Psycho-Kulturelle Ursachen der islamistischen Gewalt

Die Ähnlichkeit salafistischer Gruppen von heute mit den Jugendbewegungen, die seit den 1960er Jahren entstanden sind, ist frappierend. Auch diese rekrutierten Jugendliche, die tief existentiell verunsichert waren und eine leicht verständliche Weltanschauung suchten.

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In einem Beitrag für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ vom 3. Dezember geht Marianne Leuzinger-Bohleber, Psychoanalytikerin in Frankfurt am Main, der Frage nach, wieso sich deutsche Jugendliche dem Dschihad anschließen und Terrorakte verüben.

Leuzinger-Bohleber schildert zuerst den Fall des Arid Uka. Er tötete im Jahr 2011 zwei US-amerikanische Soldaten, die sich auf dem Weg nach Afghanistan befanden. Arid Uka war Muslim kosovarischer Abstammung. Das Gymnasium hatte er ohne Abschluss verlassen und arbeitete bei der Post am Flughafen.
Uka hatte sich davor dem Salafismus angeschlossen. Doch seine Initiation und Radikalisierung geschah ausschließlich über das Internet. Er hörte dschihadistische Predigten, sah sich Videos in Youtube an und verfolgte die Kampfhandlungen des IS im Irak und in Syrien.

Nach außen hin wirkte Arid Uka normal, doch in Wahrheit befand er sich in einer „gravierenden adoleszenten Krise mit schweren Depressionen“, so Leuzinger-Bohleber. Wie konnte er zum Terroristen werden? Was war der Auslöser aus psychologischer Sicht?

Besonders wichtig war die von ihm empfundene Zugehörigkeit zu den dschihadistischen Salafisten. Ob er mit diesen einen persönlichen Kontakt hatte oder nicht, ist nicht entscheidend. Es ist durchaus möglich, dass ein Individuum sein „Ideal-Ich“ (ein Konzept von Freud) auf eine Gruppe projiziert und sich ihr zugehörig fühlt [Anm. des Verf.: Was man oft in der Pop-Kultur, insbesondere in der Pop-Musik beobachtet, wie in etwa bei der weltweiten Hippie-Bewegung oder in extremen Musikgenres wie Black- oder Death-Metal].

Leuzinger-Bohleber: „Die Großgruppe folgt dem Führer, und untereinander werden alle Gruppenmitglieder zu Brüdern, die den gleichen Idealen folgen. Zudem werden in Gruppen, wie wir heute wissen, mächtige unbewusste Phantasiesysteme angesprochen, die bei allen Menschen in bestimmten Situationen geweckt werden können. Sie beruhen auf Grunderfahrungen des menschlichen Säuglings von extremer Hilflosigkeit, Angst und Verzweiflung einerseits und paradiesischen Glückgefühlen in seinen ersten lebenswichtigen Beziehungen andererseits“. [Anm. des Verf.: Etliche Autoren sind der Auffassung, eine solche seelische Verfassung und pessimistische Grundstimmung der Generation der im Zweiten Weltkrieg Geborenen führte zur Entstehung der nihilistischen Gegenkultur der frühen 1960er und später zur „Null-Bock-Generation“ in den 1980ern.]

Diese Erinnerungen, die große Massen teilen, können äußerst wirkmächtig sein. Leuzinger-Bohleber: „Die Erinnerungen an diese grundlegenden seelischen Erfahrungen … erhalten sich im Unbewussten und können in bestimmten Konstellationen auch bei Erwachsenen und Jugendlichen als sogenannte narzisstische Verschmelzungsphantasien zu einer mächtigen seelischen Motivationsquelle werden. Gehört man – in dieser Phantasie – einer bestimmten Gruppe an … wird alles gut. Alle Probleme werden von nun an von der Umma (Anm. d. Verf.: Im Islam der Ausdruck für Gemeinschaft) gelöst“.

