Neue Ortungspolitik

Die politischen Koordinaten verschieben sich.

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Früher war vielleicht nicht alles besser, aber einfacher. Linke waren links und Rechte rechts, man wusste, wo man stand, und wo der Gegner, den es zu bekämpfen galt. Die Einwanderungspolitik einer Blockparteienregierung zeigt nun endgültig, dass ein schleichender Paradigmenwechsel die alten Kriterien der politischen Einordnung außer Kraft gesetzt hat. Leider hat ein Großteil der politischen Akteure dies noch nicht begriffen und lebt daher im ständigen Widerstreit der eigenen ideologischen Grundprogrammierung mit den neu herangewachsenen Erfordernissen des Überlebens in den Apparaten der Niedergangsgesellschaft. Auch in etlichen Texten von Konrad Kustos ging es mit den politischen Himmelsrichtungen bisweilen durcheinander, weil angesichts mangelnder Begrifflichkeiten nicht immer der ganze Erklärungsapparat für die neuen politischen Himmelsrichtungen mitgeliefert werden konnte. Deshalb werden die nächsten beiden Posts sich der aufregenden Aufgabe zuwenden zu beschreiben, was aus dem alten politischen Ver-Ortungssystem neues, wie sollte es anders sein: Ungutes, geworden ist.

Der Problematik hatte sich schon 1966 Ernst Jandl genähert, als er schrieb: „manche meinen lechts und rinks kann man nicht velwechsern. werch ein illtum!“ Wir wissen nicht, was der Poet genau meinte, nur, dass er damals recht hatte und heute erst recht recht hat. Aber recht haben hat mit rechts sein nicht zwangsläufig zu tun. Die Volksweisheit „Rechts ist da, wo der Daumen links ist“ hilft uns ebenfalls nicht weiter, auch wenn wir davon ausgehen können, dass diese Aussage auch im verirrten oder irren neuen Deutschland noch immer zutrifft.

Man würde es sich auch zu einfach machen, die Sitzordnung im Parlament zu bemühen. Diese Einordnung scheiterte schon daran, dass manche rechten oder linken oder sonst welche Parteien und Individuen zurecht oder zu Unrecht gar nicht im Parlament sitzen oder sitzen können werden. Versuchen wir also, die konventionellen Einordnungsmöglichkeiten von rechts und links zusammenzufassen und diese dann mit der heutigen Realität zu vergleichen.

Das linke Weltbild alter Prägung ist nach eigener Wahrnehmung antikapitalistisch, agiert im Interesse der Werktätigen oder anderweitig Benachteiligten, folgt mehr oder weniger der Leitidee des Sozialismus, hält sich für den Sachwalter des Fortschritts, ist internationalistisch oder auch antinational orientiert. Zugrunde liegt in jedem Fall der Interessengegensatz von Kapital und den davon Abhängigen. Als selbstbescheinigter Erfolgsbeweis der Aufklärung glaubt der Linke an das Gute im Menschen („Urgesellschaft“), das durch ein böses oder dysfunktionales System unterdrückt wird und nur freigesetzt werden muss. Nennt man das Idealismus oder Positivismus ist das nicht einmal despektierlich, denn diese Begriffe sind in unserer Kultur tatsächlich positiv besetzt. Der klassische Linke (solange er nicht an der Macht ist) betrachtet sich als eine Vorhut des Volkes.

Das überkommene rechte Weltbild orientiert sich dagegen am Vorhandenen und versucht dieses zu übersteigern und zu verabsolutieren. Es ist demzufolge national orientiert, eher konservativ oder sogar traditionalistisch und sieht internationale Zusammenarbeit eher oder nur als Mittel zum Zweck, der eigenen Lebensgemeinschaft Vorteile zu verschaffen. Fortschritt wird eher skeptisch betrachtet. Zwar bedarf es auch der Unterstützung durch die Massen, doch spielen diese in der rechten Lehre keine große Rolle. Dies liegt natürlich an der Orientierung an einer „richtigen“, den rechten Weg weisenden Obrigkeit. Deshalb wird hier auch ein zur Finalisierung jeder Ideologie zu errichtendes totalitäres Regime offener vertreten. Der klassische Rechte sieht sich als Sachwalter des Volkes.

Rechte und linke Überzeugungen sind, wenn sie sich in der Nähe der weltanschaulichen Mitte aufhalten, kaum auffällig und dienen letztlich dem konstruktiven Austausch von Ideen in einer offenen Gesellschaft. Problematisch wird es, wenn die zugrundeliegenden Ideen zu Ideologien werden und in den Vordergrund treten, wenn sie Alleinvertretungsansprüche reklamieren. Jenseits der Mitte, also von Freiheit und Vernunft, nimmt früher wie heute auf beiden Seiten der Hang zum Totalitären gesetzmäßig zu. Immer geht es darum, andere zum vermeintlich Guten zu zwingen. Die Absichten sind dabei so gut, wie der Horizont beschränkt und das Tun verwerflich ist.

