Klartext von Jesus (und Papst)

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Der Papst ist ja so nett, so liberal, er wird sicher bald die ganze Kirche umkrempeln und sie zu einer angenehmen zeitgenössischen Erscheinung umwandeln, eine Art Wohlfühlministerium der Welt. Wer immer aufgrund seiner Sünden (um den anachronistischen Begriff zu wählen) ein schlechtes Gewissen hat, dem wird bald bestätigt werden, dass das ganz und gar unnötig ist, weil Gott doch barmherzig ist und uns die Sünden vergibt! So oder so ähnlich stellt sich das eine Welt vor, die nur noch ihre eigenen Grundsätzen aber keine Moral, nur noch Gesetze aber keine Verantwortung mehr kennt.

Dem geneigten Leser dieses Blogs oder denjenigen, die die Worte des Papstes auf anderen Medien verfolgen wissen, dass das so nicht korrekt ist, nicht sein kann, einfach weil Jesus etwas anderes gelehrt hat als unterschiedslose Nichtberücksichtigung der Sünden. Aber wenn der Papst auf die Unterscheidung zwischen Sünde und Sünder hinweist (nicht neu, aber von vielen offenbar bislang nicht gehört), hört die Mehrheit nur, dass der Sünder nicht verurteil werden soll – das Verdikt über die Sünde wird nicht mehr gehört. Umso schwerer verdaulich müsste es eigentlich für die Welt sein, welche Worte Jesus – zum Beispiel im heutigen Tagesevangelium – gewählt hat und wie der Papst sie – zum Beispiel in seiner heutigen Predigt im vatikanischen Gästehaus „Domus Sanctae Marthae“ – interpretiert.

Im Tagesevangelium heißt es:

Er sagte zu seinen Jüngern: Es ist unvermeidlich, dass Verführungen kommen. Aber wehe dem, der sie verschuldet. Es wäre besser für ihn, man würde ihn mit einem Mühlstein um den Hals ins Meer werfen, als dass er einen von diesen Kleinen zum Bösen verführt.

Seht euch vor! Wenn dein Bruder sündigt, weise ihn zurecht; und wenn er sich ändert, vergib ihm. Und wenn er sich siebenmal am Tag gegen dich versündigt und siebenmal wieder zu dir kommt und sagt: Ich will mich ändern!, so sollst du ihm vergeben.

Die Apostel baten den Herrn: Stärke unseren Glauben! Der Herr erwiderte: Wenn euer Glaube auch nur so groß wäre wie ein Senfkorn, würdet ihr zu dem Maulbeerbaum hier sagen: Heb dich samt deinen Wurzeln aus dem Boden und verpflanz dich ins Meer!, und er würde euch gehorchen.

Der Papst geht in seiner Predigt, wie sie auf kath.net wiedergegeben wird auf die ersten beiden Absätze ein. Dabei geht es einerseits um denjenigen, der sündigt, aber um Vergebung bittet, der sich bewusst ist, gesündigt zu haben und sich aus diesem Bewusstsein ändern will, andererseits aber um den, der zur Sünde verführt, offenbar nicht bereut. Der Papst sagt laut kath.net dazu:

Der Unterschied ist der, dass – wer sündigt, es bereut und um Vergebung bittet – sich schwach fühlt, sich als Kind Gottes fühlt, sich erniedrigt und von Jesus sein Heil erbittet. Der andere aber, der Verführer, der Ärgernis erregt – was erregt Ärgernis? Dass er es nicht bereut. Er sündigt weiter, aber tut so, als sei er ein Christ: ein Doppelleben. Und das Doppelleben eines Christen ist übel, so übel. ‚Aber ich bin doch ein Wohltäter der Kirche! Ich lege Hand an den Geldbeutel und gebe der Kirche’. Doch die andere Hand bestiehlt: den Staat, die Armen... sie stiehlt. Er ist ein Ungerechter. Das ist das Doppelleben. Und dieses verdient es – das sagt Jesus, nicht ich –, dass man es mit einem Mühlstein um den Hals ins Meer wirft. Hier spricht er nicht mehr von Vergebung.

Für den ersteren wählt der Papst den bekannten Begriff des Sünders, für letzteren aber den Begriff des „Verdorbenen“:

Und wir müssen uns Sünder nennen, ja, alle hier sind es, nicht wahr? Verdorben – nein. Der Verdorbene bleibt fest in einem Zustand der Selbstgenügsamkeit, er weiß nicht, was Demut ist. Jesus sagte von diesen verdorbenen Menschen: ‚Ihr seid wie die Gräber, die außen weiß angestrichen sind und schön aussehen; innen aber sind sie voll Knochen, Schmutz und Verwesung’ (vgl. Mt 23,27). Und ein Christ, der sich rühmt, Christ zu sein, aber kein christliches Leben führt, ist einer dieser Verdorbenen... Alle kennen wir jemanden, der sich in dieser Situation befindet, und wie sehr schadet das der Kirche! Verdorbene Christen, verdorbene Priester... Wie sehr schaden sie der Kirche! Denn sie leben nicht nach dem Geist des Evangeliums, sondern nach dem Geist der Weltlichkeit.

