Kleist - Mord - Selbstmord

Nicht zum 200. Todestag des Dichters, sondern zum Jahrestag einer Selbsttötung.

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Heute vor 200 Jahren hat der preußische Dichter Heinrich von Kleist am Kleinen Wannsee Selbstmord begangen. Nachdem er eine Begleiterin für diesen Weg, die an Krebs erkrankte Henriette Vogel gefunden hatte, erschoss er mit ihrem Einverständnis zunächst sie und dann sich. Er sah nach dem Scheitern praktisch aller seiner Lebenspläne und auch in der prekären politischen Situation Preußens keinen Sinn mehr darin, weiterzuleben.

 

Das deutsche Feuilleton feiert heute den sprachmächtigen Autor wunderbarer Dramen, hochdramatischer Erzählungen und innovativer Publizistik in auffälliger Weise von seinem Ende her. Natürlich schwingt der Tod im Werk Kleists immer mit; aber Kleist ist einer Zeit und Gesellschaft besonders sympathisch, die großes Verständnis für die Selbsttötung und für die Sterbehilfe hat. Die Verzweiflungstaten von psychisch Gefährdeten oder vereinsamt Hoffnungslosen und Alleingelassenen werden immer mehr zu einer ethisch legitimierten und bürokratisch verwalteten, vielleicht auch ökonomisch lohnenden Angelegenheit. Bei Licht betrachtet hat Kleist nämlich einen Mord auf Bestellung verübt und sein Talent einfach weggeworfen. 

 

Schon die Tötung Henriette Vogels ruft heute keine grundsätzliche Entrüstung mehr hervor. Natürlich kann argumentiert werden, dass Kleist sich selbst gerichtet habe, was seine Motivation aber verfehlt. Der sogenannte „Kannibale von Rohtenburg“ hat weniger wegen der Tötung eines Menschen auf dessen Verlangen hin Aufsehen erregt, sondern wegen seiner sexuellen Abnormitäten. Die Tötung selbst, so offenbar die öffentliche Meinung, war wohl in Ordnung: Das Opfer hat es ja selbst so gewollt. Das Gericht hat sich immerhin zu einer Verurteilung wegen Mordes durchgerungen – in einer Neuverhandlung, nachdem zunächst ein Urteil wegen Totschlags ausgesprochen worden war! Vom grundsätzlichen Wert eines Lebens will kaum jemand mehr etwas wissen; nur der Papst kündet mit zunehmender äußerer Folgenlosigkeit davon. Eine ganze Todesindustrie läuft heute auf Hochtouren und beruft sich auf den freien Willen, von dem wir wissen, dass es ihn in dieser einfachen Form auch beim Gesündesten und  Stärksten überhaupt nicht gibt. Von den Ungeborenen und deren Willen will ich überhaupt nicht reden. Wer zum Problem der Erwachsenen, die sterben wollen, einen erschütternden Text lesen will, greife zu Michel Houellebecqs jüngstem Roman „Karte und Gebiet“.

 

Es geht hier nicht darum, dass kein Verständnis für Suizide aufzubringen wäre, schon gar nicht um ein billiges Moralisieren. Es scheint einfach so, dass diese unsere Gesellschaft keine Antenne mehr hat für das zutiefst Traurige einer solchen Handlung wie der von Kleist; sie akzeptiert leichthin seine Aussage, dass ihm „auf Erden nicht zu helfen war“ und fragt nicht, wie ihm denn zu helfen gewesen wäre – und macht es sich in Hinblick auf all die, denen heute geholfen werden könnte, sehr leicht damit. Drieu La Rochelle hat in seinem Roman „Le feu follet“ das entscheidende Wort dazu gesprochen; er lässt seinen Protagonisten Alain Lerois vor seinem Suizid sagen: "Ich bringe mich um, weil ihr mich nicht geliebt habt und weil ich euch nicht geliebt habe. Ich werde auf euch einen nicht zu tilgenden Schandfleck hinterlassen."

 

 

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Adorján Kovács

Deutsche Befindlichkeiten. Eine Umkreisung

Artikel und Essays.

Essen: Die Blaue Eule, 1. Auflage 23.02.2012, Paperback, 318 S., Maße: 21,0 x 14,8 cm, ISBN: 978-3-89924-337-6, Preis: € 36,00.

 

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Kommentare zum Artikel

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Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS), Berlin, lehnt Suizid aus psychischen Gründen ab.
Christen können gerne ein jämmerliches Ende z.B. bei Endstadiumskrebs, durchleiden, haben jedoch kein Recht, dies anderen vorzuschreiben. "Gott sei Dank" hat man nun die freie Entscheidung.

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