Leben im ukrainischen Krieg

Ja, seit Jahren es gibt ihn, den Krieg in Europa, aber jahrelang sprach kaum jemand darüber. Seit ein bröckeliger Waffenstillstand ausgehandelt wurde, war ein Mantel des Schweigens über die Kampfhandlungen gebreitet worden. Doch plötzlich flammt der Konflikt hoch.

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Es geht um die Truppenstationierungen, die Russland an der Grenze zur Ukraine massiert. Plötzlich reden die europäischen Politiker viel von der Ukraine, deren territoriale Integrität geschützt werden müsste. Dabei ist ihnen anscheinend nicht bewußt, dass das aktuelle Territorium der Ukraine ein Ergebnis des Hitler-Stalin-Paktes ist. Diese Tatsache zeigt, dass die Katastrophe des Zweiten Weltkrieges und der totalitären Regime des letzten Jahrhunderts noch lange nicht aufgearbeitet ist. Ich würde alle, die sich gegenwärtig über die Ukraine auslassen fragen, was sie von diesem Land wissen. Ich wette, so gut wie nichts, nicht einmal über die von Stalin politisch gewollte und von Nikita Chrustschow exekutierte Aushungerung von geschätzten 6-10 Millionen ukrainischer Bauern und ihrer Familien. Es ist hohe Zeit, sich mit dem größten Land Europas zu beschäftigen. Hilfreich dabei wäre, seine Literaten zur Kenntnis zu nehmen. Deshalb veröffentliche ich erneut meine Rezension eines Buches, das man gelesen haben muss, um etwas davon zu verstehen, was sich in diesem unbekannten Land abspielt.

 

Ist diese Ukraine, die lange Bestandteil der Sowjetunion war, überhaupt Europa? Wenn man von ihr gehört hat, dann am ehesten vom Reaktorunglück im Tschernobyl, dessen 35. Jahrestag noch nicht so weit zurückliegt.
Und dann kommt dieser Ausnahmeschriftsteller Andrej Kurkow und schreibt ein Buch über das Leben in diesem Krieg, das von der ersten bis zur letzten Seite fesselt.
Kurkow, geboren 1961 in Leningrad, bald jedoch nach Kiew verfrachtet, wo er heute noch lebt, war, bevor er anfing Bestseller zu schreiben, Journalist und während seines Militärdienstes Gefängniswärter. Danach wurde er Kameramann und schrieb zahlreiche Drehbücher, bis er sich als freier Autor etabliert hatte. Sein Roman „Picknick auf dem Eis“ wurde ein Welterfolg. Sein jüngstes Werk „Graue Bienen“ hat ebenfalls das Zeug dazu.

Sein Held Sergej Sergejitsch lebt in Malaja Starogradowka, einem verlassenen Dorf in der „grauen Zone“ zwischen den Fronten der Ukraine und der Freien Republik Donezk, die von den Separatisten ausgerufen wurde, im Bestreben, den Donbass von der Ukraine loszulösen und zu einem Teil Russlands werden zu lassen. Seit Jahren beschießen sich die Kriegsparteien über die graue Zone hinweg. Sergejitsch ist nicht wie die meisten anderen Dorfbewohner geflüchtet. Er wollte Haus, Hof und Bienen nicht allein lassen. Der Leser begegnet Sergejitsch zum erstmals gegen drei Uhr nachts, als er von der Kälte aufwacht. Der von ihm selbst gebaute Kaminofen spendete keine Wärme mehr. Die Kohleeimer waren leer. Also ging Sergejitsch mit Mantel und Filzstiefeln bekleidet nach draußen, um Nachschub zu holen.
„Irgendwo in der Ferne feuerte ein Geschütz. Eine halbe Minute später wieder ein Schuss.“ Können die nicht schlafen, oder wollen sie sich aufwärmen, fragte sich Sergejitsch, als er ins Haus zurückkehrte.
Der Krieg war Alltag geworden, an den er sich gewöhnt hatte. In all den Jahren hatte es in Malaja Starogradowka nur die Kirche und ein Haus erwischt. Allerdings gab es schon lange keinen Strom mehr, also keinen Fernseher, keine Nachrichten. Lebensmittel zu beschaffen, war eine Aufgabe, die viel Zeit und Kraft in Anspruch nahm. Außer Sergejitsch ist nur sein Kindsfeind Pascha im Dorf geblieben. Die beiden Männer sehen sich ab und zu, helfen sich auch einmal, aber kommen sich kaum näher. Noch hat der Winter das Leben fest im Griff, es fließt unter der Kälte gemächlich dahin. Sergejitsch vermißt nicht viel. Er hat seine täglichen Verrichtungen und seine Erinnerungen, die wie ein Film ablaufen.

