Joseph Roth über Deutschland und den ukrainischen Nationalismus

Der in der Ukraine geborene deutschsprachige Schriftsteller Joseph Roth erkannte schon vor fast hundert Jahren, dass der ukrainische Nationalismus von deutschen Eliten erschaffen wurde.

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Es gibt Kontinuitäten in Geschichte und Politik. Sie nehmen je nach politischer Lage unterschiedliche Formen an. Sie bestehen unabhängig von dem sich ändernden politischen System. Wer das nicht erkennt, ist blind und kann die Gegenwart nicht verstehen. Beispielsweise war es kein Zufall, dass die Bundesrepublik Deutschland im Jugoslawienkrieg als erster Staat die Unabhängigkeit Kroatiens anerkannte und diesen Staat ohne wenn und aber unterstützte.

Auch die Unterstützung des „ukrainischen Nationalgedankens“ ist seit 100 Jahren ein fester Bestandteil der deutschen Außenpolitik. Kein anderer als der deutschsprachige Journalist und Schriftsteller Joseph Roth erkannte den prägenden Beitrag Deutschlands zur Entstehung des ukrainischen Nationalismus.

Kurz zur Person von Joseph Roth: Er wurde 1894 in Brody (damals Österreich-Ungarn, heute Ukraine) in einer jüdischen Familie geboren. Er gehört zu den bedeutendsten Journalisten und Schriftstellern deutscher Sprache. Seinen Roman „Radetzkymarsch“ (1932) zählte Marcel Reich-Ranicki zum Kanon der deutschen Literatur. Roth arbeitete als Journalist in Wien, Berlin, nach der Emigration in Paris und unternahm zahlreiche Reisen nach Polen, in seine ukrainische Heimat und nach Russland. In dem 1939 erschienenen Artikel „Der ukrainische Nationalismus – ein deutsches Patent“ schreibt er:

„Den Anstoß zum Erwachen des ukrainischen Nationalgedankens gaben immer die Deutschen; die Deutschen Österreichs und die Deutschen aus dem Reich. Ich weiß von meiner Tätigkeit als zeitweiliger Berichterstatter aus Polen und Rußland her, daß die Wilhelmstraße die ukrainischen Separatisten in Polen mit Waffen, Geld und Propaganda ebenso unterstützt hat wie das Ministerium Tschitscherins. Es ist nicht anzunehmen, daß Deutschland, auch in seiner Form als »Drittes Reich«, die Beziehungen zu den polnischen Ukrainern abgebrochen hat: Beziehungen, die zu einer bereits sehr würdigen Tradition deutscher Außenpolitik geworden sind: trotz der zeitweiligen und problematischen Freundschaft zwischen Beck und Neurath-Ribbentrop. Auch heute, wie zu Zeiten »Schwarzer Reichswehr«-Politik, gehen deutsche Waffen und Gelder nach Lemberg. Und während Göring den Polnischen Eber schießt, geht eine ganz andere Munition deutschen Ursprungs an die Herren, die Lewicki, Gargasch und Kanink und noch anders heißen.“ (Joseph Roth, Werke 3, Das journalistische Werk, 1929-1939, Frankfurt am Main 1989, Seite 874 f.)

Roth starb am 27. Mai 1939 und erlebte nicht mehr die vom ihm vorhergesehene Förderung des ukrainischen Nationalismus durch das 3. Reich, die zur Ausrottung von Minderheiten (Wolhynien), Beteiligung am Holocaust und zur offenen militärische Unterstützung des 3. Reichs (SS-Galizien) führte. Der ukrainische Nationalistenführer Stephan Bandera, der von dem ukrainischen Botschafter in Berlin Andrij Melnyk von jeglicher Schuld an den Verbrechen freigesprochen und von deutschen Leitmedien verharmlosend als „Partisanenführer“ bezeichnet wird, spielte dabei eine unrühmliche Rolle.

In der gegenwärtigen deutschen Ukraine-Politik fehlen die notwendigen Differenzierungen, die der historischen Entwicklung Rechnung tragen würden. Die Unterstützung der Ukraine durch die deutsche herrschende Klasse ist unkritisch. Sie ist bedingungslos. Das gilt vor allem für die Grünen. Dabei wird die Frage nach den ökonomischen und geopolitischen Interessen Deutschlands in der Ukraine gar nicht thematisiert. Der deutsche Expansionismus, in erster Linie der Wirtschaftsexpansionismus, den der linke Sozialpsychologe Erich Fromm bereits in den 60er Jahren diagnostizierte, lebt weiter und kennzeichnet die deutsche Politik nach dem Zweiten Weltkrieg. Er entwickelte sich nach dem Zweiten Weltkrieg unter dem Deckmantel der EU, besser: der Deutsch-EU, sowie im Schulterschluss mit den USA und erhielt einen Schub nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und im Rahmen der EU-Osterweiterung. Auch die Unterstützung der Ukraine, sowohl die ökonomische als auch die militärische, die schon lange vor dem russisch-ukrainischen Krieg einsetzte, sollte in diesem Kontext gesehen werden. Das Paradoxe besteht darin, dass es heutzutage die Grünen sind, die den deutschen Expansionismus am stärksten forcieren und somit für die Kontinuität der deutschen Ostpolitik sorgen.

