Ostdeutsche Bodenpolitik nach 1990 das Zusammenspiel von Politik, Justiz und Verwaltung

Die Bodenpolitik der jeweiligen Bundesregierungen und der ostdeutschen Bundesländer nach der Wende war und ist bis heute die entscheidende Weichenstellung für die landwirtschaftlichen Struktu­ren in Ostdeutschland. Gleichzeitig hat diese Bodenpolitik wenige tausend Personen in Ostdeutsch­land mit Subventionen jeweils in Millionenhöhe durch verbilligte Verpachtung und Verkauf bedacht.

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Bei einzelnen Personen akkumulierten diese staatlichen, flächengebundenen Subventionen zu ei­nem zweistelligen Millionenbetrag (€). Die insgesamt einen zweistelligen Milliardenbetrag erreichen­den, an die Verteilung des Bodens gebundenen Subventionen im Osten Deutschlands (s. dazu Gerke, 2008, Kap. IV) werfen die Frage nach den Handelnden in diesem Prozess und nach den Zielen der Verteilung dafür auf.

Grund dafür, dass in Ostdeutschland nach 1990 überhaupt von einer Bodenpolitik gesprochen wer­den kann, ist die Tatsache, dass sich zur Wende, regional unterschiedlich, zwischen 40 und 55% der landwirtschaftlichen Nutzfläche in der Verwaltung durch die öffentliche Hand, insbesondere des Bundes und der neuen Bundesländer, befanden. Zusätzlich wurde in der vereinigten Bundesrepub­lik eine ganze Gruppe von Erben von Bodenreformland nach 1992 enteignet, mit Zustimmung aller damals im Bundestag vertretenen Fraktionen, also PDS, SPD, CDU/CSU und FDP. Die Grünen im Westen sind bei der ersten gesamtdeutschen Bundestagswahl an der 5%-Hürde gescheitert. Dadurch wurde ein zusätzlicher Pool an landwirtschaftlichen Flächen in das Eigentum der neuen Bundesländer überführt.

Untersuchungen dazu haben gezeigt, dass die einseitige Bevorzugung einer kleinen Gruppe von landwirtschaftlichen Betrieben in der Bodenpolitik ein Zusammenwirken der politischen Akteure im Rahmen eines Kartells verlangte (s. dazu ausführlich Gerke, 2008). Das gemeinsame Vorgehen politischer Akteure aus allen Parteien in diesem Bereich erforderte darüber hinaus ein Handeln ohne Rücksicht auf rechtliche oder verwaltungstechnische Mindestanforderungen. Die dabei Handeln­den finden sich nicht nur unter den ostdeutschen Politikern, sie kommen auch aus Westdeutsch­land. Sie wären in ihrem Sinne nicht erfolgreich gewesen, wenn nicht maßgebliche Gerichte, von ostdeutschen Verwaltungsgerichten über das Bundesverfassungsgericht bis zu den Europäischen Gerichten in Luxemburg und Straßburg, sich politischen Imperativen unterworfen und teilweise un­verständliche Urteile gefällt hätten. Siehe zu einem besonders bizarren Urteil aus Sachsen Bastian (2003, S. 164 - 167) und Gerke (2008, S. 181 - 184). Sie wären auch nicht in ihrem Sinne erfolgreich gewesen, wenn Verwaltungen, ausgehend von den Ämtern für Landwirtschaft im Osten bis zur Ge­neraldirektion Landwirtschaft bei der EU-Kommission in Brüssel, ihren Aufgaben und Pflichten bei der Umsetzung der gesetzlichen Vorgaben und bei der Kontrolle nachgekommen wären.
Wer heute durch die ländlichen Regionen Ostdeutschlands fährt, sieht die durch die Bodenpolitik eingeleiteten Prozesse. Großflächenlandwirtschaft und Agrarindustrialisierung auf der einen Seite, korrespondierend mit Abwanderung bis zur Neubildung von Wüstungen auf der anderen Seite. Der Geograph Prof. Dr. Helmut Klüter spricht dabei sogar von neofeudalen Strukturen in der nordost­deutschen Landwirtschaft (Klüter, 2011).
Es hat in den letzten zwanzig Jahren politische und rechtliche Anstrengungen gegeben, diese Bo­denpolitik zu ändern. Die Abwehr dieser Anstrengungen durch die ostdeutschen Landesregierun­gen, durch die politischen Parteien, durch die Bundesregierung, Bundesverfassungsgericht, Berliner Staatsanwaltschaft und durch die EU-Kommission hat die Fehlentwicklungen zementiert.
Nicht zuletzt wird in einem internen Arbeitspapier des Jahres 2009 aus dem Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV, CSU-geführt) an das Bundesfinanzmi­nisterium (BMF, zu dem Zeitpunkt SPD-geführt) im letzten Absatz formuliert: „ Ich bin mir sicher, dass ein grundsätzlich neues Aufrollen der Privatisierungstätigkeit der BVVG auf Ebene der europäischen Institutionen auch den Interessen des BMF keinesfalls entsprechen wird. Die drohenden politischen Turbulenzen brauche ich an dieser Stelle nicht nochmals zu betonen.“ (interne Anlage 1)

