Opfer-Boni

So ungereimt wie ungeheuerlich mutet an, was man uns dieser Tage im Blick auf jene groß angekündigte Räumungsaktion nahe Calais an ´News´ zumutet.

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Unter der Überschrift `Flüchtlingscamp ist komplett geräumt´ feierte BILD-Online bereits eine Aktion, die von den üblichen Tumulten begleitet wurde und zuletzt im Flammeninferno endete. Vorbei ist das Drama damit keineswegs. Als echter Krimi geht es in die nächste Runde. Einmal mehr wortbrüchig, hielt der Deutschen liebstes Revolverblatt gestern eine neue Schlagzeile parat. ´Hunderte minderjährige Flüchtlinge irren noch umher´ hieß es nun auf einmal in nicht minder dicken Lettern. Auch die Süddeutsche publizierte einen entsprechenden Artikel. Die übrigen Leitmedien haben das Gerücht mittlerweile aufgegriffen und bestätigt. So schreiben also wie gehabt alle den hastig vorgekauten Fraß voneinander ab. Wie passt aber der solcherart herumgereichte Erguss zu dem in etwa zeitgleich durchgesickerten Gerücht, das Camp würde mit Baggern bereits ´restlos dem Erdboden gleich gemacht´? Der infolge Großbrand zur Ruinenenklave heruntergekommene Massenpfuhl nahe Calais wird, man lese und staune, bereits von den nächsten ´Neunankömmlingen´ in Beschlag genommen; dies laut Eilmeldung von gestern, die heute allerdings weder bestätigt noch wiederlegt worden ist, ja überhaupt nicht mehr aufgegriffen wird. Seltsam. Zu einer Räumung gehört eigentlich die lückenlose Sperrrung bzw. Abriegelung des ´befriedeten´ Gebietes. Auch die geplante Weiterführung bzw. Verteilung der ´Schutzbefohlenen´ scheint schief zu gehen: Die ersten tauchten bereits gestern in einem wilden Lager bei Paris auf, wo längst ein wirrer Klüngel fremdfinanzierter Nichtregierungsorganisationen residiert und entsprechend agitiert. Schande über die Grande Nation!

Es ist wirklich kaum zu fassen. Da duldet ein Staat wie Frankreich jahrelang eine Art kollektiven Hausfriedensbruch und garantiert jenen, die so tun, dennoch dauernde Hege und Pflege (die Genehmigung caritativer Fürsorge durch zahllose Hilfsorganisationen und recht dubiose NGO wird in Europa mittlerweile als selbstverständlich angesehen), aber etliche der so Umsorgten bedanken sich rückwirkend, gleich renitenten Intensivtätern, schon wieder mittels Randale und Sachbeschädigung (an immerhin zwanzig Stellen im Lager wurden Feuer gelegt). Kommt hier die Angst vor einer Abschiebung zum Ausdruck? Passende Erklärung – schlechte Entschuldigung. Diese Leute zeigen uns schon wieder sehr deutlich, was sie wirklich von uns halten und irgendwie kann man sich an einer Hand abzählen, was da in Zukunft noch auf uns – auf Europa – zukommen muss.

