Kernkraftwerk Fukushima-Daiichi: Unfallursache, aktuelle Situation und Zukunft (Teil 1)

Am 12. July erschien der vorläufige Bericht der amerikanischen Aufsicht (NRC, U.S. Nuclear Regulatory Commission) zu den Konsequenzen aus dem Unfall in Fukushima.

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In diesem Bericht werden die ersten Schlussfolgerungen für die Genehmigung und den Betrieb von Kernkraftwerken in den USA gezogen. Er beruht ausdrücklich auf den bisherigen Kenntnissen über den Ablauf der Ereignisse, da eine vollständige Rekonstruktion der Abläufe erst nach dem Betreten der Anlage und genauer Analyse der Bauteile etc. möglich ist. Solche Untersuchungen nehmen bei Anlagen dieser Größe erfahrungsgemäß Jahre in Anspruch. Gleichwohl ergibt sich aus der Auswertung der Meßwerte, erster Videos und den Aussagen der Betriebsmannschaft bereits jetzt ein ziemlich deutliches Bild der Lage. Da die Materie für Laien eine schwer verdauliche Kost darstellt, wird sich der Autor hier bemühen, eine allgemein verständliche Zusammenfassung in deutscher Sprache zu bieten. Im ersten Teil wird der Schadensablauf und der Stand der Aufräumarbeiten beschrieben. Im zweiten Teil wird die Konsequenz bezüglich bestehender Kernkraftwerke hinterfragt.

Der Unfallablauf

Am 11. März 2011 um 14:46 Ortszeit fand vor der Küste von Honshu ein Erdbeben der Stärke 9.0 statt. Der Herd lag etwa 130 km östlich von Sendai und etwa 372 km nordöstlich von Tokio. Für den Unfallablauf ist von Bedeutung, daß es sich hierbei um eines der schwersten Erdbeben überhaupt in der jüngeren Menschheitsgeschichte gehandelt hat und es relativ nahe zum Kraftwerk im offenen Meer stattfand. Das Erdbeben und die Flutwelle richteten im nordöstlichen Japan schwerste Verwüstungen an, die den Schadensablauf und die erforderlichen Gegenmaßnahmen in bisher nicht dagewesenem Maße[1] erschwerten. Im Vergleich zu den Ereignissen in Tschernobyl waren die Randbedingungen unvergleichlich schwieriger, da dort eine „Selbstzerstörung“ in intakter Umwelt stattgefunden hatte. Hilfe von außen (z. B. Feuerwehr) war dort sofort möglich und die Bevölkerung war nur von dem Reaktorunglück, jedoch nicht zusätzlich von einer Naturkatastrophe betroffen (Evakuierungsmaßnahmen, Schutz durch Gebäude, Infrastruktur).

Das Erdbeben löste eine automatische Schnellabschaltung bei elf Kernkraftwerken an der Nordostküste aus. In keinem dieser Kraftwerke kam es zu nennenswerten Schäden. Für die in Deutschland stattfinden Diskussionen muß man an dieser Stelle ausdrücklich vermerken, daß auch schwerste Erbeben (MSK 9.0!) durch Siedewasser- und Druckwasserreaktoren unterschiedlichsten Alters und in unterschiedlichen Betriebszuständen sicher beherrscht wurden! Warum kam es dennoch zu einer Zerstörung von 4 Blöcken?

Zum Zeitpunkt des Bebens waren die Reaktoren Fukushima 1 bis 3 am Netz und die Blöcke 4 bis 6 wegen Brennstoffbeladung und Wartungsarbeiten abgeschaltet. Beim Block 4 des Kraftwerks Fukushima Dai-ichi waren alle Brennelemente in sein zugehöriges Brennelementebecken ausgelagert.

Durch das Erdbeben wurde das gesamte öffentliche Stromnetz zerstört. Die Kernkraftwerke konnten ihren Strom nicht mehr liefern, aber auch umgekehrt nicht mehr von außen mit elektrischer Energie versorgt werden. In diesem Fall bleibt nur eine Trennung vom Netz übrig. Bei einem Erdbeben gewisser Stärke (anlagenabhängiger Wert) wird automatisch eine Schnellabschaltung ausgelöst. Es wurden alle Regelstäbe in den Reaktorkern gefahren und damit die Kettenreaktion vollständig unterbrochen. In diesem Zustand kann aber kein Reaktor mehr so viel Dampf produzieren, dass damit der notwendige Eigenbedarf gedeckt werden könnte. Deshalb wurden automatisch in allen sechs Reaktoren die Notstromdiesel gestartet. Diese haben die Versorgung des Kraftwerks übernommen und bis hier her war alles Routine. Für deutsche Ohren muss man es noch einmal eindeutig formulieren: Bisher ist noch kein Kernkraftwerk durch ein Erdbeben schwer beschädigt worden oder gar Radioaktivität in beachtenswerter Menge freigesetzt worden. Erdbeben sind für Kernkraftwerke leicht beherrschbare Naturereignisse.