II. Die Klage von Alteigentümern gegen die Enteignungen im Rahmen der Boden- und Industriereform 1945 - 1949

Vorraussetzung dafür, dass nach 1990 die ostdeutschen Landesregierungen überhaupt Bodenpo­litik betreiben konnten, war die Boden- und Industriereform in der sowjetischen Besatzungszone. Der für die Landwirtschaft zentrale Enteignungsprozess der Bodenreform ist mehrfach ausführlich dargestellt worden (Bauerkämper, 1996; Bastian, 2003; Paffrath, 2004) und stand von Anfang an in engem Kontext zur Kollektivierung der Landwirtschaft (Schöne, 2008; Beleites et al., 2010).
Es war nach der Wende die feste Absicht der damaligen Regierung Kohl, die in der SBZ im Rahmen der Boden- und Industriereform enteigneten Güter, Bauernhöfe, Industrieanlagen und Handwerks­betriebe nicht zurück zu geben. Diese Entscheidung wurde durch diese Regierung in der Öffentlich­keit fälschlicherweise als Vorbedingung von Sowjetunion und DDR für die Vereinigung ausgegeben. Eine solche Vorbedingung hat es nachweislich nicht gegeben, tatsächlich besteht die gut begrün­dete Vermutung, dass die Regierung Kohl durch den Verkauf dieser Immobilien die Kosten des Vereinigungsprozesses bestreiten wollte (Paffrath, 2004). Die enteigneten Immobilien, also auch die land- und forstwirtschaftlichen Flächen, wurden unter der Verwaltung durch die Treuhand zusam­mengefasst. Diese leistete entgegen den ursprünglichen Annahmen keinen positiven finanziellen Beitrag zur Einigung, im Gegenteil, die Treuhand benötigte bis Ende 1994 fast 300 Milliarden DM an Zuschüssen aus dem Bundeshaushalt (Willgerodt, 1996). Ab 1991, dem Zeitpunkt, als das finanzi­elle Desaster der Treuhand absehbar war, lagen die Motive für die verweigerte Restitution vor allem im landwirtschaftlichen Bereich. Mit Anlage 2 ist dazu ein Beitrag beigefügt, der mit einer Unterüber­schrift versehen in der Internetzeitschrift „Freie Welt“ im Mai 2011 veröffentlicht wurde.
Eine Teilrestitution von bis zu 100 ha landwirtschaftliche Nutzfläche an die enteigneten Familien wäre möglich gewesen, ohne den redlichen Erwerb durch DDR-Bürger in Frage zustellen. Aber da­mit wäre ein großer Teil der ostdeutschen Landwirtschaftsfläche dem Einfluss der öffentlichen Hand entzogen worden, mit vermutlich positiven Wirkungen für eine breitere Eigentumsstreuung und land­wirtschaftliche Vielfalt. Paffrath (2004) zeigt in ihrer Arbeit, wie durch koordinierte Zusammenarbeit von Bundesregierung und Bundesverfassungsgericht Öffentlichkeit und betroffene Familien bis heu­te getäuscht werden.
Um aber die heutigen ostdeutschen Agrarstrukturen zu erreichen, bei denen die sehr großen Betrie­be über 500 ha 65 - 90% der landwirtschaftlichen Nutzfläche bewirtschaften, bedurfte es nach 1991 einer weiteren Vielzahl politischer Täuschungen, Aussetzung verabschiedeter oder vereinbarter Grundsätze, vielfältiger Willkür in den ostdeutschen Behörden in allem, was den landwirtschaftlichen Boden betrifft und nicht zuletzt der Willfährigkeit der ostdeutschen Justiz gegenüber den Großagra­riern, seien es nun alte DDR-Agrarkader, externe Investoren oder westdeutsche Agrarfunktionäre. Gesetze wurden gebrochen oder einfach nicht angewendet, Verordnungen ignoriert, wenn es einer kleinen Gruppe privilegierter Gewinner der Wende diente. Und wenn dann bäuerliche Betriebe, Altei­gentümerfamilien oder Erben von Bodenreformland einen verwaltungstechnischen oder juristischen Weg beschritten, um ihre vielfach berechtigten Ansprüche durchzusetzen, so bewegt man sich in eine faktisch rechtsfreie Zone hinein, die von ostdeutschen Verwaltungen und deutschen Gerichten bis zur Generaldirektion Landwirtschaft der EU-Kommission (GD Agri) reicht.

