopolitik spielt. Erst als Janukowitsch das EU-Assoziierungsabkommen (IWF) nicht unterschrieb, da Russland der bankrotten Ukraine ein besseres Angebot gemacht hat, begann der ganze Maidanzirks und die Clowns aus Washington und Brüssel mischen am Maidan mit. Man darf davon ausgehen, dass die USA nicht nur mit 5 Mrd. US-Dollar (Fuck the EU Nuland) sondern auch mit Spezialisten (Söldnern) mitgeholfen hat. Man dachte jedoch das die Ukraine als ganzes dem Westen in den Schoß fallen würde. Da die USA pro Tag 1,6 Mrd. US-Dollar Zufluss aus dem Ausland benötigt, um den in Massen gedruckten Dollar aufrecht erhalten zu können, probiert man jetzt mittels Sanktionen der EU (und damit der Konkurenzwährung, dem Euro) und Russland zu schaden. Gleichzeitig kann man dadurch weitere Marktanteile in Europa am Energiesektor erobern. Mit dem neuen Feindbild im Osten, ist es jetzt auch leichter die Natoverbündeten zu höheren Rüstungsausgaben zu animieren und das eigene Verteidigungsbudget zurückfahren, denn die mehr als 700 US-Militärbasen im Ausland sind auch nicht ganz billig.

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