Iranischer Geburtenrückgang

Wenn über den Iran geschrieben wird, dann über das iranische Atomprogramm. Fast unbemerkt hat sich währenddessen in der Islamischen Republik eine demographische Revolution ereignet: Der schnellste Geburtenrückgang der Geschichte.

 

Veröffentlicht:
von

Es wurde bis lang noch nirgends ein so schneller und so drastischer Geburtenrückgang gemessen, wie in der Islamischen Republik Iran.  Der Rückgang der Geburtenzahl von über sechs Kindern auf weniger als zwei Kinder hat in Deutschland etwa hundert Jahre gedauert. Der Iran durchlief diese Entwicklung nur etwa in einem Vierteljahrhundert. Noch in den achtziger Jahren besetzte der Iran mit einer Geburtenrate von über sechs Kindern pro Frau international einen Spitzenplatz, nach der Jahrtausendwende sank die Zahl auf unter 2,0 und jetzt hat der Iran mit einer Geburtenrate von 1,7 das Niveau vieler europäischer Staaten erreicht. Ein Team aus iranischen und australischen Wissenschaftlern hat diesen Prozess in einer detailreichen Studie untersucht.

Das Regime fürchtete das Umsturzpotential durch das Bevölkerungswachstum

Noch in den siebziger Jahren zur Zeit des Schahs hatte es verschiedene Anläufe zur staatliche geförderten Geburtenplanung gegeben, die weitgehend erfolglos blieben. Nach der islamischen Revolution wurde diese Politik, die als westlich und unislamisch galt, beendet. Gleichzeitig wurde ein Großteil der Wirtschaft verstaatlicht, so dass schließlich 80 Prozent der Unternehmen in staatlicher Hand waren. Die Folgen des iranisch-irakischen Krieges und der Umstand, dass das Wirtschaftswachstum mit dem Bevölkerungswachstum nicht schritt hielt, führten zu einem Umdenken der iranischen Führung. Es bestand die große Sorge, dass der Bevölkerungsdruck und die damit einhergehenden sozialen Probleme, dem System genauso gefährlich werden könnten wie zuvor dem Schah.

Die islamische Geistlichkeit erklärte Verhütung mit dem Islam für vereinbar

Deshalb kam es zu einer Reihe von Konferenzen von Ministerien und staatlichen Behörden mit der schiitischen Geistlichkeit. Die Gelehrten ließen sich von der Politik überzeugen, die Wende in der Bevölkerungspolitik mit zu tragen. Verhütungsmittel wie Pille und Kondome wurden als mit dem Islam vereinbar erklärt. Der neue Kurs setzte sich durch. Anders als die Ansätze zur Geburtenplanung unter dem Schah war die Politik diesmal deshalb erfolgreich, weil die Förderung der Familienplanung jetzt auf große Resonanz in der Bevölkerung stieß. Die Regierung verstärkte nur den Trend zu weniger Kindern, der schon einige Jahre vor dieser Kehrtwende in der Mitte der achtziger Jahre eingesetzt hatte, wie die Autoren anhand zahlreicher Statistiken nachweisen können.

Verbesserte Bildungschancen für Frauen führten zu veränderter Familienplanung

So rückwärts gewandt das System in vielerlei Hinsicht war, in zwei Bereichen war das Regime von Anfang an modern: In dem Ausbau einer allgemeinen Gesundheitsversorgung und des öffentlichen Bildungssystems. Mädchen waren von dieser Bildungspolitik keinesfalls ausgeschlossen, sondern profitierten sogar überdurchschnittlich davon. Die Zahlen sprechen für sich: Im Jahr 1999 waren 57 Prozent der angenommenen Bewerber um einen Studienplatz Frauen und nach der Jahrtausendwende stieg die Zahl im Jahr 2002 auf 62 Prozent an. Dies hatte Auswirkungen auf die Einstellung zu Ehe und Familie: Nach einer Befragung im Jahr 2000 gaben 73 Prozent der befragten Frauen zwischen 15-49 Jahren an, einer längeren Ausbildung ihrer Töchter statt einer frühen Verheiratung und Familiengründung den Vorzug zu geben.

Verhütung und Abtreibung setzten sich als Mittel der Geburtenkontrolle durch

Der Geburtenrückgang betraf alle Regionen, mit Ausnahme der Grenzregion zu Afghanistan, alle sozialen Schichten und ethnischen Gruppen. Die Zweikindfamilie setzte sich als Ideal in der Gesellschaft durch. In Befragungen wurden Kinder deutlich öfter mit ökonomischen Lasten als mit ökonomischen Vorteilen gleichgesetzt. Die Verhütung mit Pille, Spirale und Kondomen wurde in breiten Bevölkerungsschichten gebräuchlich. Erstaunlicher Weise betraf der Geburtenrückgang Regionen, in denen noch auf die traditionelle Weise – durch Coitus interruptus – verhütet wurde, noch stärker als die Regionen, in denen die modernen Verhütungsmittel weiter verbreitet sind. Daraus schließen die Autoren, dass auch Abtreibungen bei dem Rückgang der Geburtenzahlen eine Rolle spielen.

Literatur

Mohammad Jalal Abbasi-Shavazi, Peter McDonald, Meimanat Hosseini-Chavoshi: The Fertility Transition in Iran. Revolution and Reproduction, London/New York 2011.

Dieser Beitrag erschien zu erst auf dem Blog des Liberalen Instituts

Für die Inhalte der Blogs und Kolumnen sind die jeweiligen Blogger verantwortlich. Die Beiträge der Blogger und Gastautoren geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion oder des Herausgebers wieder.

Ihnen hat der Artikel gefallen? Bitte
unterstützen Sie mit einer Spende unsere
unabhängige Berichterstattung.

Abonnieren Sie jetzt hier unseren Newsletter: Newsletter

Kommentare zum Artikel

Bitte beachten Sie beim Verfassen eines Kommentars die Regeln höflicher Kommunikation.

Gravatar: Hans von Atzigen

Nachtrag:Mit dieser Entwicklung reduziert sich langerfristig auch die Versuchung und indirekte Zwang Geburtenueberschuesse auf den Schlachtfeldern grausamst zu ,,Entsorgen,,so geschehen im ersten Golfkrieg gegen den Irak.

Gravatar: Hans von Atzigen

Hoch interessante Info.Scheint da herrscht im Iran nicht nur blindes Religioeses Eiferertum sondern auch ein grosses Mass an nuechternem Realismus.Zweifelsfrei ein Vorbild fuer die Islamische Welt.Das Elende fuer die Islamische Welt als Ganzes kommt diese Erkenntnis so um die 40-50 Jahre zu spaet.

Schreiben Sie einen Kommentar


(erforderlich)

Zum Anfang