Pädagogik - Die schillernde Seifenblase der Wirtschaftslobby

Verantwortungsvolle Eltern haben eine rein intuitive Abscheu vor der Delegation ihrer Erziehungsverantwortung an Ganztags-Institutionen und möchten diese allenfalls in Notfällen in Anspruch nehmen.

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„Wir brauchen junge Leute, die Verantwortung übernehmen können.“ Das war das Argument des Vertreters der Wirtschaft, Dr. Dirk Hannowsky, für ganztägige Vermittlung von „frühkindlicher Bildung“ fern des Elternhauses. Er redete am 13.06.2015 auf der Tagung des Familiennetzwerks und der Konrad Adenauer Stiftung in Mainz. Wie viele seiner Zunft redete er das Wort für eine Gesellschaft, in der es immer mehr üblich werden soll, dass Eltern die alltägliche Begleitung ihrer Kinder an pädagogisches Personal in Tageseinrichtungen delegieren. Jedoch, von Pädagogik verstünde er nichts, hatte er zuvor eingeräumt, Äußerungen dazu würde er den Experten überlassen. Nun, dachte ich, während er weiterredete, ich bin Expertin und weiß, dass die Fähigkeit, Verantwortung zu übernehmen ganz und gar nichts mit Pädagogik zu tun hat. Verantwortung ist einzig und allein die Bereitschaft und die Fähigkeit, eine Herausforderung persönlich zu be-antworten.  Das Kind selber, wird es geboren, stellt eine solche Herausforderung dar. Es appelliert qua Existenz an die Verantwortungsbereitschaft der Erwachsenen. Vom ersten Tag an ist das Kind also mit dem Phänomen der Verantwortung konfrontiert. Zunächst als Objekt, später dann als handelndes Subjekt. Ist das eine Frage der Pädagogik? Nein, es ist eine Frage des Herzens. Und hier kommt jetzt meine Nachricht an Dr. Hannowksy, die Nachricht einer Expertin des Herzens:

„Das Kind dessen Eltern an der Verantwortung für es festhalten, komme da was wolle, zeigt sich seinerseits schon ganz früh und nachhaltig bestrebt, Verantwortung zu übernehmen. “

So einfach ist das. Ich beobachte es jeden Tag in meiner Kunstwerkstatt im Kindergarten. Deshalb täten diejenigen Vertreter der Wirtschaft, die wirklich an verantwortungsvollen Berufsanfängern interessiert sind, gut daran, sich zu Experten in Herzensangelegenheiten zu entwickeln. Das ist eine Herausforderung, die dann langfristig zu Äußerungen wie dieser führen würde:

„Förderung der persönlichen und vor allem privaten Erziehung im Elternhaus? Na klar, davon kann es gar nicht genug geben! Zumal ein Kind, das sich zuverlässig versorgt weiß, so entspannt ist, dass es seine Potenziale in aller Ruhe und ganz ohne jene hecktische Frühpädagogik zu entfalten vermag.“

Verantwortungsvolle Eltern haben eine rein intuitive Abscheu vor der Delegation ihrer Erziehungsverantwortung an Ganztags-Institutionen und möchten diese allenfalls in Notfällen in Anspruch nehmen. Die elterliche Scheu vor der Delegation von Verantwortung, ihre grundsätzliche Verantwortungsbereitschaft wird schon ganz früh vom Kind verinnerlicht. Das alles hat nichts mit Pädagogik und schon gar nichts mit dieser unsäglichen Frühpädagogik zu tun.