Und dieses harte Urteil sieht der Papst auch in den Worten Jesu:

‚Und wenn er sich siebenmal am Tag gegen dich versündigt und siebenmal wieder zu dir kommt und sagt: Ich will mich ändern!, so sollst du ihm vergeben’ (Lk 17,4). Das ist es, was er mit den Sündern macht. Er wird es nicht müde, zu vergeben, allerdings zu dieser einen Bedingung: kein Doppelleben führen zu wollen, reuig zu ihm zu gehen: ‚Vergib mir, Herr, ich bin ein Sünder!’. ‚Geh weiter, geh weiter, ich weiß es’. Und so ist der Herr. Bitten wir heute den Heiligen Geist um die Gnade, die jeder Täuschung entflieht, bitten wir um die Gnade, uns als Sünder zu erkennen: wir sind Sünder. Sünder ja, Verdorbene nein.

Also, ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber mich beunruhigen diese Worte kolossal, würde sie gerne ignorieren oder mir bestätigen, sie nicht auf mich anwenden zu müssen. Aber wenn Jesus die Worte so klar ausspricht, dann sollten wir keinen Zweifel haben, dass er das auch so gemeint hat: „Es ist unvermeidlich, dass Verführungen kommen. Aber wehe dem, der sie verschuldet. Es wäre besser für ihn, man würde ihn mit einem Mühlstein um den Hals ins Meer werfen, als dass er einen von diesen Kleinen zum Bösen verführt.“

Ich kannte diese Stelle bereits, ich kenne auch die folgenden Sätze von der Vergebung – aber ich gebe zu, ich habe beide Textstellen, vielleicht auch weil sie in der Einheitsübersetzung der Bibel unter zwei Überschriften stehen („Warnung vor der Verführung“ und „Von der Pflicht zur Vergebung“), nie in so engem Zusammenhang gelesen. Jesus spricht im ersten Teil bei denjenigen die „verführen“ nicht von Vergebung, sondern vom Mühlstein um den Hals. Man darf nun mutmaßen, dass diese Formulierung „nur“ einen Ausblick auf das Fegefeuer gibt und nicht auf eine wirkliche Verdammnis (mir fehlt die Fantasie zu glauben, dass, wenn ich bereuen sollte, jemanden zur Sünde verführt zu haben, mir Gott nicht mehr vergeben wird), aber es ist eine so starke Warnung, dass wir sie zu Herzen nehmen sollten.

Und der Papst beschreibt, worin diese Verführung eigentlich besteht: in der Heuchelei, in der „korrupten“ Lebensweise; ich gebe vor, ein Christ zu sein, und gebe mit meinem Leben ein unchristliches Zeugnis. Der Sünder, der Schwache, der den Anforderungen des christlichen Lebens ausweichen will, mag nun denken: „Wenn der (Christ) sich so verhält, dann kann es ja nicht so schlimm sein“. Der Schwache wird zum Sünder, sieht seine Sünde hoffentlich bald ein und ist dann auf die Vergebung angewiesen, die Gott ihm gewähren wird. Aber derjenige, der unbeirrt an seinem verdorbenen Leben festhält? Er verdirbt, um in dem Bild zu bleiben, weiter sein Umfeld: „One bad apple can spoil the whole bunch“ ist ein englisches Sprichwort dafür. Umso wesentlicher ist dies für Menschen, die mit ihrem Christsein in der Öffentlichkeit stehen: Priester, von denen der Papst spricht, die nach dem „Geist der Weltlichkeit“ leben, gehören sicher dazu; sie verführen ihre Gemeinden, es nicht so genau zu nehmen.

Ich bin, es ist schon einige Zeit her, einmal zu einer Beichte gegangen, habe eine schwere Sünde gebeichtet, der Priester dagegen wies mich darauf hin, dass das doch nicht so schlimm wäre. Zum Glück habe ich im persönlichen Umfeld Priester, die es besser wissen und mich entsprechend begleiten, aber was, wenn so ein Priester auf einen „schwachen“ Sünder trifft, der fortan glaubt, sein Leben sei schon so in Ordnung? So eine Art Priester wird der Papst vielleicht gemeint haben – aber es ist natürlich einfach, mit dem Finger auf andere zu zeigen: Wie sieht es denn mit meinem Leben aus? Gibt es Dinge, von denen ich glaube, dass ich mir sie – obschon einem christlichen Leben widersprechend – „leisten“ kann (weil ich doch sonst ein vermeintlich guter Mensch bin)? Und wer mag mich bei diesem Verhalten alles sehen oder es bemerken und glauben, wenn der das tut, dann wird es in Ordnung sein? Die meisten von uns haben keine besondere Breitenwirkung wie Priester und Bischöfe, aber schon als kleiner Blogger wird man gelesen und beobachtet, und jeder Mensch hat Familie und Freunde und gibt unter ihnen Zeugnis ab mit dem eigenen Leben, den Worten und Taten.

