No Fly List: Eine Million potentielle Denunzianten

Immer wieder landen harmlose Personen auf der No Fly List und ähnlichen Beobachtungslisten staatlicher Sicherheitsbehörden? Eine Handhabe dagegen gibt es kaum. Eine Möglichkeit, wieder gestrichen zu werden, ist der Spitzeldienst.

Veröffentlicht:
von

Abe Mashal fiel aus allen Wolken. Als der 31-jährige Trainer für Begleithunde im April 2010 sein Flugticket am Chicagoer Flughafen Midway buchen wollte, sah er sich plötzlich einem guten Dutzend Sicherheitskräften von FBI, TSA und lokaler Polizei gegenüber. „Sie stehen auf der No Fly List und dürfen kein Flugzeug betreten“, raunte die Dame der Fluggesellschaft. Und die Herren der Sicherheitsbehörden schmunzelten lediglich über Mashals Fragen, wie er denn auf diese Liste geraten sei und wie er wieder gestrichen werden könne. Sie könnten ihm diesbezüglich nicht weiterhelfen, war die lapidare Antwort. Zurück zu Hause folgte auch schon der Besuch zweier weiterer FBI-Beamte, die ihn mit einem simplen Fragebogen über seine angeblich staatsfeindliche Gesinnung auszuhorchen versuchten. Fragen bezüglich der genauen Gründe für die Vorwürfe konnten auch sie nicht beantworten. Und auf die Frage, wie er denn eines schönen Tages erkennen könne, wieder von der Liste gestrichen worden zu sein, hörte er lediglich die lapidare Antwort: „Kaufen Sie sich einfach ein Flugticket und probieren es aus.“

Doch die wahren Untiefen gewaltmonopolistischer Tyrannei sollte Abe Mashal erst zwei Monate später kennenlernen. Im Juni 2010 riefen genau jene FBI-Beamten an, die ihn im April schon besucht hatten, und baten um ein persönliches Gespräch in einem nahen Hotel. Sie hätten erfreuliche Neuigkeiten für ihn, die nicht auf sich warten lassen könnten und unbedingt im persönlichen Gespräch überbracht werden müssten. Der ehemalige US-Marine folgte widerwillig. Wie die Beamten behaupteten, sei Mashal aufgrund seiner E-Mails an einen vom FBI überwachten Imam auf der Liste gelandet. Aber es gebe eine Lösung. Als Spion im eigenen Verwandten- und Bekanntenkreis könne sich Mashal aus dem Schlamassel herauskollaborieren. Ohne selbst seiner Ehefrau davon zu berichten, sollte er vor allem unter Glaubensbrüdern den staatlich beauftragten und dann auch wieder zu In- und Auslandsflügen berechtigten Denunzianten geben. Mashal konnte kaum glauben, was er da hörte. Er verlangte anwaltlichen Beistand und wurde daraufhin aus dem Hotel herauskomplimentiert. Der Beginn eines langwierigen Rechtsprozesses. Abe Mashal kontaktierte umgehend die Amerikanische Bürgerrechtsunion (ACLU) und schloss sich einer Sammelklage von zwölf Leidensgenossen gegen US-Generalbundesanwalt Eric Holder, FBI-Direktor James Comey und Christopher Piehota, Direktor des FBI Terrorist Screening Center, an. Nach vierjährigem Rechtsstreit errangen die 13 Ankläger nun im vergangenen Juni einen ersten Teilerfolg. In ihrer 65-seitigen Urteilsbegründung forderte die Richterin Anna Brown die US-Regierung unmissverständlich dazu auf, einen effektiven Beschwerdeweg für Betroffene der No-Fly-Regelung einzurichten. Vor allem sollten diese endlich verlässliche Informationen über die Gründe ihrer Eintragung auf der Liste zur Verfügung gestellt bekommen.

Eine gute Frage: Wie landet man eigentlich auf der No Fly List und ähnlichen Beobachtungslisten staatlicher Sicherheitsbehörden? Ein Beispiel für das Prozedere enthüllt sich im Falle der malaysischen Architektin und ehemaligen Doktorandin der Universität Stanford Rahinah Ibrahim. Neun Jahre lang musste sie einen vier Millionen Dollar teuren Gerichtsprozess abwarten, um richterlich verfügt von der No Fly List gestrichen zu werden. Sie sei niemals eine Bedrohung für die USA gewesen, teilte Richter William Alsup im April 2014 mit. Sie auf diese Liste zu setzen, sei ein schwerer Fehler gewesen.

Ihr war es ähnlich wie Abe Mashal ergangen, sie hatte unerklärten Besuch zweier FBI-Beamte erhalten, wurde über ihre Moscheebesuche und ihren Ehemann ausgefragt. Anschließend kreuzte einer der Beamten anscheinend das falsche Kästchen auf dem Befragungsbogen an und schon wurde Frau Ibrahim zu Unrecht auf die Liste gesetzt. In den letzten Jahren verweigerte die US-Regierung so weit es ging jegliche Mithilfe, das Verfahren zu beschleunigen. Rahinah Ibrahim durfte selbst zwecks ihrer eigenen Aussage nicht in die USA einreisen, sondern musste in einem Londoner Konferenzraum vor einer Kamera angehört werden.

