Papst Franziskus und Patriarch Kyrill: Eine Benchmark der Ökumene

Papst Franziskus und Patriarch Kyrill I. von Moskau haben sich auf Kuba getroffen. Auch im Blick auf die Ökumene ein historisches Ereignis!

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Klar war das historisch! Wenn sich Vertreter zweier christlicher „Institutionen“ – wie ich es mal weltanschaulich neutral nennen möchte – nach rund tausend Jahren das erste mal auf höchster Ebene treffen, dann ist das Prädikat „historisch“ in jedem Fall gerechtfertigt. Das wäre es selbst dann, wenn am Ende nichts dabei herausgekommen wäre. Nun haben aber Papst Franziskus und der russisch-orthodoxe Patriarch Kyrill von Moskau ein gemeinsames Dokument verabschiedet … Noch einmal: Nach tausend Jahren auf dieser Ebene getroffen und dabei eine gemeinsame Wortwahl gefunden! Das ist historisch – und stellt vieles von dem in den Schatten, was politisch so im täglichen Kleinklein als angeblich historisch bezeichnet wird.

Die gemeinsame Erklärung ist bei kath.net nachzulesen, und der Text ist – so war er wohl auch gedacht – beseelt von dem Versuch, einen gemeinsamen Blick auf die akuten Weltprobleme von Krieg, Verfolgung – besonders der Christenverfolgung – und Flüchtlingen zu werfen und sich gemeinsam einzusetzen für eine Lösung, auch wenn diese seitens der Kirchenvertreter nur in Appellen Ausdruck finden kann. Neben den akuten weltlichen Themen sind es aber auch die Fragen der gemeinsamen Überzeugungen, die hier dokumentiert wurden, und beispielsweise im Abschnitt 7 des Textes deutlich werden:

In unserer Entschlossenheit, alles, was notwendig ist, zu unternehmen, um die uns überkommenen geschichtlichen Gegensätze zu überwinden, wollen wir unsere Bemühungen vereinen, um das Evangelium Christi und das allgemeine Erbe der Kirche des ersten Jahrtausends zu bezeugen und miteinander auf die Herausforderungen der gegenwärtigen Welt zu antworten. Orthodoxe und Katholiken müssen lernen, in Bereichen, wo es möglich und notwendig ist, ein einmütiges Zeugnis für die Wahrheit zu geben. Die menschliche Zivilisation ist in eine Zeit epochalen Wandels eingetreten. Unser christliches Gewissen und unsere pastorale Verantwortung erlauben es uns nicht, angesichts der Herausforderungen, die eine gemeinsame Antwort erfordern, untätig zu bleiben.
(Hervorhebung durch mich)

Wenn man so will, kann man die oben hervorgehobene Formulierung und die insgesamt beschriebenen Bemühungen als eine Art Definition von Ökumene begreifen. Letztlich ist Religion auch immer die Frage nach und das Ringen um die Wahrheit, und Religionen sowie Konfessionen unterscheiden sich eben genau dort: In der Frage, was die Wahrheit ist – die alte Pilatusfrage, die jede Religion beantworten muss.

Nun geht es in dieser Erklärung, ich hatte es eingangs bereits erwähnt, im Wesentlichen um die Fragen der kriegerischen Auseinandersetzungen und den daraus folgenden Armuts-, Verfolgungs- und Flüchtlingssituationen. Dass hier eine gemeinsame Basis christlicher Religionen notwendig ist – bei aller unterschiedlichen Bewertung der handelnden Akteure – erscheint nur allzu nachvollziehbar. Umso wesentlicher erscheint mir aber auch, dass es Papst Franziskus und Patriarch Kyrill nicht dabei belassen haben. So geht es, religiös wie politisch spannend, in den Nummern 15 und 16 um die Zurückdrängung des christlichen Glaubens, auch in Ländern, in denen Christen nicht im engeren Sinne verfolgt werden:

15. Gleichzeitig sind wir über die Situation in vielen Ländern besorgt, in denen die Christen immer häufiger mit einer Einschränkung der religiösen Freiheit, des Rechts, die eigenen Überzeugungen zum Ausdruck zu bringen, und der Möglichkeit, ihnen entsprechend zu leben, konfrontiert sind. Besonders stellen wir fest, dass die Transformation einiger Länder in säkularisierte Gesellschaften, die jedem Bezug zu Gott und seiner Wahrheit fernstehen, eine schwere Bedrohung für die Religionsfreiheit darstellt. Quelle zur Beunruhigung ist für uns die gegenwärtige Beschränkung der Rechte der Christen, wenn nicht gar ihre Diskriminierung, wenn gewisse politische Kräfte, die durch die Ideologie eines oft sehr aggressiven Säkularismus geleitet werden, sie an den Rand des öffentlichen Lebens zu drängen versuchen.

