Keine Toleranz den Intoleranten – Rezension

Es gehört schon eine Portion Schneid dazu, den lebensfrohen Gourmand Chesterton und den hageren Dystopen Houellebecq in einen literarischen Diskurs zu bringen.

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Der Eintritt in das Buch ist gleich ein Kabinettstückchen. Man muß es selber lesen, um es genießen zu können. Es ist allerdings nur der schmackhafte Einstieg in eine nüchterne zuweilen trockene Analyse. Die Trockenheit bewahrt angesichts der emotional aufgeladenen Stimmung vor populistischen Schnellschüssen. Diese will der Autor ganz offensichtlich nicht und es gelingt ihm, sie zu vermeiden.

Schnell wird klar, daß der Autor anderes im Sinne hat, als die beiden oben genannten und alle weiteren als Zeugen gerufenen Geistesgrößen in einen literarischen Elfenbeinturm zu sperren. Es wird hart. Es geht um die Anschläge in Paris am 7. Januar 2015. Wann je könnte ein Buch, daß die Hintergründe dieser Anschläge durchleuchtet, aktueller sein, als wenige Wochen nach den erneuten Anschlägen vom 13. November 2015 in Paris. Denn letztendlich sind diese dem selben Biotop entwachsen. Alexander Kissler durchleuchtet die Genese der Attentate auf Charlie Hebdo und den jüdischen Supermarkt. Dabei scheut er sich nicht rechtfertigende Schnellschüsse schonungslos zu entlarven.

Auf diese Folie setzt er den zweiten Teil des Buches. Eine Bestimmung für den Begriff Toleranz. Diese stellt den abgesetzt von jeglicher Aktualität zeitüberdauernden Kern des Buches dar. Aktuelle Anlässe sind austauschbar, die geistesgeschichtlichen Hintergründe gelten universal.

Toleranz ist derzeit in aller Munde, aber wer weiß schon wirklich was dieses große Wort wirklich sagt. Voltaire, Locke und Cicero kommen zu Wort. Für den Toleranzbegriff findet sich kaum ein bessere Satz als dieser: Toleranz ist, …“wenn wir uns wechselseitig unsere Dummheiten verzeihen“(S.55).

Toleranz, das kann die Quintessenz des Lesers sein, ist eben nicht eine billige Duldung. Toleranz verlangt zwingend die klare Abgrenzung von nicht tolerierbarem.
Ein dritter Teil des Buches geht in die praktische der Bedeutung von Toleranz für eine freiheitliche Gesellschaft. Dazu bringt der Autor gedanklich den Westen und den Islam in einen Diskurs. Der Islam und der Westen stehen einander fremd gegenüber. So banal wie der Satz klingt, so fundamental ist dessen Bedeutung. Kissler untersucht die Unterschiede.

Wie ein roter Faden zieht sich der Naturrechtsbegriff durch das Buch. Der Westen, so die These ist aus dem Naturrecht geboren. Wo kein Naturrecht mehr ist, ist auch kein Westen mehr. Es lohnt sich diesen Gedanken des Autors nachzugehen und auf unsere gegenwärtige Situation anzuwenden. Eine Abgrenzung zwischen Naturrecht und einem islamischen Verständnis von Naturrecht macht viele gegenwärtige Konflikte verständlich.

„Keine Toleranz den Intoleranten“ ist ein nachdenkliches Buch, das sich an sehr hart Fakten orientiert und Verurteilungen vermeidet, dabei das nüchterne Urteil dabei dennoch nicht scheut. Es ist ein Plädoyer für unsere Kultur und dafür, sie auch im Wettstreit zu erhalten. Die theoretischen Hintergründe werden im Laufe des Textes immer wieder mit ganz konkreten Beispielen untermauert. Das Buch ist ein wichtiger Beitrag zu einem besseren Verständnis der Grundlagen des islamistischen Terrors. Es ist eine Seh- und Argumentationshilfe für alle, die nicht glauben wollen, man könne das Problem aussitzen oder gar mit Plattitüden abtun. Die Konfrontation zwischen dem Denken in westlicher, d.h. abendländischer Tradition und dem Denken der islamischen Welt ist unausweichlich. Die Gefahr wird nicht kleiner, wenn man ihr mit Ignoranz oder Gleichgültigkeit begegnet. Es ist eine Warnung vor der Gefahr, mit einer falsch verstandenen Toleranz am Ende die Freiheit zu verlieren. Das ist eine virulente Gefahr. Allen Warnungen und Mahnungen, die das Buch enthält, zum Trotz: Alexander Kissler malt nicht schwarz. Der letzte Satz des Buches lautet: „Ich heiße mich hoffen.“

