Ist der „Kapitalismus eine Perversion des Denkens“?

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Eigentlich mag ich ja unter Priestern und Bischöfen gerade die echten Typen, die auch mal Widerspruch herausfordern, auch und gerade einen scheinbaren gesellschaftlichen Konsens in Frage stellen und sich mit Mainstream und zugehörigen Medien und Vertretern in der Öffentlichkeit anlegen. Das ist der Grund, warum ich so gerne zum Erzbistum Köln gehöre und mich diebisch freue, wenn es unser Kardinal mal wieder schafft, die Klaviatur der Medien zu spielen und es ihm mit einzelnen Stichworten gelingt, der Presse und sogenannten progressiven kirchlichen Kreisen den Blutdruck steigen zu lassen. Und so ein Typ ist auch Prälat Wilhelm Imkamp, Wallfahrtsdirektor in Maria Vesperbild, der immer mal wieder mit Aussagen von sich Reden macht, die kirchentreu sind und dem zum Zeitgeist im Widerspruch stehen. Aus diesem Grund gilt er als „Hardliner“ der Kirche, was man je nach Perspektive als Kompliment oder als Vorwurf verstehen muss.

In einem Interview mit dem katholischen Magazin PUR, das auf kath.net wiedergegeben wird äußerte er sich jetzt zu Themen aus seinem neuen Buch „Sei kein Spießer, sei katholisch!“ – insbesondere zu Fragen der Werte in unserer Gesellschaft. Das meiste liest sich provokant katholisch und man kann sich leicht ausmalen, wie sich Gegner echauffieren, wenn Imkamp beispielsweise über den Atheismus („Der atheistische Humanist hat große Werte, aber sie wechseln ständig, sie sind mit jeder Wetterlage anders.“), den Islam („Den Islam kann man nicht mit dem Katholizismus vergleichen, da er kein nonkonformistisches Potenzial hat, sondern auf gewaltsame Konformität setzt.“) oder den organisierten Laienkatholizismus in Deutschland („Diese Rätestruktur ist doch eine Schaufensterveranstaltung, wen repräsentieren diese Räte denn?“) spricht. Diese und andere Beispiele sind theologische Themen, zu denen man von einem Priester, gerade wenn er in der Öffentlichkeit steht, Klartext erwarten darf und Imkamp setzt sich so wohltuend von Amtskollegen ab, die das klare Wort um eines scheinbaren lieben Friedens willen scheuen. Wenn ich aber so schon anfange, wird der Leser direkt vermuten, dass sich daran ein „Aber“ anschließt. Und dieses „aber“ ist notwendig an einer Stelle, an der der Prälat auf den gesellschaftlichen Konsens der Kapitalismuskritik einschwenkt, sein Fachgebiet verlässt und über etwas urteilt, von dem er offenbar nur geringe Kenntnisse hat – hier der entsprechende Interviewauszug:

PUR: Ist der real existierende Kapitalismus auch gottlos?

Imkamp: Das ist er in der Tat! Der Kapitalismus ist eine Perversion des Denkens und zu Ende gedacht führt der Kapitalismus zur Selbstauflösung. Er muss moralisch und sozial gebändigt werden; wenn das nicht geschieht, geht alles den Bach runter. Auch da sieht man wieder, wie notwendig der Glaube ist. Der Kapitalismus ist immer in Gefahr, zu einer strukturellen Sünde zu werden.

PUR: Wie kann man den Kapitalismus zähmen?

Imkamp: Indem man die Menschen zu Gott führt. Die Eliten dürfen keine gottlosen Funktionärseliten oder Managersöldner sein, sie müssen Menschen sein, die ein gebildetes Gewissen haben, die sich verantwortlich für Andere fühlen und auch verantwortlich vor Gott. Die Finanzkrise, in der wir stecken, ist für mich eine zutiefst moralische Krise der Elite, die veröffentlichten Gespräche von Bankern während der Krise offenbaren eine Perversion des Denkens, das sind Gespräche aus der Vorhölle. Reichtum ist nie ein Selbstzweck, denn da wo Reichtum zum Selbstzweck wird, zur Finanzierung eines brutalen Egoismus, ist er schwer sündhaft.

Wie man sich denken kann, fordert das den Widerspruch eines überzeugten Katholiken und Marktwirtschaftlers heraus, wobei hier sehr deutlich wird, dass sich Imkamp mit seinen Äußerungen auf dem dünnen Eis der „persönlichen Meinung“ über ein komplexes Gesellschaftssystem begibt und aus seinen begrenzten Kenntnissen Schlüsse zieht, die nicht zulässig sind.

Einerseits ist eines richtig: der Kapitalismus ist gottlos! Jedenfalls so gottlos wie ein Käsebrot. Geschaffen von Menschen kann ich ein Käsebrot nutzen, um meinen Sohn zu ärgern, indem ich ihn zwinge, es zu essen oder meine Tochter belohne, indem ich sie daran mümmeln lasse. In der gleichen Weise ist auch der Kapitalismus etwas, von dem ich sowohl als Gläubiger als auch als Nichtgläubiger überzeugt sein kann. Der Kapitalismus hat, wie ein Käsebrot, keine ethischen Werte, er sieht die Nutzenmaximierung im Vordergrund wie das Käsebrot das hoffentlich möglichst schmackhafte Stillen eines Hungergefühls. Was ich sagen will: Kapitalismus als das freie Spiel der Märkte ist neutral, in diesem Sinne nicht ohne Werte (die Werte werden von den Menschen im Kapitalismus eingebracht) aber wertfrei.

