Die Gierigen, das sind stets die anderen
Die Tatsache der Nichtzuständigkeit seitens Amtspersonen und Funktionsträgern wird dem beschwerdeführenden Bürger schmerzhaft bewußt, sobald er sich anschickt, einen Mißstand anzuzeigen beziehungsweise bei staatlichen Behörden um Hilfe und Klärung einer öffentlichen oder privaten Angelegenheit anzusuchen. Ihm präsentiert sich ein Gewirr unübersichtlicher Instanzen, deren Vertreter sich zwar formal und unter großem zettelwirtschaftlichen Aufwand seiner annehmen, deren Zuständigkeit aber unvollkommen ist, wenn es darum geht, eine praktische Veränderung zu erwirken. Der hilfesuchende Bürger gerät in die Endlosschleife mitleidloser bürokratischer Maßnahmen. Er stellt fest: niemand ist verantwortlich. Die Bürokratie ist zum teuer bezahlten Selbstzweck mutiert.
Die wahren Entscheidungsträger sitzen hinter den Kulissen. Verborgen vor den Augen der Öffentlichkeit regieren im Schatten der Bürokratie die alles andere als demokratischen Könige und Fürsten. Die „Volksherrschaft“ erlaubt es ihnen, sich selbst als Auftraggeber unsichtbar zu machen. Vom Personal lassen sie sich die Rosinen aus dem Wohlstandskuchen herauspicken. Mit treuherzigem Augenaufschlag versichern sie, wobei sie nicht einmal die Unwahrheit sagen: Ich war es nicht! Ich trage keine Verantwortung am leergepickten Kuchen! Fehlende Haftung ist ein Mißstand, welcher in Zeiten wirtschaftlichen Niedergangs schmerzlich wahrgenommen wird. Die Vorteilsnehmer der Krise geraten unter Generalverdacht der Unsittlichkeit. Ihr angeblich mieser Charakter wird lauthals beklagt. Das ist zu kurz gedacht und führt obendrein in die Irre. Nach den wahren Ursachen gesellschaftlicher Verirrungen wird nicht gesucht, wenn der angebliche Sündenbock bereits am Pranger steht.
Seit Menschengedenken ist der Mensch in seiner sittlichen Ausstattung derselbe, das lehrt uns die Bibel. Die einzig wirkungsvollen Schranken seiner Nutzorientierung finden sich in den Rahmenbedingungen, die ihm Natur und Gesellschaft setzen. Wozu auch immer er imstande ist, das wird er auch durchführen. Der Druck, es zu tun, kommt oft auch von außen. Er wird um so größer, je größer die Menge der Konkurrenten ist, die potentiell dasselbe zu tun imstande sind. Diesen Umstand verdrängen jene, die mit moralischen Verbalkeulen hemmungslos auf Mitmenschen losgehen, deren Lebensbedingungen und Handlungsmotive sie weder kennen noch kennen wollen. Jeder möge sich fragen, ob er selbst bescheiden im Hintergrund darben würden, wenn am Buffet eine begrenzte Menge an Köstlichkeiten angeboten wird.
Die Bereitschaft zu nehmen, was man kriegen kann, ist in jedem Menschen vorhanden. Daß er dann tatsächlich nehmen kann, was er nicht nehmen sollte, ist nicht seine Schuld, sondern ein Fehler im ungeordneten System. Unter den Bedingungen einer „vaterlosen Gesellschaft“ (Mitscherlich) entsteht eine unglückliche Konstellation, an der sich alles Handeln ausrichtet, weil es dem gesellschaftlichen Druck gehorchen muß. Wollen, Wünschen und Sollen vermögen nichts auszurichten. Wer stehenbleibt, den überrollt das Geschehen. Mark Twain spottete einst: „Man kann nicht erwarten, daß ein rundlicher Mann gleich in ein viereckiges Loch paßt. Man muß ihm Zeit geben, sich anzupassen.“ Nun paßt sich der eine rascher an als der andere. Es kommt ganz darauf an, welche Konsistenz ein Körper hat. Wasser ist zum Beispiel ein Element, das keine Sekunde zögert, seine quaderförmige Gestalt in eine zylindrige umzuformen, sobald es von einem viereckigen Gefäß heraus und in ein rundes hineinfließt. Personen, die sich im „Wassertempo“ anpassen, haben in der Gesellschaft stets die besten Chancen. Ob es die Anpassungen dem Gemeinwohl bekommen, ist eine gänzlich andere Frage. Jede Ordnung gehorcht naturgesetzlichen Eigenheiten. Deshalb ist es nicht gleichgültig, durch welche „Form“ unser Zusammenleben im staatliches Gemeinwesen zusammengehalten wird. Die aktuellen Rahmenbedingungen bringen dem, der persönliche Verantwortung zu tragen bereit ist, nichts als Nachteile. Verantwortungsvermeidungsstrategie ist deshalb das Rezept der gut Angepaßten. Niemand ist daran gehindert, es ihnen gleichzutun. Die Wut auf jene, denen damit Erfolg beschieden ist, ist nichts als Ausdruck des Ressentiments der Ohnmächtigen und Erfolglosen.
