Nikita Chrustschow hat der Sowjetunion das Lachen wiedergegeben

Der Vortragsraum des Berliner Hayekclubs war so gut gefüllt, dass kaum eine Stecknadel zu Boden fallen konnte. Man war gekommen, um einen Vortrag des bekannten Historikers Jörg Barberowski über den leider fast vergessenen Nikita Chrustschow zu hören.

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In einer Zeit, da uns das Lachen in Deutschland fast vergangen ist, weil vor aller Augen Rechtsstaatlichkeit und Demokratie von unseren „Eliten“ in Politik und Medien immer schamloser demontiert werden, erwies sich der Vortragstitel als Publikumsmagnet.

In der obligatorischen Vorstellungsrunde bezeichneten sich zwei Anwesende mit einem gewissen Galgenhumor als „Internethetzer“ und „Internbethetzerin“, um zugleich politisch-korrekt zu präzisieren: „Internethetzende“. Das Lachen zeigte, dass hier vor allem Regierungskritiker versammelt waren. Was die Anwesenden von Barberowski zu hören bekamen, war selbst für Leute, die sich in der Geschichte der Sowjetunion sehr gut auskennen, neu und spannend.

Als Anfang März 1953 in Stalins Datscha in Kunzewo bei Moskau, nicht wie üblich gegen 12 Uhr ein Glöckchen klingelte, zum Zeichen, das man nun das Schlafzimmer des Despoten betreten und ihm das Frühstück servieren durfte, traute sich keiner seiner Bediensteten oder der anwesenden Leibwächter, das Zimmer zu betreten und nachzuschauen, warum Stalin kein Zeichen gab.

Nach einigen Stunden rief man im Kreml an, wo man Stalin bereits vermisste. Eine kleine Gruppe von Politbüromitgliedern fuhr nach Kunzewo. Als sie die Tür zu Stalins Schlafzimmer geöffnet hatten, sahen sie den Diktator in seinen Exkrementen am Boden liegen. Er hatte einen Schlaganfall erlitten, lebte aber noch. Den Politbürokraten war klar, dass sie ihr Leben verwirkt hatten, sollte Stalin von seinem Anfall genesen. Niemand, der ihn so gesehen hat, hätte weiter leben dürfen. Also schlossen sie die Tür wieder, erklärten, Stalin schliefe noch, dürfe nicht gestört werden und kehrten erst am nächsten Tag mit Ärzten zurück. Der Diktator lebte zwar immer noch, war aber bereits jenseits aller Rettungsmöglichkeiten. Während sich Stalins Sterben hinzog, mussten die Politbürokraten die Nachricht von seinem Tod vorbereiten. Das war nicht so einfach, denn Stalin wurde wie ein Gott verehrt und Götter sterben nicht. Einerseits konnten sich die Politbürokraten eine Welt ohne Stalin nicht vorstellen, andererseits musste die Herrschaft des Politbüros ohne Stalin neu legitimiert werden. Man einigte sich auf eine Kollektivführung und einen sofortigen Bruch mit den stalinistischen Herrschaftsmethoden. Man wollte einander nicht mehr umbringen. Die einzige Gefahr für die Runde, Lawrenti Beria, Georgier wie Stalin und sein Geheimdienstchef, wurde im Juni 1953 auf die alte Weise beseitigt. Man wickelte ihn im Arbeitszimmer von Molotow in einen Teppich, schaffte ihn aus dem Kreml und ins Gefängnis, stellte ihn vor ein Standgericht und ließ ihn erschießen. Damit war die Gefahr der Rückkehr stalinistischer Methoden für immer gebannt.

Im Westen wurde später immer wieder die Frage gestellt, wieso es ausgerechnet Nikita Chrustschow, der Bauer aus dem Kuban, der Schwierigkeiten mit dem Lesen und Schreiben hatte, sodass er lieber diktierte, an die Spitze geschafft hatte. Barberowskis einleuchtende Antwort war, dass Chrustschow als der Ungefährlichste der Nachfolger galt.

