Lockdown und Gelassenheit

Können wir in der Corona-Krise und im Lockdown gelassen sein? Bildet der Lockdown sogar eine Gelegenheit, sich in Gelassenheit zu üben? Große Philosophen haben sich Gedanken über die Gelassenheit gemacht, die in der Corona-Zeit nützlich sein könnten.

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Können wir in der Corona-Krise und im Lockdown gelassen sein? Bildet der Lockdown sogar eine Gelegenheit, sich in Gelassenheit zu üben? Große Philosophen haben sich Gedanken über die Gelassenheit gemacht, die in der Corona-Zeit nützlich sein könnten. Es waren vor allem Martin Heidegger und Meister Eckhart. Doch für diese Philosophen bedeutet Gelassenheit nicht Gleichgültigkeit. Es bedeutet nicht nur, sich von den Ereignissen nicht hinreißen zu lassen. Es bedeutet nicht Passivität, sondern höchste Aktivität.

Charakteristisch für die Haltung der Gelassenheit ist zunächst ein Warten, das sich für etwas Neues offen hält. Es ist kein Warten auf etwas Bestimmtes, worunter man sich dies oder jenes vorstellen, könnte, vielmehr ein Sichöffnen für Erfahrungen, die vorher verschlossen waren. Für Martin Heidegger ist Gelassenheit ein Sicheinlassen in das Offene, aus dem her sich dem Menschen etwas zusprechen kann. Mit anderen Worten: Gelassenheit heißt, sich der Offenheit zu überlassen.

Zwei wichtige Momente gehören zur Gelassenheit: das Loslassen von unseren Denkgewohnheiten und das Sicheinlassen auf etwas Neues. Gelassenheit bedeutet daher keine Abkehr von der Welt, sondern eine besondere Form der Hinwendung zu ihr. Gelassenheit ist nicht Passivität, sondern eine ganz besondere Form der Aktivität, ein „höheres Tun“.

Mit der Gelassenheit ändert der Mensch sein Verhältnis zur Welt. Er richtet nicht alles nach seinen Vorstellungen und seinem Willen, sondern lässt sich von der Welt, von den Dingen, ansprechen. Er ist ein Sprachrohr, durch das neue Ideen und neue Lösungen für seine Probleme zum Vorschein kommen. Darüber hinaus können in der Gelassenheit höhere Erfahrungsbereiche erschlossen werden. Einige Philosophen sprechen von Transzendenzerfahrungen, in denen der Mensch die Grenzen seines Selbst überschreitet. Meister Eckhart zufolge offenbart sich dem Menschen in der Gelassenheit Gott.

Nicht minder wichtig als die Gelassenheit zu den Dingen in der Welt ist die Gelassenheit des Menschen zu sich selbst. Dazu gehört die Fähigkeit, von sich selbst abzusehen. Der moderne Mensch ist zu stark auf sich selbst, auf sein Ego fixiert. Er kann erst dann frei und gelassen werden, wenn er sich nicht an sein Ego klammert, sondern sich von ihm loslöst.

Der Mensch sollte Distanz zu sich selbst gewinnen, sich selbst und seine Probleme, Sorgen und Angelegenheiten nicht so wichtig nehmen. Entscheidend ist dabei die Selbstironie, die Fähigkeit, über sich selbst zu lachen. Nur derjenige, der über sich selbst lachen kann, kann ein distanziertes und somit ein gelassenes Verhältnis zu sich selbst gewinnen.

Zur Haltung der Gelassenheit gehört auch das Verzichten-Können. Wir können nicht alles haben, alles kontrollieren und manipulieren. Das gilt nicht nur für materielle Güter, sondern auch für emotionale Zustände, wie z.B. die Lust. Das übermäßige Verlangen nach bestimmten positiven emotionalen Zuständen ist mit der Haltung der Gelassenheit nicht vereinbar. Diese Zustände können sich nur als Nebeneffekte eines auf die Welt und andere Menschen ausgerichteten Engagements ergeben.

In der Gelassenheit erhebt sich der Mensch „über“ die Zeit: Er vergisst die Vergangenheit und die Zukunft und geht im Hier und Jetzt auf. Somit erhebt er sich über den Alltag mit all seinen Problemen und Sorgen. Nicht zuletzt ist Gelassenheit ein glücklicher Zustand. Die Loslösung von den Dingen und von sich selbst geht mit einem Befreiungsgefühl einher. Die Offenheit ist im Gegensatz zu Furcht, in der sich der Mensch verschließt, oder zu Depression, in der er sich von der Welt abwendet, ebenfalls ein positiver Zustand.

Auch im Lockdown oder sogar ganz besonders im Lockdown können wir uns in Gelassenheit üben. Das Zurückwerfen auf das Ego bietet die Möglichkeit, sich von diesem Ego zu distanzieren und ein anderes Verhältnis zu sich selbst und zur Welt zu gewinnen.

Literatur: Alexander Ulfig, „Martin Heidegger“ und „Meister Eckhart“, in: Alexander Ulfig, Große Denker, Druckausgabe eBook 2015; Alexander Ulfig, Der letzte Schritt zum Glück, independently published, 2020.

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Ekkehardt Fritz Beyer

... „Charakteristisch für die Haltung der Gelassenheit ist zunächst ein Warten, das sich für etwas Neues offen hält.“ ...

Etwa so wie folgt? https://de.rt.com/der-nahe-osten/111291-israel-hunderte-personen-erkranken-nach-impfung-an-covid-19/

Oder - als weiteres Beispiel – dass Bayern „Grippeimpfstoff bunkert, während Ärzte darauf warten“!!! https://www.augsburger-allgemeine.de/politik/Bayern-bunkert-Grippeimpfstoff-waehrend-Aerzte-darauf-warten-id58538081.html

In treu-söderischer Umsetzung des entsprechend göttlichen(?) Diktats???

Gravatar: Elmar Oberdörffer

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