III. Die Rolle der EU- Kommission

Die Verpachtung der Flächen des Treuhand-Nachfolgers Bodenverwertungs- und Verwaltungsge­sellschaft (BVVG) Anfang der neunziger Jahre vor allem an LPG- Nachfolger und DDR-Agrarkader­personal wurde nach wenigen Jahren durch neue Pachtverträge auf anfangs 12 Jahre verlängert; mittlerweile sind diese Verträge für viele dieser Flächen auf 27 Jahre verlängert worden. Da aber nach dem Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetz (EALG) von 1994 der verbilligte Kauf von BVVG-Flächen an langfristige Pachtverträge gebunden ist, ist es für Betriebe ohne langfristige BVVG-Pachtverträge nicht möglich, solche Flächen zu erwerben. Durch die willkürliche Bindung des Kaufs an die langfristige Pacht wurden einerseits mehr als 80% der ostdeutschen Landwirtschafts­betriebe der begünstigte Kauf von BVVG-Flächen verwehrt, es wurde auch das oberste Ziel des EALG, das die „… Förderung und Stabilisierung von neuen Unternehmen, deren Inhaber selbstän­dig wirtschaftende und persönlich haftende Landwirte sind“, vollständig verfehlt (dazu ausführlich Gerke, 2008, S. 138 - 168). Genau dies beschreibt auch ein internes Dokument aus dem Bundes­ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV) aus dem Jahr 2009 (interne Anlage 3, S.2).
Darin heißt es unter anderem:
„Die beschlossene Aussetzung der Ausschreibungen führt zu einer einseitigen Bevorzugung der Betriebe, die in der Vergangenheit landwirtschaftliche Nutzflächen langfristig von der BVVG gepach­tet haben. Das sind in erster Linie LPG-Nachfolgebetriebe. Diese Unternehmen können nach wie vor trotz Moratoriums im Wege des Direkterwerbs Flächen von der BVVG kaufen oder pachten. Die Betriebe hingegen, die keine oder nur in sehr geringem Umfang Flächen von der BVVG langfristig gepachtet haben (in erster Linie Wieder- und Neueinrichter); sind benachteiligt. Ihnen wird während der Dauer des Moratoriums der Zugang zur Verwertung der BVVG-Flächen, der für sie nur über Ausschreibung eröffnet ist, verwehrt. Dies widerspricht dem Ziel der Wahrung der Chancengleich­heit der Betriebe bei der Privatisierung der BVVG-Flächen und der angestrebten breiten Eigentums­streuung“.
Dieser Absatz des BMELV-Dokuments lässt nicht an Deutlichkeit zu wünschen übrig. Er bestätigt die Ergebnisse von Gerke (2008, Kap. IV.). Nur eine kleine Gruppe ostdeutscher Betriebe konnte bisher BVVG-Flächen langfristig pachten. Allerdings wird die richtige Beschreibung der Treuhand/BVVG-Bodenpolitik in dem BMELV-Papier nur dazu verwendet, den Gegensatz von im Sommer 2009 CSU-geführtem BMELV und SPD-geführtem Bundesfinanzministerium (BMF) bezüglich eines kurzfristigen Verkaufsmoratoriums herauszustreichen. Die viel weitreichendere Konsequenz, dass die Wieder- und Neueinrichter vom EALG-Kauf weitgehend ausgeschlossen sind, ergibt sich eben­falls aus dem zitierten Passus, dennoch wird noch 2009 von einer „angestrebten breiten Eigentums­streuung“ geschrieben.
An dieser Stelle zeigt sich besonders deutlich, dass die großen, durch die ostdeutsche Bodenpolitik verursachten Wettbewerbsverzerrungen unthematisiert bleiben, wenn über diese zwischen den gro­ßen Parteien Konsens herrscht.
Mit den Erkenntnissen des BMELV, die ja nicht erst 2009 vorlagen, hätte eine Revision der BVVG-Politik durch die Bundesregierung spätestens ab 2000 eingeleitet werden müssen. Die Situation, dass die breite Mehrheit der ostdeutschen Betriebe, nämlich die Wieder- und Neueinrichter, durch die Bodenpolitik von der langfristigen Verpachtung der BVVG-Flächen ausgeschlossen sind und durch die absurde Bindung des EALG-Kaufs an die langfristige Verpachtung auch keine BVVG-Flächen kaufen können, ist eine zentrale Wettbewerbsverzerrung (s. ausführlich dazu Gerke, 2008, Kap. IV.).
Nach Verabschiedung des Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetz (EALG) im Jahre 1994 und dem Bekanntwerden der ersten Durchführungsverordnungen dazu, ist eine Vielzahl von Be­schwerden bei der EU-Kommission eingegangen (Bastian 2003, S.148 - 150; Gerke, 2008, S. 138 - 158). Die Kommission leitete daraufhin ein Verfahren gegen die Bundesrepublik ein (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaft v. 10.7.1998, 17/98) und formulierte darin wörtlich:
„Aufgrund von Beschwerden von Tausenden von Beschwerdeführern aus Deutschland sowie aus den anderen Mitgliedsstaaten, die der Europäischen Kommission zugegangen sind, ist sie zu der Erkenntnis gelangt, dass das Flächenerwerbsprogramm gemäß dem Ausgleichsleistungsgesetz möglicherweise Elemente einer staatlichen Beihilfe im Sinne des Artikels 92, Absatz 1, EG-Vertrag beinhaltet. Die Kommission hat daraufhin mit Schreiben vom 4.7.1996 die deutschen Behörden um zusätzliche Informationen gebeten. Dieses Schreiben blieb unbeantwortet.“
Nach Verabschiedung des EALG gingen bei der Kommission gegen dieses Gesetz in der Zeit von Ende 1994 bis Mitte 1996 offenbar mehrere Tausend Beschwerden ein. Diese große Zahl ist ver­ständlich, wenn man bedenkt, dass das ausdrückliche Ziel des Gesetzes die Förderung von Wieder- und Neueinrichtern war, während im Gesetz selbst festgelegt wurde, dass der verbilligte Erwerb von BVVG-Flächen an langfristige Pachtverträge gebunden ist. Damit wurden die meisten Wieder- und Neueinrichterbetriebe vom verbilligten Kauf ausgeschlossen. Ausgeschlossen wurden der landwirt­schaftliche Mittelstand, die bäuerlichen Betriebe.
Die EU-Kommission ermittelte im Rahmen des Verfahrens gegen die Bundesrepublik in zwei Rich­tungen (s. dazu Bastian, 2003, S. 148 - 150):
1. Nach Ermittlungen der Kommission lag die Kaufpreissubventionierung beim verbilligten Kauf von BVVG-Flächen in den Jahren 1996 - 1998 bei bis zu 75%. Tatsächlich lagen die in diesen Jahren geforderten Kaufpreise beim dreifachen des Einheitswertes von 1935, damit lag die Subventionierung in vielen Fällen noch weit höher (Gerke, 2008, S. 138). Im weiteren Verlauf ergab sich, dass eine Kaufpreissubventionierung von 35% von der Kommission als EU-konform angesehen wurde.
2. Die Kommission stellte eine Diskriminierung fest, da im Gesetz Personen vom EALG-Kauf ausgeschlossen wurden, die zum 3.10.1990 nicht ihren ersten Wohnsitz in Ostdeutschland hatten.
Die Bundesregierung reagierte auf das Verfahren der Kommission in zweierlei Hinsicht. Zum einen sicherte sie eine Begrenzung der Kaufpreissubventionierung zu, zum anderen wurde der Passus des Wohnsitzes in Ostdeutschland zum 3.10.1990 gestrichen. Die EU-Kommission zeigte sich durch diese Korrekturen befriedigt, sodaß der verbilligte EALG-Verkauf ab dem Jahr 2000 fortgesetzt wer­den konnte.
Die Zugeständnisse der Bundesregierung an die Kommission waren jedoch nur scheinbare. Die Auf­hebung des Stichtagsdatums 3.10.1990 hatte allein eine geringere Bedeutung. Genauso folgenreich und in der gleichen Richtung weit wirksamer war für landwirtschaftliche Betriebsgründungen nach 1991, dass diese neuen Betriebe nur in Ausnahmefällen noch BVVG-Flächen langfristig pachten konnten. Durch die schon abgeschlossenen langfristigen 12-jährigen Pachtverträge, die während des Prüfungszeitraumes nach Intervention durch die ostdeutschen Landesbauernverbände auf 18 Jahre verlängert wurden (Gerke, 2008, S. 128); und die Bindung des verbilligten BVVG-Kaufs an langfristige Pachtverträge wurde eine weitreichendere Diskriminierung der Landwirte auch aus den EU-Staaten erreicht, die denselben Effekt wie die Stichtagsregelung vom 3.10.1990 hatte. Im Übri­gen betrifft, wie oben ausgeführt und durch interne Anlage 3 belegt, dieses nicht allein EU-Bürger, die in Ostdeutschland nach der Wende einen landwirtschaftlichen Betrieb gegründet haben, son­dern die Masse der bäuerlichen Betriebe, der Wieder- und Neueinrichter. Das ist 2009 auch Stand der Kenntnis des BMELV. Wörtlich nochmals die Formulierung aus dem Landwirtschaftsministerium dazu:
„(…) Die beschlossene Aussetzung der Ausschreibungen führt zu einer einseitigen Bevorzugung der Betriebe, die in der Vergangenheit landwirtschaftliche Nutzflächen langfristig von der BVVG gepachtet haben. Dies sind in erster Linie LPG-Nachfolgebetriebe (...) Die Betriebe hingegen, die keine oder nur in geringem Umfang Flächen von der BVVG langfristig gepachtet haben (in erster Linie Wieder- und Neueinrichter) sind benachteiligt (...). Dies widerspricht dem Ziel der Wahrung der Chancengleichheit der Betriebe bei der Privatisierung der BVVG-Flächen und der angestrebten brei­ten Eigentumsstreuung“. (interne Anlage 3). Für das Verfahren der EU-Kommission aus dem Jahre 1998 muß deswegen der Schluss gezogen werden, dass die EU-Kommission zu keinem Zeitpunkt die Absicht hatte, eine ergebnisoffene Prüfung durchzuführen. Tatsächlich sollte ersichtlich nur die Vielzahl der Beschwerdeführer ruhig gestellt werden (Gerke, 2008, S. 144).

