Kalte Progression – von der Garantie, arm zu bleiben

Warum allein der Begriff »Kalte Progression« dem kleinen Mann die Zornesröte ins Gesicht treiben sollte; und warum er es dennoch nicht tut.

Veröffentlicht:
von

Wenden wir uns jetzt all denen zu, die in der Tat noch jeden Tag früh zur Arbeit gehen, und trotzdem oftmals zuwenig verdienen, um damit einen Monat über die Runden zu kommen und deshalb vom Staat besonders unterstützt werden müssen.

Was der Staat auch jederzeit gerne tut, wie er betont.

Nehmen wir nun aus dieser Gruppe diejenigen heraus, die aus eigener Kraft und mittels eigener Leistung versuchen, aus dieser für sie so unbefriedigenden Situation herauszukommen?

Das müsste doch nun unbedingt die Klientel des Staates sein, die ihm ganz besonders am Herzen liegt? Wo er nichts unversucht lässt, diese Leute aus der unverschuldeten Armut wieder herauszuholen. Noch viel mehr, wenn sie sich selbst Mühe geben, da heraus zu gelangen?

Die Antwort des Staates darauf besteht aus zwei Worten: Kalte Progression!

Die „kalte Progression“ beschreibt, wie in unserem Lande mit den Menschen verfahren wird, denen es gelungen ist, mehr zu verdienen als das „steuerfreie Existenzminimum“! Um es vorweg zunehmen: Sie werden gnadenlos vom Staat abgezogen; bei ihrem Vorhaben behindert.

Besagtes Existenzminimum beträgt augenblicklich 8.354 € im Jahr. Macht dann 696,17 Euro im Monat.

Wer also heute 8.355 € oder mehr im Jahr verdient, muss den Verdienst oberhalb dieser Grenze mit 14 % versteuern.

Hier fragt sich der logisch denkende Mensch zum ersten Mal: warum in aller Welt so viel? Warum sollen die Arbeiter und Angestellten, die in jedem Armutsbericht in Deutschland unter der Rubrik „bettelarm“; geführt sind, sofort 1/7 ihres (Mehr)Verdienstes an den Staat abführen sollen? Immerhin: bis ca. 1.400 € brutto Monateseinkommen gilt bei uns in Deutschland der Mensch als arm.

Übrigens: diese 1.400 € brutto entsprächen in etwa dem von der SPD geforderten Mindestlohn. Will die SPD ihn etwa nur deshalb einführen, um das Staatssäckel weiter zu füllen?

Wie sozial ist das denn: Den Menschen eine Lohnerhöhung von 2,- € pro Stunde vorgaukeln, um einen Euro davon sofort wieder einzusacken?

Das Ganze also eher eine verkappte Ab- und stattlich erzwungene Ausgabener­höhung für die Unternehmen – die den höheren Lohn aufbringen müssen -  denn eine soziale Großtat für Geringverdiener?

Wäre es daher nicht geboten und „sozial gerecht“, zumindest bis zu dieser Grenze mit einem weitaus niedrigeren Steuersatz zu beginnen. Oder den „armen Leuten“ ihr Geld gleich ganz zu lassen? Weil es doch das erklärte Ziel des Staates ist, Armut in Deutschland zu verhindern?

Und im Gegensatz zu vielen (Sozial)Leistungen des Staates, müsste er hier nicht einmal eigenes Geld in die Hand nehmen. Es würde schon ausreichen, dem Bürger einfach mehr von dem Geld zu lassen, das er ehrlich verdient hat?

Nun hat bekanntlich eben die „progressive Einkommensteuer“ in der Bundesrepublik herzlich wenig mit Fortschritt als mögliche Übersetzung von „progressiv“ zu tun.