Was im Kapitalismus passiert ist, dass die Menschen als freie Individuen wahrgenommen werden, sich frei entscheiden können für den Austausch miteinander. Das führt je nach Begabung durchaus zu unterschiedlichen Ergebnissen, zu unterschiedlichem Wohlstand – ist aber in sich wohlstandserhaltend, da niemandem vorgeschrieben wird, natürlich unter Berücksichtigung der Freiheit der anderen, wie er sein Vermögen aufbauen darf.

Leider bleibt Prälat Imkamp die Begründung schuldig, warum der Kapitalismus eine Perversion des Denkens sein soll, so bleibt mir nur, dem zu widersprechen und darauf hinzuweisen, wohin staatliche Einflussnahme führt, die tatsächlich eine Perversion des Denkens beinhaltet. Der staatliche Eingriff in die Märkte, in gesellschaftliche Themen insgesamt, schränkt nämlich die gottgegebene Freiheit der Menschen ein. Macht – so das Sprichwort – korrumpiert, und in staatlich gesteuerten Gesellschaften kommt dem Staat, der Regierung und der Bürokratie eine Macht zu, die sie zu ihrem eigenen Nutzen einsetzt; diese Gefahr besteht jedenfalls, wenn es sich nicht um wirklich altruistische Akteure handelt, wovon ich bei allem positiven Menschenbild nicht in Summe ausgehen möchte. Staatliche Eingriffe erzeugen darüber hinaus Gewinner und Verlierer – und wenn es darum geht, auf der Gewinnerseite zu stehen, verfügen diejenigen, die bereits erfolgreich waren, über ausreichend Potenzial, die Regierungsarbeit zu beeinflussen. Es hat ja einen Grund, warum sich Großunternehmen von Bestrebungen zum Mindestlohn kaum beeindrucken lassen, sind sie doch in der Lage über ein solches Instrument andere Mitbewerber aus dem Markt zu kegeln.

Nein, der freie Markt entspricht der menschlichen Natur – und was noch wichtiger ist: er schafft Rahmenbedingungen, die auch ein ethisch verantwortbares Verhalten fördert. Selbst ein atheistischer Unternehmer wird sich in einem freien Markt (und man sollte an dieser Stelle bemerken, dass wir einen solchen in Europa nicht haben!) gut überlegen, ob er ethisch unverantwortbar handelt, weil jeder auch die Freiheit hat, ihn als Lieferanten oder Kunden abzulehnen. Das ist ein systemimmanentes moralisches und soziales Bändigen, das dem Kapitalismus glaubensunabhängig innewohnt.

An dieser Stelle habe ich den Einfluss des Glaubens auf einen Marktteilnehmer noch gar nicht thematisiert, der eben der Absolutsetzung des Reichtums und Wohlstands entgegenwirkt. Sicher gibt es unter Marktteilnehmern solche mit einem kurzfristigen Erfolgsdenken. Selbst bei Nichtgläubigen wird sich dieser Horizont aber mindestens auf das eigene Leben ausweiten, wenn nicht auf Nachfolgegenerationen. Gläubige Menschen dehnen diesen Zeithorizont, die zeitliche Präferenz des Erfolgs ihres Handelns sogar auf die Ewigkeit aus, relativieren damit den kurzfristigen wirtschaftlichen Erfolg. Das Risiko der Vergöttlichung des Wohlstands besteht damit natürlich weiterhin, allerdings nicht mehr als in anderen Gesellschaftssystemen auch.

Imkamp hat Recht, wenn er beschreibt, dass Reichtum der zum Selbstzweck wird und nur einen „brutalen Egoismus“ stützt, aus glaubender Sicht „schwer sündhaft“ ist. Verantwortlich dafür ist aber nicht die Marktwirtschaft sondern die Tendenz von Menschen, sich auf Kosten anderer auch ungerechtfertigt zu bereichern. Während aber der Kapitalismus inhärent diese Tendenzen ausgleicht, werden sie durch allerlei staatliche Maßnahmen gestärkt und adäquate Marktreaktionen im Gegenteil neutralisiert. Erst diese Interventionen und von der Mehrheit der Menschen nicht mehr nachvollziehbare Staatseingriffe machen die „Gespräche aus der Vorhölle“, in denen sich Bankmanager über die kleinen Leute und ganze Staaten lustig machen, die die betroffenen Banken sowieso retten müssen, möglich. Ein freier Markt dagegen macht, wie der Glauben an Gott, demütig: ersterer gegenüber Kunden und Lieferanten, letzterer gegenüber Gott und dem Nächsten. Pervers ist das nicht, im Gegenteil!

Beitrag erschien zuerst auf: papsttreuer.blog.de

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