Journalismus des Grauens – eine teuflisch praktische Anleitung

Ich habe anhand eines kurzen Artikels analysiert, wie offensichtlich und durchschaubar in deutschen Leitmedien Meinungsmache betrieben wird.

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Wieder einmal bewirbt sich der „Spiegel“ um den inoffiziellen und noch nicht sehr bekannten Award „Öko-ZAR“. ZAR steht hier für „Zentralorgan der apokalyptischen Reiter“. Ins Rennen um den Award schickt das Hamburger Nachrichtenmagazin den heute auf seiner Website erschienen Beitrag „Rohstoffe: WWF warnt vor weltweitem Wassermangel“. In der Tat ist dieser Beitrag ein Paradebeispiel dafür, dass man mithilfe ganz einfacher Mittel eine zeitgeistkonforme apokalyptische Nachricht erstellen kann, ohne sich dabei dem Vorwurf der offenen Lüge auszusetzen. Nachfolgend werden sechs in diesem Spiegel-Artikel verwendete handwerkliche Kniffe anschaulich vorgestellt.

  1. Die gezielte Begriffsentleerung durch alternierende Verwendung
    Einfach den Begriff „Wassermangel“ abwechselnd mit „Trinkwassermangel“ verwenden, damit der Unterschied verwässert wird. Dies ist wichtig, denn eigentlich ist „Wasser“ kein „Rohstoff“, der verbraucht werden kann. Man kann ihn bestenfalls bewegen oder mit anderen Stoffen mischen, verloren geht „Wasser“ dadurch jedoch nicht. Was verbraucht werden kann, ist Wasser in einem trinkbaren Zustand. Der Mangel von Wasser in diesem Zustand ist in der Tat ein Zivilisationsmangel, der aber behebbar ist (Wasseraufbereitung ist kein Hightech mehr). Doch dieser Umstand eignet sich nicht, um zu einem planetaren Umweltproblem verallgemeinert zu werden. Mehr in den heutigen Zeitgeist passt es, den Eindruck zu vermitteln, der Planet tropfe ins All und sei nicht zu retten.
  1. Die tendenziöse Verwendung objektiver Zahlen
    Natürlich kann man feststellen, dass weltweit 780 Millionen Menschen keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser haben. Das ist ein erschütternder Beleg für regionale Unterentwicklung. Dennoch ist er in Perspektive zu setzen, denn Fakt ist auch: Anfang 2015 lebten 7,285 Milliarden Menschen auf der Erde. Es haben also fast 90 Prozent der Menschen Zugang zu sauberem Wasser. Für eine Welt mit zivilisierten Ansprüchen sind das 10 Prozent zu wenig; gleichzeitig kann aber davon ausgegangen werden, dass sich die Trinkwasserversorgung in den letzten Jahrzehnten eher verbessert als verschlechtert hat – trotz Bevölkerungswachstum und trotz Klimaveränderungen.
  1. Die zeitgleiche Erwähnung nicht zusammenhängender Krisenszenarien
    So will das eine Umweltschutzorganisation wie der WWF natürlich nicht stehenlassen. Lieber verbeißt er sich in Szenarien, die Situation könne sich bis 2050 verschlechtern, was zu „sozialen Katastrophen“ führen könne. Und aber auch zu ökologischen, denn: „Bereits in den vergangenen 100 Jahren seien weltweit mehr als die Hälfte der Flusssysteme, Moore und Seen verschwunden.“ Erneut springt man also auf eine andere Ebene, wir sind wieder beim Wasser – Moore gehören nicht zu bevorzugten Bezugsquellen von Trinkwasser.
  1. Rückkehr aus der untergehenden Welt in die eigene Schuld
    Damit nicht nur global und abstrakt der Untergang betrauert werden muss, ist es unabdingbar, am Ende einer solchen Verlautbarung die Kurve nach Hause zu kriegen. Als beste Form der Betroffenheit hat sich die persönliche Schuld erwiesen, zumal sie so vielfältig konstruierbar ist: Schließlich betreiben wir ja weltweit Handel und beschaffen somit Produkte, die in der Herstellung enorm viel Wasser benötigen. Aber auch durch unser eigenes persönliches Verhalten (Duschen, Waschen, Zähne putzen) tragen wir zur weltweiten Austrocknung bei.
  1. Festigung der Message durch Verwendung flankierender Schlüsselbegriffe
    Eine Nachricht ist ja nie nur eine Nachricht, sondern sie entfaltet ihre Wirkung erst in einem Gesamtzusammenhang. Diesen kann man auf verschiedene Arten beeinflussen und herstellen: zum einen durch die gezielte Entscheidung, eine WWF-Verlautbarung im hochgeschlossen-seriösen Wirtschaftsteil zu veröffentlichen, zum anderen durch die Bereitstellung zusätzlicher Informationen in Form von Verlinkungen, am besten durch das Setzen, Veröffentlichen und somit farbige Hervorheben von Schlüsselbegriffen. In dem hier behandelten Artikel ist dies außerordentlich gut gelungen, verlinkt wurden die Begriffe: „Menschenrecht“, „Trinkwasser“, „Katastrophen“, „Klimawandel“ und „Wirtschaft“.
  1. Abschließende Veroffiziellung des Beitrags
    Um dem Vorwurf der Meinungsmache gleich einen Riegel vorzuschieben, ist es ratsam, die Autorenschaft hinter Kürzeln zu verbergen. Dies ist insbesondere dann möglich, wenn als Urheber der im Artikel genutzten Informationen eine so hochangesehene und über alle Kritik erhabene Nichtregierungsorganisation von Weltruf angegeben werden kann wie die Umweltstiftung WWF. Noch sinnvoller ist es, am Ende des Artikels darauf hinzuweisen, dass der Beitrag mit Material der Deutschen Presseagentur (dpa) erstellt wurde. Wer dies beachtet, ist bestens geschützt, sozusagen „wasserdicht“.