Fraglich bleibt jedoch, welche juristische Handhabe Richter William Alsup nun überhaupt gegenüber der US-Regierung besitzt. In seinem Urteil konnte er diese lediglich dazu auffordern, Rahinah Ibrahim von der Liste zu streichen und dies anschließend schriftlich zu bestätigen. Doch die Frau kann selbst heute noch nicht in die USA einreisen. Ihr wird seitens der US-Botschaft in Kuala Lumpur weiterhin das Visum verwehrt – aus ungenannten „Gründen der nationalen Sicherheit“.

In den vergangenen Wochen wurden Leitlinien der US-amerikanischen Sicherheitsbehörden veröffentlicht, die vorgeben, unter welchen Bedingungen eine Person als terroristische Bedrohung eingestuft werden sollte. Dazu seien „unwiderlegbare Beweise oder konkrete Fakten nicht notwendig”, stattdessen reiche ein „vernünftiger Verdacht”, eine auffällige SMS oder eine Nachricht auf Facebook, um ganz normale Bürger als potentielle Terroristen einstufen zu können.

Die ACLU und andere Menschenrechtsorganisationen verweisen seit Jahren darauf, dass „eine Plazierung auf einer Watch List lebensverändernde Konsequenzen haben“ kann. Nichts anderes ist zu erwarten. Es ist eine sich rosarot präsentierende, von Hollywood, wie zuletzt in der Komödie „Stichtag“, ins humoristische Licht gerückte Form der Tyrannei. Abe Mashal und andere Betroffene werden mittels der Liste wesentlich an ihrer Berufsausübung gehindert. Der Gewaltmonopolist nimmt seinen vermeintlichen Feinden Stück für Stück alles. Geld, Beruf, Privatleben. Nach dem 11. September legte allein die US-amerikanische Regierung mehrere geheime Beobachtungslisten für ungezogene Bürger an. Zur Zeit sind circa eine Million Namen vermerkt, wie die letzten auf Glenn Greenwalds Enthüllungsplattform The Intercept veröffentlichten Dokumente zeigen. Zehn Mal mehr als im Jahr 2001. 40 Prozent der vermerkten Personen können dabei keiner Terrororganisation konkret zugeordnet werden. Und bereits im Jahr 2006 standen auch schon 33.000 deutsche Bürger auf den US-Listen. 33.000 und mehr potentielle Blockwarte, die Vater Staat, wie im Fall Mashal deutlich wurde, als Informanten und Denunzianten für Flug- und andere Erlaubnisse um die Wette dienen könnten. Die Stasi hat überlebt.

Lesen Sie das ausführliche Interview mit Abe Mashal in der aktuelleneigentümlich frei Nr. 145.

Link:

Bestellformular eigentümlich frei

Beitrag erschien zuerst auf: ef-magazin.de 

Für die Inhalte der Blogs und Kolumnen sind die jeweiligen Blogger verantwortlich. Die Beiträge der Blogger und Gastautoren geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion oder des Herausgebers wieder.

Ihnen hat der Artikel gefallen? Bitte
unterstützen Sie mit einer Spende unsere
unabhängige Berichterstattung.

Abonnieren Sie jetzt hier unseren Newsletter: Newsletter

Kommentare zum Artikel

Bitte beachten Sie beim Verfassen eines Kommentars die Regeln höflicher Kommunikation.

Gravatar: Denunziantin vom Dienst

Wieso denn eine Million 'potentielle' Denunzianten? Wenn Sie bereits einen Haufen Geld z.B. für eine Reise in die US bezahlt haben, um dann zu erfahren, dass Sie die Reise nicht antreten können, weil jemand über Sie behauptet hat, dass Sie eine Gefahr für weiss Gott wen oder was darstellen, dann hat die Denunziation schon lange stattgefunden, ist ganz und gar nicht 'potentiell' und wirkt zersetzend ever since. Die Geschäftsgrundlage im Falle beispielsweise einer Flugreise in die US ist damit zwar entfallen, aber Ihr Geld werden Sie trotzdem nicht zurück bekommen, ganz zu schweigen von DER FREIEN WELT. Kiss its butt.

Im Übrigen sind, wie Sie, selbst wenn Sie minderbegabt sein sollten, seit spätestens 2013 wissen, deutsche Staatsbürgerinnen und Staatsbürger einschliesslich Mutti generell verdächtig. Es ist nicht unangemessen, von einem Generalverdacht zu sprechen.

Warum die US das machen? Warum der Hund sich die Eier leckt? - Diese Frage können Sie sich wahrscheinlich selbst beantworten.

Schreiben Sie einen Kommentar


(erforderlich)

Zum Anfang