Menschenrechtsbildung (Teil 2)

Die Erziehung junger Menschen zu Bürgern, die ihre Rechte kennen und die Rechte anderer achten, steht im Zentrum jeder Pädagogik. Ganz besonders gilt dies für die elementaren Menschenrechte. Menschenrechtsbildung gehört auf den Stundenplan.

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Teil 2 – VN-Initiativen, oder: Menschenrechtsbildung geht alle an

Man kann den Vereinten Nationen nicht vorwerfen, die völkerrechtlichen Vorgaben (vgl. Teil 1) zu missachten. Sie forderten im Frühjahr 1993 in Montreal einen „Weltaktionsplan zur Erziehung zu Menschenrechten und Demokratie“ (zit. nach EPU et al 1997, 81 ff.), der im Schlussdokument der Weltkonferenz über Menschenrechte im Juni desselben Jahres in Wien aufgegriffen wurde. In einer Konkretisierung der Forderung heißt es dort, die Vereinten Nationen sollten „eine Dekade für Menschenrechtserziehung ausrufen“ (Wiener Erklärung 1993, D 518). Die VN, das wird deutlich, haben die Notwendigkeit von Menschenrechtsbildung erkannt und wollen in Zeiten zunehmender globaler Unübersichtlichkeit ihrer Koordinationsrolle gerecht werden. Sie handeln zügig: Am 23. Dezember 1993 wird von der Generalversammlung der VN die „Dekade für Menschenrechtsbildung“ (1995-2004) proklamiert. Es gehe, so die Entschließung, in den kommenden zehn Jahren grundsätzlich darum, durch die Vermittlung von Wissen und Fähigkeiten eine „Kultur der Menschenrechte“ zu stärken und dabei die Denkweise der Menschen auf die Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie auf die volle Entfaltung der Persönlichkeit und die Würde des Menschen zu orientieren (UN-Doc. A/51/506/Add. 1). Damit knüpft die Initiative an die völkerrechtlichen Normen an.

Doch wie kann und soll Menschenrechtsbildung einen Beitrag zur Erreichung dieser hehren Ziele leisten? Zwei Jahre nach dem Beschluss der Initiative werden im Bericht über dessen Implementierung Prinzipien einer effizienten Menschenrechtsbildung genannt (UN-Doc. A/51/506/Add. 1, Annex 1996, Zf. 9), die man in fünf Punkten zusammenfassen kann: 1. Das Rechts-, Norm- und Wertverständnis, das der AEMR und den Pakten zugrunde liegt, soll geschärft werden, 2. Ein holistisches Verständnis der Menschenrechtsidee, das liberale und soziale Rechte zusammen betrachtet, soll gefördert werden, 3. Menschenrechtsbildung soll grundsätzlich alle Menschen erreichen können, unabhängig vom Alter, Geschlecht, Rasse, Religionszugehörigkeit oder gesellschaftlicher Stellung, wobei stets darauf zu achten ist, dass die Erziehung ohne Stereotype und Klischees erfolgt bzw. diese bekämpft, 4. Der Praxisbezug sollte gewährleistet sein, so dass die Menschen befähigt werden, konkrete Situationen ihrer Lebenswelt unter die abstrakten Werten und Normen zu subsumieren und 5. Die Interdependenz von Menschenrechten und Demokratie soll dadurch deutlich werden, dass bei der Vermittlung menschenrechtlicher Inhalte eine demokratische Form gewählt wird.

