Pflicht zum Nachhaltigkeitsbericht

Gesellschaftliche Selbstverständlichkeit, betriebswirtschaftliche Notwendigkeit oder überflüssige Bürokratie?

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Bereits am 15. April 2014 hat das EU-Parlament einem Richtlinienentwurf der Europäischen Kommission mit dem Inhalt zugestimmt, dass börsennotierte Unternehmen und Finanzinstitute mit mehr als 500 Mitarbeitern sowie Unternehmen, die im öffentlichen Interesse von den Mitgliedsstaaten bestimmt werden, über ihre Nachhaltigkeitsleistungen berichten müssen. Konkret geht es um auf ökologische, soziale und mitarbeiterbezogene Aspekte, über die Wahrung der Menschenrechte, über Anti-Korruption und Bestechungsvorfälle sowie über die Vielfalt in den Leitungs- und Kontrollorganen.

Transparenz und Wachstum

Das Ziel der Richtlinie besteht in der Erhöhung der Transparenz und einer stärkeren Berücksichtigung ökologischer und sozialer Aspekte von Unternehmen, womit ein wirksamer Beitrag zu einem langfristigen wirtschaftlichen Wachstum und Beschäftigung geleistet werden soll. Berichtet werden kann in Form eines Statements im Geschäftsbericht, im Finanzbericht oder mittels eines eigenständigen Berichts. Dieser ist unter dem Kürzel des Nachhaltigkeitsberichts bekannt geworden. Es ist davon auszugehen, dass die Richtlinie im Herbst vom Europäischen Rat genehmigt wird, dann bleiben zwei Jahre Zeit für die konkrete Umsetzung in den einzelnen EU-Staaten. Die Ausarbeitung einer unverbindlichen Leitlinie der Europäischen Kommission zur Methode der Berichterstattung, die die Vergleichbarkeit der Informationen sicherstellen soll, wird für den Herbst angekündigt. Betroffen sind etwa 6.000 große Unternehmen und Konzerne in der Europäischen Union, sofern diese nicht ohnehin bereits in ihrem Jahresbericht einen umfassenden Bericht auf der Grundlage diverser Nachhaltigkeitskodizes abgeben.

Standards und Kodizes

Diese Weichenstellung hat nicht nur intensive Diskussionen über die Inhalte und die Standardisierung von Nachhaltigkeitsberichten ausgelöst, sondern auch über deren generelle Sinnhaftigkeit sowie über die freiwillige Nachhaltigkeits-Berichterstattung von kleinen und mittelgroßen Unternehmen, die nicht der Verpflichtung unterliegen werden. Der Deutsche Rat für Nachhaltige Entwicklung hat bereits im Vorfeld einen „Deutschen Nachhaltigkeitskodex“ mit zwanzig Kriterien der Nachhaltigkeit entwickelt. Daneben existieren andere Kodizes, z. B. der “Global Compact” der Vereinten Nationen, die globalen „GRI 2002 Sustainability Reporting Guidelines“ oder die DIN ISO-Norm 26000 mit ihrem „Leitfaden zur gesellschaftlichen Verantwortung von Organisationen“.

Gesellschaftliche Verantwortung

Die aktuellen Diskussionen, Initiativen und der Beschluss auf EU-Ebene sind in die Forderungen an die Unternehmen einzuordnen, mehr gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen und daran die unternehmerischen Aktivitäten auszurichten. Die Initiative zur Nachhaltigkeit ist also eingebunden in die Forderung nach einer Corporate Social Responsibility und den damit verbundenen CSR-Berichten, die bereits seit Jahren Verbreitung gewonnen haben. Berücksichtigt man den nun erfolgten Institutionalisierungsgrad sowie die propagierten Inhalte der Nachhaltigkeit, ist davon auszugehen, dass die CSR-Aktivitäten in jene zur Intensivierung von Nachhaltigkeitsstrategien aufgehen werden. Hier soll darauf eingegangen werden, dass Nachhaltigkeitsberichte nicht losgelöst von den konkreten Inhalten von Nachhaltigkeit und den entsprechenden Strategien sowie dem Wunsch der Gesellschaftsmitglieder nach Nachhaltigkeit bewertet werden können, was meist unterbleibt. Selbstverständlich ist die Zunahme der Transparenz unternehmerischer Aktivitäten zu begrüßen, doch sollte sie nicht isoliert betrachtet werden.

