Gemeinhin heißt es, es würde in Deutschland über bundespolitische Themen keine Volksentscheide geben. Das ist formal richtig. Stimmt aber auch wieder nur teilweise. Am letzten Wahlabend war immer wieder davon die Rede, die Landtagswahl in Baden-Württemberg sei ein Plebiszit über die Atomkraft gewesen und das ist nicht ganz falsch. Wahrscheinlich hätte auch in einer anderen politischen Situtation Schwarzgelb nicht so gut ausgesehen, aber dieses herausragende Wahlergebnis der Grünen und der Umstand, dass wohl zum ersten Mal ein Grüner Ministerpräsident eine konservativ-liberale Hochburg regieren wird, sind wohl doch auf diese Umfunktionierung der Landtagswahlen zu einem Volksentscheid über die Kernkraft zurückzuführen.
Das ist nicht das erste Mal, dass eine Landtagswahl zu einem Volksentscheid über ein bundespolitisches Thema umfunktioniert worden wäre. Die Landtagswahl in Hessen 1999 war ein Volksentscheid über die doppelte Staatsbürgerschaft. Ohne dieses Plebiszit über ein bundespolitisches Thema wäre Roland Koch wohl nicht Ministerpräsident geworden. Die Wahl von Jürgen Rüttgers in Nordrhein-Westfalen 2005 war ein Mißtrauensvotum für Rotgrün. Die Landtagswahl in Niedersachsen von 1998 war sogar ein Volksentscheid über die Frage, ob Gerhard Schröder Kanzlerkandidat der SPD werden sollte. Die Landtagswahlen wurden so zu Vorwahlen im us-amerikanischen Stil umfunktioniert.
Es ließen sich ohne Zweifel noch zahlreiche andere Beispiele finden. Das Ergebnis ist jedes Mal dasselbe, eigentlich stimmen die Leute nicht über Landes,- sondern über Bundespolitik ab. Nicht Bildung und Polizei, die zwei wesentlichen Bereiche, die auf Landesebene bearbeitet werden, stehen im Mittelpunkt, sondern die Regierungspolitik. So erklärt sich auch, dass nach einer Regierungübernahme in der Regel die Bundesländer umfallen wie die Dominosteine. Nach der Regierungsübernahme durch Rotgrün färbte sich die Bundesrepublik schwarzgelb, nach der Regierungsübernahme von schwarzgelb färbt sich die Karte der Bundesländer rotgrün. Mit Landespolitik hat das in der Regel selten etwas zu tun.
Über die Landtagswahlen können also die Bürger direkten Einfluss auf die Bundespolitik ausüben. Das Ergebnis ist zwar nicht wie bei einem Volksentscheid verbindlich, hat aber durchaus ähnliche Wirkungen. Das Staatsbürgerschaftsrecht von damals musste immerhin neu verhandelt werden, in den neunziger Jahren führte der Erfolg der Rechtsparteien bei einigen Landtagswahlen zur Modifizierung des Asylrechts und Erfolge und Niederlagen der FDP auf Landesebene entschieden damals durchaus auch über die Frage, ob der Solidaritätszuschlag erhöht oder gesenkt wurde. Auch die heutige Landtagswahl wird ihre Wirkung zeigen. Wahrscheinlich ist die Verlängerung der Laufwerke der Kernkraftwerke für absehbare Zeit tabu und der möglichst schnelle Ausstieg wird wohl von keiner im Bundestag vertretenen Partei ernsthaft in Frage gestellt werden– wenigstens solange nicht, bis kein dramatischer Meinungsumschwung in der Bevölkerung stattfindet.
Information:
Dieser Beitrag erschien zu erst auf dem Blog des Liberalen Instituts Freiheitdenken.org
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