Etwa 40 Minuten nach dem Beben erreichte die erste von mehreren Flutwellen das Kraftwerk. Warum sie nur im Kraftwerk Fukushima Dai-ichi solch schweren Schaden anrichtete, wird später noch eingehend diskutiert werden. Wie die Sequenzen der Überwachungskameras zeigen, donnerte sie mit mehreren Metern über Grund über das Kraftwerksgelände hinweg. Sie hob beispielsweise einen Van gut 5m hoch und schmetterte ihn wie einen Rammbock in eine Rohrleitungsstation, zerknitterte einen großen Tank wie eine Cola-Dose und ergoss Tonnen von Schlamm in die Schaltanlagen. Dies erklärt, warum es Tage dauerte, bis das Kraftwerk wieder mit Strom versorgt werden konnte. Es war nicht einfach nur „abgesoffen“, sondern die mehrere Meter hohe Wasserwand hat das gesamte Gelände kurz und klein geschlagen. Zurück blieb eine Trümmerlandschaft wie nach einem Bombenangriff. Die ersten Hilfstrupps mussten sich erst einmal den Weg mit schwerem Gerät frei räumen, bis sie mit den eigentlichen Hilfsmaßnahmen beginnen konnten.

Die Bedienungsmannschaft traf die Welle offensichtlich völlig unerwartet. Zwar konnte die Warnung der Bevölkerung (etwa 10 bis 20 Minuten vor dem Einschlagen der Welle) unzähligen Menschen das Leben retten, hat aber wahrscheinlich nicht die Bediener erreicht. Sie haben jedenfalls die Ventile des Kühlsystems (dem Handbuch gemäß) von Hand geschlossen, weil sich der Kern zu schnell abkühlte. Dies hätten sie sicher nicht getan, wenn sie geahnt hätten, was 34 Minuten später über sie hereinbrechen würde: Die Flutwelle hat nicht nur die Notstromdiesel „ausgeblasen“, sondern durch Kurzschlüsse zum völligen Verlust des Wechselstroms geführt. In nahezu völliger Dunkelheit, mit stark eingeschränkter Instrumentierung, nur noch über den Gleichstrom aus den Batterien verfügend, waren sie praktisch machtlos. Mit viel Improvisationsgeschick gelang es ihnen jedoch, die Kühlung im Reaktor 1 für mehrere Stunden aufrecht zu erhalten und in den Reaktoren 2 und 3 sogar für 36 bzw. 71 Stunden. Es war jedoch nur eine Frage der Zeit, dass die Brennstäbe mangels Nachspeisung von kaltem Wasser in die Reaktordruckbehälter trocken fallen würden. Steigt der Dampfdruck im Druckbehälter über seinen Grenzwert an, wird Dampf in einen Ringbehälter,[2] der teilweise mit Wasser gefüllt ist, abgeblasen. Dieser Dampfstrom treibt dann eine Turbine, die wiederum eine Pumpe zur Rückspeisung antreibt. Dieser Kreislauf funktioniert aber nur so lange, wie die Temperaturdifferenz groß genug ist. Fehlt die ausreichende Kühlung des Ringraumes, bricht dieser Kreislauf wegen der starken Aufwärmung des kondensierenden Dampfes irgendwann in sich zusammen.

