Irgendwann musste es ja kommen. Die Union scheint aufgewacht aus ihrem Dornröschenschlaf. Nach den ernüchternden Ergebnissen bei den Landtagswahlen im Saarland und in Thüringen werden die Stimmen lauter, die nach einem echten Lager-Wahlkampf rufen. Das mit 30 Jahren jüngste CDU-Präsidiumsmitglied Philipp Mißfelder stürmt dabei mutig voran. Er verlangt eine klare Koalitionsaussage der Bundeskanzlerin zugunsten der FDP. Mißfelder hebt damit einen Konflikt auf, der in der CDU bisher mit Stillschweigen behandelt wurde: Von den Liberalen verlangte man eine Koalitionszusage, von sich selbst nicht. Wahrscheinlich ist die Selbstwahrnehmung bei einigen in der CDU-Spitze mittlerweile die einer Staatspartei. Im Adenauerhaus glaubt man, dass keine Regierung an der Union vorbei gebildet werden könne, weshalb man sich nicht wie kleine Parteien festlegen müsse.
Doch der Schein trügt. Wer glaubt, dass das schwarz-gelbe Lager die Umfragewerte von heute am 27. September in Wahlergebnisse ummünzen könne, der hat die letzten beiden Wahlkämpfe selbst im Dornröschenschlaf verbracht. Bei der Bundeskanzlerin drängt sich dieser Verdacht auf. Sie hat ihrer Partei gemeinsam mit Generalsekretär Pofalla einen „Nicht-Wahlkampf“ verordnet. Was damit vermiedene Auftritte des Generals angeht, ist der Partei damit wohl tatsächlich geholfen. Schließlich hat sich bisher noch niemand über die Eloquenz und Überzeugungskraft des obersten Strategen öffentlich geäußert.
„Nur wer hinten liegt, muss kämpfen“, so das Credo der Union momentan. Ganz falsch ist dieser Ansatz nicht. Es gibt den win-Effekt (Prof. Korte), wonach Wähler ihre Stimme im letzten Moment beim vorhergesagten Wahlsieger abgeben um selbst zu den Gewinnern zu gehören. Doch muss es nachdenklich stimmen, wenn Wahlforscher der Union bescheinigen, mit den derzeitigen Umfragewerten ihr Wählerpotential ausgeschöpft zu haben. Ist das Projekt 40 plus X vergessen? Hartnäckig erklärt man sich zur einzig verbliebenen Volkspartei und ist doch nicht in der Lage, mit einer prozentual gut ausgestatteten kleinen Partei eine tragfähige Koalition zu bilden. Eine Staatspartei sieht anders aus.
Die Union wird in ihrer wertkonservativen Kernklientel Stimmen verlieren. Doch diese Wähler erreicht man nicht durch einen Nicht-Wahlkampf, sondern mit Bekenntnis und Mut in einer aufrichtigen Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner. Merkel scheut diesen offenen Kampf. Schlussfolgerung ist also, dass sie entweder nicht die notwendigen Argumente hat oder gar manche Überzeugung des Gegners teilt und daher nicht öffentlich angehen will. Beides wäre katastrophal für die Union.
Die Menschen merken jedenfalls langsam, dass die CDU sich über die Ziellinie schleichen will, ohne ihnen Antworten auf die drängenden Fragen zu geben, geschweige denn Einsatz gezeigt zu haben. Traut Merkel den Mitstreitern, die sie neben sich noch zulässt, einen inhaltlichen Wahlkampf nicht zu? Oder hat sie Angst vor einer inhaltlichen Profilierung parteiinterner Widersacher? Es erschreckt zumindest, dass auch die Minister farblos bleiben.
Die gewagte Strategie der Konfliktvermeidung um jeden Preis könnte der Union kurz vor den Wahlen auf die Füße fallen. Dann wäre am Wort, dass die Letzten die Ersten sein werden, doch noch etwas dran. Die politische Übersetzung dieses Wortes hieße: Rot-Rot-Grün. FDP-Chef Westerwelle weiß das und sagt es offen: „Der Gegner steht links.“ Man möchte der Kanzlerin zurufen: Ja dann auf ihn mit Gebrüll!
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