„Progressiv“ im hier verwandten Sinne meint lediglich, dass der Steuersatz bei Einkommen über 8.354 € sich nicht lange bei 14 % (dem Eingangsteuersatz) aufhalten wird. Kometenhaft strebt der Steuersatz nach oben bis zur Spitze von 42 % (bei ca. 53.000 € Jahreseinkommen). Da sind wir allerdings dann schon im Bereich der viel geschmähten und dringend zu melkenden „Besserverdienenden“. Bei einem Spezialfacharbeiter z.B. – nicht beim Millionär!

Aber auch schon bei ca. 10.000 € Einkommen im Jahr (entspricht 833,33 € im Monat) liegt der Steuersatz bei ca. 17 %!

Bei 20.000 € (1.666,67 € im Monat) liegt er bereits bei ca. 25 %. Also ein Viertel des durch fleißige Arbeit geschaffenen Mehrverdienstes verbleibt nicht beim Arbeitnehmer, sondern geht an den Staat. Beim geplanten Mindestlohn dürften es

22 % Steuern sein! Plus höhere Sozialabgaben, versteht sich

Nehmen wir gar einen, der 2.000 € im Monat verdient (Steuerklasse1) - also weit ab von dem Verdacht, ein Spitzenverdiener zu sein. Macht er nun ein wenig Karriere oder bekommt eine Lohnerhöhung von satten 5 % (wofür sich seine Gewerkschaft öffentlich feiern lässt), so ergibt sich für ihn folgendes Bild:

Vorher zahlte er 226,82 € Steuern. Nun; mit 2.100 € Gehalt, zahlt er 251, 42 €. Das heißt, von seinem Mehrverdienst von 100 € sind 24,61 € (sprich ein Viertel) sofort fort.

Und das, obwohl sein Durchschnittssteuersatz nur bei knapp 12 % liegt. (die ersten 677,50 € werden ja gar nicht besteuert)!

Weil aber die Sozialabgaben (Rente-, Kranken-, Arbeitslosen- und Pflege­versicherung) auch im gleichen Maße steigen, kommen am Ende bei ihm von den 100 € Lohnerhöhung (5 %) noch maximal 50 € (2,5 %) an.

Was sowohl seine Gewerkschaft, die das für ihn ausgehandelt hat, als auch seinen Arbeitgeber, der es bezahlen musste, hochgradig betrüben sollte. Tut es aber kurioserweise nicht? Selten hat man von einer Gewerkschaft die Forderung nach Steuersenkungen vernommen – eher im Gegenteil!

Deswegen muss an dieser Stelle der Hinweis erlaubt sein, dass die alljährlichen Tarifkämpfe Deutscher Gewerkschaften zumindest in großen Teilen allein den Zweck verfolgen, mehr Geld in die stets klammen Kassen des Staates zu spülen. Ohne, dass dieser Staat dafür eine, wie immer geartete Gegenleistung erbringt. Nicht einmal einen Gewerkschaftsbeitrag bezahlt der Staat – obwohl er vom Ergebnis deren Tarifverhandlungen genau so viel abbekommt, wie das beitragszahlende Gewerkschaftsmitglied: 50 %!

Ganz ohne die Arbeitgeber und die Wirtschaft weiter zu belasten; nämlich über einen Weg mit weniger Steuern und Abgaben ließe sich eine - von den Gewerkschaften immer wieder als Ziel ihrer Verhandlungen und Garant des wirtschaftlichen Aufschwunges in Deutschland beschworene - Kaufkraftsteigerung erzielen.

Auf diese Idee ist aber wohl in Deutschland eine Gewerkschaft noch nie verfallen?

Unter diesem Aspekt bekommen die Loblieder des Staates auf seine Gewerkschaften eine ganz andere, eher eigennützige und praktische Bedeutung!

Wer trotz allem noch immer glaubt, der Staat hätte ein besonders großes Interesse daran, dass absolute Kleinverdiener, vom Staat oft als „prekäre Arbeitsverhältnisse“ bezeichnet, möglichst schnell in Deutschland verschwinden, der sollte sich eine folgende Rechnung des Instituts für Deutsche Wirtschaft Köln genauer ansehen:

Beispielhaft ist hier ein Arbeiter mit einem aktuellem Jahresverdienst von 10.000 € im Jahr (833,33 € im Monat) aufgeführt.

