Können Atheisten religiös sein?

 

Immer mehr Menschen aus dem westlichen Kulturkreis wenden sich vom Monotheismus und seinen Institutionen ab. Andererseits haben sie ein starkes Bedürfnis nach Religiosität.

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Immer mehr Menschen aus dem westlichen Kulturkreis wenden sich vom Monotheismus und seinen Institutionen (den Kirchen) ab. Dies drückt sich zum Beispiel in der Zunahme von Kirchenaustritten aus. Dieser Prozess läuft schon seit ca. 200 Jahren, in besonders starkem Ausmaß seit 4 Jahrzehnten. Gleichwohl haben viele Atheisten ein starkes Bedürfnis nach Religiosität (oder besser: Spiritualität?). Sie suchen nach neuen Formen der Religiosität.

Sie lehnen das monotheistische Weltbild ab. Dieses Weltbild hat folgende Merkmale: die strikte Trennung zwischen einer diesseitigen und jenseitigen Welt, der Glaube an einen jenseitigen, personalen Gott, der auf die Welt akausal einwirkt, sich dem Menschen offenbart und Gesetze erlässt, die Abhängigkeit des Menschen vom Willen Gottes und der Glaube an eine unsterbliche Seele, die sich nach dem Tod vom Leibe löst und die – wenn es dem Willen Gottes entspricht – in die himmlische Seeligkeit eingeht.

Religiöse Erfahrungen können aber auch außerhalb eines Glaubenssystems gemacht werden. Eine der großen Religionen der Menschheit, der Buddhismus, kommt ohne den Gottesglauben, ja eigentlich ohne jeglichen Glauben aus, denn im Buddhismus geht es nicht um Glauben, sondern um Wissen. Mit Hilfe einer bestimmten Meditationspraxis sollen bestimmte Einsichten (Erleuchtung) gemacht und bestimmte Zustände (Nirvana) erreicht werden. Hier geht es aber nicht darum, Werbung für den Buddhismus zu machen, sondern darum, Erfahrungen zu nennen, die offensichtlich religiös sind, die aber nicht ohne Weiteres unter in ein Glaubenssystem passen.

Zur nicht-monotheistischen (atheistischen) Religiosität gehören folgende Erfahrungen: die Freiheit von Angst und Gier, die Loslösung vom Ich, die Offenheit im Sinne einer abwartenden Empfängnisbereitschaft, die Gelassenheit im Sinne des Geschehen-lassen-Könnens bzw. des Sich-von-den-Dingen-leiten-lassen-Könnens, Aufgehen in einer Tätigkeit oder im Engagement für andere Menschen, das Über-sich-selbst-Hinausgehen (Transzendenz); das Verschmelzen mit der Welt und die Liebe.

Menschen, die solche Erfahrungen machen, suchen offensichtlich auch nach einem über-individuellen Lebenssinn, nach etwas, was über die Grenzen des eigenen Selbst hinausgeht. Sie suchen nach etwas Transzendentem. Vielleicht laufen sogar beide Formen der Religiosität, die monotheistische und die atheistische, auf dasselbe hinaus? Auf eine übergreifende Größe, eine übergreifende Einheit, welche die Theisten Gott bezeichnen, für welche die religiösen Atheisten noch keinen Namen haben?

Literatur: Alexander Ulfig, Die Überwindung des Individualismus, 2003.

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Freidenker

Religionen - und zwar alle vorherrschenden Richtungen der Neuzeit - haben doch mit Wissen nichts zu tun.

btw: Der Sinn des Lebens ist Überleben und Fortpflanzen. Wir sollten aufhören uns als Menschen so wichtig zu nehmen.

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