Man höre auch die andere Seite! Beruhigend ist es aber nicht

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Medial wird auch in diesen Tagen zu viel über den Islam und die Muslime geredet als mit ihnen. Abseits der Islamverbände, die ja mit ihren offiziellen Verlautbarungen nicht repräsentativ sind, hat das endlich einmal die FAS in Berlin getan ("Und schon keimt der Glaube an ein Komplott"). Sie titelt heute nach einer spontanen Umfrage, dass Verschwörungstheorien unter den Muslimen blühen. Das ist jedoch überhaupt nichts Neues. Jeder, der sich beim Einkauf in den Geschäften, bei Demonstrationen auf den Straßen, beim Plausch im Café und anderswo die ehrliche Mühe gibt, mit hart arbeitenden, unbescholtenen in Deutschland lebenden Muslimen ins Gespräch zu kommen, wie das in Frankfurt sehr gut möglich ist, wird seit Jahren Ähnliches hören. Auch im Freundes- und Bekanntenkreis, unter Ex- oder gläubigen Muslimen findet man diese Überzeugungen weit verbreitet. Es lohnt sich immer, die “andere Seite” zu hören.  Ein ungefähres, aber gegenüber den Stereotypen der Islamverbände möglicherweise repräsentativeres Gesamtbild stellt sich folgendermaßen dar.

Das Mitgefühl mit den Opfern von Paris ist allgemein eher gering, denn diese seien letztlich gegen die Opfer in Syrien, dem Irak und Afghanistan aufzuwiegen. Der Krieg in diesen Ländern werde „vom Westen“ betrieben, der den gesamten Nahen Osten ins Chaos stürzen wolle, daran verdiene und dem dabei jedes Mittel recht sei. Die Attentäter von Paris seien entsprechend Büttel der westlichen Geheimdienste, möglicherweise des Mossad, um durch Terror einen Keil zwischen die Muslime zu treiben. Antisemitische, eher noch antiisraelische Affekte kommen im Gespräch nach kurzer Zeit an die Oberfläche. Es wird suggeriert, dass mit dem Verschwinden Israels aus dem Nahen Osten alle Probleme gelöst wären.

Auch offensichtlich gut integrierte Muslime reagieren auf die Feststellung, man müsse in unserer Zivilisation so frei sein können, Gott und Propheten zu lästern, zornig bis zur Aggression: „Sie beleidigen mich!“ Den Hinweis, man habe doch nicht sie persönlich gemeint, verstehen sie nicht. Hier besteht ein tiefer Graben zur westlichen Auffassung der „freedom of speech“.

Es ist kaum zu leugnen (und diese Meinung wird in westlichen Publikationen auch breit vertreten), dass es ein westliches, besonders amerikanisches Interesse an Destabilität im Nahen Osten gibt, wie auch kaum geleugnet werden kann, dass der Grund für den Dritten Golfkrieg nichts weniger als überzeugend war. Saudi-Arabien und Quatar werden von Muslimen in diesem Zusammenhang jedoch nicht als islamische Akteure, sondern als westliche Marionetten wahrgenommen. Dass das wegen deren Islamisierungspolitik zu kurz greift, wird von Muslimen meist einfach negiert, ebenso die dubiose Rolle der Türkei. Dahinter steht sehr häufig die naive, aber laut vertretene Ansicht, dass echte Muslime so schlimme Dinge nicht tun. Die Opferrolle ist praktisch vollkommen verinnerlicht.

Schließlich kommt das Argument, dass die Menschen hier im Westen niemals so in Saus und Braus leben könnten, wenn die Weltwirtschaft gerecht geführt würde. Das ist der ewige und immer einseitige Imperialismus- und Kolonialismusvorwurf. Den kennt man aus der „Aktuellen Kamera“. Auch dieses alte Argument findet heute z. B. bei der deutschen Linken Verständnis, denn wie so oft ist am Vorwurf auch etwas dran. Vergessen wird dabei, dass Terror gegen Zeichner oder Supermarktbesucher so wenig zur Lösung der Verteilungsprobleme beiträgt wie das früher die Planwirtschaft vermocht hat.

Vergessen wird auch, dass es feige und nicht besonders ehrenhaft ist, einen Krieg, sollte er auch seine Berechtigung als Verteidigungskrieg haben, nicht gegen Kombattanten, sondern terroristisch zu führen; doch sind ja von den Auftraggebern der Attentäter die Pariser Journalisten nicht als Zivilisten, sondern als „Ziele“ definiert worden, wie das von einem der führenden Lehrbücher, „Das Korankonzept des Krieges“ von S. K. Malik (1979), unter Berufung auf den islamischen Propheten auch theoretisch abgesegnet wird. Kaum ein Muslim in Deutschland kennt dieses Buch, was ihn aber häufig nicht an der Relativierung hindert, die unvermeidlichen zivilen Opfer eines Krieges mit den Opfern eines Terroranschlags aufzurechnen. Motivation und Ergebnis werden vermengt.