Gegen das nur scheinbare Eingehen der Bundesregierung auf die Vorgaben der Kommission wurde im Herbst 2002 bei der EU-Kommission Beschwerde eingelegt (Beschwerde wegen Nichtbeachtung des Gemeinschaftsrechtes eingereicht 2.10. 2002, Aktenzeichen AGR 015057).
Was war das Ziel der Beschwerde?
Die Darstellung bis hierher hat ergeben, dass die überwiegende Mehrheit der landwirtschaftlichen Betriebe von der Verpachtung der BVVG-Flächen ausgeschlossen ist. Nach der internen Anlage 3, dem Papier des BMELV, sind es die Neu- und Wiedereinrichter, also die bäuerlichen Betriebe. Es zeigte sich weiterhin, dass die mit verbilligtem Verkauf erzielten Subventionen auch nach 2000 so hoch sind, dass diese den Maßstäben der EU-Kommission im Überprüfungsverfahren von 1998/99 nicht standhalten. Weiterhin zeigte sich, dass die Zurückzahlung der zu hohen Kaufpreissubventio­nen aus den Jahren 1996 - 1998 nicht oder nur in geringer Höhe erfolgt ist.
In welcher Weise nun die Beschwerde aus dem Jahre 2002 durch die Generaldirektion Landwirt­schaft (GD Agri) der EU-Kommission bearbeitet wurde, fasst ein Schreiben des Beschwerdefüh­rers an den Kommissionspräsidenten Barroso vom Dezember 2009 zusammen (Anlage 4). Dieses Schreiben wurde vom Präsidenten wiederum der GD Agri übergeben und dort von Generaldirektor Demarty bearbeitet, demjenigen, der zu einem großen Teil die schleppende und sachfremde Bear­beitung der Beschwerde zu verantworten hatte. Entsprechend hatte das Schreiben trotz der schwer­wiegenden Vorwürfe keine Konsequenzen, ein auch nur in Ansätzen sachliches Eingehen auf die Vorwürfe unterblieb.
Allerdings fühlte sich die damalige EU-Agrarkommissarin M. Fischer Boel herausgefordert, persön­lich zu beantworten (Anlage 5). Bemerkenswert in dem Schreiben der ehemaligen EU-Agrarkom­missarin sind einige Antworten, die ein Licht auf die Arbeit der GD Agri werfen. Darin wird auf der ersten Seite behauptet, „(…) dass (…) die GD Agri seit Eingang ihrer Beschwerde (…) in ständiger Korrespondenz … mit den Beschwerdeführern der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft gestanden sind.“ Formal gibt es einen Beschwerdeführer, der, wie ausführlich erläutert (Anlage 4); über mehrere Jahre über den Fortgang der Beschwerde im Unklaren gelassen wurde. Offenbar ist der ehemaligen Agrarkommissarin selbst während der Anfertigung des Briefes noch nicht einmal klar, wer Beschwerdeführer war.
Die ehemalige EU-Agrarkommissarin verweist weiter auf ein Schreiben der Bundesregierung vom 23.9.2007, das zentral für die Ablehnung der Beschwerde war (Anlage 5, S. 2).
Dem Rechtsvertreter des Beschwerdeführers ist es erst nach langwierigen Nachfragen gelungen, dieses Schreiben im Nachgang in Kopie zusammen mit dem Fragenkatalog der GD Agri zu erhalten. Drei Punkte sind von Frau Fischer Boel in Bezug auf das Schreiben der Bundesregierung vom 19.9. 2007 (eingegangen bei der GD Agri am 21.9.2007 und nicht wie von Frau Fischer Boel in Anlage 5 formuliert am 23.9.2007) in ihrem Schreiben (Anlage 5) angesprochen worden:
a. Vollständige Rückforderung unrechtmäßiger Beihilfen aus den EALG-Verkäufen 1996 - 1998.
Das Schreiben der Bundesregierung bietet dazu keine neuen Erkenntnisse, der Beschwerdeführer hatte der Kommission schon die internen Unterlagen aus BMELV und BMF dazu zugesendet. Die Bundesregierung hat keine Angaben zum Umfang der verbilligten Flächenverkäufe 96 - 98 in ihrem Schreiben gemacht. Damit konnte GD Agri auch nach 2007 nicht beurteilen, ob die vom Bund nach­verlangte Summe von etwas mehr als 12 Millionen EUR eine ausreichende Nachforderung darstellte (interne Anlage 6). Damit hat GD Agri nicht geprüft, ob die Auflagen eingehalten wurden. Es war der Generaldirektion Landwirtschaft der EU-Kommission ersichtlich unwichtig, ob angemessene Rück­zahlungen erfolgten. Die durchschnittlichen Verkaufspreise in den neuen Bundesländern 1996, 97, 98, die von GD Agri nachgefragt wurden, sind unwichtig. Wichtig ist für den Verkauf Arrondierung, Bonität und Nutzung der Flächen (Ackerland oder Grünland); die über den Verkehrswert und damit über die Kaufpreissubventionierung entscheiden. GD Agri hätte zur Prüfung der ja von ihr selbst formulierten Maßstäbe mindestens bei einer repräsentativen Stichprobe der Verkäufe 96 - 98 je im Einzelfall überprüfen müssen, ob eine angemessene Rückzahlung vorgenommen wurde.
