Operation gelungen, Patient tot?

In der Debatte um Missbrauchsopfer dominieren zunehmend Ignoranz und Diffenzierungsverbote. Die einzig verbliebene Gegengesellschaft soll auf den Pfad der moralischen Anspruchslosigkeit gezwungen werden.

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Der Laie staunt, der Fachmann wundert sich, täglich herrlicher werden die Zeiten. Im Minutentakt lassen sich Meinungen in die Welt hinaus trompeten, die ohne Gedankenarbeit aus dem Griffel perlen. Bisher war es so: Man hat eine Ahnung und eine Absicht, aber partout keinen Schimmer. Also muss man mit Leuten reden, die sich auskennen, muss durch Bücher sich quälen, denken, formulieren, überdenken, und am Ende bleibt dann vielleicht von der ganzen schönen Absicht ein Schweigen. Man hat sich geirrt, nun weiß man es besser. Riskant ist das Denken auf eigene Rechnung.

Wie anders geht es heute zu. Das Denken lähmt nicht das Reden, wunderbar leicht, losgekettet von jeglichen Gedankens Schwere, hat das Plappern befreiende, ja moralische Kräfte. Ein Wort, das auf absolut verwerfliche Umstände deutet, hat das Reden entriegelt: Missbrauch. Weil eben jener sich in katholischen und evangelischen und säkularen Bildungseinrichtungen ereignet hat, vor allem aber offenbar in römisch-katholischen, darf nun jeder und jede der Rechthaberei die Zügel schießen lassen.

Eine Zeitung titelte: „Kirche in ihrer schwersten Krise“. Ergo waren die Kirchenspaltungen von 1054 und 1517 heitere Randnotizen, ergo sorgten auch Kreuzzug und Dreißigjähriger Krieg für Kriselchen, allerhöchstens. Eine andere Zeitung forderte, überführte Priester dürften keine Priester mehr sein – als ließe sich das Weihesakrament, das eben mehr ist als ein unverbindlicher Berufseinstieg, abwaschen. Der neckischste Witz aber gelang jener Agentur, die eine Meldung mit der Zeile überschrieb: „‘Wir sind Kirche‘ setzt Papst Benedikt unter Druck“. Bekanntlich handelt es sich bei dem als „Basisbewegung“ titulierten Verein um einen Seniorenlesezirkel, der sich an den Stellungnahmen seines Sprechers Christian Weisner und dessen politischer Theologie erfreut. Ähnlich ernsthaft wäre eine Schlagzeile der Art, „Gemeinderat von Neutraubling fordert Barack Obama zum Rücktritt auf.“

Auch der kaschubische Großdichter Günter Grass weiß, was die Stunde geschlagen hat. Die katholische „Sündenauffassung innerhalb des Sexualbereiches, diese Verklemmtheit“ habe „Fälle zur Folge, wie sie jetzt ans Licht kommen“. Der Erwerb etwa eines Handbuchs theologischer Fachbegriffe oder des Katechismus sei dem Pfeifenschmaucher und Potenzlyriker empfohlen. Und hätte nicht ein festeres Bewusstsein der eigenen Sündenhaftigkeit, eine stabilere Sexualmoral manchen Kleriker vor Abirrungen bewahren können?

Eine Gesellschaft, die jede Hoffnung auf Lauterkeit aufgegeben hat, weil sie selbst sie nicht durchhält, will die einzig verbliebene Gegengesellschaft auf den Pfad der eigenen moralischen Anspruchslosigkeit zwingen. Die Wegweiser sollen fallen, weil man selbst gerne querfeldein unterwegs ist, die Ampeln und Stoppschilder verschwinden, weil man selbst gerne tüchtig auf die Tube drückt. Da soll nichts mehr sein, was das Ich hemmen könnte in seinem Drange.

Keine Frage: Jedes einzige Vergehen ist eines zu viel, jede einzige Untat verlangt nach Recht und Sühne, nach Reue und Bestrafung. Wer lügt, trickst, vertuscht, der potenziert das Leid, der wird zum Handlanger des Bösen, der schließt sich selbst aus jener Gemeinschaft aus, der er formal noch angehört. Die inflationäre Rede aber vom Missbrauch hat längst missbräuchliche Züge. Das Wort wird Tabuwort, das zudeckt, nicht aufdeckt. Es bündelt einerseits viel zu viele verschiedengestaltige Phänomene, als dass es erklärenden Charakter hätte.

Andererseits trägt es eine Unwucht in sich. Was nämlich wäre sein Gegenstück? Wenn der Missbrauch von Menschen – woran kein Zweifel besteht – schlecht ist, wäre dann der Gebrauch gut? Kann man Menschen gebrauchen oder missbrauchen, je nach dem Stand des eigenen ethischen Projekts? Sind beides also relative Größen, die auf einen mal mehr, mal weniger angemessenen zwischenmenschlichen Umgang deuten?