Stellt man nach alldem die entscheidende Frage, warum man denn noch immer in Deutschland lebe, wenn Deutschland und der Westen so völlig verkommen und schlecht seien, herrscht betretenes Schweigen. Fragt man, ob man denn nicht notgedrungen mitschuldig werde als Teil dieser Gesellschaft (und das wollen Muslime ja wohl sein), deren Vorzüge vor allem materieller, aber auch ideeller Art man gerne in Anspruch nimmt, ist plötzlich totale Funkstille. Die Illusion, der man erlegen ist, wird erkannt: Man kann sich den Pelz nicht waschen, ohne ihn nass zu machen.

Man muss nun wirklich nicht die Politik der Bundesregierung und der westlichen Staaten in allen Punkten gutheißen. Schon gar nicht ihre Außenpolitik und die Praxis der Waffenlieferungen. Aber es gibt Möglichkeiten des Widerstands mit den Mitteln der Verfassungen, unter deren Schirm man sich entschlossen hat zu leben. Der Muslim, der hier lebt, arbeitet und Steuern zahlt, kann nicht so tun, als sei er nicht Teil des Westens, ob ihm das nun gefällt oder nicht. Er kann mehr Geld verdienen als es ihm oder seinen Eltern im Herkunftsland je möglich gewesen wäre, muss sich aber im Klaren sein, dass er eventuell von einer ungerechten Weltwirtschaft profitiert. Er kann (trotz big data) in immer noch großer Freiheit die wildesten Verschwörungstheorien verkünden und auf die Regierung schimpfen wie er es umgekehrt in seinem früheren Land oder dem seiner Vorfahren nie hätte tun können, muss aber wissen, auf welcher Seite des Umgangs mit der Meinungsfreiheit er damit steht. Er hat völlige Reisefreiheit und ist nicht gezwungen hier zu leben. Natürlich ist er auch mitverantwortlich für negative Aspekte, die er aber, offenbar um der genannten Vorteile willen, mitträgt. Er kann jedoch sein Nicht-Einverstandensein z. B. bei Wahlen oder durch die Gründung einer oppositionellen Partei bekunden. Die politische Beteiligung von Muslimen an unterschiedlichen Parteien innerhalb der freiheitlich demokratischen Grundordnung ist wichtig.

Muslimsein per se darf nicht ausreichen, um automatisch fundamentaloppositionell zu sein. Betrachtet man jedoch das oben geschilderte Meinungsbild,vorausgesetzt, es ist halbwegs richtig,  ist man geneigt zu glauben, viele Muslime denken genau das. Dann stellt sich natürlich die Frage der Loyalität und das Problem der fünften Kolonne kommt auf, dessen Realität eine Katastrophe wäre. So wenig wünschenswert das ist: Der deutsche Staat wird leider nicht umhin können, dem mit dosierten, auch autoritären Massnahmen hinsichtlich der Definition, welcher Islam in Deutschland akzeptiert wird, entgegenzuwirken. Ob hierzu Lehrstühle für Islamkunde ausreichen, sei dahingestellt.

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Adorján Kovács

Verehrter Herr Zumpe,
Sie wissen aber doch, dass Jesus Sirach nicht identisch ist mit Jesus Christus; ebenso muss Ihnen doch bekannt sein, dass es zu Zeiten beider Jesusse keine Kirche gab.
Ihr Argument ist trotzdem richtig. Maria und Josef waren die Flüchtlinge nach Ägypten, nicht Jesus. Der lag noch in Windeln (Mt 2,14).

Gravatar: Jürgen Zumpe

Übrigens: Wenn Kirchenfürsten heute anführen, dass "Jesus auch ein Flüchtling" war, dann sei dazu ergänzend folgendes Zitat angeführt:

"Nimmst du einen Fremden zu dir in dein Haus, so wird er dir Unruhe machen und dich aus deinem Eigentum treiben."

Jes Sir 11,36 (175 v. Chr)
http://www.bibel-online.net/buch/luther_1912_apokr/sirach/11/#1

Also sage mal einer, dass die Kirche zu Jesus Zeiten nicht auch ausländerfeindlich war.

