Nachdem der letzte Gastbeitrag durch seinen Umfang aus den anderen herausstach, habe ich jetzt einen bekommen, der inhaltlich ein bisheriges Alleinstellungsmerkmal hat. Matija Vudjan, Student der kath. Theologie an der Ruhr-Uni Bochum und selbst Blogger, setzt sich nämlich aus katholischer Sicht kritisch mit den bisherigen Thesen auseinander, die für sich die Qualität der Glaubenswahrheit in Anspruch nehmen. Die Mehrzahl meiner Leser werden sicher eher eine klassische Sicht auf die Familie haben, wie ich sie ebenfalls präferiere und für sinnvoll und schöpfungsgemäß halte.
Trotzdem schadet es nicht, auch über den Tellerrand zu schauen und ich danke daher Herrn Vudjan neben dem Interesse an meinem Blog für den Mut, sich hier in die “Höhle des Löwen” zu begeben, und seine Sicht der Dinge darzustellen, mit der er nicht direkt widerspricht, aber doch zu einem besseren Miteinander im theologischen Diskurs mahnt. Mehr von Matija Vudjan können Sie übrigens auf seinem Blog “durchgedacht” lesen .
Also hier der Gastbeitrag:
Vorbemerkend möchte ich feststellen, dass ich sowohl die „konservative“ als auch die „liberale“ bzw. „progressive“ Position innerhalb der gegenwärtigen Debatte um Familie und Ehe nachvollziehen kann (ich nenne die Positionen übrigens bewusst in Anführungszeichen, weil sie m. E. grundsätzlich viel zu engführend sind und zugleich das gesamte „politische Spektrum“ in der Kirche nicht ansatzweise fassen können – Sie haben sich ja gerade in der kürzeren Vergangenheit bereits ein paar Mal mit diesem Thema auseinandergesetzt). Der Grund dafür ist der folgende: Ich nehme (aus meinem persönlichen Glaubensverständnis heraus) die geltende Sakramentenlehre der Kirche, und damit auch die Sakramentalität der Ehe, sehr ernst. Ich sehe es als konsequent an, dass eine Abkehr von der momentanen Sakramentenpraxis (beispielsweise durch eine Zulassung von wiederverheirateten Geschiedenen zu den Sakramenten) gerade aus sakramententheologischer Sicht nur schwierig legitimierbar ist und dauerhaft (und in letzter Konsequenz) auch zu einer Abkehr von der Sakramentalität der Sakramente selbst führt – zumindest, wenn man von unserem heutigen Verständnis der Sakramente ausgeht. Mit anderen Worten: Eine Umformulierung des Sakramentes, zumal eine so gravierende, wie sie einige Zeitgenossen in Bezug auf das Ehesakrament wünschen, ist (theologisch) ohne weiteres kaum möglich! Nicht umsonst hat der Essener Bischof Franz-Josef Overbeck, der eher nicht zu den konservativsten seiner Zunft zählt, vor einigen Tagen gesagt, dass die Reformwilligen in dieser Hinsicht nicht allzu viele Hoffnungen in die anstehende Familiensynode setzen sollten.