Eine recht präzise Berechnung zeigt schon das Ausmaß der Verbilligung in den Jahren 96 - 98. Nach neuesten Angaben der Bundesregierung (Bundestagdrucksachennummer 17/8538) wurden zwischen 1996 und 1998 rund 40.000 ha nach dem EALG verbilligt verkauft. Bei den Nachzahlun­gen von rund 12 Millionen EUR ergibt sich eine mittlere Nachzahlung von rund 300 EUR/ha. Dies kompensierte die von der EU geforderten Nachzahlungen nicht im Ansatz, da die EALG-Verkäufe in den Jahren 1996 - 1998 zum dreifachen des Einheitswertes von 1995 durchgeführt wurden, was einem Verschenken der Flächen fast gleichkam. In jedem Fall konnte GD Agri die Angemessenheit der Nachforderungen überhaupt nicht beurteilen, da von der Bundesregierung keine Informationen zum Umfang der EALG-Verkäufe in diesen Jahren geliefert wurden. Das Ausmaß der Kaufpreissub­ventionen ist an anderer Stelle detailliert beschrieben worden und dürfte auch unter Einschluss der Rückzahlungen bei 70% liegen (Gerke, 2008, S. 138).
b. Zur Frage der regionalen Wertansätze, also den von der BVVG verwendeten Daten zur Verkehrswertermittlung.
Dieses wurde vom Beschwerdeführer den Bearbeitern bei der Kommission mehrfach vorgetragen, im Mai 2007 sogar direkt in Brüssel. Das Ausmaß der Subventionierung von wenigen Betrieben in Ostdeutschland durch die Umsetzung des EALG zeigt sich an einem Prüfbericht des Bundesrech­nungshofes (BRH) vom Mai 2005. Im Schreiben (interne Anlage 4) behauptet nun die Bundesregie­rung zur Kritik an der Bewertung landwirtschaftlicher Flächen im BRH-Bericht wortwörtlich:
„Damit ist nicht die Methodik der Verkehrwertermittlung, sondern lediglich die Dokumentation der einzelnen Prüfungsschritte bei der Herleitung der begünstigten EALG-Verkaufspreise kritisiert.“ Die­se Einschätzung ist nicht aus dem Bericht des BRH zu entnehmen (s. dazu auch Abschnitt V). Im Gegenteil! Der Bundesrechnungshof stellt nicht nur allein die Methodik der Kaufpreisermittlung in Frage, er kritisiert auch konsequenterweise ausdrücklich deren Ergebnisse. Das Ausmaß der Fehl­bewertung der Verkehrwerte ergibt sich aus zwei Beispielen des BRH-Berichtes, die ausführlich diskutiert wurden (Anlage 7, aus Gerke, 2008, S. 149 - 152) und auch hier in Abschnitt V. detailliert besprochen werden. Dass GD Agri das Schreiben der Bundesregierung (interne Anlage 6) und die dazu gehörigen Sachverhalte nicht einer detaillierten Prüfung, nämlich der Prüfung aller BVVG- Kaufverträge, unterzog, ist unverständlich. Es zeigt einmal mehr das Fehlen einer sachlichen Prü­fung durch GD Agri. Dies wird auch durch die Einschätzung des BMELV (interne Anlage 1) belegt, in der es wörtlich heißt: „Die EU-Kommission hatte das Hauptprüfungsverfahren gegen Deutschland nur unter der Bedingung zum Ruhen gebracht, dass keine weiteren Klagen und Beschwerden gegen die Privatisierungspraxis der BVVG insbesondere in Zusammenhang mit der Preisermittlung vorge­bracht werden. Eine Sachentscheidung des EuGH könnte die EU-Kommission sogar faktisch dazu zwingen, das ruhende Hauptprüfungsverfahren fortzusetzen und das bisherige Entgegenkommen der Kommission aufzugeben.“ Unmissverständlich wird hier zum Ausdruck gebracht, dass die Kom­mission keine Überprüfung vorgenommen hat und dies auch nicht beabsichtigte. Auch die Bundes­regierung war und ist nicht bereit, Konsequenzen aus den fehlerhaft ermittelten Verkehrwerten zu ziehen. Aus einem Schreiben vom 28.11.2006 des damaligen Staatssekretärs Diller im BMF an den Haushaltsausschuss des Bundestages ignoriert dieser das Problem der Verkehrswertermittlung aus den Beispielen des BRH. Tatsächlich ist auch dem BMF die Fehlerhaftigkeit der regionalen Wertan­sätze, die die BVVG spätestens seit 2000 verwendet, bekannt (interne Anlage 8). In dieser Anlage 8, einem Dokument vom 7.9.2009 aus dem BMF, heißt es dazu ausdrücklich, dass in der Vergan­genheit die von der BVVG gebrauchten regionalen Wertansätze (RWA) dem Marktgeschehen nicht entsprachen. Weiter heißt es dort wörtlich: „Nur auf dem Wege von Ausschreibungen und vergleich­baren Verkaufsverfahren kann der Verkehrswert bestimmt werden“. Die regionalen Wertansätze sind also selbst nach Auffassung des Ministeriums, das die BVVG kontrolliert, fehlerhaft. Diese aber sind Grundlage des EALG-Verkaufs, sodass dessen Verkaufspreisermittlung fehlerhaft ist. Das Pa­pier des BMF, in dem dies festgestellt wird, liegt der Kommission als Anlage zum Schreiben vom 8.12.2009 vor (Anlage 4); ohne dass es zu weiteren Überprüfungen kam. Man muss an dieser Stelle feststellen, dass GD Agri keinen Grund zur Überprüfung des verbilligten Kaufs von BVVG-Flächen sah, obwohl spätestens seit Dezember 2009 ein Schreiben des dafür zuständigen deutschen Minis­teriums vorlag, das die Fehlerhaftigkeit der Bewertung der Verbilligung ausdrücklich feststellte.
c. Auch zu der Frage der Pachtpreissubventionen für BVVG-Flächen äußerte sich die ehemalige EU- Agrarkommissarin in Anlage 5.
