Neu-Wild auf Bild

Bildzeitung ohne Exklusivrecht auf Lügen.

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Die sogenannte Springer-Presse, die es ja dank lukrativer Weiterverkäufe kaum noch gibt, hat die Lügenpresse zwar nicht erfunden, ist aber doch ein Teil von ihr. Dennoch gilt im neuen Milieu der gutmenschlichen Massenmanipulation die „Bild“ immer noch als einzigböser Außenseiter. Das liegt natürlich zum einen daran, dass das Milieu sich aus Altachtundsechzigern und deren Erben rekrutiert, für die diese Zeitung alles Böse der Welt inkarniert, zum anderen, dass jeder Bösewicht immer etwas braucht, zu dem er als Tarnung „Haltet den Dieb" rufen kann. Denken wir nur an die plumpe Boateng-Falle, die die FAZ kürzlich AfD-Gauland stellte - wo muss die Gürtellinie liegen, um noch tiefer kommen zu können? Doch nach wie vor kann man bei Facebook Sätze wie diesen lesen: „Habe gerade im Zug auf dem Weg ins Literaturhotel … neben einem Mann gesessen, der eine Stunde (!) lang die Bildzeitung gelesen hat. Wie geht das???“. Und als Konrad Kustos sich nicht verkneifen konnte zu fragen, wo denn für die Autorin das Problem sei, fing er sich noch einen veritablen Shitstorm ein. Höchste Zeit also, einen Text in Erinnerung zu rufen, der sich hier schon im Juni 2012 angesichts einer damaligen Anti-Bild-Kampagne der Verlogenheit hinter der „linken“ Bildkritik widmete.

So erfolgreich der Marsch durch die Institutionen auch war, den die Studentenbewegung der 60er-Jahre nach ihrem politischen Scheitern als Ausweichziel ausgab, mindestens ein Sieg konnte noch nicht gefeiert werden: Die Bild-Zeitung erscheint immer noch. Dabei hatten doch schon damals die naseweisen Jungintellektuellen beschlossen, dass Springer und besonders sein Flaggschiff Bild grundböse und schnellstmöglich zu eliminieren sei. Zwar ist nun Axel Springer tatsächlich tot, doch Bild erfreut sich bester Vitalität. Was für eine Provokation, wenn der Springer-Verlag zum 60er-Jubiläum am 23. Juni nun auch noch 41 Millionen Gratisausgaben der Bild in alle deutschen Briefkästen zu befördern ankündigt. Da wurde es mal wieder Zeit, im Namen der guten Sache gegen die Meinungs- und Pressefreiheit anzugehen.

Wozu hatte man am Ende dieses Institutionenmarsches mühsam die Atomkraft ab- undHartz IV angeschafft, wenn dieser Quell von unliebsamen Meinungen nicht nur weiter täglich knapp drei Millionen Mal erscheinen kann, sondern nun auch noch deutschlandweit flächendeckend. In Ermangelung eines Propagandaministeriums musste daher der Widerstand organisiert werden, diesmal in Form eines Boykotts. Bild bekämpfen, indem man die Zustellung verweigert, lautete die Devise. Klingt nicht nur schräg, ist es auch.

Und schon entfaltete sich massenhaft die Briefkastenrevolution. „Ich will den Schmutz weder in meinem Briefkasten haben noch anfassen müssen“, schreibt da einer der Erzürnten. Was wohl passieren würde, fasste er tatsächlich eine Bild-Zeitung an? Ein genaueres Hineinschauen, um eigene Positionen zu falsi- oder zu verifizieren kann wohl ausgeschlossen werden. (Selbst-) Gerechter Zorn und Weiterentwicklung sind eben nicht gerade Verbündete. Bevor hier auf dieses kulturpsychologische Phänomen weiter eingegangen wird, noch schnell ein paar Gedanken zur Kampagne selbst.