Gleichwohl kenne ich in meinem persönlichen Umfeld einige Menschen, die von der aktuellen Sakramentenpraxis ‚negativ‘ betroffen sind – empirisch ist das eine nicht zu unterschätzende Zahl an Katholiken und Katholikinnen – und sich (u. a. durch das Verbot des Kommunionempfangs) nicht mehr als vollwertige Mitglieder der katholischen Kirche empfinden; auch der Begriff der Diskriminierung fiel in diesem Kontext bereits das eine oder andere Mal. Nachweislich kann man heute wohl von einer Lücke sprechen, die sich zwischen der Lehre der Kirche und der Lebenswirklichkeit vieler Gläubigen (vielleicht sogar der Mehrzahl? Ich verfüge hier über keine Zahlen, wobei so etwas sicherlich schwierig zu erfassen wäre – die von der DBK im vergangenen Jahr durchgeführten Umfragen lassen jedenfalls eine solche Vermutung zu) gebildet hat. Theologisch gesprochen hat die Lehre der Kirche heute ihren „Sitz im Leben“ verloren. Ich kann deswegen durchaus nachvollziehen, dass sich Menschen – angesichts von immer mehr Austritten aus der Kirche – Gedanken darüber machen, wie man diese Menschen wieder erreichen kann und als Lösungsansatz eine ‚Anpassung‘ der kirchlichen Lehre an die Lebenswirklichkeit der Menschen vorschlagen. Zwischen diesen beiden Polen entsteht meines Erachtens ein Dilemma, das sich ohne weiteres nicht wird auflösen lassen. Wie bereits erwähnt, möchte ich mich deswegen auch für keinen der beiden Pole entscheiden oder aussprechen.
Ich möchte aber versuchen, das soeben vorgestellte Dilemma theologisch ein wenig aufzubrechen. Entscheidend scheint mir in dieser Hinsicht der Begriff der „Wahrheit (des Glaubens)“ zu sein. Es handelt sich dabei um einen Terminus, den ich durchaus als kritisch bewerte, weil er heute – so zumindest mein Eindruck – vornehmlich von denjenigen, die die gängige sakramentale Praxis erhalten wollen, in falscher Weise gebraucht wird: Die klassische Deutung der Glaubenswahrheit geschieht aus der Überzeugung heraus, dass diese aus einer historischen Kontinuität erwachsen und entstanden ist. Jeder Kirchen- und Dogmenhistoriker wird aber bestätigen, dass Wahrheit theologisch (und kirchen-politisch) alles andere als ein rein von Kontinuität geprägter Begriff ist! Deutlich wird dies bereits in der frühen Kirche, in der sich beispielsweise die Apostel über die ‚wahre‘ Form der Missionierung stritten; ich möchte an dieser Stelle auf das Apostelkonzil (ca. 45 n. Chr., vgl. Apg 12,23) hinweisen, das einberufen wurde, weil sich namentlich Petrus und Paulus (!) nicht darüber einig waren, ob die Heiden zuerst Juden werden mussten (was gleichbedeutend mit einer Beschneidung gewesen wäre!), um dann christianisiert zu werden.
Im Laufe der christlichen Geschichte hat es noch viele weitere Diskontinuitäten gegeben, von denen ich hier nur einige wenige exemplarisch nennen möchte: So war die Kirche beispielsweise im 3. und 4. Jahrhundert vollkommen gespalten im Hinblick auf die Frage, wie es möglich sei, Jesus Christus sowohl als Gott als auch als Mensch zu bezeichnen – es gab nämlich zu der Zeit verschiedene Schulen, die auf der einen Seite die Gottheit Jesu denken konnten, dafür aber nicht seine Menschheit, und ebenso Schulen, die das Gegenteil behaupteten (in die Geschichte eingegangen ist diese intensiv geführte Diskussion als „arianischer Streit“). Sodann hat im 4. Jahrhundert ein gewisser Augustinus – nachweislich aufgrund eines Übersetzungsfehlers von der griechischen zur lateinischen Fassung der Bibel – die Erbsündenlehre eingeführt und damit eine vier Jahrhunderte andauernde christliche Gnadenlehre mehr oder weniger ‚über Bord‘ geworfen. Ein letztes Beispiel: Das heutige Eucharistieverständnis der Kirche von der Wandlung und der damit verbundenen Realpräsenz Jesu Christi in den eucharistischen Gaben von Brot und Wein hat seinen (historischen) Ursprung nicht in der Alten Kirche, sondern in der Spätantike sowie im Frühmittelalter. Die frühe Kirche verstand die Eucharistie nachweislich noch in der Tradition der jüdischen Mahlgemeinschaft; theologisch festgemacht wurde eine Realpräsenz Christi in den Gaben von Brot und Wein erst im Laufe des 5. Jahrhunderts. Ich könnte dieser Aufzählung noch einige Punkt hinzufügen, denke aber, dass diese exemplarischen Beispiele meine Aussageabsicht bereits zu Genüge verdeutlichen.
