Kommissarin Lund oder Die Hölle im Volksheim

Wer im Fernsehen Menschen sehen möchte, die größtenteils nicht besonders attraktiv sind, schlimme Klamotten tragen, keinen Humor, aber meist eine Stinklaune an den Tag legen, andauernd moralisierend mit dem Finger auf andere Leute zeigen und sich auch untereinander ständig zoffen, der muss nicht auf den nächsten Grünen-Parteitag warten.

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Es reicht, einen Schweden-, Dänen- oder Norwegerkrimi anzuschauen. Meist in fröstelnd-blauschwarzen Farben gehalten, gern im Winter, bei Nässe und bei Dunkelheit gedreht, zeigt er die nackte Verzweiflung, welche Menschen umflort, die in Skandinaviens mörderischen Wohlfahrtssystemen leben müssen. Nordkorea erscheint dagegen gemütlich, Somalia friedvoll.

In Skandinavien lauert das Böse hinter jeder Birke. Ausnahmslos alle Bewohner haben einen an der Waffel. Kaum ein Vater, der nicht schon mal seine Kinder geschändet hat, kaum ein Hinterwäldler, der nicht andere besoffen zu Klump fährt und sich sodann skrupellos davon macht, eine Kette von weiteren Todesfällen auslösend. Sämtliche Beziehungen sind kaputt, alle Politiker korrupt. Für die meisten Polizisten gilt beides. Und den Speditionsunternehmer möchte man mal sehen, der seinen Reibach nicht damit macht, dass er nach Luft schnappende Flüchtlinge aus Armutsländern in seinen vollgepferchten Lastern illegal über die Grenze schaffen lässt.

Aus irgendeinem Grund lieben die Deutschen diesen jecken Blick, den unsere nördlichen Nachbarn auf sich selber pflegen. Zwar ist die Kriminalitätsrate der nordischen Länder vergleichsweise gering. Und in jenen Teilen der Städte, wo die Kriminalität - gemessen an skandinavischen Standards von vor ungefähr zwanzig Jahren – heutzutage vergleichsweise heftig ist, sind dafür ganz andere Milieus verantwortlich als die, welche man in den Smörrebröd-Krimis vorzugsweise zu sehen kriegt.

Mag sein, dass es sich mit den Gewaltobsession im Nordkrimi ähnlich verhält wie mit den ewigen Autorasereien im US-Filmen. Weil in Amerika eben kein Mensch besonders schnell fährt - jedenfalls nicht lange -, dienen die Autojagden auf der Leinwand wohl als eine Art Ersatz für die wohltemporierte Realität der Straße.

Egal. Krimis sind selten logisch. Müssen sie auch nicht sein. Nur unterhalten, das sollten sie schon. Müde des sattsam auserzählten Inspector Barnaby-Ambientes und verleitet von einem Elogensturm im Feuilleton, brachte ich mir am Sonntag eine Folge der dritten Staffel der hoch gelobten dänischen TV-Serie „Kommissarin Lund“ im ZDF bei. Törichterweise, denn der gestandene Krimifreund sollte misstrauisch werden, wenn er solche Laudatien liest: „Stets geht es nicht allein um Einzeltäter und deren irregeleitete Grenzverletzungen, sondern immer auch um die Erosion politischer Ideale“ („Welt“). Oder diese: „Die Parallelität von Verbrechen und Politik ist ausgeklügelt“ („SZ“).

Erst recht das: „Einsilbig, verspannt, meistens das Abendessen direkt auf der Pfanne mampfend und immer im selben Strickpullover unterwegs, so hat man Sarah Lund (Sofie Graböl) über bislang zwei Staffeln erlebt. ‚Kennengelernt’ wäre in diesem Zusammenhang das falsche Wort. Wie es im Inneren von Lund aussieht, weiß man nämlich auch nach 30 Folgen kaum“ („Spiegel“).

Will man auch gar nicht wissen. Wie es skandinavische Fernsehmacher immer wieder schaffen, die Protagonisten so zu inszenieren, dass man ihnen weder Sympathie noch interessierte Abneigung entgegen zu bringen vermag, nur schiere Indifferenz, bleibt ein Rätsel. Es sind profund uninteressante Figuren, die nördlich von Flensburg auf Verbrecherjagd gehen. Mit nichts, was einen guten Krimi ausmacht, haben sie etwas zu schaffen. Da sind keine polierten Dialoge, keine durchtriebenen, durchgeschriebenen Geschichten. Kein Suspense, der darüber hinausgeht, dass eine Polizistin mit gezogener Knarre in irgendeinem verlassenen Fabrikgebäude o.ä. herumtapert. Selbst SAT.1 und RTL können es besser.

Charaktere wie mit einem Quast gemalt. Der Vater eines Entführungsopfers ist ein naturgemäß zwielichtiger Multimillionär, die Polizistin die übliche, neurotische Problembärin mit verkorkstem Privatleben (ein Charakter namens Charlotte Lindholm aus dem NDR-Tatort lässt grüßen). Nirgends ein Hauch von Ironie oder Lässigkeit. Welcher auch finsteren Krimiplotten nicht schaden kann, wie „The Mentalist“ beweist. Stattdessen bloß Geschrei und Gerödel. Und viel, viel Nachtschwärze auf dem Schirm. Welche wohl dafür stehen soll, dass der heutige Mensch in dunklen Zeiten lebt.

Weshalb das deutsche Feuilleton diese dröge Knete in den Krimi-Olymp gejazzt hat, warum sie in den USA für einen „Emmy“ nominiert war und einen britischen Fernsehpreis gewann – mir ein Rätsel. Oder vielleicht auch nicht? Damit so ein Hefeteig den Rezensenten mundet, braucht es Zutaten, wie sie der nordische Krimi seit den Büchern von Sjöwall/Wahlöö standardmäßig enthält. Etwa Politiker, die notorisch Dreck am Stecken haben, dabei auch noch schärfere Anti-Terror-Gesetze durchpeitschen wollen. Einen erpresserischen Energiekonzern, dessen im Grunde anständiger Chef „von seinem gierigen Aufsichtsrat vor sich hergetrieben wird“ („Spiegel“). Sowie Spuren, die sich erwartungskonform als falsch herausstellen: „Mehrere Morde weisen auf einen islamistischen Hintergrund hin, führen dann jedoch auf die Spur mitten ins dänische Militär“ (Wikipedia über die Lund-Serie).

Nichts gegen linke Krimis. Krimis sind ja per se links, „rechte“ Krimis gibt es gar nicht. War nicht schon das resignierte Gesicht von Humphrey Bogart die reinste Systemkritik? Auch die 1970er Krimi-Ikonen aus Cinecittà waren sozialistische Lehrstücke, in denen es um den (aussichtslosen) Kampf aufrechter Citoyens gegen eine Hydra aus Mafiosi und Faschos ging. Die Mächtigen waren schon damals tutti corrotti, claro – zum Beispiel in die „Die Macht und ihr Preis“ mit dem wunderbaren Lino Ventura. Und der französisch-algerische Klassiker „Z“ von Constantin Costa-Gavras stellt einem auch heute noch die Härchen am Oberarm auf.

Bei Frau Lund („einsame Wölfin, kein freundliches Wort und keine zärtliche Geste zu viel“, freut sich der „Spiegel“) stellt sich gar nichts auf. Da sinkt man nur ermattet auf die Couch. Angesichts von so viel nordisch-bleiernem Ennui.

 

Zuerst erschienen auf achgut.com.

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