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Croata

Danke für Artikel.

Uns hat Niemand '90 die Waffen geschickt oder verschenkt. Am Anfang - war noch der Embargo. Also. Keiner und keine Hilfe in Gegenteil.

Kroatien - tja.... eigentlich sollte damals Herr Stjepan Radic der Mann No.1 - sein (Mitte) - die haben ihn ein Serbe - Punisa Racic aber in Parlament in Belgrad getötet - Atentat an 6 kroatische Parlamentarier.
( der Radic wollte nicht mit Hitler DE kooperiren und war bei den kro. Volk sehr beliebt) , also hat sich damals D. den Herrn Dr. Ante Pavelic ausgesucht....(rech.Nationalist in Exil damals).

Da Kroaten noch Trauma von ALT Yugosl. ( Königreich ) hatten, was das praktisch damals eine Entscheidung (entlich ! ) frei zu sein und eigenes Staat zu haben /gründen..
Kommunisten gab es,natürlich, wenige aber, bei den Kroaten - die waren dann aber pro YU. orientiert ( also wieder in die Richtung Diktatur ...)

Was soll ich sagen - tja, Kroaten sind näher den Deutschen als z.B.Osmanen oder Russen....Ist so...
Geografisch gesehen - ein mega wichtiges Land - ( + Meer natürlich ).
Kroaten sind 90% Katholiken. Ist so.
Gehören ( auch in der Geschichte zu Ö - HU Kreis , also Europa ).


Ukraine - ich verstehe NICHT was das für Soldaten / Patrioten das sind ?

40 mil Ukrainer ( minus Frauen , Kinder und Senioren )
gegen 200.000 Russen ( plus noch DNR und LNR und die Kadyrov Armee)

Egal.

10 mil. UKR ( sicher ! ) gegen max.1 mil. RUSS.

Waffen gratis bekommen die.
Also, etwas stimmt nicht.....Was die da treiben.

Schlechtes Moral + Militär Führung ?

Gravatar: Ekkehardt Fritz Beyer

... „Auch die Unterstützung des „ukrainischen Nationalgedankens“ ist seit 100 Jahren ein fester Bestandteil der deutschen Außenpolitik.“ ...

Wobei ein auch m. E. „Nazi-Melnik“ selbstverständlich so weit gehen kann, wie ´er`(?) es für richtig hält ... weil US-diktiert???
https://www.anti-spiegel.ru/2022/ist-der-ukrainische-botschafter-und-nazi-melnyk-jetzt-zu-weit-gegangen/?doing_wp_cron=1656866437.9168620109558105468750

Ist es etwa deshalb auch völlig normal, wenn Indien billiges russisches Öl sicherlich nicht nur sehr teuer nach Europa verkauft
https://www.n-tv.de/wirtschaft/Wie-Indien-russisches-Ol-in-Europa-verkauft-article23415244.html,
wofür Indien 10 Milliarden Euro deutsche Entwicklungshilfe für „soziale Zwecke“ zunächst ´extra` bekam?!

Wird dies – nachdem dieses Habeck mangels eigener Mittel die Russen in Sachen Nordstream 2 zum Bau entsprechender Terminals für angeblich nicht lieferbares US-Fracking-Gas enteignete
https://www.wochenblick.at/politik/gefaehrliche-putin-provokation-gruener-habeck-will-sich-nord-stream-2-aneignen/
und die Restkosten dem deutschen Steuerzahler auferlegt wurden – mit dem Gas ähnlich verlaufen???

Gravatar: Dr. Alexander Ulfig

@Stefan Riedel: Nein, das folgt nicht daraus. Aber das ist hier nicht mein Thema. Mein Thema ist die Kontinuität der deutschen Politik, auch oder besonders unter den Grünen, die doch immer (oder früher) mit der deutschen politischen Tradition (Expansionismus, Militarismus usw.) brechen wollten.

Gravatar: Stefan Riedel

Und wenn dem so ist? Folgt daraus, Zar Waldemar darf diesen verbrecherischen Angriffskrieg gegen die Zivilbevölkerung der (deutsch indoktrinierten?) Ukraine führen?

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