Diese Gemeinschaft – im Falle des Attentäters Arid Uka die Umma – wird zu einer Art Mutter, die für Ordnung und für klare Verhältnisse sorgt. Dass gerade in der schwierigen Zeit der Adoleszenz solche Traumvorstellungen stark sein können, versteht sich von selbst. Gerade in einer Zeit, in der die (westliche) Gesellschaft kaum noch Orientierung liefert (bzw. durch die Förderung von Ideologien à la Gender die Verwirrung verstärkt, Anm. d. Verf.), können leicht Jugendliche in die Versuchung geraten, sich (mental) Gruppen anzuschließen, die ihnen Sicherheit und vor allem einen Lebenssinn und eine stabile Identität geben. [Anm. des Verf.: Das sind wahrscheinlich die wichtigsten Beweggründe von Personen, die sich extremen Gruppierungen wie Satanisten, Antifa-Gruppen usw. anschließen.]

Der Übergang zum Erwachsensein mit der damit verbundenen Emanzipation vom Elternhaus ist oft krisenhaft und kann leicht zu Gefühlen von Einsamkeit und Verlassenwerden führen. Leuzinger-Bohleber erläutert, dass salafistische Prediger mit „intuitiver Treffsicherheit“ diese seelische Verfassung bei den Jugendlichen feststellen und ihnen dann als neue Heimat die Weltgemeinschaft der Umma anbieten. In dieser finden sie Sinn, Ordnung, Zugehörigkeit usw., also alles, was ein Jugendlicher in Krisensituationen benötigt. Durch seine „Bekehrung" gehört er von nun an zu einer Gruppe von Kämpfern, die den „Heiligen Krieg“ führen. [Anm. d. Verf.: Die Ähnlichkeit mit den Jugendbewegungen, die seit den 1960er Jahren entstanden sind, ist frappierend. Auch diese rekrutierten Jugendliche, die tief existentiell verunsichert waren und eine leicht verständliche Weltanschauung suchten, eine Weltanschauung, die ihre Abneigung der bürgerlichen Welt, die sich bis zu einem rabiaten Hass entfalten konnte, rechtfertigte. Dies ist möglicherweise der Grund, wieso so viele der Generation der 1968er Verständnis für den Terror der RAF zeigten].

Die Bekehrung zum Islam löst auch die inneren Kämpfe, die der Adoleszent mit seiner Sexualität zu führen hat. Leuzinger-Bohleber: „So erhalten beispielsweise die Kämpfer des IS [Islamischer Staat, Anm. d. Verf.] das Recht oder sind verpflichtet, die Frauen, die „Terrorbräute“, als „Dienerinnen Allahs“ zu nutzen.“
Außerdem rechtfertigt die Doktrin des Islamischen Staats aggressive und primitive Triebregungen, die in westlichen Kulturen scharf abgelehnt werden: „Im Gegensatz dazu bieten die brutalen Filme von Enthauptungen, Verbrennungen bei lebendigem Leibe und ähnlichen Gräueltaten unbewusst eine Befriedigung für diese primitiven Triebregungen an. [Anm. d. Verf.: Manche Autoren mutmaßen, dass die Popularität des Horrors im Westen eine ähnliche Befriedigung bei den Zuschauern bewirkt. Insbesondere die sog. Splatter-Filme à la „The Texas Chainsaw Massacre“ mit ihrer extremen Gewalt und Grausamkeit dienen als Projektionsfläche für den latenten Hass gegen die bürgerliche Gesellschaft.]

Die Militanz bei den Salafisten wäre unter diesen Umständen sowas wie eine Psycho-Therapie. Leuzinger-Bohleber: "Diese Jugendlichen agieren […] unverarbeitete Traumatisierungen aus, indem sie passiv Erlittenes in aktiv Zugefügtes umwandeln. Dies mag einer der Gründe sein, warum die Terroristen so kalt und gnadenlos handeln." [Anm. d. Verf.: Möglicherweise liegt auch hier die Erklärung des extrem zur Schau gestellter Hasses in Musikgattungen wie Death-Metal oder Black-Metal. Diese Texte triefen nur so vor Brutalität und Gewalt gegen Christen, untermauert durch groteske Klänge. Auch wer Demonstrationen von Lebensrechtlern und Ähnlichen besucht, sieht sich mit linksextremen Chaoten konfrontiert, die einen Hass und eine Aggressivität ausstrahlen, die bar jeder rationalen Reflexion sind. Sie scheinen aus den Urtiefen des Unbewussten zu stammen].