Nein. Menschen sind keine Sachen, auch der Gebrauch wird ihnen nicht gerecht. Das Chiffrewort ist Ausdruck eines falschen Denkens. Es muss für Schuldzuweisungen und Differenzierungsverbote herhalten, weil es unschicklich scheint, eine böse Tat als böse auszusprechen. Das ungeachtet aller Umstände Böse, das in sich Böse, mit dem die Täter, christlich gesprochen, sich ihr eigenes Gericht bereiten, soll mit ein und demselben Ersatzwort relativiert und perpetuiert werden. Die böse Tat wird zum „Missbrauchsfall“ umetikettiert und damit zum rein säkularen Phänomen. In den Kernbereich des Christlichen, den Umgang mit Schuld, Sühne und Vergebung vor Gott, will die Diesseitsmoral eindringen.

Die Lektion soll lauten: Eine solchermaßen entkernte Religion braucht kein Mensch, ja darf kein Mensch mehr brauchen. Wir, die mobile Einsatztruppe des richtigen Verhaltens, müssen am moralischen Herzen dieser Sinnstiftungsagentur operieren, um Schaden von der Welt abzuhalten. Die Operation gelänge, wenn der Patient stürbe.

Es liegt nun an den Christen selbst, ob sie diese Angriffe im Gewand des Heilens und Helfens ebenso mutig wie selbstkritisch parieren. Sonst gibt es eine Alternative weniger zu den Dogmen der Diesseitigkeit und den Gelübden der Selbstverdummung.

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Freidenker

Wer irgend einer Art von Religion zur Stütze seiner Sittlichkeit bedarf, dessen Moralität ist nicht rein, denn diese muss ihrer Natur nach in sich selbst bestehen. (Karoline von Günderrode)

Gravatar: Bernd

Ignoranz und Differenzierungsverbote????
Das darf nicht sein! Hier einige Hinweise zur Aufklärung. Die Konsequenz muss jeder selbst ziehen!
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Die katholische Kirche war noch nie das, wofür sie sich immer wieder ausgab: Der Heilsbringer, der die (wahre) Lehre Jesu Christi den Menschen nahebringt, sie verständlich macht und vor allem - selbst lebt! Erst wenn Menschen begreifen, dass sie seit 2000 Jahren von dieser irdischen(!) Machtorganisation, die das Christentum lediglich zur Ausübung und Erhalt ihrer Macht und zur Unterdrückung der Menschen(seelen) benutzt, dann können sie sich selbst befreit mit dem Sinn des Christentums und der Aufgabe und dem Auftrag von Jesu Christi befassen. Da aber die katholische Kirche stets den primitiven Egoismus der Menschen anspricht und ihn fördert - "wer uns (Kirche, Papst und Gefolge) folgt und an uns glaubt, (nur!!) der kommt in den Himmel usw. ...", und wer will das schon nicht?? - beweist sie, dass sie es nicht ehrlich meint. Ihre Methoden, die Seelen zu fangen und an sich zu binden, werden von Jahrhundert zu Jahrhundert immer raffinierter. Es gibt keine Organisation, dazu zählen insbesondere auch die Massenmedien, einschließlich zahlreicher Regierungen in aller Welt, wo nicht ihre Mitglieder (meist als höchst geschulte Jesuiten) heimlich (und unerkannt) eingeschleust sind und der Zentrale, dem Vatikan, vom "Stand der Dinge und Pläne" berichten oder aktiv mitgestalten in ihrem Sinne. Es geht ausschließlich dem Vatikan - sprich katholische Kirche - um Macht, Macht, Macht und dazu braucht sie Geld, Geld, Geld. Erst kürzlich wurde in der Presse berichtet, dass der Vatikan, der schon nicht mehr weiß, wo er sein vieles Geld noch anlegen soll, sogar Aktien von Rüstungskonzernen und sogar von Kondomfabriken besitzt. Scheinheiliger kann es nicht mehr zugehen.
Nachdem 10.000de von unschuldigen Kindern in den USA sexuell von katholischen Priestern jahrelang missbraucht wurden, griff endlich der Staat, d.h. staatliche Gerichte drastisch durch (und nicht die alles vertuschende kirchliche Aufsicht), und verhängte horrende Geldstrafen jeweils in Millionenhöhe. Viele katholische (reiche) Gemeinden gingen dann Konkurs. Und nur diese Sprache versteht diese Kirche des äußerlichen Christentums. Und darum liest man im Internet mehr als 100.000 Einträge, dass der Vatikan Zentrum des Antichristen ist und wo der Papst als Maffiaoberhaupt bezeichnet wird - der im übrigen noch nie einen der vielen katholischen (!) Maffiamassenmörder exkommuniziert hat, auch das ist sehr aufschlussreich. So groß ist die Wut der enttäuschten zahllosen ehemaligen Anhänger dieser Kirche.

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