Alle Politbürokraten hatten ihren Anteil an Demütigungen und Leid von Stalin erfahren. Sie mussten nach dem Arbeitstag Stalins, der gegen Mitternacht endete, mit ihm im Kreml Filme schauen, meist amerikanische Western, ihn dann auf die Datsche begleiten und mit ihm essen. Dabei wurden sie aufgefordert, zum Beispiel auf dem Tisch zu tanzen, wie Chrustschow, oder sich zum Gaudi auf Tomaten zu setzen, wie ein anderer Politbürokrat. Erst gegen vier Uhr Morgens durften sie in ihre Wohnungen fahren. Das waren die harmlosen Schikanen, denen die Politbürokraten ausgesetzt wurden. Schlimmer war es, wenn ihre Frauen in den Gulag geschickt wurden, wie die Ehefrau von Molotow, der selbstverständlich zustimmen musste, der Bruder im eigenen Arbeitszimmer erschossen wurde, wie es Lazar Kaganowich passierte oder man gezwungen wurde, Teile der eigenen Familie exekutieren zu lassen, wozu Beria gezwungen war.

Für Stalins Nachfolger war sein Tod eine Befreiung von diesen Marten. Sie leiteten eine stille Entstalinisierung ein. Als Erstes beendeten sie die Prozesse gegen die jüdischen „Mörderärzte“ , die angeblich vorgehabt hatten, Stalin zu vergiften und stoppten die mit diesen Prozessen verbundene antisemitische Kampagne. Dann leiteten sie die Entlassung der Gefangenen des Gulag ein.

Aber Nikita Chrustschow wollte mehr. Er war von Schuld, die er in der Stalinzeit auf sich geladen hatte, auch er hatte Todeslisten unterschrieben und Genossen denunziert, gepeinigt. Er wollte, dass über die Stalinschen Verbrechen geredet wurde. Deshalb lud er Gefangene ins Politbüro ein, um dort über ihre Erlebnisse im Lager zu berichten. Das waren zuerst die Angehörigen der Politelite, wie die Frau von Molotow. Damit wurden aus abstrakten Taten anschauliche Verbrechen. Als dem Politbüro über die letzten Stunden des ehemaligen Politbürokraten Eiche, dem man kurz vor seiner Erschießung noch ein Auge ausschlug, berichtet wurde, war dies das Ende eines Menschen, den sie alle kannten, mit dem Manche befreundet gewesen waren. Zum Schluss mussten die Täter vor dem Politbüro berichten. Danach wurde das Verbot von Folter und willkürlichen Erschießungen beschlossen.

Die Entstalinisierung war kein Machtkampf, sondern das Projekt eines Mannes, der mit seiner Schuld nicht mehr leben konnte und für den diese Schuld abzutragen eine Befreiung vom Übervater war.

Stalins Datscha wurde ausgeräumt, seine Habseligkeiten über das ganze Land verteilt, sein Personal entlassen. Nichts sollte mehr an ihn erinnern. Seine Bilder wurden in den Parteibüros und den öffentlichen Räumen abgehängt. Schließlich wurde seine einbalsamierte Leiche aus dem Lenin-Mausoleum entfernt und an der Kremlmauer beigesetzt. Das war für Chrustschow nicht genug. Mit den Anhörungen im Politbüro bereitete er die Erlaubnis vor, auf dem Parteitag 1956 über die Verbrechen Stalins zu berichten.

Vorher revitalisierte Chrustschow die Partei, die unter Stalin nur noch ein Schattendasein geführt hatte, als Ort der politischen Mobilisierung. Seine Rede vor dem Parteitag war keineswegs geheim. Sie wurde nicht nur vor den Delegierten gehalten, sondern anschließend überall in der Sowjetunion öffentlich verlesen. Die Botschaft war, dass die Todesdrohung als Mittel der Repression Geschichte war. Es durfte wieder offen gesprochen und die Regierung kritisiert werden. Chrustschows Entstalinisierung war ein Akt der Zivilisierung der sowjetischen Gesellschaft. Seine großartige Tat brachte aber nicht nur Erleichterungen des Lebens mit sich.

Die Hunderttausenden politischen Gefangenen, die aus dem Gulag zurückkkehrten, waren ein Problem. Die wenigsten konnte, wie die Ehefrau von Molotow, ins traute Heim zurückkehren. Es gab für die ehemaligen Häftlinge, in einer Zeit, dass viele Menschen noch in überfüllten Gemeinschaftswohnungen, baufälligen Hütten oder gar Erdlöchern hausten, keine Wohnungen, keine Arbeit, nicht genügend Lebensmittel für die Entlassenen.

Aber eins hatte Nikita Chrustschow erreicht: Es durfte wieder gelacht werden, auch über ihn. Die Zahl der Chrustschow-Witze ist Legion. Einer davon lautet: Nikita besuchte eine Kunstausstellung. Er geht von Bild zu Bild und fragt die Maler, was denn diese Hundescheiße oder jene Krakelei darstellen soll. Zum Schluss fragt er: Und was ist dieser Arsch mit Ohren? Das ist ein Spiegel, Nikita Sergejewitsch, antwortet einer der Künstler. Für diese Witze musste niemand mehr Repressionen befürchten.