Eines Tages bekommt er überraschend Besuch von Pedro, einem Soldaten. Der liegt seit über einem Jahr im ukrainischen Schützengraben und beobachtet das Dorf. Nun will er den Mann, den er täglich durch den Feldstecher sieht, kennenlernen. Pedro bringt etwas Essen mit und verspricht, Sergejitschs Handy aufgeladen wiederzubringen. Er kann nur nachts kommen, tags über hat ein Scharfschütze die Gegend unter Kontrolle. Den lernt Sergejitsch später auch kennen, denn es ist ein Bekannter seines Freundfeindes Pascha, ein Sibirier, der beschlossen hat, die Separatisten zu unterstützen. Allerdings gibt der Sibirier nur ein kurzes Gastspiel, denn nachdem Sergejitsch Pedro dessen Liegplatz verraten hat, wird er von den Ukrainern unschädlich gemacht.
Als sich der Frühling nähert, beschließt Sergejitsch, seine Bienen in ruhigere Gefilde zu bringen. Zum Glück ist sein alter grüner Shiguli bei der Requirierung von Fahrzeugen für den Krieg übersehen worden. Er kann seine sechs Bienenkästen auf den Hänger laden und in die Ukraine fahren. Am Checkpoint wird er nachsichtig behandelt. Einem aus der grauen Zone verzeiht man sogar die sowjetische Fahrerlaubnis. Er bekommt ein Paier, das er bei künftigen Kontrollen vorweisen soll und darf durch.

Er lässt sich von seinem Bauchgefühl leiten, landet an einem Waldrand, der an Felder grenzt, schlägt dort sein Zelt auf und lädt die Bienenkästen ab. Im nahen Dorf lernt er die Verkäuferin Galja kennen, die ihm nicht nur seinen Honig abnimmt und verkauft, sondern täglich mit frisch gekochten Mahlzeiten bringt, sogar Bortsch, von dem er seit Kriegsbeginn nur träumen konnte. Die Frühlings-Idylle endet jäh, nachdem ein gefallener Soldat ins Dorf zurückgebracht wurde. In der Westukraine werden solche Gefallenen von den Bewohnern ihrer Heimatorte am Straßenrand kniend empfangen. Sergejitsch kniet sich zwar neben Galja hin, spürt aber gleichzeitig seine Fremdheit und dass er nie Teil dieser Gemeinschaft werden würde.
Er zieht weiter, auf die Krim. Vor zwanzig Jahren hatte er auf einem Bienenzüchterkongreß Achtem, einen Krimtataren, kennengelernt. Ein Bienenzüchter wird einen andern nicht abweisen. Der Grenzübergang nach Russland, zu dem die Krim wieder gehört, war nicht einfach. Sergejitsch bekommt 90 Tage Aufenthaltserlaubnis und wird darauf hingewiesen, dass ihm Asyl nicht gewährt wird.
Auf der Krim ist es warm, die Vegetation ist üppig, es gibt Wein. Hier müsste man wohnen, ist Sergejitschs erste Reaktion. Er findet Achtems Dorf und sein Haus. Achtem selbst ist aber vor Jahren von russischen Milizen mitgenommen worden und nicht wieder aufgetaucht. Es ist ein tatarisches Dorf, Albat, das jetzt Kujbyschewo heißt und auch von Russen bewohnt wird. Tataren und Russen reden nicht miteinander. Sergejitsch wird schief angesehen, weil er in einem tatarischen Haus verkehrt.