Zentral für die Einschätzung der Bundesregierung zur BVVG-Verpachtung ist deren Schreiben vom 7.7.2003 (Anlage 9). Von diesem behauptet die EU-Agrarkommissarin, dass es GD Agri nie erhalten habe. Nun ist es aber so, dass dieses Schreiben, eine Ausarbeitung der BVVG, mit Anschreiben an die EU-Kommission durch das BMF weitergeleitet wurde. Das Schreiben stellt also die Einschät­zung der Bundesregierung dar. Zu der Behauptung der ehemaligen EU-Agrarkommissarin, dass dieses Schreiben die GD Agri nicht erreicht hätte, ist Anlage 10 angefügt, ein Schreiben von GD Agri aus dem Jahre 2005. Darin wird z.T. wortwörtlich aus dem Schreiben des BMF vom 7.7.2003 zitiert, um weitere Fragen zu stellen. Auch entspricht die Reihenfolge der Fragen dem Aufbau des Schreibens (interne Anlage 9). Schließlich hat der Beschwerdeführer zusätzlich in einem Schrei­ben an Frau Fischer Boel im Jahre 2006 daraus wörtlich zitiert. Wenn das Schreiben des BMF nicht bei der GD Agri vorgelegen hätte, so hätte diese nicht daraus zitieren können. Weiterhin hätte GD Agri die unbekannten Unterlagen nachgefordert. Dies ist nicht erfolgt, sodass davon ausge­gangen werden muß, dass GD Agri dieses Schreiben spätestens 2005 vorlag. Die Brisanz von Anlage 9 rührt daher, dass die BVVG den Mechanismus der Pachtpreissubventionierung selbst beschreibt. Die geringe Ausschreibung durch die BVVG erzeugt eine Zweiteilung des Pachtmarktes mit niedrigen Pachten für langfristige BVVG-Pächter und, weil die BVVG kaum Flächen zur Pacht ausgeschrieben hat, aber dominierend am ostdeutschen Pachtmarkt ist, mit sehr hohen Pachten auf dem freien Markt. Die von der BVVG induzierte Pachtsubventionierung ist also eine doppel­te und benachteiligt die ca. 80% der ostdeutschen Betriebe, die nicht nur vom verbilligten Kauf von BVVG-Flächen ausgeschlossen sind, sondern auch Flächen nur zu sehr hohen Pachtpreisen neu pachten könnten. Anlage 11 (aus Gerke, 2008, S. 152- 154) fasst diese Ergebnisse zusam­men.
Es besteht der begründete Verdacht, dass sich GD Agri und die Bundesregierung im nachhinein darauf geeinigt haben, dass dieses Schreiben vom 7.7.2003 nie abgesandt wurde. Dass der Inhalt GD Agri erreicht hat und dass der Inhalt ein authentisches Schreiben aus dem BMF ist, damit deren Einschätzung darstellt, daran gibt es keinen Zweifel. Aus der internen Anlage 3 ergibt sich weiter­hin, dass auch zukünftig eine breite Verteilung von BVVG-Flächen nicht stattfinden wird. Rund 75% der relativ geringen Menge an BVVG-Flächen, die zur Ausschreibung vorgesehen sind (dies sind maximal 20%); werden direkt an die langfristigen Pächter verkauft. Wörtlich heißt es dazu in Anlage 3: „ Das Regel-(Ausschreibung)-Ausnahme (Direktverkauf)-Verhältnis ist schon jetzt mit 25 zu 75% auf den Kopf gestellt. Außenstehende Landwirte haben schon jetzt keine angemessene Chancen zum Direkterwerb.“ Damit wird in Zukunft eine maximale Umverteilung von 5% der BVVG-Flächen stattfinden. Auch dies ist mit Schreiben vom 8.12.2009 der Kommission bekannt und hätte zu ei­nem neuerlichen Verfahren führen müssen bzw. zur Wiederaufnahme des Verfahrens. Das Zitat verdeutlicht aber auch, dass politische Regelungen und Vereinbarungen zur BVVG-Privatisierung­spraxis jederzeit durchbrochen werden können, wenn diese den Interessen einer kleinen Gruppe zuwiderlaufen. Es ist jetzt schon absehbar, dass die in der ostdeutschen Bodenpolitik Agierenden auch möglichst den letzten Hektar an BVVG-Fläche an die DDR-Agrarkader, Industrielle und Agrar­funktionäre verteilen wollen. Dies erklärt das Agieren von SPD, Linken und ostdeutschen CDU-Po­litikern, den verbilligten Verkauf von BVVG-Flächen als Entschädigung an Alteigentümerfamilien auch in dem geplanten geringen Umfang möglichst zu verhindern. Dadurch würden Ansätze einer geringfügig breiteren Eigentumsstreuung in Ostdeutschland verwirklicht und dies ist bisher nicht Ziel ostdeutscher Bodenpolitik.
In dem Schreiben der ehemaligen EU-Agrarkommissarin wird schließlich darauf hingewiesen, dass das fehlerhafte Schreiben von GD Agri (Anlage 12) auf Übersetzungsfehlern beruhen sollte. Wie aber lässt sich damit vereinbaren, dass der Vorsitzende der Aktionsgemeinschaft Recht und Eigen­tum (ARE); der mit dem hier beschriebenen Verfahren nicht befasst ist, ein gleich lautendes Ab­lehnungsschreiben erhalten hat? Dies erklärt kein Übersetzungsfehler. Wie lässt sich weiterhin mit Übersetzungsfehlern erklären, dass das entsprechende Schreiben kein Aktenzeichen hat? Zudem wurde der Beschwerdeführer nicht darüber informiert, dass das Hauptprüfungsverfahren lediglich zum Ruhen gebracht wurde (interne Anlage 1). Die Generaldirektion Landwirtschaft der EU-Kom­mission hat damit zum wiederholten Male den Beschwerdeführer getäuscht.
Die Generaldirektion Landwirtschaft hatte und hat offenbar kein Interesse daran, eine ergebnisof­fene Prüfung der Beschwerde durchzuführen. Eine sachgerechte Prüfung der Beschwerde ist nicht erfolgt und lag ersichtlich nicht in der Absicht der Generaldirektion Landwirtschaft.