Die Organisatoren Campact und Alle-gegen-Bild haben für all die kritischen Geister, die sie rufen, eine Standard-Ablehnungsmail vorbereitet. Zitat: "Ferner untersage ich Ihnen ausdrücklich, meine persönlichen Daten zu einem anderen Zwecke zu verwenden, als es für die logistische Umsetzung meines hier formulierten Anliegens zwingend notwendig ist und fordere Sie auf, anschließend sämtliche Daten umgehend und restlos zu löschen." Die Reaktion des gesunden Menschenverstandes im Netz ließ nicht lange auf sich warten: „D.h. ich verbiete ihnen, Daten zu verwenden, die sie ohne diese Mail gar nicht hätten. Wie albern ist das denn?“ oder: „Offen gestanden ist jeder Leser der Bild-Zeitung vermutlich klüger, als jemand, der sich so Daten rausleiern lässt.“

Tatsächlich ist auch im Netz die Unterstützerfraktion eher klein. Warum, so der Tenor, soll ich tätig werden und Daten offenbaren, wenn ich die Zeitung nach ihrem Eintreffen wegwerfen oder in feuchte Schuhe stopfen kann. Eine dadurch zu bewirkende Betroffenheit der Bild-Macher wird weitgehend ausgeschlossen. Aber genau das ist der Punkt: Es geht den Bild-Verweigerern nicht um Inhalte, sondern um einen politischen Pawlowschen Reflex - und es geht um das persönliche Wohlbefinden, also den Spaß, die Befriedigung, das Sich-über-andere-Erhöhen.

Konrad Kustos mag die Bild auch nicht besonders und schreibt sie deshalb hier auch nicht in Versalien. Sie ist laut, bunt, schrill, verkürzend, also weit weg von sachlichem, kybernetischen Denken, wie es hier gepflegt werden soll. Doch wer glaubt oder behauptet, dass gegenüber dem weitgehend im Sinne des Niedergangs gleichgeschalteten Apparats der anderen Medien ein qualitativer Unterschied besteht, ist gleichermaßen naiv und gefährlich. Die Tagesschau mit ihrer Hofberichterstattung und ihrer staatstragenden einschränkenden Informationsauswahl, die Zeitungen, die sich in immer wieder neuen Kampagnen im Abschreiben voneinander überbieten, und der Dudelfunk des Radios, der Informationshappen serviert, die keiner braucht - die alle sollen Bild ein Vorbild sein? Wir haben es mit einer dekadenten und korrupten Medienlandschaft zu tun, deren letzte Qualitäten den Sparmaßnahmen der Verleger geopfert werden, und da soll die Bild einen negativen Ausnahmestatus haben?

Das ist Verharmlosung. Bild lügt und verfälscht keinesfalls relevant mehr als die anderen Medien, doch ist sie weniger gefährlich, weil ihr weniger geglaubt wird. Die in den 60ern schon problematische Manipulationsthese ist heute noch absurder, denn wie alle anderen Zeitungen orientiert sich die Bild vornehmlich am Mainstream und den Mächtigen. Ausgerechnet von der Stasi finanzierte Leute wie Wallraf und Röhl haben diesen Manipulationsmythos mitgeschaffen und so ganz nebenbei ihre eigene Popularität vorangebracht.

Allerdings LESEN die Bild-Nutzer, sie nutzen also einen viel kognitiveren Zugang, als jene, die sich von Nachrichtensendungen bespielen lassen wie ein Speichermedium. Bisweilen hat die Bild auch Witz und Originalität, und ihr Einfluss gibt ihr die Möglichkeit, gelegentlich Dinge aufzudecken, an die andere gar nicht erst herankämen. Apropos herankommen: Bild bietet ein tägliches Informationspotpourri für Leute, die sonst völlig informationsfern bleiben würden.

Bei Campact gibt es keine Argumente gegen die Zeitung, nur pure Emotionalität. Das ist stellenweise geradezu gruselig. Welche Klientel fühlt sich da angesprochen? Dazu ein User: „Ich habe jetzt ein bisschen auf der Campact-Seite geblättert und musste doch lachen. Da liest sich vieles wie Bild-Schlagzeilen.“

Warum fühlen sich die Bild-Aktivisten eigentlich besser, woher nehmen sie das Selbstbewusstsein, und was wollen sie? Wie können sie sich herausnehmen zu sagen, Bild sei „keine allgemein akzeptierte Zeitung“, aber eine solche die „Ziel von Kritik sein muss“? Nun, weil sie damit zu beweisen suchen, dass sie selbst die Guten, Kritischen, Klugen sind und sich dadurch über andere erhöhen können. Sie behaupten, dass sie die Nahtstelle zur Zukunft seien, ohne dafür einen Beleg vorweisen zu können: „Als Aktivistinnen und Aktivisten sozialer Bewegungen sind wir die Hetze der Bild-’Zeitung’ gegen alle emanzipatorischen Bewegungen, nationalistische Berichterstattung und ihr Beharren auf einem sexistischen Frauenbild leid“.