Als Achtems Frau Sergejitsch bittet, bei der Kriminalpolizei in der Kreisstadt nach dem Schicksal ihres Mannes zu fragen, kommen die Dinge in ungute Bewegung. Zwar bekommt Sergejitsch keine direkte Auskunft, aber zwei Tage später werden die Überreste von Achtem seiner Witwe übergeben. Es gibt aber keinerlei Erklärung, wie Achtem ums Leben kam. Bald darauf wird Achtems 18-jähriger Sohn verhaftet, weil er angeblich Kirchenkerzen gestohlen hätte. Zwar kann Sergejitsch beweisen, dass diese Bienenwachskerzen ein Geschenk von ihm sind, damit die Familie bei Stromausfall nicht im Dunklen sitzen muss. Aber das führt nicht zur Freilassung des jungen Mannes. Er muss ins Gefängnis, oder zum Militär, das kann er wählen. Es gibt sogar ein Drittes: Seine Mutter könnte ihn freikaufen, wenn sie genug Geld hätte.
Sergejitsch erfährt, dass der Krieg auch die schöne Krim beherrscht, nur verdeckt.

Als seine 90 Tage sich dem Ende nähern, bekommt er Besuch von zwei Geheimdienstagenten. Sie nehmen einen Bienenkasten mit. Den bekommt er vor seiner Abfahrt zwar wieder, aber die Bienen sehen irgendwie grau aus und neigen zum Schwärmen, obwohl das Volk nicht stark genug dafür ist. Sergejitsch steht vor einem Rätsel, um so mehr, als er zwischen den Waben eine Handgranate findet.Er entschließt sich, mit dieser Handgranate den Bienenstock zu zerstören. Eine graue Biene überlebt, wird aber nicht in einem der anderen Bienenkästen aufgenommen, sondern von den Wächterbienen verjagt.
Im Krieg ist es am besten, zu hause zu bleiben, schlussfolgert Sergejitsch. Auf dem Weg zum Donbass nimmt er Achtems Tochter mit über die Grenze in die Ukraine. Das Land ist riesig und in Winnyzia, in der Nähe von Lemberg, tief im Westen, wohin Sergejitschs Frau gegangen ist, herrscht Frieden. Seine Frau wird sich um Achtems Tochter kümmern. Vielleicht wird auch Sergejitsch sich eines Tages nach Winnyzia aufmachen, aber vorerst kehrt er in sein Heimatdorf zurück. Der Winter ist nicht mehr fern. Die Baptisten werden Kohlen für den Winter bringen, aber nur denen, die zu hause sind.

Andrej Kurkow: Graue Bienen

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Hajo

In der Ukraine findet mehr oder weniger schon seit Jahren ein Waffenstillstand statt und der Krieg, wenn man so will ist doch schon lange eröffnet, die Frage ist nur wie weit die Russen gehen werden, denn nicht alles aus der Sicht des Westens muß von ihnen gleich gesehen werden und dabei die Freiheit immer nach vorne zu hängen ist doch nur ein Schmierentheater, wo bleibt denn die deutsche Freiheit, solange wir uns noch im Besatzerstatus befinden und die sich hier ungeniert auf allen Ebenen bewegen können und die Regierung machtlos zusehen muß, so wie es eben Vasallen gebührt.

Das ist einmalig in der Geschichte eines Landes, daß trotz Vereinbarung nach 76 Jahren Kriegsende die Besatzer sich eine eigene exterritoriale Gegend wie Ramstein ausgesucht haben und von dort aus ihre Kriege weiterbetreiben, selbst auf die Gefahr hin, daß dann eine Gegenreaktion erfolgen könnte, die dann unser Land trifft und wir überhaupt nichts damit zu tun hätten. Dies Russen haben unser Land vereinbarungsgemaß komplett verlassen und haben sich somit vertragskonform verhalten und die Amis sind immer noch da, unter der Überschrift der Hilfestellung und spionieren dabei sogar noch die Ministerien aus, einschließlich dem Kanzleramt und das nennen sie Freiheit, die haben vielleicht noch die Franzosen und Briten, wir aber ganz bestimmt nicht und das ist ja auch so gewollt.