Tragfähige Entwicklungsprozesse

Wie könnte man etwas gegen die Nachhaltigkeit unternehmerischer Aktivitäten haben, in welcher Definition auch immer? Freilich sollte man nicht gegen die Natur, sondern im eigenen Interesse und in dem zukünftiger Generationen und der Gesellschaft mit ihr handeln, wie es die historische Definition von Hans Carl von Carlowitz (1645-1714) vorgibt. Ebenso akzeptabel ist es „zukunftsfähige, dauerhaft tragfähige Entwicklungsprozesse zu ermöglichen, die ökologisches Gleichgewicht, ökonomische Sicherheit und soziale Gerechtigkeit integrieren“ wie es 1987 die Brundtland-Kommission formulierte. Auch der UN-Handlungsrahmen für das 21. Jahrhundert ist nicht zu kritisieren, wenn „nachhaltiges Handeln die Lebensgrundlagen und Entwicklungschancen für aktuelle und zukünftige Generationen sichern soll“. Einen gesellschaftlichen Konsens kann man wahrscheinlich auch darüber finden, dass „zukünftige Generationen über die gleichen Entscheidungsmöglichkeiten verfügen sollen, wie jede Generation zuvor“ wie es der deutsche Sachverständigenrat 2010 formuliert hat. Offensichtlich ist, dass diese konsensfähigen Forderungen und Festlegungen sehr abstrakt bleiben. Festzuhalten aber ist, dass sie global, intergenerativ, komplexer und umfassender geworden sowie inzwischen mit sehr viel mehr Handlungsdruck versehen sind.

Gesellschaftliche Selbstverständlichkeit

Doch was heißt nachhaltiges Wirtschaften dann konkret, was ist gemeint, wenn gar ein Gesellschaftsvertrag für eine „große Transformation“ gefordert wird (Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen)? Welches sind die Indikatoren, nachhaltiges Handeln zu konkretisieren und dann dessen Ergebnisse zu messen? Klare Konturen des Nachhaltigkeitskonzeptes fehlen bisher. Trotz der Existenz langer Kataloge von Indikatoren ist das Konzept bislang ein diffuses geblieben. Noch weitergehender aber ist, dass bisher auch nicht in Ansätzen ausgelotet ist, welchen Preis eine Gesellschaft dafür zu bezahlen bereit ist und welche Konsequenzen wir z.B. in unserem Konsum- und Freizeitverhalten akzeptieren wollen. Dieses Wissen über Voraussetzungen und Konsequenzen von Nachhaltigkeit für eine Gesellschaft ist aber für Unternehmen erforderlich, um ihre Nachhaltigkeitsstrategie abzuleiten. Es gibt nun ein „Angebot an Nachhaltigkeit“, das nicht zuletzt durch die Nachhaltigkeitsberichterstattung getrieben wird. Gibt es aber auch eine hinreichende Nachfrage danach?

Bringschuld von Unternehmen

Dennoch ist es für die Unternehmen ein Zukunftsthema und die Entwicklung oder Fortsetzung von Nachhaltigkeitsstrategien ist notwendig. Denn dies ist politisch gewollt, international konsensfähig und die Unternehmen sind mit der Verpflichtung zur Nachhaltigkeitsberichterstattung inzwischen mit einer Bringschuld versehen, die vor nicht verpflichteten Unternehmen nicht Halt machen wird. Die Thematik ist nicht mehr nur eine von NGOs, sondern zunehmend eine der Öffentlichkeit, des Kapitalmarktes sowie der Beratungsunternehmen. So ist bereits ein Markt für das Consulting für Nachhaltigkeitskonzepte und –berichterstattung entstanden, so wie wir dies auch von CSR-Konzepten kennen. Jedes Unternehmen muss für sich seine Nachhaltigkeitsstrategie, sein Nachhaltigkeitsmanagement und seine Nachhaltigkeitskommunikation entscheiden. Dies kann früh, aktiv und offensiv oder spät, passiv und zurückhaltend erfolgen.

Element der Corporate Identity

Es existieren zwei Typen von Nachhaltigkeitsstrategien für Unternehmen. Der eine besteht darin, Nachhaltigkeit konsequent in die Unternehmensstrategie zu integrieren. Sie findet sich dann nicht nur in der Governance wieder, sondern ebenso in allen Prozessen. Nicht zuletzt wird sie zu einem Element der Corporate Identity, die von den Stakeholdern, vor allem auch von den Mitarbeitern, Kunden und Zulieferern nachhaltigkeitsorientierter Unternehmen verinnerlicht wird. Diese Strategie ist eine solche der Gelebten Nachhaltigkeit, die nicht zwingend regulative Vorgaben benötigt und auf freiwilliger Basis heute bereits von zahlreichen Unternehmen umgesetzt wird. Dies gilt vor allem für Unternehmensformen, in deren Geschäftsmodell Nachhaltigkeit ein inhärenter Bestandteil ist. Als Beispiele sind Familienunternehmen sowie genossenschaftliche Unternehmen zu nennen. Eine Strategie der Gelebten Nachhaltigkeit zeichnet sich durch die vollständige Integration in die Unternehmensstrategie, die Verankerung im Kerngeschäft und die Art aus, wie und mit welchen Aktivitäten Gewinne gemacht werden. Eine solche Nachhaltigkeitsstrategie ist als Investition zu verstehen. Anders ist die Strategie einer Kompensierenden Nachhaltigkeit angelegt. Sie vermeidet die Integration in die Unternehmensstrategie und besteht neben dieser, sie ist kaum in die Governance und in die Prozesse integriert, meist auch nicht in das Kerngeschäft. Nachhaltigkeit wird vielmehr über punktuelle, jedoch meist öffentlichkeitswirksame, Aktivitäten demonstriert. Ansatzpunkt ist nicht die Gewinnentstehung, sondern seine Verwendung. Eine Integration der Nachhaltigkeitsthematik erfolgt also dann weitgehend in die Marketing- und PR-Strategie.

