Literaturtipp: Können Lastwagenfahrer gute Romane schreiben?

Mit dem US-Autor Donald Ray Pollock auf einer Reise ins Herz der Finsternis.

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Können Lastwagenfahrer gute Romane schreiben? Nachdem man mit dem 1954 im US-Bundesstaat Ohio geborenen Donald Ray Pollock zusammen bis ins Herz der Finsternis gereist ist, möchte man diese Frage unbedingt bejahen. Der Autor brach mit 17 Jahren die Highschool ab und arbeitete über 30 Jahre in einer Papiermühle, zumeist als Lkw-Fahrer. Über Umwege kam er zum Schreiben. Er holte seinen Schulabschluss nach und schrieb sich sogar an der Ohio State University ein. Mit dem Roman „Das Handwerk des Teufels“ ist ihm ein literarisches Meisterwerk gelungen. Eine solche Karriere ist wohl nur in den Vereinigten Staaten möglich, die sich dann doch ab und an als Land der unbegrenzten Möglichkeiten erweisen.

„Arvin wusste nicht, was schlimmer war, das Trinken oder das Beten. Solange er sich erinnern konnte, war sein Vater ohne Unterlass dem Handwerk des Teufels ausgeliefert gewesen“, so lesen wir auf der ersten Seite dieses Buches, das viel mehr ist als ein klassischer Kriminalroman. Pollock erzählt eigentlich drei Geschichten. Arvins Vater Willard Russell kehrt 1945 aus dem Kriegseinsatz zurück. Die Schrecknisse des 2. Weltkrieges hat er nie verarbeitet. Er ist stark traumatisiert. Er trinkt, prügelt sich und flüchtet in einen religiösen Wahn samt Tieropfern, als seine Frau unheilbar an Krebs erkrankt. Als die Frau stirbt, bringt sich Willard um.

Doch auch Arvin, der bei seiner Großmutter aufwächst, erleidet ein schweres Schicksal. Seine Stiefschwester Lenora wird von dem neuen, bigotten Gemeindepfarrer missbraucht. Als sie von ihm schwanger wird, stößt er sie eiskalt zurück. Lenora bringt sich aus Scham und Verzweiflung um. Arvin, der seine Stiefschwester immer beschützt hat, begibt sich auf einen alttestamentarisch anmutenden Rachefeldzug.

Neben diesem Handlungsstrang erzählt Pollock auch die Geschichte von Sandy und Carl, einem perversen Killer-Pärchen. Sandy ist die missratene Schwester eines in kriminelle Geschäfte verwickelten Polizisten, die kellnert und sich prostituiert. Als sie in die Fänge des Möchtegernfotografen Carl Henderson gerät, kommt sie völlig auf die abschüssige Bahn. Beide ziehen durchs Land und schnappen sich Tramper. Sandy verführt diese jungen Männer, während Carl Fotos davon schießt. Anschließend ermordet er die Opfer, die die beiden „Models“ nennen. Aus dem Betrachten dieser bizarren Fotos schöpft der kranke Carl, dem sein eigenes sinnentleertes Dasein durchaus bewusst ist, so etwas wie Befriedigung. Ein schwächerer Autor als Pollock hätte bei der Schilderung der Umtriebe dieses Highway-Killer-Duos dumpfen Voyeurismus bedient. Doch dieser Autor hat so viel Klasse und Stil, das diese Gefahr niemals droht.

Und schließlich berichtet der Autor auch von Lenoras leiblichem Vater Roy, der mit seinem gelähmten Cousin Theodore als Wanderprediger unterwegs ist. Trunksucht und Religion, sexuelle Abnormitäten und menschliche Monstrositäten: Sie gibt es in Pollocks literarischer Heimat, dem südlichen Ohio, zuhauf. Wer starke Nerven hat, wird dieses Buch atemlos verschlingen. Pollocks Sprache macht es einem leicht: Sie ist klar und verzichtet auf grelle Effekte, denn das Geschilderte ist an sich schon grotesk genug. Hin und wieder gibt es einen Hoffnungsschimmer, doch hinter der Maske des Guten stecken meist Frömmelei, Hass und Wahn. Man wünscht Arvin, das er trotz der Widrigkeiten, denen er begegnet, am Ende sein Glück finden wird. Trost bieten derweil die wenigen Momente des Glücks, die er im Haus seiner Großmutter erlebt. Es gibt so etwas wie Liebe, auch wenn man sie in Pollocks Kosmos mit der Lupe suchen muss.

Donald Ray Pollock: Das Handwerk des Teufels. Liebeskind Verlag: München 2012. 303 Seiten. 19,80 Euro.

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