Beitrag zuerst erschienen auf katholon.de

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Gernot Radtke

@ p.feldmann
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Mag sein, daß ich Recht und Toleranz etwas zu schroff gegeneinander setze. Die von Ihnen herausgestellte Toleranz bei der Rechtsfindung, also den toleranten Diskurs (zu was auch immer), schließe ich keinesfalls aus, im Gegenteil. Nur hat sich der Diskurs stets an das Recht zu binden, z.B. an das der freien, öffentlichen, ungehinderten Meinungsäußerung oder das der Gewaltfreiheit, die ich nicht toleranterweise und von Herrn Maas befürwortet oder verunglimpft in Anspruch nehmen möchte, sondern weil dies mein gutes Recht ist. Das Recht ist die Voraussetzung für alles gesellschaftliche Leben, dem eine wohlverstandene Toleranz nur förderlich sein kann, das aber noch nicht kollabiert, wenn sich deren Teilnehmer nicht besonders gewogen sind, solange sie ihr Ungewogensein und ihre Verdrießlichkeiten nicht in die( gegenseitige) Störung oder Zerstörung ihrer Freiräume umsetzen. Mir ist ein intoleranter Religionsverächter, der meinen Freiheitsraum rechtlich nicht lädiert, lieber als ein moralisch hochstehender Toleranzprediger, der sich um mein Recht nicht schert und in diesem sogar noch einen zu bekämpfenden Hinderungsgrund seiner Toleranz- und Humanismusaktivitäten sieht.- Es gibt eine Vielzahl von positiven Berührungen zwischen Toleranz und Recht. Auf die negativen wollte ich, gerade jetzt im neuausgebrochenen Zeitalter kollektiver Humanismus-Hysterie, hinweisen. Wo alle von ‚Integration‘ reden, möchte ich, daß auch von der Desintegrationsaufgabe des Staates, der sozial gebotenen Ausgrenzung, gesprochen wird, z.B. gegenüber Kriminalität, Hinterwäldlertum, Barbarenkulturen usw., die eben nicht, nur weil sie plötzlich da sind und sich unseres Landes bemächtigt haben, als kulturell gleichwertig zu ‚tolerieren‘ sind. Das ganze Toleranzgefasele der Political Correctness dient schon jetzt vor allem der Rechtfertigung offener staatlicher Rechtsbrüche und damit der Aufhebung des Freiheitsraums, in dem tolerante Lebensformen überhaupt erst möglich sind. – Nichts für ungut: Ihr Hinweis war schon richtig!

Gravatar: p.feldmann

Herr Radtke, "Recht" fällt ja- selbst wenn man von einem universalen Naturecht ausgeht- nicht vom Himmel, sondern muss gesellschaftlich errungen werden. Im Streit der Suchenden braucht es Toleranz. Also kann man nicht "Recht statt Toleranz " fordern.

Aber diese Suche hat natürlich gewisse Voraussetzungen (offene Wahrheitssuche- bietet der Islam bspw. nicht; Achtung des Anderen in seinem Recht als Mensch-kennt der Islam nicht; usf.) und es ist sehr die Frage, ob man dieses Ringen um Recht mit jenen in Toleranz führen kann, die die Voraussetzungen dafür nicht mitbringen(wollen).

Gravatar: Gernot Radtke

„Toleranz“ ist wie ihr Gegenbegriff ein völliger Wischiwaschi-Begriff und nur für Festreden geeignet. Ich will keine Toleranz von meinen Mitbürgern, sondern den Schutz meiner verfassungsmäßig garantierten Freiheitsrechte, wie ich umgekehrt die Pflicht zu akzeptieren habe, die Rechte meiner Mitbürger nach den bestehenden Freiheitsgesetzen ohne jedes Wenn und Aber zu beachten. Toleranz, eine ins Belieben ihrer Auslegung durch Dritte gestellte Haltung, mir Rechte zu gewähren oder zu verweigern, kann mir gestohlen bleiben. Der Glaube meines Nachbarn, seine ästhetischen Präferenzen, seine politischen Einstellungen (soweit nicht verfassungswidrig ), sein Mäzenatentum, seine Sexualpraktiken, kurz, alles was der inneren, ethischen, gewissensgetragenen Selbsterziehung oder der Indifferenz des Menschen unterliegt, hat nicht meine Toleranz einzufordern, sondern meine strikte Beachtung, solange mir der Raum, meine inneren Präferenzen ebenfalls frei selber wählen zu können, nicht bestritten und willkürlich eingeschränkt wird. Richtig schlimm wird die Verwirrung in diesem Thema, wenn laufend und dies sogar durch die Staatsmacht selbst das Recht gebrochen wird und diese Rechtsbrüche durch ein moralisch angeblich Höheres gerechtfertigt werden und vom dummen Volk als Jubel- und Willkommenstoleranz zu feiern sind. Von einer rechtlich gebundenen Intoleranz geht keinerlei Gefahr für die Welt aus, von einer rechtlich ungebundenen Toleranz aber ein Großteil des Elends in der Welt. Toleranz wie Intoleranz sind in Wahrheit beide ein großes Übel, wenn sie rechtlich nicht domestiziert sind. Bei kollektiv inszenierten Toleranzprozessionen wird es dann vollends abgeschmackt, und man ist klug beraten, sich vor denen schnell aus dem Staub zu machen, die hier hemmungslos entrücken. Weg mit der Toleranz! Her mit dem Recht! Erst dann kehrt der Frieden ein.

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