Als Molotow und Kaganowich den ersten Versuch machten, Chrustschow zu stürzen, landeten sie, als der Putsch scheiterte, nicht vor dem Erschiessungspeleton, wie Molotow noch befürchtete, auch nicht im Lager, sondern wurden Direktor einer Asbestfabrik im Ural (Kaganowich) und Botschafter in der Mongolei (Molotow).

Auch als Chrustschow am Ende doch noch gestürzt wurde, weil er eine Amtszeitbegrenzung für Funktionäre einführen wollte, wurde er nicht gedemütigt und verhaftet, sondern mit Ehrerbietung in den Ruhestand geschickt. Damit hatte der Mann, der seien Landsleuten das Lachen wiedergegeben hatte, endgültig über Stalin gesiegt.

Hier kann man den Vortrag von Barberowski nachhören.

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Dr. Michael Holz

@ harald44 03.03.2020 - 10:53

"... Müßten nicht gerade die sogenannten Rechten an der Entdämonisierung Hitlers interessiert sein, obwohl die Suche nach historischer Wahrheit nichts mit rechts oder links zu tun hat, sondern gerade für uns Deutschen ein Menschenrecht zu sein hat? ... den wahren Hitler, dem im übrigen alle Zeitzeugen... das allerbeste Zeugnis ausstellten, vom Schmutz der Verleumdung zu befreien, ...?

Nun sind Sie offensichtlich 76 Jahre alt geworden und haben eine recht merkwürdige Einstellung zum "Führer". Hitler mag im Gegensatz zu Stalin, Mao tse Tung und den Führen der Roten Khmer "sympatisch" gegenüber seiner nächsten Umgebung rüber gekommen sein, aber er war kein Menschenfreund, er war ein Polit-Verbrecher. er war ein DÄMON!!!

Es stimmt, wir Deutsche sollten für seine Verbrechen und die der NSDAP nicht in Haftung genommen werden. Es ist grotesk, zu sehen, dass 75 Jahre nach Hitlers Tod der Widerstand gegen diesem immer größer wird und die Verbrechen von Stalin und Ulbricht werden immer kleiner. Unsere alten und neuen Feinde haben es geschafft, einen Selbst-Hass in Deutschland zu züchten, der seinesgleichen in der Welt nicht zu finden ist.

Gravatar: harald44

@ die Vernunft,01.03.2020,16 Uhr 57

Sie haben recht und vielleicht auch nicht. Müßten nicht gerade die sogenannten Rechten an der Entdämonisierung Hitlers interessiert sein, obwohl die Suche nach historischer Wahrheit nichts mit rechts oder links zu tun hat, sondern gerade für uns Deutschen ein Menschenrecht zu sein hat? Denn erst dann, wenn es gelungen wäre, den wahren Hitler, dem im übrigen alle Zeitzeugen aus seiner unmittelbaren Umgebung (Sekretärin,Fahrer, Kammerdiener, Adjudant, usw.) in ihren Lebenserinnerungen das allerbeste Zeugnis ausstellten, vom Schmutz der Verleumdung zu befreien, kämen alle sogenannten nationalen Deutschen aus der politischen Schmuddelecke heraus.
Die historischen Belege, daß eben auch um Hitler es längst nicht so war, wie es uns seit siebzig Jahren eingebleut wird, sind erdrückend.

Gravatar: egon samu

Unvergessen, wie Chrustschow in der UN-Vollversammlung mit seinem Schuh auf den Rednerpult einhämmerte...

Gravatar: Klaus Widmann

die Vernunft 01.03.2020 - 16:57
Die Einteilung in Gut und Böse ist schlicht unmöglich.
Das mit den Spionageflügen (Beispiel U2) ist natürlich richtig. Allerdings zu schlußfolgern, daß es das seitens der SU nicht gab, nur weil nichts bekannt geworden ist, halte ich für etwas gewagt. Und letztenendes war jede Stationierung von Nuklearraketen, auf beiden Seiten, die Vorbereitung eines Angriffskrieges. Schließlich hat auch die SU ihren Großmachtanspruch immer wieder demonstriert, Beispiel 1953 DDR (kurz vor Chrustschow), 1956 Ungarn (fiel in die Chrustschow Ära), 1968 CSSR, Afghanistan 1979, aktuell Syrien.
Natürlich gab und gibt es auf der Gegenseite USA auch genügend Beispiele, aber Russe = Gut, Ami = Böse funktioniert einfach nicht.