Bleibt die Frage, wer konkret angesprochen ist, aktiv zu werden und an wen sich die Initiative richtet. Als Verantwortliche für die Durchführung werden zunächst die nationalen Regierungen und staatlichen Menschenrechtsinstitutionen genannt, denen mit den „Guidlines for national plans of action for human rights education“ (UN-Doc. A/52/469/Add. 1, Addendum 1997) Leitlinien zur Umsetzung der oben erwähnten Prinzipien und zur Durchführung nationaler Initiativen an die Hand gegeben wurden. Doch auch Nichtregierungsorganisationen sollen eingebunden werden. Adressaten sind insbesondere alle Menschen, die in ihrer beruflichen Tätigkeit menschenrechtliche Fragen behandeln (z. B. Juristen, Mitarbeiter in politischen Gremien und in der Verwaltung), mit menschenrechtsrelevanten Themen oft in Berührung kommen (z. B. Polizisten, Soldaten, Strafvollzugsbeamte, Entwicklungshelfer, Mitglieder von Nichtregierungsorganisationen) oder die als Multiplikatoren ihrerseits eine wichtige „Erziehungsfunktion“ tragen (Lehrer, Professoren, Journalisten, etc.). Hier bleibt im Aktionsplan offen, inwieweit bei den „Mitgliedern von Nichtregierungsorganisationen“ auch Multiplikatoren in Religionsgemeinschaften angesprochen werden sollen, denn das Wort eines Predigers oder Imams hat häufig mehr Gewicht als ein Leitartikel oder eine Unterrichtsstunde zum Thema Menschenrechte. Die Exegese kanonischer Schriften im Lichte der Menschenrechte und die Betonung der Würde des Menschen, die in allen Religionen angelegt ist, stellt sicherlich einen entscheidenden Schlüssel zur Stärkung der Achtung der Menschenrechte dar. Umso wichtiger, dass sich Religionsgemeinschaften als „Nichtregierungsorganisationen“ aktiv in den Erziehungsprozess einbringen und hierzu auch ermutigt werden. Dieser Ansatz bleibt bei der UNO als einer säkularen Organisation leider unberücksichtigt.

Was wurde erreicht? Der Zwischenbericht aus dem Jahre 2000 (UN-Doc. A/55/360) hält fest, dass das Ausrufen der „Dekade für Menschenrechtsbildung“ als Katalysator gewirkt habe. Es sei gelungen, staatliche und nicht-staatliche Organisation zusammenzuführen. Allerdings sei eine wachsende Notwendigkeit für eine erhöhte Koordination offenbar geworden. Auch sei das Potential an internationaler Zusammenarbeit im Bereich der Menschenrechtserziehung bei weitem nicht ausgeschöpft. Es bestehe schließlich nach wie vor eine Kluft zwischen Versprechungen und Verpflichtungen, die überbrückt werden müsse. Das Hochkommissariat für Menschenrechte der Vereinten Nationen legte in den Jahren 2003 und 2004 weitere Berichte vor, die zu ähnlichen Ergebnissen kommen (UN-Doc. E/CN. 4/2004/93). Insbesondere wird noch einmal betont, dass die Zusammenarbeit zwischen den Vereinten Nationen, regionalen Staatenbünden und den Nationalstaaten einerseits sowie zwischen staatlichen und nicht-staatlichen Einrichtungen andererseits verbessert werden muss.

Zum Abschluss der „Dekade“ verweist die Erklärung der Generalversammlung am 10. Dezember 2004 auf das Fazit der Berichte hin und kommt zu dem Ergebnis: Es war ein wichtiger Schritt, es bleibt aber noch viel zu tun. Das entscheidende sei das gestiegene Problembewusstsein: Menschenrechte stehen wieder ganz oben auf der Tagesordnung. Unbestritten sei es gelungen, die Bedeutung von Erziehung und Bildung als Katalysatoren nicht nur der liberalen Menschenrechte zu untermauern, sondern auch der sozialen, auf die gerade Entwicklungsländer verstärkt schauen. Bildung, Entwicklung und Menschenrechte werden vor diesem Hintergrund mehr und mehr als harmonischer Dreiklang empfunden, d. h. die elementare Verbindung von Armutsbekämpfung und Verbesserung der Bildungschancen, die nie ernsthaft bestritten wurde, wird um die Abhängigkeit der wirtschaftlichen Entwicklung von der Gewährleistung der Menschenrechte ergänzt und diese als Produkt auch und gerade von Bildung und Erziehung verstanden. Es setzt sich die Erkenntnis durch, dass Menschenrechte der wirtschaftlichen Entwicklung nicht im Weg stehen, sondern sie erst möglich machen. Bildung darf in diesem Zusammenhang nicht allein auf Sachgebiete bezogen erfolgen, sondern das Thema Menschenrechte einschließen.

Vom Hauptziel der „Dekade für Menschenrechtsbildung“, eine „Kultur der Menschenrechte“ zu schaffen, ist die Welt – auch daran herrschte in der Generalversammlung Einmütigkeit – noch weit entfernt. Es wurde daher in Erwägung gezogen, die Initiative um eine zweite „Dekade“ zu verlängern. Dagegen wandten sich die USA und die EU gleichermaßen, denen eine andere Akzentuierung und eine verbindlichere Umsetzung der Initiative vorschwebte, weg von den Versprechungen und hin zu möglichst konkreten Verpflichtungen sowie klaren Aufgabenzuweisungen.

