Man hatte den Eindruck gewonnen, die CDU hätte aus den negativen Erfahrungen im Verhältnis zwischen Familienministerin Ursula von der Leyen und der eigenen Basis gelernt. Noch vor einem Jahr bejubelte man im Berliner Adenauer-Haus die Tatsache, dass Demoskopen zufolge mit der neuen Familienpolitik der CDU zum ersten Mal die Eroberung eines „ganzen Kompetenzfelds“ gelungen sei. Doch so neu war diese auf Staat und Beton setzende Frauen- und Erwerbstätigenpolitik nicht, hatte doch Amtsvorgängerin Renate Schmidt noch öffentlich erklärt, dass sie mit der Arbeit ihrer Nachfolgerin von der Leyen „sehr zufrieden“ sei, nicht zuletzt deshalb, weil die die inhaltliche Linie der rot-grünen Familienpolitik unterschiedslos fortsetze. Die siebenfache Vorzeigemutter selbst hatte großkoalitionär manifestiert, dass es zwischen sozialdemokratischer und christdemokratischer Familienpolitik keinen Unterschied gebe. Den gibt es sehr wohl, nur hat sich die bundespolitische Elite der Union davon wie von so manchem Kerngehalt der Unionsprogrammatik verabschiedet. Nach all diesem Jubel verwunderte es jedenfalls, dass die Familienministerin im Bundestagswahlkampf regelrecht versteckt wurde. Die Stammwähler der Union sollten nicht weiter verschreckt werden, leben sie doch mehrheitlich das Familienmodell, dem Ursula von der Leyen als Erfüllungsgehilfe ihrer ideologischen Strategen im Familienministerium den Kampf angesagt hat: Vater, Mutter, Kind, verheiratet und zu Hause erziehend.
Die Daumenschrauben waren dabei langsam angezogen worden: Zuerst verbat man sich, dass erwerbstätige Frauen als „Rabenmütter“ bezeichnet werden. Wo solch eine „Diskriminierung“ in Deutschland noch stattfinden soll, konnte man freilich nie angeben. In einem zweiten Schritt stellte man gemeinsam mit Arbeitgeberverbänden fest, dass dem deutschen Arbeitsmarkt die gut ausgebildeten Frauen fehlten. Solche Frauen, die dem deutschen Bildungswesen eine gute Ausbildung verdanken, mussten von nun an mit einem schlechten Gewissen leben, wenn sie ihre Zeit „nur“ der Kindererziehung widmeten. Dann erklärte man genau diese Erziehung zu einer derartig herausfordernden Tätigkeit, dass man Frauen, die eine entsprechende Ausbildung nicht durchlaufen hatten und ihre Kinder dennoch selbst erziehen wollten, folgerichtig die Kompetenz dafür absprach. Parallel zu dieser Diskussion setzte man durch den Ausbau der Kinderbetreuung finanzielle Anreize nur für solche Eltern, die – aus welchen Beweggründen auch immer – gerne außerhäusliche Betreuungsangebote in Anspruch nehmen wollen. Dieser schwerwiegende Verstoß gegen die gleichzeitig proklamierte Wahlfreiheit und Leistungsgerechtigkeit fiel den letzten Aufrechten in der Union erst spät auf. Das von ihnen geforderte Betreuungsgeld für Eltern, die zuhause erziehen, diffamierten die kinderarmen Politiker unter Schützenhilfe der ebenfalls überwiegend kinderlosen Journalisten als „Herdprämie“. Ronald Pofalla als willenloser Herold einer prinzipienlosen Königskanzlerin Merkel stellte die Finanzierbarkeit in Frage und eine Einführung für 2013 in Aussicht. Nach alledem hatten die letzten Advokaten des grundgesetzlich verankerten Elternrechts in Deutschland wohl gemeint, schlimmer könne es nicht mehr kommen.
Sie sollten sich irren. Die Kanzlerin selbst hat nun in einem Interview mit dem Frauen-Magazin „EMMA“ erklärt, dass sie das Betreuungsgeld in Sachgutscheinen etwa für Musik- oder Sportkurse auszuzahlen gedenke. Es solle nicht „bloß zur Aufbesserung der Haushaltskasse“ gebraucht werden. Frau Merkel scheint entgangen zu sein, dass die Haushaltskasse einer Familie allen im Haushalt zu gute kommt. Das ist verständlich vor dem Hintergrund, dass man das vom Bundeshaushalt mit Blick auf die Familien nicht sagen kann. Merkel misstraut Mama. So nur kann man zusammenfassen, was in den Worten der Kanzlerin zum Ausdruck kommt: Ein tiefes Misstrauen gegenüber den Familien und damit gegenüber den Eltern und Bürgern.
Doch es kommt noch schlimmer. Denn das Misstrauen des politischen Establishments gilt nicht allen Bürgern gleich. Einige sind gleicher: Solche Eltern, die ihre Kinder möglichst schnell in Fremdbetreuung geben, werden mit dem Elterngeld, also mit baren Euros, belohnt. Eltern, die ihre Kinder zuhause erziehen, traut man den verantwortungsbewussten Umgang mit Geld dagegen nicht zu. Hartz IV-Empfänger stehen scheinbar weniger unter Verdacht, staatliche Transferleistungen in „Bier und Flachbildschirm“ umzusetzen. Für sie jedenfalls ist noch kein Gutschein-System entwickelt worden. Für Rentner auch nicht. Vielleicht deshalb, weil mächtige Verbände in ihrem Namen sonst Krach schlagen würden. Eltern haben keine solche Lobby. Sie selbst können nicht lautstark protestieren, denn sie sind damit beschäftigt, durch ihren selbstlosen Einsatz bei Geburt, Erziehung und Betreuung des Nachwuchses dem System, von dessen Beherrschung Frau Merkel scheinbar ganz und gar eingenommen ist, eine Option auf Zukunft zu geben.
Es bleibt zu hoffen, dass die Eltern am 27. September den stillen Protest wagen – und eine solche Politik so oder so ein Ende findet.
Merkel misstraut Mama
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Kommentare zum Artikel
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Sehr guter Artikel, der den Nagel auf den Kopf trifft. Als betroffene Familie, die bisher die CDU/CSU wählte, wählen wir diesesmal die Familienpartei oder die ÖDP!
Es muss endlich Schluss sein mit der ideologischen und finanzieller Benachteiligung traditioneller Lebensentwürfe! Jeder soll seinen Lebensweg selbst planen oder eben entwerfen, aber bitte auch selbst bezahlen! Wo inzwischen mehr als dreißig Prozent eines Jahrgangs kinderlos bleiben, leistet es sich eine CDU/CSU geführte Bundesregierung der Mehrheit der Familien, der Mehrheit der Mütter, den Teppich unter den Füßen wegzuziehen.
Wohin das führte und führen wird, kann man in dem luziden Buch von Paul Kirchhof "Das Maß der Gerechtigkeit" nachlesen!