Wenn nackte Frauen sexistisch sind (obwohl selbst die Busenmädchen inzwischen ganz offiziell von der Titelseite verbannt wurden), ist die Bild sexistisch (wie alle anderen Medien), doch die anderen Behauptungen sind in ihrer Unschärfe nicht kommentierbar. Ebensowenig wie das „Eintrichtern eigener Standpunkte“ oder die „sensationslüsternen Überschriften“. Alles Dinge, die längst umfassender Bestandteil unserer Gegenwart und keinesfalls Bild-exklusiv sind.

In einer Gesellschaft der Auflösung aller Werte und Sicherheiten sowie des Fehlens von wirklichen Perspektiven, ist es für die Desorientierten die billigste und sicherste Methode sich über den Gegensatz zu anderen, möglichst Erfolgreichen oder ersatzweise Wehrlosen, zu definieren. Obwohl im Grunde traditionsfeindlich, pflegt man eigene Traditionen wie „Enteignet Springer“ oder ganz allgemeine die linke Selbstgerechtigkeit („Es ist gut, weil es richtig ist“). Deshalb ist jede konservative Position auch „nationalistisch“ also eigentlich „faschistisch“ und sowas ist wiederum keine Meinung, die man dem anderen im demokratischen Diskurs zugestehen könnte, sondern „ein Verbrechen“.

Doch hinter dem Bild-Hass stehen noch viel ältere Traditionen, nämlich die desBildungsbürgertums. Schon immer war die Fiktion, im Besitz der einzig wahren BILDung zu sein, ein Herrschaftsinstrument des Bürgertums gegen die arbeitende Masse. Den einfachen Leuten wurde so die Moral entzogen, sich gegen ihre Situation zur Wehr zu setzen. Und was könnte die beste Antithese zur Bildung sein, wenn nicht eine Bild, wie sie sich in Köpfen der Kritiker darstellt? 

So kommen hier zwei gefährliche, scheinbar unvereinbare Ideologien zusammen: die bildungsbürgerliche und die linksintolerante, also die Arroganz des Bürgertums und der Fanatismus der konzeptionslosen Weltverbesserer. Je mehr diese Spießer am Volk scheitern, desto mehr Verachtung haben sie für die Menschen, desto sektiererischer gebärden sie sich. Sie schmeißen keine Steine mehr, aber sie sind unbelehrbar. In einer völlig veränderten Zeit ohne den Erbfeind Kommunismus, nach der vom Volk gewollten Wiedervereinigung, einer Globalisierung, die die Nationalstaaten entmachtet u.s.w. klammern sie sich an längst überholte Feindbilder, so wie Linus an seine Schmusedecke.

Haben die nichts anderes zu tun, als ein harmloses Geschenk zu bekämpfen und damit dem Bedeutungslosen erst Bedeutung zu verleihen? Nein, haben sie nicht: Ihr analytischer Verstand reicht nicht aus, komplexere Zusammenhänge zu erkennen, und gleichzeitig glauben sie, in ihrer virtuellen Arche Noah der Auserwählten den Zusammenbruch unserer Welt überstehen zu können.

Bald werden sie nun feiern, dass mit ihren 230.000 erklärten Bild-Verweigerungen die Gratis-Bild gekippt wurde. Denn wie es aussieht, scheitert die Aktion, allerdings in Wirklichkeit an logistischen Problemen. Die Seite, mit der der Verlag bei potentiellen Anzeigenkunden für das Projekt geworben hatte, wurde jedenfalls schon im Januar wieder aus dem Netz genommen. Und wenn die Bundes-Bild doch kommen sollte, werden 40 Millionen Haushalte darin blättern, schmunzeln und sie wegschmeißen, während die Aktivisten immer noch nicht wissen, wogegen sie eigentlich protestiert haben.

Mehr von Konrad Kustos gibt es hier: http://chaosmitsystem.blogspot.de/

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Karl Brenner

Die Springerpresse ist ja gar nicht mehr "Springers Presse".

Eine Dame namens Friede Riewerts wurde 1965 Kindermädchen bei dem Springer. 1978 wurde die SELK-Anhängerin dann Springers fünfte "Ehefrau". Im steng religiösen Sinne ist sie also eine Ehebrecherin. Dann erbte sie (wie auch die Mohn-Erbin) und macht nun mit Merkel als gute Freundin diese Unsinnspolitik.

Gravatar: Emmanuel Precht

Sie schreiben: "wo muss die Gürtellinie liegen, um noch tiefer kommen zu können?"

Ich zeichne: Wer seinen Gürtel wie eine Krone auf dem Kopf trägt ist nicht mehr oberhalb zu treffen.

Wohlan...

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