Der französische Staat hat de facto eine Art Amnestie erwirkt. Er bietet Straftätern freies Geleit und gewährt zu allem Überfluss jedem einzelnen eine angemessene Unterbringung nebst Versorgung. Kostenlos. Und auf Dauer. Voraussetzung bleibt, das den mit gehöriger Verspätung gestellten Anträgen auch statt gegeben wird. Die Bearbeitung entsprechender Unterlagen und Formulare kostet allerdings Zeit und Geld. Der Aufwand käme immerhin all jenen zugute, denen der Anspruch auf Asyl auch tatsächlich zusteht. Den so Umsorgten fällt dennoch nicht im Traum ein, auch nur ´merci´ zu sagen; nicht wenige brechen vielmehr erneut geltendes Recht. Sie alle beharren weiterhin darauf, zur ihren Clans und Sippen jenseits des Ärmelkanals weiterreisen zu dürfen. Ein Umstand, der denn auch nahezu gebetsmühlenartig, in ermüdender Folge als Universalerklärung feilgeboten wird. Das Totschlagargument lautet dann: die wollen doch nur weiter. So lasst sie doch endlich ziehen. Ja, wenn es im wirklichen Leben immer so einfach zuginge und vor allem: wenn das in dieser Einseitigkeit auch nur ein einziges Mal für uns alle gelten würde! Auch hier fehlt den wohlstandsatten Mitteleuropäern der bewährte Opfer-Bonus. Dass man die angeblich aus allen Wolken fallenden Dschungelbewohner von Calais jetzt so schnell wie möglich registrieren und verteilen möchte, wird von zahlreichen MenschenrechtsaktivistInnen als Freiheitsberaubung gewertet. Freilich unterzieht sich Frankreich der Widrigkeit einer solchen ´Massendeportation´ nicht einzig zwecks Demonstration eigener Staatsraison. Jenseits naheliegender Erwägungen wird hier im Ergebnis doch nur geltendem Recht, also: den Gesetzen genügt. Etliche der dauerhaft Umsorgten – recht eigentlich eher ´Sorgenkinder´- werden ohnehin dezent abtauchen um eventuell als Henker wieder in Erscheinung treten. Wenn in dieser oder jener Region das nächste Camp aus dem Kraut schießt, bewohnt von alten und neuen Bereicherungsmigranten, dann fängt das Spielchen halt von vorne an. Es hat sich längst herum gesprochen, dass der Opfer-Bonus wirklich jeden Rechtsbruch heiligt. Was auch immer sie noch (mit uns) vorhaben: Es wird uns teuer zu stehen kommen. Ob sich auch nur einer von denen, die en masse ganze Regionen in Geiselhaft nehmen je gefragt hat, was das für die ansässige Bevölkerung bedeutet? Im Falle Calais kam noch das Elend der Kraftfahrer hinzu, aber was zählen deren Malaisen schon im Vergleich zu denen, die man uns vor den Bildschirmen zwecks Auslösung des Spendenreflexes in ermüdender Folge vorführt. Steter Tropfen höhlt den Stein.

Sicher: Mit solchen Aussagen macht man sich verdächtig. Die eigentlich Verdächtigen sind damit umso feiner raus. Jene also, die jedes Hausrecht mit Füßen treten, indem sie Unterkünfte, die man ihnen großzügig zur Verfügung stellt, kurzerhand niederbrennen; wohl wissend, dass damit Menschen in Lebensgefahr gebracht werden. Natürlich mag sich die Öffentlichkeit nicht mehr allzu lange mit der Frage auseinander setzen, was denn nun wirklich in den vergangenen Tagen und Nächten in der Nähe von Calais geschah. Das alles beherrschende Mantra – wer residiert demnächst im Weißen Haus? – bannt nahezu alternativlos die Aufmerksamkeit einer leicht entflammbaren Öffentlichkeit, die nur noch nach geblähten Sensationen giert; mit Augenmerk auf Tratsch – und klatschtriefende Details. Derlei Rotz und Kotz gärt natürlich nicht ewig. Eine Schlagzeile jagt ja die nächste; im Wechselspiel der Konjunkturen. Im Blick auf zukünftige Terroranschläge mögen die Ereignisse im Camp posthum gehäuften Kavaliersdelikten gleichen, falls man sich ihrer dann überhaupt noch entsinnt, aber tatsächlich hat sich auch hier schon eine Art Terror ausgetobt. Die Situation, ohnehin angespannt genug, war zuletzt bitterernst und drohte stündlich zu eskalieren.