16. Der Prozess der Integration Europas, der nach Jahrhunderten blutiger Konflikte begonnen wurde, ist von vielen mit Hoffnung aufgenommen worden, wie eine Garantie für Frieden und Sicherheit. Wir möchten allerdings dazu einladen, gegenüber einer Integration, die die religiöse Identität nicht achtet, wachsam zu sein. Auch wenn wir für den Beitrag anderer Religionen zu unserer Kultur offen sind, sind wir davon überzeugt, dass Europa seinen christlichen Wurzeln treu bleiben muss. Wir bitten die Christen Ost- und Westeuropas sich im gemeinsamen Zeugnis für Christus und das Evangelium zu vereinen, so dass Europa seine Seele bewahrt, die sich in zweitausend Jahren christlicher Tradition gebildet hat.

Derartige Sätze möchte man denen ins Stammbuch schreiben, die sich als Politiker christlich wähnen, aber in falsch verstandener Toleranz meinen, die christlichen Wurzeln Europas einfach so über Bord werfen zu können; beginnend mit dem eher profanen Wegfall eines Gottesbezugs in den Verfassungen bis hin zur Ablehnung fundamentaler christlicher Überzeugungen.

Und hier, bei den Grundüberzeugungen kann die Erklärung auch für die Zukunft der Ökumene spannend werden. Hat man sich – als Papst und Moskauer Patriarch – erst mal auf eine gemeinsame Sicht geeinigt, dann kann man sich von ihr so schnell nicht mehr lösen, ohne die gemachten Fortschritte zu gefährden. Und an einigen Abschnitten der Erklärung erkennt man auch, warum es schon Papst Benedikt XVI. in der Ökumene leichter gefallen ist, Fortschritte mit der orthodoxen Kirche als mit der evangelischen Kirche zu finden. Die Absätze 19 bis 21 wird man in dieser Form wohl kaum im Einvernehmen mit den evangelischen Landeskirchen in Deutschland verabschieden können:

19. Die Familie ist die natürliche Mitte des menschlichen Lebens und der Gesellschaft. Wir sind über die Krise der Familien in vielen Ländern besorgt. Orthodoxe und Katholiken teilen die gleiche Auffassung über die Familie. Sie sind aufgerufen zu bezeugen, dass sie ein Weg zur Heiligkeit darstellt, der in der Treue der Eheleute in ihren gegenseitigen Beziehungen, in ihrer Offenheit für den Nachwuchs und für die Erziehung der Kinder, in der Solidarität zwischen den Generationen und der Achtung der Schwächsten zum Ausdruck kommt.

20. Die Familie gründet sich auf der Ehe, dem Akt der freien und treuen Liebe eines Mannes und einer Frau. Die Liebe besiegelt ihre Verbindung und lehrt sie, sich gegenseitig als Geschenk anzunehmen. Die Ehe ist eine Schule der Liebe und der Treue. Wir bedauern, dass andere Formen des Zusammenlebens mittlerweile auf die gleiche Stufe dieser Verbindung gestellt werden, während die durch die biblische Tradition geheiligte Auffassung der Vaterschaft und der Mutterschaft als besondere Berufung des Mannes und der Frau in der Ehe aus dem öffentlichen Bewusstsein ausgeschlossen wird.

21. Wir bitten alle, das unveräußerliche Recht auf Leben zu respektieren. Millionen Kindern ist selbst die Möglichkeit versagt, zur Welt zu kommen. Das Blut der ungeborenen Kinder schreit zu Gott (vgl. Gen 4,10).

Die Entwicklung der sogenannten Euthanasie führt dazu, dass die alten Menschen und die Kranken beginnen, sich als eine übermäßige Last für ihre Familien und die Gesellschaft allgemein zu fühlen.

Wir sind auch besorgt über die Entwicklung der technischen Entwicklung der biomedizinischen Fortpflanzung, denn die Manipulierung des menschlichen Lebens ist ein Angriff auf die Grundlagen der Existenz des Menschen, der als Abbild Gottes erschaffen ist. Wir halten es für unsere Pflicht, an die Unveränderlichkeit der christlichen moralischen Grundsätze zu erinnern, die auf der Achtung der Würde des Menschen beruhen, der nach dem Plan Gottes ins Leben gerufen ist.

