Nur ein Grund von vielen

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Als Jennifer Pederson-Giles vor sechs Jahren damit anfing, ihren Sohn Westen zuhause zu unterrichten, benötigte er intensivere Betreuung, als die reguläre Schule sie gewährleisten konnte. Inzwischen befaßt der Achtkläßler sich mit Sprachstudien, Musik und Kunst, Geometrie, Literatur und Weltreligionen – in seinem Zuhause in Arizona, USA.

In der Tat waren es nicht religiöse Überzeugungen, deretwegen seine Mutter sich für Hausunterricht entschied. Damit steht sie nicht allein da. Dem US-Zentralregister für Bildungsstatistik zufolge ist der Anteil von Eltern, die “religiöse oder moralische Unterweisung” als Hauptgrund für ihren Hausunterricht anführen, von 36 Prozent im Jahr 2007 auf gerade einmal 16 Prozent während des Schuljahres 2011-12 gesunken.

“Früher mußte man Mut besitzen, wollte man seine Kinder zuhause zu unterrichten,” sagt John Edelson, Gründer und Vorstand von “Time4Learning”, einem Vertreiber von Lehrplänen für Hausunterrichter. “Damals mußte man eindeutig gegen den Strom schwimmen. Die eigene Schwiegermutter reagierte verständnislos, die Nachbarn schüttelten den Kopf, die Polizei würde einen am hellichten Tag aufgreifen und fragen, was man da macht.”

Hausunterricht wird salonfähig

In dem Maße wie ‘Homeschooling’ salonfähig wird – drei Prozent aller amerikanischen Schüler zwischen 5 und 17 werden zuhause unterrichtet, eine Steigerung gegenüber 2,2 Prozent in 2003 – führten die meisten Eltern das Umfeld der öffentlichen Schulen (25 Prozent), nicht religiöse Gründe, als Hauptanlaß an, sich für Bildung zuhause zu entscheiden. Edelson sagt daß nicht die Anzahl an Hausunterricht-Familien aus religiösen Motiven abgenommen habe. Dagegen habe der Anteil derer, die dies an erster Stelle nennen, gegenüber Eltern abgenommen, die aus unterschiedlichen anderen Gründen Hausunterrichter werden.

“Angenommen, man ist bei irgendeiner Art von Feier und man äußert: ‘Ich bin im Hausunterricht-Geschäft,” dann melden sich alle diese Frauen zu Wort und sagen: ‘Oh, wir haben auch zuhause unterrichtet,’” sagt Edelson.

Brian Ray, Vorsitzender des ‘National Home Education Research Institute’, einer gemeinnützigen Organisation, die das Thema wissenschaftlich untersucht, sagte, daß die vielen Jahre, in denen Studien zu häuslichem Unterricht durchgeführt worden sind, zu seiner zunehmenden Akzeptanz geführt habe.

Schulversagen läßt Eltern Alternativen suchen

“In den Anfangstagen der modernen Hausunterricht-Bewegung mußten Eltern sehr an das hingegeben sein, was sie taten, denn Hausunterrichter waren eine winzig kleine Minderheit in der Öffentlichkeit,” sagte Ray.

Gretchen Buck, Leiterin und Herausgeberin der ‘Global Village School’, des Hausunterricht-Lehrprogramm, das Pedersen-Giles benutzt, sagte, daß die Nachfrage nach Hausunterricht in dem Maße steige, wie die öffentliche Schule versage. Viele Eltern mögen nicht das Übergewicht standardisierter Tests; andere nehmen ihre Kinder wegen Mobbing aus der Schule.

Wieder andere, wie Pedersen-Giles, wissen, daß ihre Kinder Schwierigkeiten haben, längere Zeit am Schreibtisch still zu sitzen.

“Ab der dritten Klasse ging es in der Schule mehr um Leistungsstandards mit dem Schwerpunkt darauf, daß das Kind sich der Situation im Klassenzimmer anpaßt”, sagte sie.