Gravatar: Adorján Kovács

Nichts gegen die Kreuzzüge - das waren ja nun wirklich Verteidigungskriege nach 2-300 Jahren islamischer Angriffe auf das Byzantinische Reich.
Mit "Logik" meine ich nicht eine moralische Berechtigung, die ja immer relativ ist, sondern eine militärische. Und die gibt es nicht, so wenig wie der Terror gegen deutsche Städte den Zweiten Weltkrieg auch nur um eine Woche verkürzt hat.
Ihr Argument mit der Darstellung des Propheten ist auch falsch. Wenn es Muslimen verboten ist, gilt es für Nichtmuslime nicht. Sollen diese sich jetzt an alles halten, was Muslime machen? Übrigens lästern Muslime per definitionem den Dreifaltigen GOtt, da sind sie selber gar nicht rücksichtsvoll.
Glauben Sie wirklich, ein Rückzug aus Irak und Afghanistan würde etwas ändern? Der Islam ist immer schon politisch und es kommt nur auf die Konstellation an, ob und wie er sein gewalttätiges Gesicht zeigt. Fragen Sie Kopten, assyrische Christen, Hindus etc, wie es ihnen die letzten Jahrhunderte ging. Lesen Sie mal die griechische, serbische, ungarische Geschichte. Da erfahren Sie viel über die "Religion des Friedens".

Gravatar: arianischer Christ

Sind die oben genannten Zahlen nicht Logik und Grund genug um zu verstehen wieso sich Menschen radikalisieren . Und wie kann man bitte die Situation Heute mit der zur Zeit des Vietnamkriegs vergleichen, vor allem was unsere globalisierte Welt angeht. Vielleicht gerade weil wir den Islam als solches nicht wirklich verstehen, hätten wir mit Respekt und Toleranz von solchen Karikaturen besser ablassen sollen. Gerade weil man aber auch zum Teil als gebildeter Mensch weis, das es im gesamten Islam und dessen verschiedene Ausrichtungen verboten ist deren heiligen Propheten zu zeichnen, es hätte der Verständigung halber gerade zwischen den angespannten Verhältnissen des Westens und dem Islam die letzten mehr als 10 Jahre es besser sein lassen noch weiter Öl ins Feuer zu gießen.

Aber dies sehe ich mitunter als zweitrangig wenn man sich die Entwicklung der mehr als 10 Jahre anschauen indem wir meinen den Großteil der islamischen Welt zu destabilisieren und dies indem Ausmaß nicht einmal annähernd zu den Kreuzzügen geschafft haben wenn man sich ausser dem Nahen- mittleren Osten sowie Nord- und Zentralafrika anschaut. Daher brauch sich hier auch niemand wundern wieso wir letzte Woche nun dies erlebt haben was wir erlebt haben und können im Grunde froh sein das nicht schon viel mehr passiert ist. Nun mit dem Abzug der Truppen im Irak sowie Afghanistan könnte sich dies nun ändern. Und nur weil einige Fanatiker meinen 3000 Menschen zu töten, fange ich keinen globalen Krieg gegen islamische Länder an wo bis dato mehr als 1.500.000 Menschen mit auf höchsten technischen Militärniveau schlimmer noch als Vieh abgeschlachtet und mit Uranmunition ganze Gebiete auf Jahrhunderte verseucht wurden. Wie gesagt "Hochmut, kommt vor dem Fall" es werden harte Zeiten auf uns zukommen. Möge Gott uns vergeben.

Gravatar: Crono

Danke, Herr Kovács, ein sehr treffender und sehr mutiger Artikel.

Gravatar: Adorján Kovács

Völlig richtig. Dennoch frage ich erstens nach dem logischen Zusammenhang zum Terror in Frankreich und Europa und zweitens nach der Effektivität von Terror: Er wird nichts wesentlich ändern. Drittens hat z. B. Vietnam zu Zeiten des Vietnamkriegs keinen Terror in die USA gebracht, obwohl es Grund dazu hatte; die Situation heute hat also sehr wohl mit dem Islam zu tun und damit, dass in Europa Moslems leben.

Gravatar: Rüdiger Braun

Solange man den Islam, und ich meine hier den gesamten Islam in all seinen Schattierungen, als eine Religion ansieht, solange wird man immer die falsche Antworten haben.

Gravatar: Karin Weber

In Leipzig gibt es seit Jahrzehnten eine russisch-orthodoxe Kirche. Solange ich denken kann, gibt es diese Kirche. Als Kinder haben wir sie mit der Schulklasse besucht. Noch nie sind diese Menschen, die die Kirche betreiben oder besuchen in irgendeiner Weise in Erscheinung getreten, geschweige negativ. Die leben da einfach ihren Glauben und niemand wird davon tangiert oder gar bedroht. Die Kirche ist auf Grund ihrer Bauweise eine Sehenswürdigkeit in Leipzig.

http://www.russische-kirche-l.de/

Nun frage ich mich, warum es dagegen der Islam binnen 2-3 Jahrzehnte geschafft hat, sich einen derartigen Ruf in Deutschland zu erarbeiten. Über diese sichtbaren Unterschiede sollte man einmal nachdenken und Konsequenzen ziehen.