Derartige Worte liest man als Katholik insofern mit Erstaunen, als sie mal wieder nachweisen, dass der Papst tatsächlich weiterhin katholisch ist, auch wenn es immer wieder antikatholische und antikirchliche Kräfte gibt, die seine Worte für sich zu vereinnahmen zu versuchen. Die kürzlich aufgetauchten Wahlplakate der Linken möchte man mit den obigen Zitaten anreichern um zu sehen, ob diese Partei immer  noch glaubt, Papst Franziskus sei ein Vertreter ihrer Positionen. Und die obigen Worte sind eine Wohltat, auch weil sie in gewisser Art eine Selbstvergewisserung darstellen: Als Katholiken sind wir nicht alleine, es gibt andere Konfessionen, die viele unserer Überzeugungen teilen, und die Erklärung ist wohl bewusst ein Dokument dieser Gemeinsamkeiten und nicht des Trennenden geworden.

Ich möchte aus dieser gemeinsamen Erklärung, dieser Erklärung der gemeinsamen Überzeugungen, kein Dokument der Spaltung machen, nichts läge mir ferner. Aber es ist schon wichtig darauf hinzuweisen, dass die dort gefundenen Grundüberzeugungen eine Messlatte darstellen für andere ökumenische Fortschritte. Sowohl Papst Franziskus als auch Patriarch Kyrill, und mit ihnen auch die Bischöfe besonders im Westen, können in der Ökumene nicht mehr hinter dieser „Benchmark“ zurück bleiben. Die Fortschritte, die zwischen katholischer und orthodoxer Kirche erzielt wurden – mit nicht wenigen Wegmarken, die Papst Benedikt XVI. geprägt hat – geben nun die Inhalte und Grenzen vor, die in der Ökumene mit evangelischen Denominationen gelten müssen. In Fragen der Familie, der Ehe als Verbindung zwischen Mann und Frau (inklusive den deutlichen Worten gegen die Gleichwertigkeit mit anderen Partnerschaften), des Lebensschutzes und des Menschenbildes, wird man sich auch von katholischer Seite nicht mehr dem Gender-Mainstream-orientierten Ansatz der Landeskirchen annähern können, ohne die Gemeinschaft mit der orthodoxen Kirche in Frage zu stellen.

Dass Papst Franziskus und Patriarch Kyrill sich auf Kuba getroffen haben war schon eine historische Begegnung. Dass sie eine derart starke gemeinsame Erklärung verfasst haben, setzt dem noch eine Krone auf. Und diese Erklärung hat viel weitgehendere Folgen und Implikationen, als sie derzeit gesehen werden. Es geht dabei nicht nur um die gemeinsamen Ziele von Frieden und Gerechtigkeit, die wären schon wichtig genug und werden zu Recht in den Medien gewürdigt. Es geht aber auch um die ganz fundamentalen Fragen der Wahrheit. Und die lassen – jetzt noch weniger – keine Kompromisse zu!

Beitrag zuerst erschienen auf papsttreuerblog.de

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Sepp Kneip

Sehr geehrter Herr Honekamp, Ihr Beitrag gefällt mir ganz ausgezeichnet. Zwei Ihrer Aussagen sind mir besonders bemerkenswert. Einmal, dass Sie darauf hinweisen, dass Papst Benedikt VI. bereits den ökumenischen Weg hin zu der orthodoxen Kirche bereitet hat. Durch seinen Rücktritt ist es aber leider nicht mehr zu einer Begegnung mit dem Patriarchen Kyrill gekommen. Ich denke, dass er in dieser Angelegenheit aber ein guter Berater für Papst Franziskus war und ist.
Zum anderen finde ich es gut, dass Sie auf die vielfach falsch verstandene Toleranz hinweisen, die oft so weit geht, dass unsere Politiker ihre christlichen Wurzeln vergessen oder sogar verleugnen und einem Zeitgeist frönen, der viel Erhaltenswertes über Bord gehen lässt. Für die christlichen Kirchen gibt es nicht nur in der Ferne, sondern auch in der alten Welt viel zu tun.

Gravatar: Äitsch-Pi

Fasten ist das Einüben von Zurückhalten, mit weniger Auskommen, innerer Stille.
(Und dauert 6 Wochen).

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