Print stirbt? Dann heul doch …

In einem Leidensdrama mit Tränenfaktor zehn auf der Skala von eins bis zehn beklagt Thilo Mischke das Sterben von “Print” und sieht damit gleich den Untergang des Journalismus an sich herauf ziehen.

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So lange Menschen ein Interesse an Informationen haben, wird es immer Menschen geben, die es für sich als Lebensaufgabe ansehen, diese Bedürfnis zu stillen. So viel zum Untergang des Journalismus. Es wird sie immer geben, die investigativen Wühlmäuse, die Watergate zum Sprudeln bringen, die die Mächtigen der Welt das Fürchten lehren. Und es sie immer weiter geben, die unfreiwilligen (sorry) Langweiler in den Lokalredaktionen, deren Leben aus Schützenvereinen, Taubenzüchtern und Lokalpolitik besteht. Das ganze Spektrum dazwischen wird ebenfalls überleben. Die Geschichtenerzähler, die Wortkünstler mit ihren Essays und Glossen, die Oberlehrer der Nation und die polyglotten Welterklärer, sie alle werden überleben, wenn künftig nicht mehr täglich – vielmehr nächtlich –  27 Fantastilliarden Hektar abgeholztem Regen- und anderem Wald durch Rotationsmaschinen laufen.

Man nennt so etwas Strukturwandel, doch gerade der ist der Linken größter Feind. 40 Jahre hat man sich bemüht, in einem Experiment auszuprobieren, was passiert, wenn man jeglichen Strukturwandel unterbindet. Das Experiment in seiner deutschen Variante nannte sich “DDR” und ging 1989 mit Pauken und Trompeten unter. Nichts desto Trotz beweint man in der schreibenden Zunft jeglichen Strukturwandel mit eindrucksvollen Krokodilstränen. Als keine Kohle mehr gefördert wurde, schrieb man das Ruhrgebiet ab. Heute ist es eine Region innovativer Technologien. Als der Bleisatz starb, bejammerte man ebenfalls schon mal den Untergang der Zeitung. Das aufkommende Internet wurde zuerst verlacht, dann ignoriert und jetzt wird es dem Reich des Bösen zugeschrieben, denn es tötet: PRINT wird sterben.

Möge es in Frieden ruhen. Schon lange holt man sich nicht mehr am Montag seine Meinung im organgen Rahmen am Zeitungskiosk ab. Und die Morgenzeitung kommt, dann wäre es ein Wunder, wüßte man nicht schon längst, was darin steht. Ja, Print stirbt. Und das ist auch gut so.

Mitleidig schaute ich kürzlich auf die ältere Dame, die mir im Zug gegenüber saß und in der Enge der Reisendenintensivhaltung eines deutschen ICE mit einem berühmten Hamburger Wochenblatt kämpfte. Locker die Beine übergeschlagen laß ich gleiches Blatt auf meinem Tablet und schlürfte dabei gemütlich das Gebräu, daß mir ein freundlicher Mensch als Kaffee verkauft hatte. Achja, für meine Tabletversion habe ich – festhalten(!) – bezahlt!!! So what …

Wenn morgens der Zeitungsbote die Lokalzeitung rumträgt, könnte ich, wäre es nicht zwei Stunden vor dem Aufstehen, bereits die Lokalzeitung gelesen haben. Auf meinem Tablet. Und – anschnallen(!) – ich habe dafür bezahlt. Au weia …

Viele Stunden bevor die Deutsche Post die Tagespost ins Postfach legt, harrt auf meinem Tablet die Tagespost meiner Aufmerksamkeit und verlangt gelesen zu werden. Man wird es erraten – Ohren anlegen(!) – sie ist bezahlt. Das kann doch nicht …

Laßt endlich dieses lausige Gejammer über sterbendes Print. Wir brauchen Papier nicht für alles jedes. Information funktioniert heute anders. Wenn die alten Bezahlmodelle, insbesondere das gute, alte Abo nicht mehr so funktionieren, dann muß sich etwas anderes einfallen lassen. Pfiffige Menschen werden das tun, denn neben dem Bedürfnis nach Information, das allen Menschen zu eigen ist, gibt es auch immer Menschen, die reich werden wollen. Unter denen gibt ein paar, die mit Informationen reich werden wollen. Ganz wenige haben vielleicht die richtige Idee. Und dann wird auch wieder mit Journalismus Geld verdient.

Es muß flexibler, es muß Social media tauglich sein, denn man will Infos heute teilen. Und wenn die Menschen verstanden haben, daß es keine gute Idee ist, mit ihren Daten für Informationen zu bezahlen, dann werden dafür auch wieder Geld ausgeben.