Die unsichtbaren Herrscher
Demokratie als Regierungsform wird schon allein deshalb Prinzipien- und Charakterlosigkeit fördern, weil sie in vielen Lebensbereichen keine offen und mutig praktizierte Letztverantwortung verlangt. Verantwortung ist an das Individuum, den einzelnen, Menschen, gebunden. Nur formal trägt das Volk als Souverän Verantwortung. Echte Verantwortung ist geknüpft an Eigentum. Eigentum und Verantwortung sind die beiden Seiten einer Medaille. Eine Gesellschaft, deren Verfassung Freiheit und Eigentum des Einzelnen achtet und schützt, hat keinen Mangel an Verantwortungsträgern. Um diesen erwünschten Zustand zu erreichen, müssen wir Abschied nehmen vom Mythos der Gleichheit aller. In der Massendemokratie moderner Prägung herrscht nicht das Volk, sondern die Anonymität. Verhältnisse sind nicht transparent, sondern verschleiert. Die eigentlichen Herrscher in der Demokratie tun so, als ob sie gar nicht herrschten. Diese Scheinheiligkeit ist der eigentliche Skandal – um so mehr, als es kaum noch jemand gibt, dem es gelingt, das Spiel zu durchschauen. Einige wenige sind es, die der Masse die Richtung vorgeben. Niemals zuvor war deren Möglichkeit zu herrschen unbeschränkter als heute, da sie anonym befehlen. Eine wirksame Kontrolle des Volkes gegen Ausbeutung und Machtmißbrauch durch staatliche Einrichtungen kann nur in einem Gemeinwesen praktiziert werden, das auch nach außen hin sichtbar zeigt, wer das letzte Wort hat. Die Massendemokratie ist die größte politische Illusion aller Zeiten. Es wäre höchste Zeit, daß diese romantische Legende ihrer bloß angedichteten Prachthüllen vor unser aller Augen entkleidet wird.
Kommentare zum Artikel
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Das ist ein wegweisender Artikel, liebe Frau Pfeiffer-Stolz.
Die Zukunft der Demokratie liegt in den kleinen Einheiten, die Verantwortung personalisieren und fassbar machen.
Hierzu sei die Lektüre Erik Maria Ritter von Kuehnelt-Leddihns und Hans-Hermann Hoppes empfohlen. Man geht aus dieser Lektüre dergestalt heraus, dass die Konzepte der klassischen deutschen Reichsidee, wie auch des friederizianischen Preußentums wegweisend für die Zukunft der deutschen Kultur sein können.
Das Konzept der herrschenden Sozialdemokratie war notwendig, aber es ist verbraucht, hat seine historische Grenznutzungsdauer erreicht.
Die Zukunft liegt in der staatlichen (deutschen) Vielfalt, die Alternativen vom kommunistischen Saarland und Brandenburg bis zum libertären Hessen und Schleswwig-Holstein bietet.
Sehr geehrte Frau Pfeiffer-Stolz,
Sie haben "unser" System der organisierten Verantwortungslosigkeit sehr gut auf den Punkt gebracht, Vielen Dank! "Ich übernehme die Verantwortung" bedeutet heute zumeist bloß, bei vorzüglicher Pension in den Ruhestand zu treten.