IV. Klage der Familie Bienstein gegen die BVVG

Der Fall der Familie Bienstein ist in wichtigen Zügen schon beschrieben worden (Gerke,2008, S. 155 - 157, hier Anlage 13). Ein Pachtvertrag der BVVG mit dem LPG-Nachfolger über mehr als 700 ha im Jahre 2000 und die Erwähnung von älteren Vertragsabschlüssen darin zeigte, dass die Familie von der BVVG über Jahre getäuscht wurde. Der Familie wurde von der BVVG über Jahre mehrfach mitgeteilt, dass aktuell keine Pachtflächen zur Verfügung ständen. Der Pachtvertrag der BVVG mit dem LPG-Nachfolger zeigte, dass diese Mitteilungen unwahr waren. Deswegen entschloss sich die Familie im Jahre 2005 vor dem Landgericht Berlin gegen die BVVG zu klagen. Das Landgericht wies die Klage noch im Jahre 2005 ab. Die zentrale Begründung war, dass die Familie als Pachtbewerber kein Betriebskonzept vorgelegt habe, jedenfalls nicht nachweisen könne, dass die Familie dies ein­gereicht habe. Dabei hat sich das Gericht ganz auf die Argumentation der BVVG gestützt, ohne auch nur im Ansatz dazu kritische Fragen zu stellen. Mehr noch, es wurde in dem Verfahren noch nicht einmal zu diesem wichtigen Punkt ein Beweisverfahren eingeleitet. Das Gericht richtete sich im Ur­teil allein nach den unbewiesenen, und, wie weiter unten gezeigt wird, unwahren Behauptungen der BVVG. Familie Bienstein ging Anfang 2006 in Berufung vor das Kammergericht Berlin. Dabei erlebte sie eine weitere juristische Überraschung. Das Verfahren ruhte über 4 Jahre bis 2010. Deswegen wurde zusätzlich Klage vor dem Europäischen Gericht für Menschenrechte in Straßburg eingereicht, wegen überlanger Verfahrensdauer. Nach Bekanntwerden der Klageeinreichung wurde vor dem Kammergericht das Verfahren sofort wieder aufgenommen. Das Gericht setzte nicht einmal mehr einen mündlichen Verhandlungstermin an, sondern wies die Klage binnen Kurzem ab. Das Kammer­gericht wollte offenbar das Verfahren möglichst lange in Schwebe halten, ohne eine Entscheidung zu treffen. Eine detaillierte Wiederaufnahme, gegebenenfalls noch mit einem Medienecho, hätte möglicherweise politische Folgen gehabt. Diese sind in der internen Anlage 1 beschrieben: „Die EU-Kommission hatte das Hauptprüfungsverfahren gegen Deutschland nur unter der Bedingung zum Ruhen gebracht, dass keine weiteren Klagen oder Beschwerden gegen die Privatisierungspraxis der BVVG (insbesondere in Zusammenhang mit der Preisermittlung) vorgebracht werden.“
Dieser Passus aus einem Arbeitspapier des BMELV legt die Vermutung nahe, dass das Handeln des Kammergerichtes durch politische Vorgaben gesteuert wurde. Und in der Sache hat das Kam­mergericht ein Fehlurteil gesprochen. Dies lässt sich zwingend beweisen.
In den neunziger Jahren wurde über die Verpachtung nicht von der BVVG entschieden, sondern von Pachtkommissionen bei den Ämtern für Landwirtschaft. Anlage 14, ein Schreiben des Bundesland­wirtschaftsministeriums aus dem Jahre 1996, belegt dies. Darin heißt es wörtlich: „Die BVVG holt als Entscheidungsgrundlage Empfehlungen der zuständigen Landesbehörden ein, die zur Prüfung und Bewertung der Pachtanträge so genannte Pachtempfehlungskommissionen eingerichtet haben.“
Auch im zuständigen Amt für Landwirtschaft Wittenburg wurde so verfahren. So heißt es in einem Schriftsatz der Rechtsvertreter der BVVG an das Landgericht Berlin vom 25.7.2005 zur Verpach­tung von mehr als 500 ha im Umkreis des Betriebes der Familie Bienstein: „Eine entsprechende Entscheidung hatte die Pachtempfehlungskommission bereits im August 1995 vorgeschlagen“. Das zuständige Amt für Landwirtschaft Wismar (das dann bei einer Umbildung im Amt für Landwirtschaft Wittenburg aufgegangen ist) hatte im Jahre 1993 der Familie Bienstein schriftlich bestätigt, dass das Interesse an Pacht oder Kauf von BVVG-Flächen bekannt sei. Nun ist es aber so, dass im Jahre 2002 der Leiter des Amtes für Landwirtschaft Wittenburg mitteilte, dass dem Amt keine Pachtakte des Landwirtes Bienstein vorliegt (Anlage 15). Das heißt, dass die Verpachtung von BVVG-Flächen an den Betrieb Bienstein in den Pachtkommissionen nicht verhandelt wurde. Die Familie Bienstein wurde, wie die Unterlagen zwingend belegen, im Vorfeld aus den potentiellen Pachtinteressenten ausgesondert, bevor die Frage des Betriebskonzeptes überhaupt zur Diskussion stand. Darauf hat der Rechtsvertreter der Familie Bienstein mit Schreiben vom 25.5.2010 an das Kammergericht auf­merksam gemacht, sodass das Gericht das Schreiben noch in das Urteil hätte einbeziehen können (Auszug davon Anlage 16). Für das Verfahren vor dem Landgericht und Kammergericht hätte also das Gericht die BVVG jeweils auffordern müssen, die Stellungnahmen der Pachtkommissionen des Amtes für Landwirtschaft Wismar, später Wittenburg, vorzulegen, in denen schriftlich festgehalten ist, dass die Familie Bienstein den Zuschlag für Fläche X wegen fehlenden Betriebskonzeptes nicht erhalten hat. Dann jedoch hätte sich das Amt für Landwirtschaft dafür rechtfertigen müssen, war­um im Vorfeld der Pachtkommissionssitzung die Familie Bienstein nicht geladen wurde. Dass sol­che Schreiben aus den Ämtern für Landwirtschaft Wismar bzw. Wittenburg nicht existieren, belegt schließlich Anlage 15. Dennoch hat auch das Kammergericht die Klage der Familie Bienstein vor allem mit der Begründung des fehlenden Betriebskonzeptes abgewiesen, obwohl der Ausschluss der Familie Bienstein nachweislich schon im Vorfeld stattfand, sie wurde als Bewerber aus der Be­trachtung der Pachtkommissionen ausgeschlossen. Das Urteil des Kammergerichts ist ein Fehlur­teil. Tatsächlich ist der Fall Bienstein exemplarisch der einer wirtschaftlichen Diskriminierung.
Die Familie Bienstein ergriff nun die verbliebenen juristischen Optionen, eine Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht und Klage vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Das Bundesverfassungsgericht lehnte die Annahme des Verfahrens ab, die Klage vor dem Europäischen Gerichtshof ist anhängig.

V. Klage gegen die Spitze der BVVG bei der Staatsanwaltschaft Berlin

Der Bericht des Bundesrechnungshofes (BRH) an die BVVG vom 30.5.2005 über ausgewählte Aspekte der Kaufpreisbemessung für Landwirtschaftsflächen (interne Anlage 17) gab Anlass, die Verkaufspraxis durch die BVVG kritisch unter die Lupe zu nehmen. Deswegen hat die Arbeitsge­meinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) durch ihren Rechtsvertreter im März 2007 Strafanzeige gegen die Vorstandsmitglieder und den Generalbevollmächtigten der BVVG wegen Veruntreuung gestellt.
Aus dem Bericht des BRH ist sofort ersichtlich, dass dessen Verkaufspraxis einer grundlegenden Überprüfung bedurfte. Mehr noch, einige Verkaufsbeispiele aus dem BRH-Bericht begründeten den starken Anfangsverdacht der Veruntreuung. Die Strafanzeige der AbL war mit der festen Erwartung verbunden, dass die Staatsanwaltschaft Berlin den Anfangsverdacht zu weitreichenden Ermittlun­gen nutzen würde.