Ich glaube, der Anspruch ist hoch und die Grenze zwischen Sünder und Verdorbenen ist schmal: Das anspringende Gewissen ist ein gutes Indiz dafür, wann ich auf die falschen Pfade abbiege, zu einer guten Gewissenserforschung gehört aber auch zu prüfen, ob ich jemanden mit meinem Handeln womöglich zur Sünde verführt habe. Und wenn ja: Auch dann steht mir der Weg zu Christus offen, und er wird – so steht es nicht in der Bibel aber ich hoffe, ich kenne ihn gut genug – mir den Mühlstein abnehmen und mir helfen, ein verdorbenes Leben wieder zu heilen.

Beitrag erschien zuerst auf: papsttreuer.blog.de

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Joachim Datko

Es gibt keine authentischen Berichte vom angeblich wundertätigen Wanderprediger Jesus. Die Geschichten um seine Wundertätigkeit sind frei erfunden.

Gravatar: Thomas Rießler

Darüber hinausgehend habe ich auch noch ein grundlegendes Problem mit der Vorstellung des Papstes von Christentum: „Und wir müssen uns Sünder nennen, ja, alle hier sind es, nicht wahr?“ Das ist so nicht richtig. Der Apostel Paulus hat die Mitglieder seiner Gemeinden als Heilige angesprochen (siehe z.B. die Anfänge von Römer-, Korinther- und Epheserbrief). Dabei waren diese neutestamentlichen Christen bestimmt nicht sündlos oder alle vom Papst heiliggesprochen. Sie haben zwar immer noch gesündigt, aber der Normalfall war, dass sie seit ihrer Bekehrung ein zunehmend rechtschaffenes Leben geführt haben, in dem die Sünde nicht mehr die Regel, sondern eher die Ausnahme dargestellt hat. Paulus hat dementsprechend die Mitglieder seiner Gemeinden auch immer ermahnt, wenn sie etwas falsch gemacht haben, um diese Sünden zu korrigieren, so dass sie aus dem Stadium der christlichen Babys herauskommen und erwachsen werden konnten, also im Glauben und der Heiligkeit zunahmen. Außerdem waren sie sich der Vergebung ihrer Sünden durch das Blut Jesu Christi gewiss, so dass sie in den Augen Gottes Gerechte und eben keine Sünder waren.
Beim Papst scheint es mir dagegen gerade umgekehrt zu sein. Er bestätigt die Mitglieder seiner Gemeinde darin, Sünder und eben keine Heilige zu sein, gerade so als ob der heilige Geist, der in den Christen wohnt, keine Kraft hätte, ihren Lebenswandel zu verbessern und also ob die Sünde ein unverzichtbares Merkmal ihres Daseins wäre, das nicht überwunden werden könnte. Indem er die Verdorbenen (damit scheint er die selbstgerechten christlichen Pharisäer zu meinen) als einzige Option zum Sünder anführt, hält er die Christen in seiner Gemeinde davon ab, auf dem Pfad der Heiligung fortzuschreiten. Alles, was nach außen hin den Anschein von Heiligkeit erweckt, scheint ihm suspekt zu sein.

Gravatar: Thomas Rießler

Dies ist erneut eine seltsame Bibelinterpretation des Papstes, die ich nicht nachvollziehen kann: „Der andere aber, der Verführer, der Ärgernis erregt – was erregt Ärgernis? Dass er es nicht bereut. Er sündigt weiter, aber tut so, als sei er ein Christ: ein Doppelleben.“ Das Schlimme an den Verführern ist doch, dass sie andere Menschen zur Sünde verführen, und nicht, dass sie ihre eigenen Sünden nicht bereuen. Wenn z.B. ein Mann eine Frau zum Ehebruch verführt, dann begeht die Frau die Sünde des Ehebruchs genauso wie der Mann. Dabei ist jedoch die Sünde des Mannes als Verführer viel schlimmer als die Sünde der Frau. Es ist zunächst mal egal, ob der Mann seine eigene Schuld bereut oder nicht, denn er hat nun auch mitzuverantworten, dass die Frau schuldig geworden ist. Die Sünde der Frau kann er selbst durch seine eigene Reue nicht ungeschehen machen.
Diese Verführung zur Sünde durch andere Menschen ist offenbar auch der Grund dafür, dass der im Evangelium erwähnte Bruder mehrfach sündigt und man ihm – im Falle seiner Reue – auch wiederholt vergeben soll. Er sündigt eben nicht auf der Insel der Seligen, sondern in der Welt, die ihn immer wieder zur Sünde verführt, obwohl er diesen Verführungen nur selten widerstehen kann, weil er zu den „Kleinen“ gehört.

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