Ist Vollbeschäftigung als politisches Ziel realistisch?

Im Jahr 1970 herrschte in der Bundesrepublik Vollbeschäftigung. Der Arbeitsmarkt war regelrecht leergefegt. Jeder, wirklich jeder, der Arbeit suchte, konnte auch Arbeit finden. Dafür brauchte man zu dieser Zeit nicht einmal eine gute Ausbildung. Sogar Gastarbeiter, die der deutschen Sprache in Wort und Schrift nicht mächtig waren, fanden ohne Schwierigkeiten in der deutschen Industrie Beschäftigung. Die Fließbandarbeit machte es möglich. Für die einfachen Griffe und Tätigkeiten war jeder, der anpacken konnte und wollte, zu gebrauchen.

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Das änderte sich aber bald. Hohe Tarifabschlüsse und Arbeitskräfteknapheit verteuerten die Lohnkosten. Das führte dazu, dass es sich für die Unternehmen lohnte, Arbeit durch Maschinen zu ersetzen. Was in den Jahren nach der Ölkrise auch in enormer Geschwindigkeit geschah.

Insoweit ist es tatsächlich richtig, dass die hohe Produktivität der deutschen Wirtschaft auch eine Folge der hohen Lohnforderungen der Gewerkschaften ist. Die Begleiterscheinung der hohen Produktivitätssteigerungen war aber auch die wachsende Zahl von Arbeitslosen, die nicht nur vorübergehend, sondern aufgrund ihres niedrigen Bildungsniveaus dauerhaft arbeitslos waren. Maschinen waren einfach billiger als Handarbeit.

Um die arbeitslos gewordenene geringqualifizierten Arbeitnehmer wieder in Beschäftigung zu bringen, gab es jetzt nur drei mögliche Optionen:

1.) Die Betreffenden konnten durch erhebliche Bildungsanstrengungen ein höheres Qualifikationsniveau anstreben.

2.) Man konnte einen Niedriglohnsektor für einfache Dienstleistungen, die keine hohen Anforderungen an Qualifikation und Bildung stellen, schaffen.

3.) Oder diese Gruppe würde dauerhaft von Transferzahlungen abhängig sein.

Schon sehr früh, in der Mitte der siebziger Jahre, ergaben Untersuchungen der Bundesanstalt für Arbeit, dass die Versuche nach einer gescheiterten Erstqualifikation eine erfolgreiche Zweitqualifikation zu erreichen von wenig Erfolg gekrönt waren. Die soziale Vorprägung erwies sich in den meisten Fällen als zu stark, um zu einer schnellen Anhebung des Qualifikationsniveaus zu kommen.

Blieb also noch die Schaffung eines Niedriglohnbereiches. Das wollten wiederum die Gewerkschaften nicht, die bis zur Umsetzung der Agenda 2010, alle Änsätze in dieser Richtung erfolgreich torpedieren konnten. Also setzte sich die dritte Option durch: Es enstand das sogenannte Prekariat. Eine soziale Gruppe, die dauerhaft von Sozialtransfers abhängig ist, da ihr Profil auf dem Arbeitsmarkt nicht nachgefragt wird.

Kommen wir nun zu der Frage zurück, ob Vollbeschäftigung, wie sie Frank-Walter Steinmeier als Ziel proklamiert hat, eine realistische Zielsetzung ist. Die Antwort fällt zweigeteilt aus: Allein aus demographischen Gründen werden gut qualifizierte Arbeitskräfte im nächsten Jahrzehnt knapp. Die Unternehmen werden versuchen, sich gegenseitig qualifizierte Mitarbeiter abzuwerben. Das wird tendenziell zu höheren Löhnen in diesen Segmenten des Arbeitsmarktes führen.

Auf der anderen Seite besteht kaum Bedarf an hoch bezahlter einfacher Tätigkeit – sondern allenfalls an einfacher Tätigkeit zu niedrigen Löhne. Der Druck auf das Arbeitsmarktsegment für Geringqualifizierte wird auch nicht so stark zurückgehen, da die demographische Entlastung hier weniger stark ins Gewicht fällt als bei Hochqualifizierten.

Das führt uns zu der Frage zurück, ob unsere Gesellschaft es sich dauerhaft leisten kann, auf einen Niedriglohnsektor zu verzichten. Erleichtert werden könnte diese Entscheidung durch die Einführung einer negativen Einkommenssteuer, durch die die niedrigen Löhne auf ein Niveau aufgestockt werden, das für die Gesellschaft  sozial akzeptabel, aber auch finanzierbar ist.

Natürlich besteht auch heute noch die Möglichkeit die bildungsfernen Schichten besser auszubilden und zu qualifizieren. Wie bereits beschrieben, sind die bisherigen Erfahrungen allerdings nicht sehr ermutigend. Denn das setzt  nicht nur voraus, dass Lehrer, Schulen und Bildungspolitik leistungsfähiger werden als bisher. Also alte Gewohnheiten über Bord geworfen und Unterricht und Lehrpersonal effizienter werden.

Sondern - das ist noch wichtiger -  es setzt auch eine starke Motivation der Betroffenden voraus, viel Zeit und Anstrengung in ihre Bildung zu investieren. Ohne diese Bereitschaft kann die beste Bildungspolitik und können die motiviertesten Lehrer nicht viel erreichen. Theoretisch ist das also die beste Option, in der Praxis ist eine erfolgreiche Umsetzung also doch eher unwahrscheinlich.

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Schmitt

Der Einsatz von Maschinen ist langfristig immer preiswerter als der Arbeitskraft (es sei denn ihr Einsatz wird durch eine bewusste Steigerung der Energiekosten oder einen ähnlichen Eingriff künstlich verteuert). Dafür werden Maschinen ja gebaut. Das müsste schon eine schlechte Maschine sein, die keine Arbeitskraft ersetzen kann.

Gravatar: Benedikt

Den Niedriglohnsektor gibt es doch längst: Schwarzarbeit, 400¤-Jobs, als Praktika getarnte Jobs für Studienabgänger, 1-Euro-Jobs, etc. Je mehr Mindestlöhne u.ä. Quark eingeführt werden, desto mehr wird dieses Segment wachsen.

"Erleichtert werden könnte diese Entscheidung durch die Einführung einer negativen Einkommenssteuer, durch die die niedrigen Löhne auf ein Niveau aufgestockt werden, das für die Gesellschaft sozial akzeptabel, aber auch finanzierbar ist."
Das wäre in der Tat eine sinnvolle Maßnahme. Erreichen ließe sich das durch eine Flattax mit hohem Grundfreibetrag.

Die Steuer ließe sich einfach ausrechnen:
(Freibetrag-Lohn)/Steuersatz.

Beispiel:
Freibetrag: 1500¤
Steuersatz: 40%

Brutto Netto Steuersatz
0 600 -100%
1000 1200 -17%
2000 1800 11%
3000 2400 25%

Sozial- und Rentenkassen und ähnliches könnte man sich bei einem solchen Modell sparen.

Gravatar: Sascha

Maschinenarbeit muss auch langfristig kostenkünstiger sein. Wenn wir unsere Milchkühe subventionieren können, warum nicht auch einfache Arbeiter?

Gravatar: Schmitt

Wenn entsprechende Maschinen vorhanden sind, wird Handarbeit durch Maschinenarbeit ersetzt. Das hat mit Tarifabschlüssen nichts zu tun.

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