Fällt der Wasserspiegel im Reaktor unter die Oberkante der Brennelemente, fangen diese an sich stark zu erhitzen, weil der Wärmeübergang an Dampf wesentlich schlechter, als an Wasser ist. Fataler weise läuft ab einer bestimmten Temperatur auch noch eine chemische Reaktion mit dem Material der Brennstabhüllen ab, bei der große Mengen Wasserstoff entstehen können. Dieser explosive Wasserstoff gelangt zusammen mit dem Dampf in das Containment und gegebenenfalls in das Reaktorgebäude. Seit dem TMI-Störfall 1979 hat man deshalb in allen Kernkraftwerken Systeme zum Abbau des Wasserstoffs eingebaut. Außerdem fährt man in dem während des Betriebs ohnehin unzugänglichen Bereich des Containments eine Stickstoffatmosphäre. Warum genau, dieses Konzept in Fukushima nicht zufriedenstellend funktioniert hat, kann abschließend erst festgestellt werden, wenn der Reaktor wieder vollständig zugänglich ist. Eine weitere Konsequenz aus dem TMI-Störfall war der Einbau eines Entlastungsventils in das Containment. Dahinter steht die simple Überlegung: Bevor man das Risiko einer Explosion im Containment eingeht, lässt man den Überdruck kontrolliert ab. Diese Maßnahme ist bei diesem Reaktortyp besonders wichtig, weil er nur ein relativ kleines Volumen besitzt. Man muss entweder das Containment sehr schnell von außen mit Wasser bespritzen — was später erfolgreich mit Hilfe der Betonpumpen geschehen ist — oder den Überdruck abblasen. Auf welchen Wegen sich dabei der Wasserstoff auch in die Nachbargebäude ausbreiten konnte, wird noch zu klären sein. Jedenfalls rührte die Explosion des Gebäudes 4 nicht — wie ursprünglich angenommen — von einer Wasserstoffbildung in dessen Brennelementelagerbecken her. Ein Anhaltspunkt könnten die zwei Schornsteine für vier Reaktoren geben: Zumindest die Lüftungssysteme scheinen miteinander verbunden.

Wie man durch Kamerafahrten feststellen konnte, ist übrigens keines der Brennelementebecken jemals trocken gefallen. Zwar ist durch die ausgefallene Kühlung mehr Wasser verdampft als üblich, aber die Brennelementebecken sind recht tief, da der Wasserstand oberhalb der Brennelemente als Abschirmung gegen deren Strahlung dient. Dies hat auch als Schutz vor dem herab fallenden Bauschutt gedient. Es scheint kein einziges Brennelement beschädigt worden zu sein. Dies geht auch aus den inzwischen erfolgen Wasserproben hervor. Es hat lediglich eine Kontamination von außen und eine starke Verschmutzung durch Bauschutt stattgefunden. Die Wasserchemie konnte inzwischen so weit wieder hergestellt werden, dass nicht einmal von einer erhöhten Korrosion ausgegangen werden muss.

Inzwischen geht die Beseitigung der großen Mengen radioaktiv verseuchten Wassers zügig voran. Größtenteils entstammen sie dem etwas unorthodoxen Kühlverfahren: Sprüh oben mittels einer Betonpumpe möglichst viel Wasser auf das Containment und es wird sich schon einen Weg durchs Gebäude suchen! Die Methode hat einen Vor- und einen Nachteil: Einerseits wäscht sie relativ gut (Dekontamination) und andererseits verhindert sie das Betreten großer Gebäudeteile. Die Ausfällung der radioaktiven Stoffe aus dem Wasser wird durch dessen hohen Salzgehalt erschwert, da in der Not nur auf Meerwasser zurückgegriffen werden konnte. Das durch die „Entseuchung“ wieder gewonnene und nun voll entsalzte Wasser wird nun zur weiteren Kühlung und Reinigung wiederverwendet. Das Salz und seine radioaktiven Inhalte ergeben einen Schlamm, der „endgelagert“ werden muss. Je schneller dieses radioaktive Wasser beseitigt werden kann, umso schneller kann man wieder innerhalb der Gebäude gefahrlos arbeiten. Parallel laufen die üblichen Reinigungsmethoden weiter: Staubsaugen durch Roboter, abdecken der Böden mit Stahlplatten usw. Wer sich über den langsamen Fortschritt beklagt, sollte zur Kenntnis nehmen, dass Japan nicht die Sowjetunion ist. Anders als in Tschernobyl gilt hier auch weiterhin der Arbeitsschutz. Insofern wird man sich weiterhin schrittweise dem Reaktor nähern. Erst wird solange dekontaminiert, bis man relativ gefahrlos arbeiten kann. Nichts desto trotz, wird bereits an der Einhausung gearbeitet. Auch hier geht man einen völlig anderen Weg als in Tschernobyl: Anstatt einen „Sarkophag“ aus Beton in „Handarbeit“ herzustellen, baut man neben dem Unfallort eine Stahlkonstruktion, die anschließend mit einem großen Kran um und über die Gebäuderuine gestülpt wird. Dieses Stahlgerippe wird — erdbebensicher und taifunfest — mit Kunststoffelementen bespannt, ähnlich wie es von zahlreichen Stadien her bekannt ist. Durch diese Vor-Fertigung muss man stets nur wenige Bauarbeiter kurzfristig bei der Montage in der unmittelbaren Nähe zur Ruine einsetzen. Sinn dieser Einhausung ist es einerseits, die Ruine vor dem Einfluss des Wetters (Regen, Schnee und Wind) zu schützen und andererseits die Verbreitung von radioaktiven Gasen und Stäuben zu verhindern. Es ist deshalb auch geplant, diese Einhausung stets im Unterdruck zu betreiben. Innerhalb dieses „Notgebäudes“ kann man dann unter kontrollierten industriellen Bedingungen mit dem Rückbau beginnen.

