Neuerscheinung: Über Franz Liszts Bergsymphonie

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Den von ihm so genannten Symphonischen Dichtungen Franz Liszts nähert sich die Musikwissenschaft immer noch mit einer gewissen Reserve. Sie sind mit einer großen Zahl an Vorurteilen behaftet, was leider auch dazu geführt hat, dass man sie selten im Konzert hört. Besonders das auch Bergsymphonie genannte Orchesterwerk Ce qu’on entend sur la montagne (Was man auf dem Berge hört), entstanden 1847-1857, provozierte eine ganze Reihe von Stellungnahmen, die sich mit Vorwürfen wie Redundanz und Formlosigkeit auseinander setzten.

[caption id="attachment_10015694" align="alignnone" width="250"]Liszt im Alter von 46 Jahren Liszt im Alter von 46 Jahren. Foto: F. Hanfstaengl[/caption]

Diese in ihren Ergebnissen äußerst widersprüchliche Auseinandersetzung zeichnet die neue Studie mit dem Titel "Stets wiederkehrend und verschwindend": Aufbau und Bedeutung der Bergsymphonie Liszts, erschienen im Are Musik Verlag Mainz, nach. Als Arzt, der auch musikalisch ausgebildet ist, versuche ich einen frischen Blick auf diese etwas mehr als halbstündige, einsätzige Komposition zu werfen. Glanz und Elend der Musikwissenschaft werden dabei sichtbar. Es ist kaum zu glauben, wie viele verschiedene Interpretationen seines Aufbaus und seiner Bedeutung ein einziges, traditionell notiertes Stück hervorrufen kann.

Die wechselnde Auffassung von Programmatik wird im Buch ebenso behandelt wie die unterschiedlichen Techniken der Analyse, mit denen man Aufbau und programmatischer Bedeutung dieses geheimnisvollen Werks beikommen wollte, wobei ihm letztlich vorgefasste Urteile aufgezwungen wurden.

Ausgehend von der großen Bedeutung der Motive für eine "redende" Musik nimmt die Studie jene erstmals wirklich ernst und identifiziert sie genau. Nach Definition ihrer Stellung im Gefüge des Stücks kann der Aufbau der Bergsymphonie objektiv dargestellt werden. Er ist von einem komplizierten Mosaik aus sich variiert wiederholenden und verzahnenden Motivzellen und -gruppen bestimmt.

Davon ausgehend wird gezeigt, dass Form, Verlauf und Bedeutung des Werks im Verhältnis zum Programm, einer Ode Victor Hugos, von einer subtilen Folgerichtigkeit sind. Sowohl die Mikro- als auch die Makrostruktur beruhen auf dem Prinzip der Wiederholung . Die mikrostrukturellen Motive verkörpern den „poetischen Gedanken“, grob gesagt wird also durch das Auf- und Abtauchen von Motiven und Motivzellen der stete Wechsel von Wiederkehr und Verschwinden der in der Ode thematisierten Stimmen von Natur und Menschheit musikalisiert.  Die Makrostruktur des formalen Aufbaus, ein "unsauberes" Rondo, repräsentiert das Nachdenken Liszts über diesen Wechsel, also vor allem das Konstatieren der Tragik der dauernden Wiederkehr des Konflikts von Natur und Menschheit und der von Zweifeln erfüllten, daher immer neu zu schöpfenden Hoffnung auf Gott. Die ursprüngliche Gattungsbezeichnung „Meditationssymphonie“ erscheint damit für dieses Werk weitaus passender.

Liszt erweist sich damit entgegen der falschen, aufgrund einer problematischen Rezeptionsgeschichte immer noch virulenten Auffassung nicht nur als großer Pianist und bloßer Anreger der Musikgeschichte, sondern als genialer Komponist, dessen fortschrittliche, erst heute langsam verstandene Techniken genuin gültige Werke wie die Bergsymphonie hervorgebracht haben, getreu seinem Motto: Neue Schläuche für neuen Wein!

Dem Buch liegt eine CD bei mit einer fulminanten Einspielung der Bergsymphonie durch das Große Rundfunk-Orchester der UdSSR unter der Leitung von Nikolai Golovanov aus dem Jahr 1953, ergänzt durch weitere seltene Aufnahmen repräsentativer Werke Franz Liszts.