Das derzeit kriegslüsterne Geschrei Richtung Rußland ist aus patriotischer Sicht doch unerträglich und wenn wir diesen Besatzerstatus nicht beenden, werden wir für alle Zeiten Geknechtete sein und das ist die Wahrheit und nicht das Verhalten der Russen, die vor ihrer Haustür einfach nicht die Amis haben wollen, was man auch verstehen kann und auch so nicht abgesprochen war.

Gravatar: famd

Man konnte kontinuierlich die Beschwörer des bösen Russischen Bären in den Deutschen Medien verfolgen und wenn es um Fakten in der strategischen Aufklärung geht, das Problem des CIA und ihrer Außenstellen kennen wir.

Man sollte denen also dringlichst davon abraten immer nur per Telefon irgendwelche Hausfrauen aus den örtlichen Telefonbüchern in den Frontgebieten zu befragen, "Sind die Russen schon da".... (Es könnten da auch Falschmeldungen kommen)

Aber im CIA gib es personelle Probleme, also motiviert ist da keiner mehr, man sollte die Personalabteilung mal ansprechen...

Wie war das mit Giftgas von Sadam? - keines gefunden.... aber der Nahe Osten zerstört.

Wie ist das mit der Russischer Invasion am 16.02? - hat nicht stattgefunden, weil die Frau Sacharowwa erst mal ihren Urlaub machen möchte - und den hat sie sich verdient, wir warten solange mit der Invasion.

Schade eigentlich, ich habe extra einen großen Teekocher, Rum und Wodka besorgt - denn: Als Gastgeber soll man seine Gäste höflich begrüßen...Hauptsache, die Russischen Kumpels zerfahren mit ihren Ketten nicht unsere Straßenbeläge und lassen die Bäume im Vorgarten stehen.

Gravatar: Ekkehardt Fritz Beyer

... „Dabei ist ihnen anscheinend nicht bewußt, dass das aktuelle Territorium der Ukraine ein Ergebnis des Hitler-Stalin-Paktes ist. Diese Tatsache zeigt, dass die Katastrophe des Zweiten Weltkrieges und der totalitären Regime des letzten Jahrhunderts noch lange nicht aufgearbeitet ist.“ ...

Etwa auch schon deshalb, weil der Westen die Ukraine dringend als Aufmarschgebiet für die Jagd auf den „Bären“ benötigt
https://www.juedische-allgemeine.de/politik/ukraine-mit-nazis-gegen-putin/,
um die Russen
https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/us-praesident-joe-biden-an-buerger-von-russland-sie-sind-nicht-unser-feind-17808737.html,
zumindest als Volk zwar nicht zur töten – ihnen aber klarmachen will, wer der ´eigentliche` Chef in ´ihrem` Heimaltland ist, weswegen die US-diktierte Nato ihnen gnädigerweise nur ´etwas` wehtun will?
https://www.youtube.com/watch?v=gcj8xN2UDKc

Gravatar: Europa der+V+und+V

Mah...
Die Geschäfte sind voll . Parks sind voll.
(Dnjipar)....Schreibt ein kro.Basketball Spieler Miro Bilan für Abendblatt heute.

US MSMedien machen Panik.

"Meine Frau und ich + der Sohn (4) haben keinen Angst".

Es gibt zwar Ukrainer die hoffen mit NATO Hilfe Teritorium wieder zu erobern.

Die Kinder in der Schule lernen russisch. (Nähe zu Rußlands Grenze, aber auch in Dnjipar - mil.Stadt sprechen die Menschen russisch.)
Manche Ukrainer möchten nicht das ihre Kinder russisch lernen.
Ukrainer haben ihr Stolz.
Viele aber möchten gegen Russen nicht kämpfen.....
Im Realleben spricht Niemand über Krieg...

++++++++++++++++

"....Die Amerikaner säten Panik, indem sie ihren Bürgern empfahlen, die Ukraine zu verlassen. Und die Amerikaner, so wie sie sind, stellen sich den Krieg sofort so vor, wie sie ihn in den Filmen gesehen haben, weil die - nicht wie wir Kroaten, eine Gelegenheit hatten, den Krieg mitzuerleben.
Wenn die einem Amerikaner im Ausland eine Nachricht schicken, dass er das Land verlassen muss, denken sie, dass bereits Granaten fliegen....."

M.Bilan Spieler für Prometej - Ukraina.

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