Entwarnung darf auch weiterhin nicht gegeben werden. In vielen Zelten, so BILD, liegen noch immer tausende (!!) Gasflaschen herum, die leicht explodieren können. Was gerne unterschlagen wird: Schon am Dienstagabend und in der Nacht auf Mittwoch hatte es mehrere Brände in dem Flüchtlingslager gegeben. Dabei explodierten auch schon mehrere dieser Gasflaschen. Einige von den ´Zeitbomben´ haben Helfer mittlerweile sicher stellen können. Sie löschten auch schon die ersten Brandherde; wohl wissend, dass ihnen jederzeit der ganze Krempel qua Entladung um die Ohren fliegen kann. Feuerwehrleute, die endlich mit Verspätung am Tatort erschienen, wurden von Flüchtlingen mit Steinen beworfen und entkamen nur mit Hilfe einer Polizeieskorte. Offenbar kennzeichnen Vorfälle wie diese einen Ausnahmezustand, für den man unbedingt Verständnis aufbringen muss, will man auch weiterhin zu den Guten zählen. Je rabiater sich der Mob gebärdet, umso empathischer hat man ihm zu begegnen. Die für Calais zuständige Präfektin Fabienne Buccio sprach denn auch sehr passend von einer ´Tradition bestimmter Gruppen, ihre Unterkünfte vor dem Aufbruch zu zerstören´. Damit ist der Fall weniger geklärt, mehr auf die übliche Weise erledigt worden. Wenn gemeingefährliche Rechtsbrüche in Traditionen umgelogen werden, dann kann von der lästigen Strafverfolgung wohl ganz abgesehen werden. Mangels Einspruch fällt das ohnehin nicht weiter auf. Mir ist bislang noch nicht zu Ohren gekommen, dass die menschenverachtenden, immer wieder neu entfachten Traditionen, auch nur ein einziges Verfahren nach sich gezogen hätten. Hier gilt eher ein unter der Hand vereinbarte Grundsatz: Bloß weg mit denen, dann wird man weiter sehen. Dem geneigten Leser mag vielleicht bekannt sein, dass ein vornehmlich in Deutschland beheimatetes Anwaltskartell pünktlich zu Räumungsbeginn den ´Tatort´ besichtigte, um mögliche ´Übergriffe´ zu dokumentieren. Sie ahnen auch so, welche nur gemeint sein können: unverhältnismäßige Härten seitens der Beamten, die natürlich genau wissen, dass jede ihrer Handlungen von einer sensationsgeilen Meute verfolgt und dokumentiert werden. Im Unterschied zu denen, die unbekümmert ihre Traditionen feiern, müssen sie bei möglichen Vergehen damit rechnen, umgehend vor den Kadi gezerrt zu werden. Da wird auf jeden Handgriff geachtet. Hier winken keine Boni mehr. Entsprechend vorsichtig gingen und gehen Sicherheitskräfte heute vor. All jene, die jetzt mittels koordinierter Brandanschläge ihren traditionellen Abschied feierten, wissen auch so, dass man in ihrem Falle nicht so genau hinschaut. Sollte das doch einmal geschehen, kann man die Delikte als ´Widerstand´ oder, noch besser, als ´Verzweiflung´ auslegen. Und entsprechend nachverhandeln. Die Widerständler nehmen, so steht zu vermuten, menschliche Kollateralschäden nicht einzig in Kauf; aus Kalkül forcieren sie dieselben noch. Noch so ein Verdachtsmoment, das gerne totgeschwiegen wird.

Immerhin trauen sich noch einige wenige, in dieser Sache unbequeme Fragen zu stellen. Der heruntergekommene Kampagnen, – und Schlagwortejournalismus unserer Tage hat noch nicht zur Gänze vermocht, kritische Stimmen mundtot zu machen. Steffen Munter von Epoch Times: “Wer sind diese Leute, die für lange Zeit im provisorischen Flüchtlingscamp von Calais, „Dschungel“ genannt, hausten und jetzt in Frankreich verteilt oder aber nach Deutschland zurückgeschickt werden? Man weiß es nicht. Doch Chorknaben dürften es eher nicht sein.“ Unter der Überschrift ´Vergewaltiger, Räuber und Zufluchtsuchende´ notiert Munter ferner: “Wie die französische Staatsanwaltschaft laut Daily Mail berichtete, soll am Dienstag eine junge äthiopische Frau von fünf Flüchtlingen vergewaltigt worden sein.“ Für Calais kein Einzelfall, wenn man sich einige Ereignisse der letzten Tage dort vergegenwärtigt. Am vergangenen Wochenende erklärte ein Sprecher der Hilfsorganisation „Auberge des migrants“ gegenüber Sputnik News: „Zwei Journalisten, die derzeit im Lager arbeiten, sind von Einwohnern des Camps beraubt worden.“ Den beiden deutschen Frauen wurden die Handys mit Gewalt entrissen. Zuvor vergewaltigte ein Afghane eine Dolmetscherin beim Dreh einer Reportage über minderjährige Migranten vor den Augen des Fernsehreporters. Die afghanischstämmige Paschtu-Dolmetscherin war in der Nacht auf Montag, den 17. Oktober, mit dem Journalisten im Flüchtlingslager unterwegs, als sie von drei Afghanen angegriffen wurden, die es auf die Ausrüstung des Reporters abgesehen hatten, so die Nachrichtenseite nach Meldungen von AFP und der französischen Staatsanwaltschaft. „Dann zog einer der Männer sein Messer und zwang die 38-jährige Dolmetscherin zum Sex. Währenddessen hielten die anderen beiden Afghanen den 42-jährigen Journalisten fest. Die Täter entkamen.“