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

I. Das Formproblem bei Franz Liszt

II. Die Entstehung der Bergsymphonie

III. Probleme der Analyse bei Liszt

IV. Das Programm der Bergsymphonie

V. Traditionelle Analyseversuche mit primärer Orientierung am Programm

VI. Traditionelle Analyseversuche mit primärer Orientierung an der Musik

VII. Weitere traditionelle Analysen unter Betonung der Harmonik

VIII. Topoi, Symbole und Bedeutung

IX. Kurzanalysen in Übersichtsarbeiten

X. Moderne Analyseversuche

XI. Prämissen der Analyse

XII. Untersuchung der Motive der Bergsymphonie

XIII. Definition der Motive der Bergsymphonie

XIV. Aufbau der Bergsymphonie

XV. Partiturbeispiel

XVI. Form der Bergsymphonie

XVII. Verwendung der Motivzellen

XVIII. Verlauf und Bedeutung der Bergsymphonie

XIX. Probleme der Rezeption Liszts

XX. Wirkung und Anregungen der Bergsymphonie

Bibliographie

Anhänge

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Adorján Kovács

Sehr geehrter Herr Rösler,
herzlichen Dank für Ihren überaus kundigen Kommentar. Jedoch: Nicht nur in Riemanns Musiklexikon (neueste Auflage) steht, dass Liszts Werk bereits mehrmals einem Wandel in seiner Einschätzung unterlegen ist - und das ist nicht bei jedem Komponisten der Fall, wie Sie sehr wohl wissen. Und ich besitze ein Musiklexikon der 1910er Jahre, in dem Liszt gar nicht als Komponist auftaucht, auch nicht als solcher von Klaviermusik. Da darf man rezeptionsgeschichtlich schon fragen, warum das so war und ist. Ästhetische Urteile sind sicher keine Konstanten, aber gerade Vorschläge, Urteile zu ändern, sollten doch bestens begründet sein. Dazu gehört - wie es sich für gute Wissenschaft versteht - seine eigene Position zu verorten, von der aus man urteilt, so gut es eben geht. Von einem Königsweg jedoch hat niemand geredet.
Die Studie von Dahlhaus zum ästhetischen Urteil beim Prometheus ist mir übrigens bekannt. Er hat dort aber eher kritisiert, dass bei diesem Stück kompositorische Innovation und (nach Meinung von Dahlhaus veraltete) Musiksprache nicht zusammenpassen würden. Daher hat er Prometheus als ästhetisch irrelevant verurteilt. Das ist immerhin ein Standpunkt, auch wenn ich ihn nicht teilen kann.
Es geht zudem gar nicht um ein "Beweisenwollen" von Qualität. Aber wenn z. B. Analysen eines Musikwerks unter falschen Voraussetzungen "formale Fehler" aufweisen wollen, wo keine sind, dann ist es sehr lohnend, eine kritische Revision der Analysen zu machen. Das wird die Musikwissenschaft als Wissenschaft aushalten.
Adornit bin ich nicht. Aber auch kein Relativist. Ich halte Erfindung, Innovation, Originalität für entscheidende Kriterien, egal ob der Gedanke ein Kind des 19 Jahrhunderts ist und auch wenn das heute in die soziologisierte musikwissenschaftliche Landschaft nicht passen mag.