Der Radikale muss naiv sein, um in der vereinfachten Weltsicht eine Lösung der komplexen Probleme des menschlichen Zusammenlebens zu sehen. Es wird dabei spätestens dann gefährlich, wenn diese Naivität sich organisiert und an die Macht kommt. Die fehlende korrigierende Skepsis hinsichtlich der eigenen Ansichten (die ja jeden Machtapparat schnell befällt, aber hier eben schon in der ideologischen DNA verankert ist) verhindert Toleranz, Akzeptanz, sogar schon die Fähigkeit des Zuhörens gegenüber Andersdenkenden.

Bei solchen grundsätzlichen Ähnlichkeiten liegt der Unterschied im klassischen Rechts-Links-Schema im Detail. Ist bei den rechten Wahrheiten die nationale Orientierung im kleinen Maßstab durchaus im Interesse evolutionärer Gesetzmäßigkeiten, tendiert es in größeren Maßstäben dahin, ideologische Wert- und Weltmodelle zu konstruieren, die naturgegebene qualitative Unterschiede zwischen Völkern und Nationen, Lebensweisen und Kulturen unreflektiert voraussetzen. Äußerlichkeiten werden überbetont, intellektuelle Leistungen und Leistungsfähigkeit mit Skepsis betrachtet. Die Stärke wird im Kollektiv gesehen. Am Ende einer solchen Gedankenkette steht die Missachtung von und schließlich die offene Gewalt an Andersdenkenden, deren Unterdrückung und schlimmstenfalls der Krieg.

Auch bei den linken Wahrheiten steht das Kollektiv im Mittelpunkt. Hier ist die ungebremste Fortschrittlichkeitsvermutung der Motor, gegen Gegner rigoros vorzugehen - und je mehr das eigene Modell scheitert, desto rigoroser werden die Maßnahmen. Schließlich, da die Grundidee ja als richtig gesehen wird, hat man nur noch nicht genug dafür getan, sie umzusetzen. Wir merken uns das für später, weil es eine der Altlasten ist, die die neue Linke übernommen hat.

Durch die scheinbare Verfügungsgewalt über kosmische Wahrheiten sorgen Linke wie Rechte in der Nähe oder im Besitz der Macht für rigide Gesetzgebung sowie die Kontrolle über die Justiz und die Medien. Andersdenkende werden durch den Aufbau von Feindbildern, schamfreie Lügenpropaganda und schließlich Verfolgung ausgegrenzt.

Während für den Rechtsradikalen der Feind jenseits der Grenzen lauert, ist es bei den Linksradikalen die herrschende Klasse innerhalb des eigenen Volkes. Was nicht ganz stimmt, weil der klassische Rechte natürlich auch noch gegen die Liberalen und Intellektuellen im eigenen Lande vorgeht und der klassische Linke gegen das internationale Kapital. Es ist eben kompliziert.

Und mit dem hier besprochenen Paradigmenwechsel wird es noch komplizierter. Das zeigt sich, wenn eine konservative Hardcore-Linke wie Sahra Wagenknecht plötzlich in der Flüchtlingsfrage scheinbar rechte Themen besetzt. „Wer sein Gastrecht missbraucht, der hat sein Gastrecht eben auch verwirkt“, sagte sie nach den Vorfällen von Köln und wurde prompt von der eigenen Partei (und natürlich dem hämisch lachenden Rest des Establishments) angezählt. Nicht einmal die Faschismuskeule („… wie in den 30er-Jahren…“) blieb ihr erspart. Wagenknecht votiert im übrigen auch gegen den Euro und sagt über den Vater des Wirtschaftswunders „Ludwig Erhards Anspruch, Wohlstand für alle zu schaffen, das ist für mich linke Politik“, auch wenn der CDU-Kanzler nun wahrlich kein Linker gewesen sei.

Wagenknecht formuliert alte linke Positionen und steht damit in ihrer Partei plötzlich weitgehend allein. Was ist da passiert, warum ist das passiert, und was bedeutet das für uns? Es hat zu tun mit Machtpolitik, Dekadenz und dem allgemeinen Niedergang, doch dazu ist so viel zu sagen, dass ich meine Leser schweren Herzens aus Platzgründen mit einem FORTSETZUNG FOLGT auf den nächsten Sonnabend vertagen muss. Bitte schon mal die heute besprochenen Fakten dafür im Hinterkopf bereitlegen.

Mehr von Konrad Kustos gibt es hier: http://chaosmitsystem.blogspot.de/

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Diederich Heßling

Das Problem mit "Links" und "Rechts" ist fast so alt wie die Menschheit.
Aber es war schon immer nur dazu gedacht die Menschen gegeneinander zu hetzen.
Der einzige Unterschied zwischen den Menschen ist "Oben" und "Unten".
Und damit dieser Unterschied bleibt ober besser: wächst, dafür gibt es dann Links und Rechts, Schwarz und Weiß, Ost und West etc.pp.
So streitet euch weiter, und weiter, und weiter...

Bitte nicht als Kritik des gut gemachten Beitrags verstehen. Dieser mag der weiteren Entwicklung durchaus förderlich sein.

Gravatar: Wolf Köbele

Positivismus hat mit einem wie auch immer gearteten Optimismus nichts zu tun. Bitte in der Begrifflichkeit präzise sein, wenn der Anspruch des Artikels weiterhin gelten soll!

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