Teil 2 dieses Beitrags erscheint hier in Kürze.

[1] Das gesamte Stromnetz wurde großflächig zerstört, wodurch eine Versorgung des Kraftwerks nicht mehr möglich war. Das Trinkwasserleitungssystem ebenfalls, was zu einem Wassermangel führte. Es musste sogar auf Meerwasser zurückgegriffen werden. Das zerstörte Straßennetz verhinderte die kurzfristige Versorgung mit „Ersatztechnik“ von außen. Alle Rettungs- und Hilfskräfte waren durch die Versorgung der Erdbebenopfer gebunden.

[2] Bei den vier verunglückten Blöcken in Fukushima-Daiichi handelt es sich um Siedewasserreaktoren der Baujahre 1971 bis 1978 mit sogenannten Mark I Containments. Von dieser Bauweise ist man heute längst abgegangen.

Quellen:

Dr. Charles Miller et al. „The Near-Term Task Force Review of Insights from The Fukushima Dai-ichi Accident“ U.S. Nuclear Regulatory Commission: July 12, 2011.

Tokyo Electric Power Company: „Tsunami on the Fukushima Daiichi and Daini Nuclear Power Stations“. May 24, 2011.

Chester Dawson, Yuka Hayashi: Fateful Move Exposed Japan Plant, Wallstreet Journal, 12.07.2011.

Beitrag ursprünglich erschienen auf dem Blog "Denken für die Freiheit"

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: lol

xD

Gravatar: Freigeist

Die Bevölkerung ist zwischenzeitlich gegen die Kernkraft eingestellt, wenige ausgenommen. Wer mit Emotionen/Gefühlen in der Bevölkerung arbeitet/manipuliert, z.B. bei der Euro-Ablehnungs-Kampagne muss andererseits in Kauf nehmen, dass sich die Bevölkerung unlogisch verhält. Ob Gottesglauben, Kernkraft, Euro, alles die gleiche unlogische Soße.

Gravatar: unspaltbarer

@Jaberg:
wohl Solaraktien gekauft, oder was?

@naotokannnicht:
Blödsinn, in Tschernobyl wurde das meiste radioaktive Material durch den Reaktorbrand in die Atmosphäre geschleudert, die Liquidatoren haben nur den hochverseuchten Nahbereich gesäubert und nen Deckel auf den Reaktor gezimmert. Das meiste Material hat sich über Europa verteilt, das Massensterben blieb, trotz der Horroszenarien der Atomkraftgegner, aus.

Gravatar: Meier

Danke Herr Dr. Humpich, für Ihre nüchterne, sachliche Schilderung der Ereignisse des Unglücks in Fukushima.

Gravatar: naotokannnicht

Das in Tschernobyl die Sicherheit der Arbeiter nicht oberste priorität war lag daran, dass es sonst keiner ines Skala mehr bedürfte, denn dann wäre Europa unbewohnbar. Systeme die älter als zwanzig Jahre sind, sind von Natur aus im Fall einer Krise nicht beherrschbar. Das sagt jeder ehrliche Ingenieur.

Gravatar: freiVonVerblendung

Das Erdbeben ein von Kernkraftwerken beherrschbares Risiko sind ist pure Heuchelei.
Das diese Energiequelle veraltet ist,ist Fakt, das der Uranabbau eins der schlimmsten Verbrechen an der Menschheit ist, muss!!! Immer dazu erwähnt werden.

Gravatar: Singaporean

Sehr gute Analyse. Freue mich schon auf den zweiten Teil. Letztens konnte man auf Achgut einen Artikel über die drei angeblich stark verstrahlten Arbeiter in Fukushima lesen. Unsere Medien haben uns völlig verschwiegen, dass alle drei bereits am dritten Tag danach aus dem Krankenhaus entlassen wurden und zwar gesund.

"Drei Tage später, am 27. März 2011, konnte “Asahi Shimbun” berichten:

“Die 3 Arbeiter, welche mit radioaktivem Wasser in Berührung gekommen waren, werden aus dem Krankenhaus entlassen. Sie hatten Dosen von 2 - 3 Sievert abbekommen...Ihre Körper sind gänzlich ohne medizinischen Befund. Zunächst angenommene verbrennungsähnliche Symptome, über die man sich Sorgen gemacht hatte, existieren nicht."

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