Das Institut unterstellt nun, dass dessen Einkommen bis 2017 jährlich jeweils um 2,9 % steigt. Damit könnte unser Beispielarbeiter in den nächsten 4 Jahren insgesamt 2.215 € Mehrverdienst einstreichen. 22 % von einem Jahresverdienst. Theoretisch!

Praktisch aber bleiben ihm davon nur 1.779 € übrig. Entspricht nur noch 17 %!

Von den 436 €, die er in 4 Jahren an neuen Steuern zahlen muss, sind 261 € allein durch die kalte Progression fällig. Das entspricht 60 % oder mehr als die Hälfte seiner steuerlichen Mehrbelastung!

Und obwohl einem nüchternen Betrachter kaum etwas einfällt, was noch „unsozialer“ sein könnte, als dieses gnadenlose Schröpfen und Demotivieren von Kleinst­verdienern und den Ärmsten der Gesellschaft (Schwarzarbeit und/oder fallenlassen in die soziale Hängematte ist da allemal näherliegend – und das sei hier ohne Häme bemerkt); ist es ausgerechnet die „Arbeitnehmerpartei SPD“, die Begriffe wie „soziale Gerechtigkeit“ und „sozialen Ausgleich“ so oft wie kein Anderer im Munde führt, die hier seit Jahrzehnten über „dringenden Handlungsbedarf“ redet, bisher aber noch nichts getan hat.

In den laufenden Koalitionsverhandlungen verweigerte sie sich der angeblich konservativen, wirtschaftsfreundlichen und arbeitnehmertödlichen CDU mit dem Argument:

Wenn man dieser Klientel der „Armen, die aber noch selbst arbeiten“, mehr zum Leben und weniger zum Sterben lassen würde, führe dies zu einem - Zitat: „…  nicht akzeptablen Anstieg der Verschuldung von Bund und Ländern führen würde!“ (Die Welt vom 9. April 2013)

Schwer zu begreifen für Otto Normalverbraucher: Wenn man denen, die ganz kleine Einkommen haben, und denen es dann gelingt, ein ganz klein wenig mehr zu verdienen – wenn man solchen Leuten mehr von ihrem (selbst verdienten) Mehreinkommen lässt: dann steigen die Schulden bei Bund und Ländern?

Und natürlich hat der Reporter nicht bei Sigmar Gabriel nachgefragt, ob der sich manchmal selbst zuhöre, welchen Unsinn er da von sich gibt!

In meinem Selbstverständnis hat Sparen immer ausschließlich mit „weniger Geld-ausgeben“ zutun gehabt – nie etwas damit, anderen mehr wegzunehmen.

Doch dieses Selbstverständnis entspricht nicht mehr dem aktuellen Zeitgeist – obwohl es natürlich gleichwohl wahr ist und bleibt.

Jedes angebliche „Sparprogramm“ zur Rettung eines klammen Eurolandes entpuppt sich mittlerweile bei näherer Betrachtung als ein reines Abzockprogramm an seinen Bürgern und Unternehmen!

Für die Inhalte der Blogs und Kolumnen sind die jeweiligen Blogger verantwortlich. Die Beiträge der Blogger und Gastautoren geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion oder des Herausgebers wieder.

Ihnen hat der Artikel gefallen? Bitte
unterstützen Sie mit einer Spende unsere
unabhängige Berichterstattung.

Abonnieren Sie jetzt hier unseren Newsletter: Newsletter

Kommentare zum Artikel

Bitte beachten Sie beim Verfassen eines Kommentars die Regeln höflicher Kommunikation.

Keine Kommentare

Schreiben Sie einen Kommentar


(erforderlich)

Zum Anfang