Machtumkehr zwischen Eltern und Kindern

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Übertrieben? Pessimistisch? Michael Winterhoff wurde vom Tages-Anzeiger interviewt. Er sagt eine Machtumkehr zwischen Eltern und Kindern voraus:

Eine Einladung lief unlängst so ab: Die Kinder dominierten, ein Gespräch war unmöglich, und die Eltern wiesen sie nicht zurecht, sondern apportierten auf Wunsch Spielsachen. Man dachte: Hier stimmt was nicht. Zu Recht? Ja, der gesunde Menschenverstand trügt einen da nicht. Der kommt einem aber abhanden, wenn man, wie fast alle Eltern, in eine Symbiose gerutscht ist. Das heisst, das Kind ist ein Teil von ihnen, so wie ein Körperteil, wie ein Arm. Wenn der Arm juckt, müssen sie sich kratzen, wenn er schmerzt, müssen sie ihn halten. Die Eltern in einer Symbiose halten Spannungen nicht aus, deshalb lesen sie ihren Kindern jeden Wunsch von den Augen ab.

Damit scheinen sie ihren Kindern keinen Gefallen zu tun. Die von Ihnen im Buch geschilderten Folgen dieser Symbiose sind fatal. Das sind sie auch. Die Kinder solcher Eltern werden in ihrer Entwicklung gebremst, ihre emotionale und soziale Psyche bildet sich nicht mehr aus. Dabei ist diese die Voraussetzung dafür, damit Menschen miteinander klarkommen. Stattdessen wird das Entwicklungsdefizit zum Massenphänomen: Die Primarschüler und Jugendlichen, die in meine Praxis kommen, haben das Weltbild eines 16 Monate alten Kleinkindes.

Vor ein paar Jahren habe ich Winterhoffs Buch "Warum unsere Kinder Tyrannen werden" gelesen. Winterhoff sieht keine Trendwende, eher eine Verschärfung.

Erschien zuerst unter www.hanniel.ch.

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: mestro

Dass Ausdrücke wie "meine" oder "unsere" Kinder Besitzansprüche erheben sollen, lese ich immer wieder, kann diese Meinung aber nicht teilen.
Meine, deine, unsere, seine, ihre usw. sind einfach Begriffe, die jeder braucht, um anzugeben, wen oder was er genau meint.

Gravatar: Clara West

Winterhoff befasst sich mit einer Minderheit der Familien und auf diese Minderheit bezogen, treffen seine Analysen höchstwahrscheinlich größtenteils zu. In seine Praxis kommen i.d.R Leute, die ein Problem haben. Hätten sie keines, würden sie keinen fachlichen Rat suchen, sondern ihre Zeit anderweitig verbringen.

Der weitaus größte Teil der Familien, insbesondere dort wo mehrere Kinder im Haushalt sind, zieht diese völlig normal und bodenständig groß. Das ist die mehr oder weniger uninteressante Mehrheit, die auch nie in den Medien repräsentiert wird. Die sind so beschäftigt, den Alltag zu bewältigen, dass für anderen Kram schlicht keine Zeit bleibt.

Bedeutet also, dass nicht "unsere" Kinder Tyrannen werden, sondern einige Kinder. Ebenso wie einige Kinder ins soziale Netz hineingeboren werden und es in ihrem ganzen Leben nicht wieder verlassen. Traurigerweise.

Es ist überhaupt interessant, wie Kinder verbal immer mehr kollektiviert werden, was ich persönlich beängstigend finde, weil damit auch eine Art Rechtsanspruch einhergeht. Meine Kinder sind auf einmal nicht mehr meine Kinder, sondern eine Art gesellschaftlichen Eigentums. "Unsere Kinder" - ein Begriff, der mehr und mehr von kinderlosen Politikern benutzt wird, um damit ihre Politik zu machen.

Es sind aber nicht "unsere Kinder". Sie gehören - wenn überhaupt - nur sich selbst. Nicht einmal uns als Eltern.

Gravatar: Jana

Die beschriebene Machtumkehr kann ich täglich beobachten. Heute wird nicht nur jeder Wunsch vielen Kindern von den Augen abgelesen, sondern manche Eltern warten ihn gar nicht erst ab und erfüllen ihn in vorauseilendem Gehorsam.

Gravatar: Carsten

Btw: Das Buch heißt "Warum unsere Kinder Tyrannen werden". :-)

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