Zum ersten Mal in ihrer Geschichte riefen die Vereinten Nationen daraufhin ein „Weltprogramm für Menschenrechtsbildung“ (2005-2015) aus (UN Press Release GA/1010317), dass sich durch eine höhere Verbindlichkeit auszeichnet und sich insoweit von der „Dekade“ unterscheidet. Beim „Weltprogramm“ gibt es nun „Mindestanforderungen“, die jedes Mitgliedsland der VN erfüllen muss. Am 2. März 2005 legte der damalige Generalsekretär der Vereinten Nationen, Kofi Annan, den Aktionsplan des „Weltprogramms“ vor (UN-Doc. A/59/525/Rev. 1). Im Mittelpunkt steht demnach die Menschenrechtsbildung in der Primar- und Sekundarschule, die unter folgenden fünf Aspekten gestaltet werden soll: 1. Die Entwicklung einer partizipativen, menschenrechtsorientierten Bildungspolitik, die der Bildung der Lehrer und Ausbilder den Vorrang gibt, soll vorangetrieben werden, 2. Dazu sollen Fortbildungsmaßnahmen ergriffen werden, die geeignet sind, Lehrern und Ausbildern das menschenrechtliche Wissen, aber auch das nötige Verständnis und die Kompetenz zu vermitteln, 3. Die Realisierung und Implementierung bildungspolitischer Innovationen soll unter Beteiligung aller Akteure stattfinden, 4. An den Schulen soll ein solidarisches, an den Menschenrechten orientiertes Klima herrschen, in dem Schülerinnen und Schüler frei ihre Meinung sagen dürfen und an den Entscheidung demokratisch beteiligt werden und 5. Menschenrechtszentrierte Lehr- und Lernprozesse sollen durch die Entwicklung von entsprechenden Lehrplänen und Unterrichtsformen sowie die Bereitstellung geeigneter Mittel (insbesondere Lehrbücher) gefördert werden. Ob das „Programm“ erfolgreicher sein wird als die „Dekade“ bleibt abzuwarten. Und zu hoffen.

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Josef Bordat

...ktiven Menschenrechten), zum Teil, weil sie gar keine Vorstellung vom Unterschied zwischen „Werten“ und „Rechten“ haben. Nicht jede Form von Moralität findet unmittelbaren Ausdruck in einer Norm. Dort ist das moralische Prinzip oft versteckt und muss erst identifiziert werden. Sie werden das alles wissen, ich weiß es auch, „meine“ Schüler leider nicht.

3.
Menschenrechtsbildung ist nicht nur auf die Schule beschränkt, sie beginnt im Elternhaus, setzt sich in Kindergarten, Schule und Universität fort und sollte auch in der Erwachsenenbildung eine Rolle spielen. Viele Erwachsene messen hierzulande den Menschenrechten eine große Bedeutung zu, wissen aber nicht genau, was Menschenrechte eigentlich sind – und was nicht. Ich sehe selbst in den Augen von gut informierten Studenten oft ungläubiges Staunen, wenn ich denen sage, dass es ein „Menschenrecht auf Arbeit“ gibt (Art. 23 AEMR) – aber zum Beispiel kein „Grundrecht auf Arbeit“ (die Differenz von GG und AEMR/MR-Pakte scheint mir ohnehin für viele ein Buch mit sieben Siegeln zu sein).

Vielleicht können wir uns schließlich auf folgende Formel einigen: Jeder Beitrag zur Stärkung der Menschenrechte ist sinnvoll und hilfreich – Ihr Unterricht ebenso wie die VN-Initiativen.

Herzliche Grüße,
Josef Bordat

Gravatar: Frank Martin

Nein, Herr Bordat, die Stundenpläne der Schulen sind längst übervoll mit politisch motivierten Erzählstunden.

Irgendwelche "Weltprogramme" aus der Zentrale des politischen Irrsinns auf unsere Kinder loszulassen, widerspricht aller liberalen und christlichen Tradition. Schule kann helfen, Fähigkeiten und Fertigkeiten für den persönlichen Bildungserwerb zu erlernen, zur Indoktrination politischer Idealismen ist sie schon allzuoft mißbraucht worden.

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