Gravatar: arianischer Christ

Hochmut, kommt bekanntlich wie immer vor dem Fall !. Vor allem wenn man sich dessen bewusst wird auf was die eigene Lebensweise eigentlich beruht.

"Body Count - Opferzahlen nach 10 Jahren "Krieg gegen den Terror" - IPPNW-Pressemitteilung vom 18.5.2012"

Der "Krieg gegen den Terror" hat allein im Irak, Afghanistan und Pakistan zu 1,7 Millionen Todes-Opfern geführt. Das ist das Ergebnis des IPPNW-Reports "Body Count - Opferzahlen nach zehn Jahren Krieg gegen den Terror". "Präzisionswaffen ändern nichts am hohen Prozentsatz getöteter Zivilisten in asymmetrischen Kriegen", erklärt IPPNW-Vorstandsmitglied Dr. Jens Wagner. Der Einsatz von Phosphorbomben, Streumunition, DIME- und Uranmunition sowie das brutale Vorgehen der Besatzungstruppen zum Beispiel in Fallujah und Basrah zeigten das unmenschliche Gesicht des Krieges.

Die Autoren Joachim Guilliard, Lühr Henken und Knut Mellenthin haben für den Report systematisch wissenschaftliche Studien über die Toten auf beiden Seiten der Kriege im Irak, Afghanistan und Pakistan zusammengestellt und aktualisiert. Für diese Länder ziehen sie eine Bilanz über den humanitären Preis des Krieges.

So hat der Irak von der Invasion im Jahr 2003 bis heute 1,5 Millionen Todesopfer durch direkte Gewalteinwirkung zu verzeichnen. Spätestens seit der medizinisch-epidemiologischen Studie in der Zeitschrift Lancet über die Mortalität im Irak von 2006, dürfte das wahre Ausmaß der Zerstörung durch das überlegene US-Waffenarsenal und das entstandene Chaos durch die Besatzungstruppen deutlich geworden sein. Trotzdem beziehen sich fast alle Medien bezüglich der Opferzahlen im Irak bis heute auf den Irak Body Count, ein Projekt das weniger als 10% der Kriegsopfer registriert.

Was die Opferzahlen in Afghanistan betrifft, ist die Datenlage schlechter als im Irak. Es kann jedoch davon ausgegangen werden, dass die Zahl der Kriegsopfer inklusive Mitarbeitern von Nicht-Regierungsorganisationen, afghanischen Sicherheitskräften, ISAF und OEF Soldaten keinesfalls unter 70.604 liegt. Wahrscheinlich ist die Anzahl getöteter Zivilisten höher als 43.000. Die Anzahl der durch den Krieg indirekt, also durch Flucht, Hunger und medizinische Mangelversorgung zu Tode gekommenen Afghanen wird nach den Bombenangriffen 2001 bis zum Mai 2002 auf 20.000-49.600 geschätzt.

In Pakistan fielen bisher 2.300 bis 3.000 Menschen US-Drohnenangriffen zum Opfer, davon ca. 80% Zivilisten. Die weitaus größte Anzahl von Kriegsopfern (40.000-60.000) entsteht allerdings durch Kämpfe der von der US-Regierung unterstützten pakistanischen Armee mit unterschiedlichen Widerstandsgruppen.

Der IPPNW-Report schlussfolgert: Von einer objektiven und kontinuierlichen Berichterstattung über Kriege kann keine Rede sein. Während Kriege mit sehr hohen Opferzahlen, wie zum Beispiel der seit Jahren andauernde Krieg im Kongo, kaum Beachtung findet, wird über Menschenrechtsverletzungen in Syrien laufend berichtet. In Libyen endete die Berichterstattung praktisch mit der Ermordung Gaddafis, in Bahrein verschwanden Berichte über Menschenrechtsverletzungen und Tötungen von Demonstranten von der Tagesordnung. Hintergrundinformationen, historische, geographische, gesellschaftliche und kulturelle Tatsachen werden insbesondere dann nicht zur Verfügung gestellt oder verfälscht, wenn aktuelle politische Ziele dem entgegenstehen.

http://www.ippnw.de/startseite/artikel/a8966af902/body-count-opferzahlen-nach-10-ja.html

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