"Kriegsähnliche Zustände" mit weniger Kampftruppen

Die NATO befindet sich seit 2001 in Afghanistan. Der Auftrag: Als International Security Assistance Force (ISAF) die afghanische Regierung zu stabilisieren und beim Wiederaufbau des Landes zu unterstützen. Die

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 afghanische Regierung ist seit den ersten Wahlen im Herbst 2004 im Amt, bis dahin führte Karzai eine so genannte Interimsregierung. 2009 wurde die Regierung Karzai im Amt bestätigt. Die ersten Wahlen im Jahr 2004 wurden von großen Hoffnungen begleitet. Vergleichsweise wenig Attentate oder sonstige Störungen hatte es im Verlaufe dieser Wahlen gegeben. Afghanistan ist auf einem guten Weg, der Einsatz der ISAF ein Erfolg der internationalen Gemeinschaft – dachte man!

Fünf Jahre später sieht die Welt in Afghanistan anders aus. Täglich geraten ISAF-Truppen in Feuergefechte mit Taliban oder anderen Aufständischen. Die Bundeswehr im Norden steht vor einer schier unlösbaren Aufgabe. Längst haben Aufständische ganze Regionen unter Kontrolle. Die Bundeswehr meidet diese Regionen. Vom Schutz des zivilen Aufbaus kann längst keine Rede mehr sein. Selbstschutz statt Schutz des Wiederaufbaus – vom aktiven Kampf gegen die Taliban ganz zu schwiegen! Dabei würden die deutschen Soldaten gerne wollen, dürfen aber nicht. Die politischen Vorgaben lassen dies nicht zu. Noch immer wird der ISAF-Einsatz der Bundeswehr als humanitäre Maßnahme “verkauft”. DIe Diskussion über “Krieg oder nicht Krieg” sei hier nur stellvertretend erwähnt. Immerhin hat Verteidigungsminister zu Guttenberg “kriegsähnliche Zustände” anerkannt. Doch dieses Bekenntnis hilft den Soldaten vor Ort recht wenig. Außer der moralischen Unterstützung und Anerkennung der schwierigen Situation, in der sich die Soldaten befinden, hat diese Aussage keine Bedeutung. Die Folgerungen für das politische Handeln, die sich aus den “kriegsähnlichen Zuständen” ergeben, fehlen.

Die Welt, und insbesondere Deutschland, schaute daher diese Woche nach London zur Afghanistan-Konferenz. Eigentlich eine Konferenz von vielen in den letzten Jahren. Aber diese Konferenz stand im Zeichen der Erkenntnis, dass die bisherige Afghanistan-Strategie der internationalen Gemeinschaft gescheitert ist. Ein “weiter so” durfte es nicht geben. Im Vorfeld dieser Konferenz hatten der US-amrikanische ISAF-Kommandeur McChrystal sowie US-Präsident Obama eine neue Strategie ausgegeben. Die NATO-Partner schienen überrascht und unvorbereitet. Auch Deutschland! DIe unglückliche Konstellation, dass die Strategiediskussion in den Bundestagswahlkampf und die anschließende Zeit der Regierungsbildung fiel, zuzüglich der Wirrungen rund um den Luftschlag von Kunduz im September 2009, ließ eine breite öffentliche und vor allem sachliche Diskussion über die künftigen Interessen der Bundesrepublik nicht zu.
Immerhin hatte sich auch in Deutschland herumgesprochen, dass das bisherige Vorgehen in Afghanistan nicht erfolgsversprechend ist. Auf die Schnelle wurde auf politischer ebene eine neue Strategie “gebastelt”. Militärische Stimmen waren kaum zu vernehmen. In Deutschland scheint es geradezu undenkbar, dass ein amtierender General sich öffentlich äußert oder gar eine neue Strategie fordert, wie es McChrytal getan hat. Dem Primat der Politik sei´s gedankt. Dabei zweifele ich des Primat nicht an, wünsche mir aber auch eine kräftigere Stimme der Soldaten in der öffentlichen Meinungsbildung – nicht nur von Generalen a.D.!

Jetzt liegt das Ergebnis der Afghanistan-Konferenz in London auf dem Tisch: 500 Soldaten mehr, aber keine Kampftruppen, Erhöhung der Ausbilder für die afghanische Armee auf 1400 Soldaten, mehr Präsenz in der Fläche, Auflösung der Quick Reaction Force (QRF) im deutschen Verantwortungsbereich, mehr Polizeiausbilder. Alles unter dem Motto “Erhöhung der zivilen Aufbauhilfe”.
Der neue, Ressort-übergreifende Ansatz ist grundsätzlich zu begrüßen. Dies hat es unter rot-grün und auch unter der großen Koalition so nicht gegeben. Die damalige Entwicklungshilfeministerin Wieczorek-Zeul lehnte diesen konsequent ab. Sie sah in der Anwesenheit von Soldaten sogar eine Gefahr für die Hilfsorganisationen. Zivile und militärische Maßnahmen sind nun Teil einer Gesamtstrategie der Bundesregierung.
DIe Erhöhung der Ausbilder für die afghanische Armee und für die Polizei ist ebenfalls wichtig. Wir erinnern uns: ISAF ist eine Assistance-Mission, darauf ausgerichtet, die Afghanen beim Wiederaufbau und der Stabilisierung des Landes zu unterstützen. Doch noch sind die Afghanen nicht in der Lage, selbst für Sicherheit in ihrem Land zu sorgen. Daher macht es mich sehr skeptisch, dass die Verstärkung der Ausbildung für die Armee aus dem bereits vorhandenen Bundeswehrkontingent kommen soll, auch wenn 500 Soldaten mehr entsandt werden sollen. Für den Schutz werden weniger Soldaten zur Verfügung stehen, von Offensivfähigkeiten gegen Taliban ganz zu schweigen (das wird den Amerikanern überlassen). Es erscheint als Paradoxon, dass der Verteidigungsminister einerseits “kriegsähnliche Zustände” attestiert, andererseits die Bundeswehr in Afganistan nicht nur nicht mehr Kampftruppen bekommt, sondern diese auch noch reduziert werden. Hinzu kommt, dass die Quick Reaction Force der Bundeswehr im Norden Afghanistans aufgelöst werden soll. Damit wird dem militärischen Führer ein wesentliches Mittel genommen, seine Reserve. Vor dem Hintergrund, dass die Bundeswehr künftig mehr in der Fläche präsent sein soll, ist diese Entscheidung geradezu unverständlich. Für eine solche Strategie ist eine starke, schnell verlegbare Reserve eine Voraussetzung. Präsenz in der Fläche unter diesen Voraussetzungen heißt zwangsläufig, dass künftig mehr deutsche Verluste (Tote, Verwundete) zu beklagen sein werden. Ich hoffe, der politischen Führung sowie der Öffentlichkeit ist das bewusst!

Dass die bisherige Strategie für den Einsatz in Afghanistan geändert werden musste, steht ausser Frage. Doch die neue Strategie überzeugt mich nicht wirklich.

Dieser Beitrag erschien ursprünglich am 29. Januar 2010 auf "http://torstenrissmann.de"

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