Gravatar: Mosafer Hastam

@die Vernunft: solange in der westlichen Welt und ihren (Schein-)Demokratien alle Geld- und Informationsströme in den Händen Einiger Weniger liegen (die weder gewählt noch demokratisch legitimiert wurden), nimmt die Globalisierung ihren Lauf. Die globale Mafia kann natürlich keine Nationalstaaten gebrauchen, die dem hemmungslosen Gezocke rund um den Globus Grenzen setzt, also weg damit!
Seit über hundert Jahren werden über Deutschland und die Deutschen Lügen verbreitet und zwar so penetrant, daß die Lügner und ihre Opfer inzwischen selber daran glauben. Was in London gerade mit Julian Assange passiert, gehört in dieselbe Kategorie.

Gravatar: die Vernunft

harald44 01.03.2020 - 09:51
Hitler rehabilitieren zu wollen, ist zur Zeit keine gute Idee! Wir sind sowieso die rechten Hetzer, das gebe den uns erdrückend überlegenen Systemmedien noch Wasser auf ihre Mühlen, uns zu Faschisten zu stempeln.
Wir müssen uns auf die Probleme unserer Zeit konzentrieren, laut, und uns einig sein! Dafür unsere ganze Kraft!
Erst wenn unserer Land wieder unserem Volk gehört, dann sollten wir ganz ohne gegenseitige Aufrechnung, gemeinsam mit den anderen Ländern, unsere Vergangenheit von allen Lügen und Andichtungen befreien. Ich empfehle interessierten Lesern die Bücher: "Der andere Hitler" oder "Das Märchen vom bösen Deutschen".

Gravatar: die Vernunft

Klaus Widmann 29.02.2020 - 17:43
Bitte bedenken sie, das die Sowjetunion keine einzige Runde des Wettrüstens eingeleitet, sondern immer nur nachgezogen, hat. Für die USA war es eine Selbstverständlichkeit, die Sowjetunion mit Spionagflugzeuge zu überfliegen, taten das die Russen auch? So bereitet man einen Angriffskrieg vor!
Im Zeitalter vor den Interkontinentalrakreten durfte die USA mit ihren Stützpunkten und ihren Atomwaffen Rußland umkreisen, Die SU durfte das bei Amerka aber nicht?
Vergessen sie bitte auch nicht die geringe Flugzeit/ Vorwarnzeit, wenn die Raketen auf einem vor der eigenen Haustür abgeschossen werden. Chrustschow hatte keine Wahl, als Auge um Auge, Zahn um Zahn! Dank Kuba gibt es das "rote Telefon", das im Gefahrenfall die Supermächte/ Presidenten direkt miteinander sprechen können.

Gravatar: harald44

Wird es nicht langsam an der Zeit auch Hitler zu rehabilitieren?

Gravatar: Klaus Widmann

Berichtigung:
Kubakrise war 1962, nicht 1961 wie in meinem voherigen Kommentar geschrieben.

Gravatar: Klaus Widmann

Nachtrag:
Chrustschow war es auch, der die Welt 1961 an den Rand eines Nuklearkrieges geführt hat, indem er vor der Haustür der USA, in Kuba, Atomraketen stationieren ließ.

Gravatar: Klaus Widmann

Alles schon vergessen, Frau Lengsfeld? Auch Ihr Chrustschow war Kommunist und Stalinist. Dass die politischen Gefangenen aus den Lagern frei kamen, ist wohl eher Leuten wie Solshenizyn und Sacharow zu verdanken, die das Leiden der Lagerinsassen sowie die Lager selbst publik gemacht und somit Druck auf die politische Führung erzeugt haben.

Gravatar: Zeitzeuge

Man darf Menschen nicht zu lange an der Macht lassen!!!

Daher sollte man die Amtszeit der Kanzlerschaft in Deutschland z. B. für eine bestimmte Zeit neu festlegen (höchstens 8 Jahre Regierungsschaft), es verändert den Charakter, wenn Personen zu lange über andere, das Land, Geld etc. bestimmen können.

Gravatar: Jürgen kurt wenzel

Ist es so einfach Schuld zu tilgen ? Blauäugiger Verrat an den Opfern ! Die überlebenden leiden ewig !
Die Geschichte zeigt die Häme der Täter ist ewiglich !!

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