Gravatar: Dr. Hans-Peter Rösler

Meine Herren,
entgegen einigen Ihrer Äußerungen, ist sich die Musikwissenschaft seit jeher bewusst, dass Liszt ein bedeutender Komponist war. Allerdings hat man - unter der Perspektive der Innovation, die lange Zeit die einzige Perspektive für die ästhetische Beurteilung von Musikwerken und deren historischer Relevanz war - die Klavierwerke herangezogen, weniger die Orchesterwerke. Auch gibt es eine - in einer Fachzeitschrift aus den Siebziger Jahren erschienene - Studie, die am Beispiel von "Prometheus" das Auseinanderklaffen von ästhetischer Geltung und historischer Innovation aufzeigt.
Wer nicht mit der Methodik der Geisteswissenschten im allgemeinen und der Musikhistoriogrphie im besonderen vertraut ist, kann sich natürlich über die verschiedenen Analysen wundern. Dies liegt daran, dass es keinen analytischen Königsweg gibt, und schon gar keinen, der den ästhetischen Wert eines Musikwerks "objektiv" beweisen könnte. Dies ist schlichtweg naiv, es sei denn, man ist ein sklavischer Anhänger der Adornoschen Geschichtsphilosophie.
Wer auch sich nur ein Ideechen mit der Rezeptionsgeschite auskennt, wird wissen, dass ästhetische Urteile keine Konstanten sind, also keine fallenden Steine deren Beaschleunigung man mit Hilfe der Mechanik beschreiben kann.
Wagner hat übrigens offen gesagt, dass er von Liszt viel "gelernt" hat, was seinGenie nicht im geringsten schmälert, weil Genies immer von anderen gelernt haben. Das Geniale liegt nämlich nicht oder nur zum kleinen Teil in Originalität (der Originalitätsgedanke ist ein Kind des 19. Jahrhunderts).

Gravatar: Dr. Michael Schneider-Flagmeyer

Sie haben recht, Herr Kovács. Es war etwas überspitzt, was ich geschrieben habe. Es stammt aus meiner Erinnerung an eine Aufführung der Bergsymphonie vor ca. 35 Jahren. Auf meinen eigenen Kommentar hin habe ich mir heute im Internet zwei Einspielungen der Bergsymphonie noch einmal angehört. Von Tristan und Lohengrin kam mir nichts mehr. Auch sind das natürlich keine "wörtlichen" Zitate und Übereinstimmungen. Aber gerade der Beginn erinnert mich sehr ans "Rheingold". Im ersten Drittel kam auch ein deutlicher Hinweis auf Parsifal, ebenfalls auf Walkürenritt und ganz deutlich auf den Waldvogel im "Siegfried". Auch an die Meistersinger lassen einige Passagen denken.
Gerade 1848 , als Liszt mit der Symphonie begann, begann ja uch die Freundschaft mit Wagner durch die beiden gegenseitigen Besuche in Dresden und Weimar.
Ich würde diese Beeinflussung durch Liszt vielleicht nicht so hart als "klauen" bezeichnen. In der Kunst gibt es immer ein Geben und Nehmen. Aber ich stimme Ihnen zu, dieses bedeutende Werk sollte wirklich wieder im Konzertsaal zu Ehren kommen und damit auch die Erkenntnis, dass auch ein Genie immer auf den Schultern von anderen steht. Die Bergsymphonie ist wirklich ein "herrlicher Brocken".

Gravatar: Adorján Kovács

Was Sie da schreiben, ist vielleicht etwas überspitzt, aber grundsätzlich richtig. Es stimmt, dass der "Erfinder" Liszt gegenüber dem "Dieb" Wagner immer noch untergebuttert wird. Für Wagner mag gelten: Unbegabte ahmen nach, Genies aber klauen. Trotzdem ist es schändlich, dass dem Original, aus den verschiedensten Gründen, nicht die gebotene Aufmerksamkeit zuteil wird. Doch langsam ändert sich das, hoffe ich. Gerade die Bergsymphonie ist ein herrlicher Brocken!

Gravatar: Dr. Michael Schneider-Flagmeyer

Es wird höchste Zeit, dass die Bergsymphonie wieder in die Konzerthäuser zurückkehrt. Hat denn wirklich noch nie jemand bemerkt bzw. gehört, dass in dieser Symphonie Liszts alle großen Motive von Richard Wagner anklingen vom Lohengrin bis zum Parsifal? Das erstaunt mich wirklich; denn jeder Kenner des Werkes Wagners braucht doch nur hinzuhören. Haben denn alle Musikologen diese Symphonie "Was man auf dem Berge hört" noch nie bewußt angehört?
Daher wäre es doch höchst interessant, einmal das Werk darauf hin genau zu untersuchen und damit den großen Einfluß von Fanz Liszt auf seinen späteren Schwiegersohn Richard Wagner.

Gravatar: Crono

Danke für diesen interessanten Artikel Herr Kovács.
Wem das Leben von Liszt nicht sehr geläufig ist, empfehle das Buch:
"Ungarische Rhapsodie - Das Leben des Franz Liszt" von Zsolt von Harsanyi.

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