Und nun werde ich politisch: Dr. Hannowsky kokettiert mit seiner pädagogischen Ahnungslosigkeit. Er selber verweigert in diesem Moment genau die Übernahme von Verantwortung, die er so lamentierend von seinen Berufsanfängern fordert. Die „Pädagogik“, so wie er sie gebraucht, ist nichts als eine schillernde Seifenblase, die von den wahren Bedürfnissen  kleiner Kinder ablenkt: Denen nach Bindung und bedingungsloser Annahme durch die immer gleichen zuverlässigen Eltern, die zuständig sind. Eine Einrichtung kann das aus organisatorischen Gründen gar nicht leisten, zumal das Prinzip der Delegation, die ja so bindungsschädlich ist, am Tor der Kita nicht halt macht. Dort geht es erst so richtig los. Ist ein anstrengendes Kind in der Kita integriert, so wird es flugs in eine Integrations-Kita verschoben; ist es zu groß, kommt es in die Vorschulgruppe, ist es zu klein..., ist es zu sonstwas… Die Kita ist eben kein Ort der Bedingungslosigkeit, sondern eine Kommode mit vielen Schubladen und jeder Schubladen-Wechsel erfolgt aufgrund von Bedingungen und bedeutet Trennung, dem Gegenteil von Bindung. Der berühmte kanadische Bindungspsychologe Gordon Neufeld betont immer wieder: Bindung und bedingungsloses Annehmen sind der Kontext für die kindliche Reifwerdung.

Die Bindung zu fördern wäre eigentlich die Aufgabe desjenigen Wirtschaftslobbyisten, der viel Wert auf verantwortungsbereite Berufsanfänger legt. Stattdessen jagt er Seifenblasen von denen er noch nicht einmal etwas versteht, und erntet eben die Verantwortungslosigkeit, die er sät.

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Santi

Wer sich wie ich als Entwicklungsbegleiterin von Kindern versteht, weiß diesen Artikel zu schätzen. Wahre Worte, an das mächtige Wirtschaftssystem welches Kindheit als elementare Lebensphase verkennt, mehr und mehr verbrennt - und würden wir unsere Augen, unseren Geist und unsere Herzen öffnen anstatt vor wachsender Unsicherheit und "Überbelastung" gelähmt werden - würden wir erkennen, an wen und was wir unsere Kinder verkaufen. Die gehypte Investition in frühkindliche Bildung ist, wie in dem Artikel richtig dargestellt wird, ein Trugschluss, denn sie vergisst, im Zuge vergeblicher Versuche von Implementierungen aufwendig angefertigter und Evaluations-, Dokumentations- und Kontrollintrumente in Kindertageseinrichtungen oder Qualifizierungsdebatten um pädagogischer Fachkräfte, den entscheidenden Wert frühkindlicher Entwicklung zu ver"antwortungs"vollen Persönlichkeiten - nämlich den Faktor der Zeit und Ruhe für eine sichere Bindungsfähigkeit (Stabilität gleich Stärke) in Beziehungen (Sicherheit gleich "Selbstbewusstsein" und Nächstenliebe) Aber wer braucht denn solche Menschen, die sich in kein hierarchisches Klassensystem einsondern lassen, sondern ein waches und gesundes Selbst entwickeln?? Gedanken einer Pädagogin der Kindheit und Familienbildung für ein Wachrütteln von Erziehenden, für die eigentliche Wertigkeit ihrer verantwortungsvollen Fürsorge ("Glückliche Menschen lassen sich nicht formen, sie formen sich selbst.) an das menschliche Verantwortungsbewusstsein FÜR jedes Kindes und dessen Rechte auf frei-bestimmtes Leben.

Gravatar: Kim

Mit Verlaub, Sie reden Unsinn durch Verwechslung von Ursache und Wirkung.

Gravatar: ben

Guter Artikel! Vielen Dank, Frau Selhorst!!

Gravatar: Freigeist

Sie liegen völlig falsch. Otto-Normal-Bürger will seine Plagen in der Ganztagsschule wissen. Wer vom gewöhnlichen Eltern-Volk kann heute noch die Hausaufgaben betreuen? Sie sind eine Dame, die keine Ahnung hat, was im Volk vor sich geht. Sie fördern die brutale Klassengesellschaft

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