Nennen sie mir mal einen deutschen TV-Sender, eine einzige große deutsche Zeitung, die auf ´Ereignisse´ wie diese auch nur am Rande eingehen wird; von den übrigen Üblich-Verdächtigen einmal abgesehen, die immer dann lamentierend in Erscheinung treten, wenn sie sich und ihres gleichen als Schutzpatrone der Entrechteten und Unterdrückten feiern können. Entsprechende Anlässe lassen sich dann zur Not auch an den Haaren herbeiziehen. Ein ´Versteher´ wird den von Munter festgehaltenen ´Ereignissen´ ohnehin jeden Rang absprechen, denn es handelt sich qua unausgesprochenem Dekret immer um bedauernswerte Ausnahmen, die eine ganz bestimmte Regel zu bestätigen haben: Hier handeln Menschen, die einfach nicht mehr weiter wissen. Ich denke, da treffen wir uns mit ihnen – wir wissen mittlerweile auch nicht mehr, wie lange das noch so weiter gehen soll.

Freilich: Nicht jedem winkt der Opfer-Bonus. Werfen glatzköpfige Spinner oder durchgeknallte Kleinbürger Brandsätze auf unbewohnte oder bereits belegte Unterkünfte, geht ein tobsüchtiger Aufschrei durch die Presse. Zu den Vorfällen rund um das Dschungelcamp schweigen sich dieselben Herrschaften stur aus. Derlei taktisch justierte ´Aussageverweigerung´ kontrastiert zur üblichen Redseligkeit unserer ´Gutmenschen´, die wie geschmierte Kronzeugen die passenden Anlässe abwarten, um dann den Kanon auswendig gelernte Floskeln unters Volk zu brüllen. Wenn verzweifelte Flüchtlinge gemeingefährlich werden, wird ihnen das im Unterschied zur rechten Mischpoke gern von all denen nachgesehen, die es mit dem genauen Hinsehen nur in den von ihnen ausgesuchten Fällen wirklich ernst nehmen. Rechtswidrige Handlungen, die uns allen mehrjährige Haftstrafen oder horrende Geldbußen einbrockten, werden selektiv behandelt. Folgen Täter besagten Traditionen, folgt umso schneller der Rattenschwanz an Erklärungsversuchen und Beschwichtigungen seitens derer, die hier dauernd die Deutungshoheit für sich beanspruchen. Am blöden, gemeinen Volk vorbei. Sicher: Von denen, die illegal vor Calais campierten, haben die Wenigsten ihrem Unmut so direkt und eindeutig Luft gemacht wie jene, die längst wissen, dass man ihnen im Zweifel alles nachsieht. Nicht wenige von Ihnen zählen übrigens zu denen, die von der italienischen Küstenwache bei ihrer waghalsigen Fahrt über das Mittelmeer vor dem Ertrinken gerettet wurden. Einmal waren es sogar 6500 an einem einzigen Tag. Mittelitalien, erneut von einem schweren Erdbeben erschüttert, hätte jetzt eine ähnliche Solidarität verdient wie all jene, die von seinen Landsleuten in den letzten Jahren vor dem Massengrab Mittelmeer bewahrt wurden. Frage: Scheren sich verzweifelte Flüchtling eigentlich um das Leid derer, die ihnen trotz aller Schwierigkeiten immer wieder Obdach und Hilfe gewähren? Verschwenden sie also, bestens informiert, auch nur einen einzigen Gedanken an die über Nacht obdachlos geworden Italiener? Wer diese Frage als Affront wertet und meint, die gehöre nun wirklich nicht hierher, hat nichts begriffen. Viele von denen, die ständig unser Mitleid herausfordern, fordern in Wahrheit unser verbliebenes, stündlich schwindendes Selbstverständnis heraus: über Machtfragen, deren Beantwortung wir uns solange verkneifen, bis die geronnene Wirklichkeit sie endgültig überflüssig gemacht hat.

Erstellt von Shanto Trdic, 30.10.16

Zuerst erschienen unter https://numeri249.wordpress.com/2016/10/31/opfer-boni/

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