Zwei Beispiele geben einen Eindruck der brisanten Ergebnisse des BRH-Berichtes (interne Anlage 17):
Beispiel 1:
Mit Vertrag vom 4.6.2003 (…) verkaufte die BVVG nach dem AusglLeistG verbilligt 136 ha landwirt­schaftliche Flächen, davon 132 ha Ackerland. Den Verkaufspreis von durchschnittlich 1.861 €/ha Ackerland (AZ 45) ermittelte die BVVG anhand des RWA 2002 (Regionaler Wertansatz der BVVG, J.G.); den sie mittels Formel dem Bodenwert anpasste. Das Ergebnis minderte sie um 35%. Der ihr vorliegende Grundstücksmarktbericht des GAA (Gutachterausschuss, J.G.) wies für den gesam­ten Landkreis zum 31.12.2002 bei einer mittleren Ackerzahl von 42 einen durchschnittlichen BRW (Bodenrichtwert J.G.) von 3.800 €/ha aus. Die Bodenrichtwertkarte enthielt gemeindebezogen zum 31.12.2002 4.700 €/ha (AZ 45). Ein Vergleich dieser Werte zeigt die Ungeeignetheit des RWA für die Vergünstigung in diesem Fall.
Beispiel 2.
Mit Vertrag vom 6.3.2001 (...) verkaufte die BVVG 155 ha landwirtschaftlicher Flächen, davon 139 verbilligt nach dem AusglLeistG und 16 ha zwecks Arrondierung zum Verkehrswert. Die landwirt­schaftlichen Flächen setzten sich aus drei großen Flurstücken, davon 148 ha Ackerflächen (132 ha verbilligt) mit einer durchschnittlichen Ackerzahl von 45, in der gleichen Gemarkung zusammen. Die BVVG ging bei der Festlegung des Kaufpreises von unterschiedlichen Ausgangswerten aus. Sie bestimmte den Kaufpreis für die vergünstigten Flächen anhand des RWA 2000, welcher für die Gemarkung 3.221 €/ha bei einer Ackerzahl von 42 auswies. Daraus resultierte ein durchschnittlicher Verkaufspreis von 2.161 €/ha für die verbilligten Ackerflächen. Ein der BVVG vorliegendes Verkehrs­gutachten für das gesamte Pachtobjekt wies für die Ackerflächen einen durchschnittlichen Hektar­betrag von 5.083 €/ha aus. Für die verbleibenden Ackerflächen (16 ha) einigten sich die Vertragspar­teien auf einen Verkehrswert von 5.527 €/ha. Gleichzeitig veräußerte die BVVG (…) weitere 591 ha mit einer durchschnittlichen Ackerzahl von 42 in derselben Gemarkung. Von dem Gesamtkaufpreis von (...) entfielen 2.722.529 € auf Ackerflächen mit einer Größe von 507 ha. Dies entspricht einem durchschnittlichen Hektarpreis von 5.369 €/ha. Gründe für die unterschiedlichen Ausgangswerte bei der Kaufpreisermittlung dokumentierte die BVVG nicht.
Die Beispiele zeigen, dass die BVVG die regionalen Wertansätze für den begünstigten Verkauf be­wusst niedrig ansetzt, um damit einen Flächenverkauf fast zum Nulltarif für wenige Begünstigte in Ostdeutschland zu erreichen. Gleichzeitig akzeptiert sie in den beiden Beispielen Mindereinnahmen für den Bund jeweils im sechsstelligen €-Bereich. Dies ist durch die Parallelverkäufe zum Verkehrs­wert bzw. durch vorliegende Richtwerte belegt.
Dazu kommt noch, dass es sich bei den landwirtschaftlichen Verkaufsflächen häufig um hoch arron­dierte Ackerflächen mit hoher Qualität handelt, deswegen, weil die 1945/46 enteigneten Güter häufig arrondiert waren und die Gunststandorte einnahmen, beides Faktoren, die die Verkehrswerte stark nach oben steigen lassen.
Es gab also einen begründeten Anfangsverdacht auf zu hohe Subventionierung beim begünstigten Verkauf, damit die wirtschaftliche Schädigung vieler Bauern, die von diesem Kauf ausgeschlossen sind, und eine Veruntreuung gegenüber dem Bund.
Doch wie ging die Staatsanwaltschaft mit dieser Strafanzeige der AbL aus dem März 2007 um? Sie stellte das Ermittlungsverfahren nach wenigen Monaten ein, mit der Begründung, dass die durchge­führten Ermittlungen nicht mit hinreichender Sicherheit ergeben hätten, dass die Beschuldigten sich strafbar gemacht hätten. Doch wie sahen die vermeintlichen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft in Berlin aus? Wörtlich heißt es dazu weiter: „ Zur Prüfung des Sachverhaltes ist das Bundesministeri­um der Finanzen (…) um Auskunft zur Bewertungspraxis der BVVG gebeten worden“.
Statt staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen in diesem Fall wurde allein die schriftliche Stellungnah­me ausgerechnet des Ministeriums, das von Anfang an die BVVG-Arbeit geleitet und verantwortet hat, für die Einstellung des Verfahrens als ausreichend angesehen.
Noch dazu kommt, dass die Stellungnahme des BMF mit der Verteidigung der Wertansätze der BVVG vom selben Sachbearbeiter verfasst wurde, der als Mitautor eines Arbeitspapiers des BMF (interne Anlage 8) festgestellt hatte, dass „die regionalen Wertansätze in der Vergangenheit dem Marktgeschehen nicht entsprachen“. Mehr noch, wie schon oben erläutert, ist im Arbeitspapier des BMF - Anlage 8 - klar vermerkt, dass nur auf dem Wege von Ausschreibungen und vergleichbaren Verkaufsverfahren der Verkehrswert bestimmt werden kann. In der Stellungnahme des BMF konn­ten die Fehler aus dem Bericht des BRH nicht gänzlich bagatellisiert werden, man schreibt dort von Einzelfällen. Das BMF wurde zu der Strafanzeige der AbL in Agrar Europe schon einen Monat, nach­dem die Strafanzeige gestellt wurde, so zitiert, dass es nur um Einzelfälle gehe. Das BMF konnte diese Aussage, die in der Stellungnahme für die Staatsanwaltschaft Berlin wieder auftauchte, allein aus zeitlichen Gründen nicht prüfen (s. dazu Gerke, 2008, S. 170 - 171).Um so wichtiger war es bei dem ersichtlichen Unwillen des BMF, Missstände im eigenen Verantwortungsbereich aufzudecken, dass die Staatsanwaltschaft Berlin selbst tätig wurde.
Die Beschwerde bei der Generalstaatsanwaltschaft Berlin wurde ebenfalls abgewiesen. Eine Über­prüfung der durch die BVVG abgewickelten Einzelfälle lehnte die Generalstaatsanwaltschaft „vor dem Hintergrund der Mehrdimensionalität der Zielvorgaben in Treuhandanstaltsfällen“ ab. Mit solch einer Begründung ist fast jedes staatliche Agieren legitimierbar, ist Misswirtschaft Tür und Tor geöff­net. Für eine deutsche Generalstaatsanwaltschaft ist dies eine bemerkenswerte Aussage.

Literatur
Bastian, Uwe (2003): Sozialökonomische Transformation im ländlichen Raum der neuen
Bundesländer. Diss. FU Berlin, Berlin.
Bauerkämper, Arnd, HRG. (1996): Junkerland in Bauernhand? Stuttgart.
Beleites M. et al., HRG. (2010): Klassenkampf gegen die Bauern. Berlin.
Gerke, J. (2008): Nehmt und euch wird gegeben. Das ostdeutsche Agrarkartell. Hamm.
Klüter, H. (2011): Ein Vergleich landwirtschaftlicher Strukturen Nordostdeutschlands mit
denen in Westdeutschland, Unabhängige Bauernstimme 9/2011.
Paffrath, C. (2004): Macht und Eigentum. Köln, Weimar und Wien.
Schöne, J. (2008): Das sozialistische Dorf. Leipzig.
Willgerodt, H. (1996): Die wirtschaftlichen Auswirkungen des Rückgabeverbots. In: Rechberg, HRG, Restitutionsverbot. München, Landsberg/Lech.

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