Mir kommt es nämlich vor allem darauf an, dass man historisch sowie theologisch keineswegs von einer vollkommen „reinen“ Kontinuität der christlichen Wahrheit ausgehen kann. Vielmehr kann es (sowohl kirchengeschichtlich als auch dogmenhistorisch) als Gewissheit bezeichnet werden, dass im Laufe der christlichen Geschichte immer wieder um Wahrheit gerungen wurde. Wenn wir also von einer Kontinuität ausgehen wollen, so kommen wir nicht umhin, diese Kontinuität einzig und allein im Diskurs zu suchen – und zu finden! Ergo: In der gegenwärtigen Diskussion anlässlich der Bischofssynode im Herbst befinden wir uns vollkommen in der Kontinuität der kirchlichen Geschichte!
Ich möchte deswegen einen Appell an Sie alle ausrichten: Sehen Sie die „gegnerische“ Position (unabhängig davon, auf welchem Standpunkt Sie selbst beharren) bitte nicht als eine feindliche an! So wie Sie selbst am Wohlergehen der Kirche interessiert sind, sind es die „Gegner“ – davon bin ich vollends überzeugt – mit Sicherheit auch! Um deswegen den Kreis zum Beginn dieses Beitrages zu schließen: Die Wahrheit des Glaubens – und damit die Auflösung des bereits eingeführten Dilemmas – lässt sich m. E. nur erhalten und erreichen durch einen offenen und respektvollen Diskurs (grundsätzlich stellt sich mir an dieser Stelle die Frage, warum es nicht viel öfter synodale Versammlungen oder Bischofssynoden gibt, aber das ist ein anderes Thema) sowie im Allgemeinen durch einen offenen und respektvollen Umgang miteinander! Vergessen Sie nämlich eines nicht: Der Heilige Geist weiß, auch wenn wir dies oft nicht erkennen können (oder wollen), wie und warum er seine Kirche führt. Mit anderen Worten: Nichts geschieht ohne Grund: Der Heilige Geist wirkt auch dann in der und in die Kirche, wenn wir nicht damit rechnen oder es erwarten! Wenn Sie dies im Hinterkopf behalten, können Sie, denke ich, mit deutlich mehr Gelassenheit auf die gegenwärtige Diskussion und die im Herbst anstehende Bischofssynode blicken.
In diesem Sinne möchte ich meine Gedanken – auch angesichts des gerade vergangenen Pfingstfestes– schließen mit dem Beginn der wunderschönen Pfingstsequenz:
Veni, sancte spiritus!
Et emitte caelitus
Lucis tuae radium.
Ihnen allen Gottes Segen
Matija Vudjan
Vielen Dank noch einmal an Herrn Vudjan, dessen Gedanken die Diskussion sicher bereichern können. Und besonders freut es mich, dass er auch nach Anfrage noch Interesse an der PAPSTTREUERBLOG-Basecap bekundet hat, die in Kürze an ihn versandt wird.
Wie immer an dieser Stelle der Hinweis: Es sind noch Mützen da! Senden Sie, liebe Leserinnen und Leser, auch weiterhin gerne Ihren Beitrag zum Thema Ehe und Familie zu, am besten per Mail. Wie Sie an dem Beitrag oben sehen, kann das auch ein kritischer Beitrag sein. Ich behalte mir zwar das “Aussortieren” vor, werde diese Option aber nur bei Beiträgen ziehen, die mir nicht konstruktiv erscheinen. Und für jeden veröffentlichten Beitrag gibt es weiterhin eine der beliebtenPAPSTTREUERBLOG-Basecaps.
Beitrag erschien auch auf: papsttreuerblog.de
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