Marianne Leuzinger-Bohleber sagt am Ende, dass normale Menschen von solcher Aggressivität und Gewalt nichts wissen möchten und sich abwenden. Doch das sei keine Lösung: „Leider können wir Radikalisierungsprozessen in der Adoleszenz nur entgegenwirken, wenn wir sie zu verstehen versuchen und mit den Jugendlichen in Beziehung treten. Wenn wir sie innerlich „abschreiben“, überlassen wir sie fundamentalistischen Predigern und Mördern wie dem IS“.

Zuerst erschienen auf mathias-von-gersdorff.blogspot.de

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Hans Meier

Also, man kann nach „Deutschen Koranschulen“ recherchieren und sich anschauen https://www.youtube.com/watch?v=X78QTFaBjAE
Was schon vor Jahren veröffentlicht wurde https://www.youtube.com/watch?v=H1VWKve5uQ8
Sogar Staatsmedien wie der WDR haben was im Angebot, mit Deckel drauf http://www1.wdr.de/fernsehen/information/cosmo_tv/sendungen/koranunterricht100.html

Wenn eine „psycho-kulturelle Ursachenforschung“ in eine Richtung abdriftet, wie „zentnerweise psychologische Literatur diskutieren“ dann ist das nicht hilfreich.
Das trifft Realität noch nicht mal ansatzweise, um ganz einfach Fakten, als Fakten anzuerkennen, statt sich hölzerne Theorien zu schnitzen.
Falls man nach „islamischem Opferfest“ googelt und für Westler erschreckende Bilder sieht, begreift vielleicht sogar noch jemand etwas mehr, was hier vor sich geht.

Gravatar: Thomas Rießler

Freigeist, die Beobachtungen deuten eher darauf hin, dass der Mensch ist, was er liest als, als dass er allgemein durch die umgebende Gesellschaft bestimmt wäre. Allzu viel Beschäftigung mit wissenschaftlicher Sekundärliteratur kann in diesem Sinne durchaus unerwünschte Nebenwirkungen haben. Wo ist denn Ihre Kokosnuss?

Gravatar: H.Roth

Die ganze Ursachenforschung wird nicht viel bringen. Es gibt tatsächlich viele Parallelen zwischen Neomarxismus und Islamismus. Dazu gehören insbesondere ein ausgeprägter Antisemitismus und die Ablehnung des Christentums. Man wird jedoch kaum verstehen, warum ein überzeugter Atheist auf einmal zu einem Kämpfer Allahs wird, wenn man nicht die wahre Ursache kennt. Und diese ist, daß der Islam und der Marxismus eigentlich aus derselben Quelle stammen: Rebellion gegen den einen wahren Gott, den Gott der Bibel.

Gravatar: Freigeist

Das war doch noch was? Ah, das Tier im Menschen!
Wo kommen wir denn her und was ist davon noch vorhanden. Schauen Sie mal ins Schimpansengehege.
Und nicht vergessen, Religion ist Märchenerzählung.

Gravatar: Thomas Rießler

Diese Erklärungsmuster von Psychoanalytikern erinnern mich eher an die Rolle des Alvy Singer mit seiner jahrelangen, erfolglosen Therapie im Film Der Stadtneurotiker als dass ich darin eine praktikable Lösung sehen würde. Abgesehen davon kann auch eine christliche Gemeinschaft in einem positiven Sinne „Sicherheit und vor allem einen Lebenssinn und eine stabile Identität“ geben, dies ist kein spezifisches Merkmal des „fundamentalistischen“ Islam. Der wesentliche Unterschied scheint mir darin zu bestehen, dass man bei wörtlichem Verständnis des Koran zum Terroristen, bei wörtlichem Verständnis des Neuen Testaments eher zum Märtyrer, bei Dauerbeschallung durch ARD und ZDF dagegen zum Gutmenschen wird.

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