Kleiner Abzug mit großen Folgen

Putins Teilrückzug aus Syrien bringt Moskau mindestens vier Vorteile

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Putin ist für eine Überraschung immer gut. Das für seine Gegner Schlimme dieser Überraschungen ist: Sie sind meist wohl überlegt und verändern die Lage auf dem  geopolitischen Schachbrett. So auch diesmal mit der Ankündigung und dem sofortigen Vollzug, einen Teil der russischen Truppen aus Syrien abzuziehen. Denn dieser Schachzug bringt nicht nur Bewegung in das nahöstliche Szenario, es bringt dem Zar des 21. Jahrhunderts gleich vier Vorteile.

Erster Vorteil: Damit setzt er den syrischen Diktator Assad unter Druck, bei den Friedensverhandlungen in Genf auch über die Zukunft des Regimes und der Alawiten nachzudenken. Assad braucht die Russen. Ohne diese Schutzmacht ist er verloren. Die anderen Verbündeten, der Iran und die Hisbollah, sind allein zu schwach, um ihn zu halten. Um sich und seinen Clan zu retten, wird er verhandeln und sich irgendwann auf das Siedlungsgebiet der Alawiten an der Levante zurückziehen. Dort liegen die beiden russischen Stützpunkte, der Tiefseehafen Tarsus und der Flughafen Lattakieh. Sie will Putin halten. Dafür braucht er einen Verbündeten von seinen Gnaden. Einen kleinen, alawitischen Satellitenstaat am Mittelmeer kann man gut verteidigen, ein großes, unruhiges Syrien nicht.

Zweiter Vorteil: Indem Putin Damaskus den Sunniten und die Sunniten sich dann selbst überlässt, stürzt er Rumpf-Syrien zwar ins Chaos zwischen radikalen und moderaten Islamisten. Aber er kann sich bei der heimlichen Schutzmacht aller Sunniten, den Saudis, als neuer Gesprächspartner bei den geopolitischen Verschiebungen in der Region anbieten. Dasselbe gilt übrigens mit Blick auf Israel. Auf diese Weise erhöht er den Einfluss Russlands in Nahost, denn Moskau steht jetzt nicht mehr als Verbündeter nur der Schiiten da. Er wird zum Gesprächspartner aller Spieler im großen nahöstlichen Ringen zwischen Schiiten und Sunniten.

Dritter Vorteil: Krieg ist teuer. Mit dem Ende der Bombardements spart Putin Geld, das er im Moment auch nicht hat. Seine neue Offenheit gegenüber Saudi-Arabien wird es ihm erlauben, offen mit Riad über den Ölmarkt zu reden. Sollten die zwei exportstärksten Ölmächte der Welt, Russland und Saudi-Arabien, die Produktion drosseln, ginge der Preis in die Höhe. Dieser Markt ist überaus sensibel. Schon jetzt steigt der Preis leicht an.

Vierter Vorteil: Putin kann sich den Europäern als Friedensengel präsentieren. Schon tönt es aus Moskau, man habe die islamistischen Terroristen entscheidend geschwächt und die Verhandlungen in Genf entscheidend vorangebracht. Und Frieden in Syrien heißt weniger Flüchtlinge, vielleicht sogar Rückkehr vieler tausend Flüchtlinge aus Jordanien, dem Libanon und der Türkei. Damit schlägt er so nebenbei auch seinem Erzfeind Erdogan einen Trumpf aus der Hand, mit dem dieser gerade die Europäer, allen voran die Deutschen erpresst. Das eigentliche Ziel dieser Image-Kampagne aber ist die Aufhebung der Sanktionen. Es dürfte den EU-Granden jetzt richtig schwerfallen, an den Sanktionen festzuhalten, erst recht wenn in Syrien die Waffen weiter schweigen.

So kann man auf dem weltpolitischen Schachbrett mit einem kleinen Bauern- beziehungsweise Soldatenzug schon ein wenig Geschichte machen.

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Ölschiefer

"radikale... und moderate... Islamisten"

Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen.

Aber sei's drum. Falls die alawitische Midnerheit sich auf die Küstengebiete zurückzieht, wird es kein Chaos in Rest-Syrien geben, weil die Golf-Staaten diese Landstriche benutzen werden, um eine Gas-Pipeline in die Türkei und weiter nach Europa zu bauen. Also kein russisches Gas mehr für Europa, dafür noch mehr Einnahmen für die Golfmonarchien, die einen Teil des Gelds umgehend in die verstärkte Islamisierung Europas (und Russlands) investieren werden. Russland kann sich darauf nur einlassen, wenn es gleichzeitig einen Öl-Deal gibt, der durch höhere Preise für das dann entgangene Gas-Geschäft kompensiert.

Gravatar: Jochen Reimar

Man kann von Putin halten, was man will - aber hier erweist er sich als Staatsmann, der strategisch denkt und sich nicht nach der vermeintlichen Mehrheitsmeinung richtet. Und er handelt - und wartet nicht ab wie andere Bundeskanzlerinnen, um dann auf fahrende Züge aufzuspringen.
Schade, daß wir Deutschen derzeit eine so schlechte Führung haben...

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