Kein Weiter-so. Aber wohin, Deutschland?

Ratiopharm vor der Zerschlagung. Rosenthal pleite. Genauso Pfaff, Märklin, Schiesser und nun auch die Automobilbaufirma Karmann. Ebenso ungewiss ist die Zukunft von Opel. Es scheint, als gerieten die Grundfeste der Ökonomie mit dem Schiffbruch unserer deutschen Traditionsfirmen ins Wanken. Wir erleben in der Tat eine weltumspannende Krise, deren Wirklichkeit die Prognosen übertrifft. 35.000 Firmen könnten nach Schätzung von Creditreform in diesem Jahr in die Pleite segeln. Dennoch reicht die Kapitalmarktsituation als alleinige Erklärung für den Niedergang der Markenfirmen nicht aus, weil er auch auf das Konto von unternehmerischen Fehlentscheidungen und Missmanagement geht.

 

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In einer Welt, die sich rasant ändert, ist die Orientierung an den Erfolgen von gestern längst kein Garant mehr für künftige Erfolge. Niemand kann sich heute mehr auf den Lorbeeren von gestern ausruhen. Und in Zeiten, in denen eine ständig wachsende Zahl an Menschen eher ihren Mangel denn einen Reichtum verwaltet, wer will da etwa noch teures Rosenthal-Porzellan kaufen?

Was die Talfahrt vieler Firmen beschleunigt, ist, dass sie weltweit so schlecht vorbereitet wie noch nie in die Krise gehen. Renditewahn und das Shareholder-Value-Prinzip eines transnationalen Kapitalismus haben mit dazu geführt, dass die Firmen mit viel weniger Eigenkapital ausgestattet sind, als notwendig wäre, um einigermaßen glimpflich durch die Krise zu kommen.

Dass Deutschland inzwischen in der Rezession steckt, geht demnach nicht allein auf das Konto skrupelloser Bankmanager. Es hat auch damit zu tun, dass die lahmende Binnennachfrage als Stütze des Wachstums komplett ausgefallen ist. Die Hartz-IV-Gesetze, die drastische Erhöhung der Mehrwertsteuer und die Gesundheitsreform haben viel Kaufkraft abgeschöpft. Die Arbeitslosenzahlen steigen inzwischen so schnell wie lange nicht, was den privaten Konsum zusätzlich drückt. Die Erhöhung der Mehrwertsteuer um satte drei Prozentpunkte erweist sich im Nachhinein als folgenschwerer Fehler.

Dass sich die amerikanische Wirtschaft abkühlen würde, dafür gab es schon damals Anzeichen. Amerika steht für 25 Prozent des Weltkonsums. Wenn die Nachfrage auf der anderen Seite des Atlantiks schrumpft, können wir dorthin weniger exportieren. Kaum ein anderes Land ist so stark vom Export abhängig wie Deutschland, jeder fünfte Arbeitsplatz hängt am Export. Und trotz alledem: Einer alte Weisheit zufolge enthalten Krisen auch Chancen, weil sie Entwicklungssprünge erzwingen, die unter ruhigeren Umständen unterblieben wären. Jetzt ist also die Chance da, gegenzusteuern. Aber mit welchen Strukturen wollen wir die Krise auffangen?

Immer sind Krisen auch ein heimlicher Appell zum Innehalten, zum kritischen Hinterfragen. Und welche Lehren werden wir daraus ziehen? Wenn auch ein Konsens darüber besteht, dass es kein Weiter-so geben darf, bleibt als Frage: Wie weit wollen wir uns ändern? Und wohin? Wir haben jetzt die Chance, gegenzusteuern und neue Strukturen aufzubauen, um nachher besser dazustehen.

Weil Wirtschaft eben auch Psychologie ist, geht es auf der Suche nach den Mitteln zu Krisenbewältigung heute vor allem darum, eine völlig neue Vertrauensbasis zu bilden. Mit Sicherheit braucht der Kapitalismus ein neues Gesicht, und die industrialisierte Welt muss hier ein Signal setzen. Man hat uns lange glaubhaft eingeredet, dass Gewinnmaximierung der Maßstab für unseren Wohlstand sind. Die laserartige Konzentration der Industrienationen auf die Renditesteigerung hat mit dazu beigetragen, dass heute 2 Milliarden Menschen auf der Welt von weniger als 2 Dollar am Tag leben. Inzwischen stehen Länder wie Ungarn, Lettland, Rumänien und Bulgarien vor dem Staatsbankrott, was mit Sicherheit nicht ohne Auswirkungen für unsere heimische Ökonomie bleiben wird.

Die Welt steht heute an einem Scheideweg und nicht zuletzt vor der Frage: Mit welchen Inhalten füllen wir die Forderung nach Veränderung? Und wie wird aus der fundamentalen Kapitalismuskrise der Aufbruch in eine neue Welt?

© Ute Bienkowski

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