Journalistische Doppelmoral

Während Politiker wie Christian Wulff sich jeglicher Art der Vorteilsnahme verwehren müssen, scheint dieser Grundsatz beim Presserabatt für Journalisten nicht gegeben. Hier wird mit zweierlei Maß gemessen.

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Ohne die „Vierte Gewalt“, welche indirekte oder direkte Korruption von Politikern ans Licht bringt, recherchiert und skandalisiert, würde niemand den anderen drei Gewalten die Zähne zeigen. Allerdings zeigt die Causa Wulff, dass sich die deutsche Presse nicht nur zur „Dritten Gewalt“, der Judikative, aufgeschwungen hat; sie praktiziert längst selbst, was sie anderen vorwirft.

 

Eine an die Affäre um Christian Wulff erinnernde Art von Korruption in der Presse eröffnet sich jedem, der den Begriff „Presserabatt“ googelt. Verglichen mit den behaupteten Vergünstigungen, die der damalige Ministerpräsident Wulff in Anspruch genommen haben soll, erfüllen die Rabatte, Schnäppchen und Sonderkonditionen, die von den Saubermännern und Sauberfrauen der deutschen Presse in Anspruch genommen werden, schon längst den Tatbestand der Vorteilsnahme.

30 Prozent Ermäßigung auf Autoversicherungen für Journalisten? Kein Problem für Gerling! 15 Prozent Ermäßigung auf den neuen Audi? Fliegen mit Condor zum halben Preis? 15 Prozent Rabatt bei der Telekom? Schnäppchen bei B & O oder Sony? Nur, wenn Sie einen Presseausweis haben.

Zwar würden diese Firmen nie zugeben, dass sie sich von den mit Sonderkonditionen bedachten Journalisten eine wohlwollende Berichterstattung erhoffen. Natürlich würde kein Journalist je gestehen, eine solche erbracht zu haben. Aber Einflussnahme ist meist subtil. Wenn ein Ministerpräsident durch die Annahme eines für seinen Berufszweig gerechtfertigten vergünstigten Kredit einer Bank korumpiert werden kann, müsste das doch für die Vertreter der „Vierten Gewalt“, die einen Sonderrabatt auf ihre Versicherungen oder Flüge bekommen, genau so gelten. Zu Recht wurde immer wieder darauf hingewiesen, dass die Politiker darauf achten müssen, dass sie nicht einmal den Anschein von Beeinflussbarkeit erwecken. Für die Vertreter der „Vierten Gewalt“ gilt das nicht?

Höchste Ansteckungsgefahr

Bahn-Chef Rüdiger Grube hat nun die Konsequenz gezogen. Kein Presserabatt mehr für Journalisten bei der Bahn. Bravo! Allerdings, wenn bei einem ICE im Winter die Heizung oder einem Regionalexpress im Sommer die Klimaanlage ausfällt, darf er mit journalistischer Nachsicht nicht rechnen. Er will es auch nicht.

 Korruption ist eine Krankheit im Wirtschaftssystem, wie Krebs im menschlichen Körper. Schlimmer noch: im Gegensatz zu Krebs ist Korruption ansteckend. Seit einigen Jahren zieht eine kleine internationale Streitmacht gegen die Korruption ins Feld. So wie sich Amnesty International für die Menschenrechte engagiert, so kämpft Transparency International gegen die weltweite Korruption. Ähnlich wie Amnesty International veröffentlicht auch Transparency International ein jährliches Ranking der „saubersten“ Länder, in dem sich Deutschland in wenigen Jahren von Platz 20 auf Platz 14 nach vorn gearbeitet hat.

Die deutsche Wirtschaft hat dafür einiges getan. Unsere Firmen verbieten ihren Niederlassungen die Bestechung ausländischer Potentaten. Überall werden die „Corporate Governance“ – Grundsätze eingeführt, die vor allem die Ausrottung der Korruption zum Ziel haben.

Nach der Causa Wulff werden auch die Standards strenger, nach denen sich Politiker zu richten haben. Das ist gut so. Leider gilt das offensichtlich nicht für einige Vertreter der „Vierten Gewalt“.

 

 

handelsblatt.com

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