“Um Westens individuelle Bedürfnisse kümmerte sich niemand mehr. Es wäre nicht sehr schwer gewesen, die Dinge zu ändern. Doch nach vergeblichen Aufrufen an die Lehrer war mir klar, daß ich selber diese Änderung herbeiführen müßte.”

Breiteres Spektrum von Lernprogrammen

Das steigende Interesse an Hausunterricht bei nicht-religiös motivierten Eltern schlägt sich im Bedarf nach Lernprogrammen nieder.

“Eine Menge Leute, die sich bei uns melden, suchen eine Alternative zu den vielen ausgesprochen christlichen Homeschooling-Lernprogrammen, die im Umlauf sind. Diese entsprechen nicht ihren Vorstellungen”, sagte Buck, “sie wollen säkularen Hausunterricht, oder einfach allgemein Nicht-Religiöses.”

Im Fall von Pedersen-Giles fühlt deren Familie sich keiner bestimmten Religion zugehörig. Zwar bespricht sie häufig Weltreligionen mit ihrem Sohn, sagt jedoch, daß er frei sei, sein eigenes Glaubenssystem zu wählen.

Edelson sagt daß es grundsätzlich drei Arten von ‘Homeschoolern’ gebe: solche, die aus religiösen Gründen ihre Kinder zuhause unterrichteten; die “Freigeister”, die das öffentliche Schulsystem als solches ablehnten; und die “zufälligen Hausunterrichter”, die feststellen, daß ihre Kinder in der herkömmlichen Schulumgebung nicht vorankommen.

“Ein Teil dieser Entwicklung rührt von der Enttäuschung mit den Schulen her”, sagt Edelson. “Wenn wir bessere Schulen hätten, wenn die Schulen nicht so chaotisch wären und Probleme mit Lernstandskontrollen und Geldmitteln hätten – das ist eines der Dinge, die die Hausunterricht-Bewegung antreiben.”

Beitrag erschien zuerst auf: derblauebrief.net

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: B. K.

Ja, das wäre schön, wenn befähigte Eltern außer ihren eigenen Kindern auch andere unterrichten könnten. Ich fürchte allerdings, dass hier das Gesetz endgültig einen Strich durch die Rechnung macht.
Aber Grundschulwissen zu vermitteln, ist für viele Eltern durchaus möglich, und für die Kinder ist es ein Schatz fürs Leben. Viele beherrschen ja bei Schulabschluss kaum mehr das Lesen, Schreiben und Rechnen. Bis zu diesem Zeitpunkt müssen die Eltern ja nicht unterrichten. Jedes Jahr allerdings, das sie ihren Kindern schenken, ist ungeheuer wertvoll.

Gravatar: MicroHirn

Die dazu befähigten Eltern können ja mehr als nur ihre eigenen Kinder unterrichten.
Außerdem wird es angesichts der unterschiedlichen Fächer sowieso Kooperationen geben, denn nicht jeder ist versiert in allen Unterrichtsfächern.

Gravatar: Ulli

Das mag sein. Müssen deshalb aber auch Kinder zur Schule gezwungen werden, deren Eltern dazu fähig wären? Immer wieder lese ich von erstaunlichen Erfolgen des Hausunterrichts, der von politischer Seite aber offensichtlich unerwünscht ist. Wie dumm!

Gravatar: Thomas Rießler

Es wäre interessant, mal einen Einblick in die angesprochenen Lehrpläne für Homeschooler zu bekommen und einen konkreten Erfahrungsbericht von Eltern zu lesen, die ihre Kinder zuhause unterrichten. Vielleicht bekommen dann noch mehr Leute Appetit auf Homeschooling. Die ständigen Meldungen über Erzwingungshaft und Kindesentzug wegen Homeschooling in Deutschland schrecken die Leute dagegen eher ab, sich mit dem Thema in einer positiven Form zu beschäftigen.

Gravatar: Freigeist

Es bleibt leider dabei. Der Großteil der Eltern ist total unfähig, Kinder zu unterrichten.

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