Glaubwürdigkeit von Nachhaltigkeitsberichten

Die Wahl der Nachhaltigkeitsstrategie hat Konsequenzen für die Kommunikation, die auch die nun verankerte Berichterstattung beinhaltet. Grundsätzlich ist eine Berichterstattung positiv einzuschätzen, da sie in der Lage ist, Informationsasymmetrien abzubauen und somit die Transparenz zu erhöhen. Es ist jedoch zu beachten, dass eine Verpflichtung nachhaltig orientierten Unternehmen auch die Möglichkeit nimmt, sich über einen entsprechenden freiwilligen Bericht abzuheben. Zwei weitere Aspekte sollten im Auge behalten werden. Erstens stellt sich die Frage nach der Glaubwürdigkeit der Berichterstattung, was ist sie tatsächlich Wert? Die Glaubwürdigkeit steigt mit der Übereinstimmung der Nachhaltigkeits- mit der Unternehmensstrategie. Unternehmen, die Nachhaltigkeit leben, werden weder mit einer freiwilligen noch mit einer verpflichtenden Berichterstattung ein Problem haben. Meist erachten sie ihre Stakeholder ohnehin nicht für erforderlich. Es geht hier vielmehr darum, die Kommunikation von bürokratischem Ballast freizuhalten. Herausfordernder wird sich die Berichterstattung im Rahmen einer Strategie Kompensierender Nachhaltigkeit darstellen. Vor einem solchen Hintergrund kann sie bestenfalls den Übergang zu einer Strategie der Gelebten Nachhaltigkeit erleichtern, wenn dies ernsthaft betrieben wird. Sollte dies nicht der Fall sein, wird die Glaubwürdigkeit schnell erodieren.

Betriebswirtschaftliche Notwendigkeit

Daneben stellt sich die Frage, ob die Nachhaltigkeitsberichterstattung sich rechnet, also eine betriebswirtschaftliche Notwendigkeit darstellt. Zur Beantwortung ist nun die Nachfrage nach Nachhaltigkeit einzubeziehen, was meist vernachlässigt wird. Die Anzahl der Gesellschaftsmitglieder, die Nachhaltigkeit fordert, honoriert und bereit ist, ökonomische und andere Konsequenzen zu tragen, ist deutlich geringer als erwartet. Dies sollte auch berücksichtigt werden, wenn von „der Forderung nach Nachhaltigkeit der Gesellschaft an die Unternehmen“ gesprochen wird. Diverse Befragungen bringen einen Prozentsatz von max. 20% an das Licht. Wenn dies zutrifft, ist der Hebel der Nachhaltigkeitsberichterstattung nicht gut gewählt und es sollte ein groß angelegter gesellschaftlicher Diskurs mit Informationen über die Bedeutung von Nachhaltigkeit vorgeschaltet werden. Steigt die Nachfrage nach Nachhaltigkeit der Gesellschaftsmitglieder hingegen, dann werden Nachhaltigkeitsstrategien ohnehin zu einer betriebswirtschaftlichen Notwendigkeit, die auch ihre effektive Kommunikation einschließt.

Vermeidung bürokratischer Monster

Die Nachhaltigkeitsberichterstattung darf nicht zu einem bürokratischen Monster der verbergenden Hochglanzbroschüren verkommen. Für die Unternehmen ist es vielmehr notwendig, Strategien einer Gelebten Nachhaltigkeit zu entwickeln oder fortzusetzen und dann entsprechend zu kommunizieren. Dies wird Unternehmen deutlich besser gelingen, in deren Governance Nachhaltigkeit von vorneherein angelegt ist. Betriebswirtschaftlich notwendig werden Nachhaltigkeitsstrategien und ihre Kommunikation dann, wenn sie von einem deutlich größeren Anteil der Gesellschaftsmitglieder nicht nur gefordert, sondern auch honoriert werden als dies heute der Fall ist. Gelingt dies, dann stimmen einzelwirtschaftliche Interessen und gesellschaftliche Vorteile überein, was nach wie vor die adäquate Anreizstruktur in Marktwirtschaften ist.

Zuerst erschienen auf wirtschaftlichefreiheit.de

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