Liberalismus ist kein Luxusspielzeug verwöhnter Juristensöhnchen

Gibt es in Deutschland liberale Kabarettisten? Immerhin sind wir die Zahnärzte der Künstlerbranche. Wir sind selbstständig, besserverdienend und machen unser Geld mit dem Mundwerk.

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Dennoch verteufeln viele meiner Kollegen konsequent die Marktwirtschaft und bezeichnen sich lieber als links. Die linkesten unter ihnen verdienen sogar richtig viel Geld, indem sie ihrem Publikum jeden Abend erzählen, dass die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinandergeht.

Neulich erst saß ich nach einer TV-Aufzeichnung mit einem Kollegen zusammen und habe ihn gefragt: “Was würdest du eigentlich tun, wenn du im Jahr eine Million zur Verfügung hättest?” Und er antwortete mir: “Ich müsste mich sehr einschränken …”

Der Begriff “liberal” hat unter uns Kulturschaffenden einen eher halbseidenen Touch. Gleichbedeutend mit asozial, rücksichtslos und egoistisch. “Liberal” sind Guido Westerwelle , Hotelsteuer-Privilegien und Porsche fahrende Juristengattinnen in Gucci-Kostümchen. Auch in großen Teilen der Bevölkerung ist der liberale Grundgedanke nicht besonders sexy.

Freiheit ist nicht so wichtig. Hauptsache, der Müll ist ordentlich getrennt. Meine Nachbarin schneidet sogar ihre alten Tetrapacks auf und stellt sie in den Geschirrspüler, bevor sie sie in die Wertstofftonne wirft. Nicht zu fassen, aber meine Nachbarin wäscht ihren Müll! Irgendwie kann es kein Zufall sein, dass sich “Dosenpfand” auf “Vaterland” reimt. Kommt ja sogar in unserer Hymne vor: “… ist des Glückes Unterpfaaand!”

Vielleicht liegt’s ja an unserer Geschichte. Deutschland war jahrhundertelang ein sehr instabiles Gebiet aus vielen Kleinstaaten. Das Land war an mehreren Grenzen offen, verwundbar und nie abschließend definiert. Und wer fast ein Jahrtausend keine sicheren Grenzen hat, macht eben nicht Freiheit, sondern Sicherheit und die bekannten preußischen Tugenden Gehorsam, Pflichtbewusstsein und Unterordnung zum Leitprinzip.

Daher sind wir wahrscheinlich so versessen auf Richtlinien und Paragrafen. “Was halten Sie vom Gravitationsgesetz?” “Auf jeden Fall beibehalten!” Alles ist penibel geregelt. In einer Informationsbroschüre des Lehrerverbandes Hessen las ich einmal: “Besteht ein Personalrat aus einer Person, erübrigt sich die Trennung nach Geschlechtern.”

Das politisch Korrekte steckt in uns Deutschen anscheinend drin. In Berlin gibt es einen Senatsbeschluss, nach dem neue Straßen nur nach weiblichen Personen benannt werden dürfen, damit sich die Frauen nicht diskriminiert fühlen. Und man fragt sich: Was machen die bei Sackgassen? In Tiefgaragen haben Frauen inzwischen sogar eigene Parkplätze, damit männliche Lustmörder nicht so ziellos durch die Gegend irren müssen.

Wir sind stolz auf unsere Demokratie, doch der Geist der Freiheit ist uns suspekt. In Wahrheit jedoch bedeutet die bloße Tatsache, dass der Wille des Volkes in einer freien Wahl zum Ausdruck kommt, nicht sehr viel. Im Grunde genommen bedeutet Demokratie lediglich, dass zehn Füchse und ein Hase darüber abstimmen können, was es zum Abendessen gibt. Freiheit dagegen bedeutet, wenn der Hase mit einer Schrotflinte die Wahl anfechten kann.

Das entscheidende Element unserer abendländischen Kultur ist nicht unbedingt die Mitbestimmung, sondern die Selbstbestimmung. Die Idee, dass jeder Mensch ein individuelles Wesen darstellt, das sich vollkommen frei entfalten darf. Der Philosoph John Locke nannte diese Idee “Selfownership”. Das Eigentum an mir selbst. Ein Gedanke, der nicht einmal 300 Jahre alt ist und in der Aufklärung entstand: Du darfst alles tun, was andere als vollkommen idiotisch ansehen, solange du damit keinen schädigst. Oder wie Kant es etwas intellektueller formuliert hat: Habe Mut, Dich Deines eigenen Verstandes zu bedienen – auch dann, wenn du keinen hast.

Der englische Philosoph und Ökonom John Stuart Mill hat 1859 in seiner berühmten Schrift “On Liberty” erstmals die Freiheit propagiert, seinen eigenen, persönlichen Lebensplan zu entwerfen, indem er Kategorien eingeführte wie “Freiheit des Geschmacks” oder “Freiheit der Gefühle”. Ein Freiheitsbegriff, der bis dato noch vollkommen unbekannt war und den wir inzwischen alle wie selbstverständlich in Anspruch nehmen.

Wir genießen den Luxus, in einer der liberalsten Gesellschaften der Welt zu leben, aber trauen uns nicht so recht, dazu zu stehen. Oft wundere ich mich darüber, wie staatsgläubig wir sind. Und wie tief verwurzelt der Glaube ist, der Staat müsse für einen Großteil unserer Annehmlichkeiten sorgen. Wir stellen uns auf Bahnhöfen bereitwillig in gelb umrandete Quadrate, damit sich beim Rauchen die Giftstoffe nicht mit der Umgebungsluft vermischen. Wir kaufen Energiesparlampen, weil uns die EU sagt, damit könne man die Erderwärmung aufhalten, oder glauben, dass ein staatliches Elterngeld (Link:http://www.welt.de/themen/elterngeld/) junge Akademikerinnen motiviert, mehr Kinder zu bekommen. Wir fordern kantige Politiker, die uns endlich mal reinen Wein einschenken. Und wählen dann doch wieder die, die uns absurde Rentenmärchen erzählen.

Wir leben in einer Gesellschaft, in dem zwei Männer Hand in Hand durch die Stadt laufen können, ohne am nächsten Baukran aufgeknüpft zu werden. Jeder in diesem Land hat die Freiheit, eine Herrenboutique in Wuppertal eröffnen. Oder einen Swingerclub in Oberammergau. Sie dürfen sogar ein Flugblatt mit der Aufschrift “Die FDP ist doof” drucken, ohne fürchten zu müssen, nachts von der Geheimpolizei abgeholt zu werden.

All diese Freiheiten haben wir dem Liberalismus zu verdanken. Wir nehmen sie in Anspruch, aber tun gleichzeitig den liberalen Gedanken als ein Luxusspielzeug von verwöhnten Juristensöhnchen ab. In Wirklichkeit ist es der Liberalismus, der uns von Ländern wie Saudi-Arabien unterscheidet, wo Frauen keinen Führerschein machen dürfen.

Lange Zeit habe ich meine liberale Grundeinstellung für mich behalten. Inzwischen sage ich offen: “Ich bin ein klassischer Liberaler!” Auch, wenn ich mir dadurch oft mitleidige, verständnislose oder sogar beleidigende Bemerkungen anhören muss. Denn ich bin stolz auf meine liberale Grundeinstellung. Ob das jetzt der FDP gefällt oder nicht.

 

Beitrag ursprünglich erschienen in der WELT

 

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