Doch des Jammerns noch nicht genug, wird gleich die Front noch an einer anderen Seite hochgezogen. Die bösen Blogger! Bäh, watt für fiese Gestalten.

Manchmal habe ich das Gefühl, dass meine alten Kollegen, und alt ist man offensichtlich schon mit Mitte vierzig, behandelt werden wie die dummen Löwen im Zoo. Friss oder stirb. Mehr gibt es nicht. Doch diese dummen, zotteligen Löwen, sie wehren sich. Schreiben bescheuerte Kommentare in Sonntagszeitungen zu diesem “Online”, Kommentare, die dem Blogger beweisen: “Printjournalisten haben eh keine Ahnung.” Haben sie auch nicht. Sie sind mit Telex und Rohrpost aufgewachsen, haben mit Microfiché recherchiert. Wir haben das Zukunftswissen, sie das Handwerk. Warum bringen wir nicht einfach beides zusammen?

Au Mann, ich bin (sorry, daß ich damit kokettiere) 52 Jahre alt. Aufgewachsen bin ich mit Wählscheibentelefonen und Schneckenpostbriefen. Deshalb bin ich doch nicht blöd. 1978 (in Worten: Neunzehnhundertachtundsiebzig) habe ich meinen ersten Computer gebaut. Beruflich habe ich mich damals mit Relais und Drehwählern beschäftigt. Bis 1987 habe ich in der Klappertechnik gearbeitet, doch sobald ich konnte, hatte ich ein Komforttelefon. Lächerlich kommt es mir vor mit diesen rustikalen Bombertasten. Doch es war ein Schritt nach vorne. Heute hängt hier neben mir eine ISDN- Anlage.

Ich bewundere die alten Schreiberlinge, die sich noch an Rohrpost und Telex erinnern können. Wir haben in der Lehre gelernt, wie man solche Anlagen baut. Warum haben sich haben sich die Rohrpost- und Telexgeborenen nicht mitentwickelt? Oh, ich erinnere mich nur zu gut an die Sturheit mit der mir begegnet wurde, als ich 1996 mein erstes Handy hatte. Wer braucht denn sowas? Nur Dienstboten sind immer erreichbar! Und dann erst das Internet, mit dem ich im Studium in Berührung kam. Hoirriblie dichtu …

Lausige Technikmisanthropen sind das, die jeden, aber wirklich jeden Fortschritt mies machen. Fortschrittsverhinderer zu sein, das habe ich gelernt, ist nicht an Alter oder Beruf gebunden. Das können sehr junge Menschen auch. Ein Digital native zu sein, ist kein Privileg der unter 20-jährigen.

All diesen nach Rückwärts schauenden sentimentalen Fortschrittsverweigerern sei gesagt: Eine Rohrpostanlage und ein Telex könnte ich Euch noch irgendwo besorgen. Sucht Euch ein nettes Seniorenheim, stellt eine kleine Druckerpresse in den Keller und macht PRINT. Jeden Tag! Und vergeßt nicht Euch daran zu freuen.

Wir, die Onliner, die Blogger und alle diese anderen fiesen Freaks, wir haben besseres zu tun als mit Euch zu jammern. Wir müssen nämlich nach der von Euch ins Werk gesetzten Boulevardisierung der alten Medien den Journalismus neu erfinden. Es ist hoch an der Zeit.

Beitrag erschien auch auf: katholon.de

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Andreas Schneider

Ob nun auf Papier oder per Internet dem Mainstream gefällige Propaganda betrieben wird, bleibt sich m. E. gleich.

Dass sich jedoch erkennbarer Widerstand und Unwillen ob der breit getretenen Einheitsmeinung bildet, mag allerdings den Niedergang des Papiermediums zusätzlich beschleunigen.

Ansonsten: wahre Worte!

Gravatar: MicroHirn

Da kann man nur sagen:

Cellulose warst du, zu deinen Bestandteilen wirst du zurückkehren. RIP!

Gravatar: FDominicus

"Wir, die Onliner, die Blogger und alle diese anderen fiesen Freaks, wir haben besseres zu tun als mit Euch zu jammern. Wir müssen nämlich nach der von Euch ins Werk gesetzten Boulevardisierung der alten Medien den Journalismus neu erfinden. Es ist hoch an der Zeit."

Diesen Absatz liebe ich. Wo kann man sich heute noch informieren? Eines ist sicher, weniger in der BILD, taz, FAZ, SZ und wie die MM Zeitungen alle heißen mögen. Wir werden jeden Tag nach Strich und Faden von diesen Systemschreiberlingen betrogen und als die Bösen abgestempelt. Dabei ist ganz offensichtlich wer die Meinungsfreiheit hoch hält. Kleiner Tip an all Chefredakteure: Ihr seid es nicht....

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