In allen sechs Qualitätskategorien kann der analysierte Beitrag Bestnoten vorweisen. Der Spiegel gehört damit für mich zu den Favoriten bei der diesjährigen Verleihung des „Öko-ZAR“.

Beitrag zuerst erschienen auf zeitgeisterjagd.de

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Harald

@ Sigismund
Und was hat Dein Kommentar mit obigem Artikel zu tun? Konntest Du der Analyse intellektuell nicht folgen? Ich schon!

Gravatar: SigismundRuestig

Jetzt habe ich mich 2 Jahre in sozialen Medien wie Facebook etc. und in Foren diverser klassischer (Zeitungs-)Medien getummelt und fleißig ausgewählte Themen aus Politik, Gesellschaft, Wissenschaft und Philosophie kommentiert. Ich muß feststellen, dass diese Medien zur seriösen Diskussion derartiger Themen ungeeignet sind. Selbst viele Medien schließen ihre Foren z.B. bei Flüchtlingsthemen.
Zu viele der Teilnehmer basteln sich ihre eigene Wahrheit zusammen, akzeptieren keine abweichende Meinung und bringen das auch noch unflätig und häufig beleidigend in primitiven Jargons und Denkmustern zum Ausdruck. Wir wissen, dass mittlerweile rd. 20% unserer Bevölkerung (im Osten mehr, im Westen weniger) dem Gedankengut von AFD und PEGIDA folgen. Viele wehren sich, in die rechte Ecke gestellt zu werden ("man wird doch noch mal sagen dürfen"). Aber in diesem Fall mache ich es mir auch mal so einfach wie diese "besorgten Bürger":
Wer rassistische Parolen absondert, ist verdammt noch mal ein Rassist! Und wer populistisch gegen Flüchtlinge hetzt, befördert Ausländerfeindlichkeit und ist für solche abstoßenden Bilder wie z.B. kürzlich wieder in Sachsen auch mit verantwortlich! Dort hetzen selbsternannte Retter des christlichen Abendlandes unbehelligt gegen Flüchtlinge und treten damit die christlich-abendländische Kultur mit Füßen (offensichtlich sind sie intellektuell nicht in der Lage, diesen Widerspruch zu erkennen!). So weit ist es mit unserer Gesellschaft gekommen! Geschichte wiederholt sich. Man möchte heulen.
Ich habe versucht, meine diesbezüglichen Erfahrungen in meinem Song "Der Tastaturrevoluzzer" zu verarbeiten.

"... Die Kommentare anderer Leute:
teils Verschwörer der übelsten Sorte,
teils dumpfbackige, hirnlose Beute
einer versponnenen, verbohrten Kohorte...."

http://youtu.be/sBom50KrkBk

Viel Spaß beim Anhören.

Ich habe aber keine Lust mehr, mich als Projektionsfläche für verwirrte, teils enthemmte Wut-Gedanken anzubieten.
Damit beendet Rock-Blogger und Blog-Rocker Sigismund Rüstig seinen Versuch, auf multimediale Weise Meinungen und Kommentare zu aktuellen Reiz-Themen in Form von Texten und Liedern zu posten und verabschiedet sich aus diesem Forum. Nicht alle Medien haben dieses Format verstanden!

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