Madrid und die Krise

Welche Krise, fragt man sich unwillkürlich, wenn man das Glück hat, Madrid, die Wunderbare, besuchen zu dürfen. Spaniens Hauptstadt ist eine der schönsten in Europa, Sie steht zu Unrecht im Schatten von Paris, Rom und London.

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Wer von dem großartigen Plaza Mayor kommend über die Calle Huertas ins Dichterviertel spaziert, sieht eine andere Welt. Hier haben Servantes und Lope de Vega gewohnt. Auf dem Pflaster kann man in Abständen ihre Verse und die anderer Dichtergrößen lesen, sonst sieht alles noch so aus, wie im „goldenen Jahrhundert“.

Madrid ist entstanden aus einer maurischen Burg, die sich dort befand, wo heute der Königspalast steht. Auf einer Seite überragt er eine über hundert Meter steile Schlucht, auf der anderen Seite verbindet  ihn ein gepflegter Park mit der Stadt. Madrid ist vom Zweiten  Weltkrieg verschont worden. Die Zerstörungen, die es erleiden musste, stammen aus der Zeit des Bürgerkrieges 1936-1939. Auf dem heutigen weitläufigen Universitätscampus verlief die Front zwischen Republikanern und Nationalisten. Bis zum 28. März 1939, wenige Wochen vor dem Ende des Krieges, ist es den Francotruppen nicht gelungen, die Stadt einzunehmen.

Als sich die Republikanische Regierung nach Toledo zurückzog, übernahmen die Madrider selbst die Verteidigung. „No pasarán“, sie kommen nicht durch, wurde der bekannteste Schlachtruf des Bürgerkrieges, der wegen seiner auf beiden Seiten verübten Grausamkeiten ein bis heute nicht verarbeitetes spanisches Trauma ist. An vielen Orten trifft man auf die Spuren der Franco-Diktatur, so auf der Calle Atocha, wo seit einigen Jahren ein Denkmal für die in den Siebzigern hier erschossenen Rechtsanwälte steht. Keine hundert Meter weiter befindet sich ein Dauercamp kubanischer Exilanten, die auf die Verbrechen der Castro- Diktatur aufmerksam machen wollen, was weitgehend ignoriert zu werden scheint. Das Leben flutet an den Demonstranten vorbei. Sie werden von den vielen Passanten kaum eines Blickes gewürdigt.

Die Restaurants und Cafés sind voll, die vielen Läden ebenfalls. Wenn überhaupt, sind weniger Touristen als gewöhnlich unterwegs. Aber das muss man gesagt bekommen, sonst würde es nicht auffallen. Von der Deutschenfeindlichkeit, über die man so viel in der heimischen Presse liest, ist auch nichts zu spüren. Die Menschen sind freundlich und hilfsbereit. Deutsche Damen bekommen zu ihrem Wein, der schon für 2,60€ pro Glas zu haben ist, gratis kleine Vorspeisen. Anschließend erklärt man ihnen mit großer Geduld den Weg zurück in ihr Hotel.

Zwei Stunden vor Schluß sind alle Museen der Stadt umsonst zu besichtigen. Vor dem Prado bilden sich jeden Abend kurz vor 18.00 Uhr lange Schlangen. Picassos berühmtes Gemälde Guernica dagegen kann man abends im Museo Reina Sofia ohne anzustehen betrachten, wenn man das Kunststück, es in dem riesigen Gebäude ausfindig zu machen, gemeistert hat. Auch hier können orientierungslose Deutsche auf die freundliche Hilfe des Personals vertrauen.

Vielleicht sind die morgendlichen Schlangen vor den Kirchen, die kostenloses Frühstück für Bedürftige anbieten, länger als vor 2008, dem Beginn der Staatsschuldenkrise, aber das ist schon fast alles, was auf die Krise hindeutet. In Madrid scheint es keine Immobilienblase gegeben zu haben. Wohnungen hier sind nach wie vor begehrt und teuer. Selten sind Verkaufsschilder zu sehen.

Erst am Dienstagabend ändert sich das Bild. Als wir auf der Prachtstraße, der Calle de Alcalá, spazieren, ist die ab der Kreuzung Plaza de Cibeles in Richtung Regierungsviertel plötzlich für Autos gesperrt. Gleich darauf gewahren wir vor uns eine Endloskolonne Blaulichtwagen der Polizei. Allerdings sehen die Polizisten sehr entspannt aus. Nur Einer zeiht mit leicht verzerrter Mine einen karierten Rollkoffer hinter sich her, der offensichtlich herrenlos auf der Straße herumstand und nun an sicherer Stelle auf seinen  möglicherweise explosiven Inhalt untersucht werden muss. Am Gitter, das den nächsten Springbrunnen auf dem Grünstreifen des Boulevards umzäunt, hängen mehrere entsorgte Plakate. „Besetzt das Parlament“ steht auf eineigen, auf anderen „Ihr vertretet uns nicht“ oder einfach nur „Raus mit Euch!“ Die Parlamentarier scheinen ein rotes Tuch für die Demonstranten zu sein.

Aber wo sind die Protestierenden? Wenig später stoßen wir auf sie. Aus drei Straßen der Altstadt kommend, vereinigen sich die Demonstrationszüge an einer Kreuzung oberhalb der Calle de Alcalá. Man verständigt sich mit Flüstertüten. „Zum Parlament“ heißt schließlich die Devise. Mit dem Ruf: „El pueblo unido jamás sera vencido“ mit dem einst die chilenische Linke die Regierung Allende verteidigte, zieht man vereint weiter. Ich habe eine deutsche Konferenzmappe unter dem Arm. Grund für Attacken, wenigstens hier? Nein, die Stimmung ist lebhaft, aber nicht aggressiv. Es sind überwiegend junge Leute zwischen 18 und 38, die hier demonstrieren. Einige  Jüngere werden von ihren Eltern begleitet, sonst sind wenig ältere Semester zu sehen.

 Uns fällt ein junger Mann auf mit einem großen Schild, auf dem  eine EU-Fahne mit einem Hakenkreuz in der Mitte zu sehen ist. Er zeigt Gesicht, nur als wir ihn fotografieren wollen, setzt er sich eine Faschingsmaske auf. Hier äußert sich eine Jugend, die zutiefst enttäuscht von der politischen Klasse ist und offenbar das Gefühl hat, von einer EU-Diktatur gegängelt zu werden. Verdenken kann man ihnen das nicht. Es ist leider eher unwahrscheinlich, dass die Warnsignale, die auf dieser und anderen Demonstrationen, die zur Zeit in Europa stattfinden, gehört werden.

Als ich am anderen Morgen die Nachrichten im Fernsehen anschaue, stelle ich fest, dass die Zahl der Teilnehmer des Protestzuges absurd niedrig angegeben wurde. Sechshundert sollen es nur gewesen sein, wo ich  mehrere Tausend  an dieser Kreuzung gesehen habe. Auch die Interviewten sind zwischen 50 und 60 Jahre alt, was mit dem Durchschnittsalter der Demonstranten nichts zu tun hat.

Arroganz der Macht? Auf die Dauer werden sie damit nicht durchkommen.

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