In Memoriam Peter Schridde

Peter Schridde kam am 10. Juni 1939 in Apolda/Thüringen zur Welt. Sein Vater, Niedersachse aus Peine/Woltorf, hatte dort Arbeit gefunden. Peter wurde mit einer Hasenscharte geboren.

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Seine Mutter empfand dies als Makel. Sie schämte sich seiner. Peter sollte nicht auf der Straße spielen. Der Vater brachte ihn 1942 zu seiner zwölften operativen Korrektur ins Krankenhaus. Peter sah ihn danach nie wieder. Er wurde vermisst, später für tot erklärt. Die Operationen und die Herabsetzungen ertrug er als persönliches Martyrium. Charakterlich machten sie ihn stark. Eine Woche nach seinem 14. Geburtstag brach in der DDR der Volksaufstand los. In der Schule übernahmen die Schüler das Kommando. Sie rissen die Bilder der Politgrößen von den Wänden. Die Lehrer hatten sich „strategisch“ zurückgezogen. Im Ort sprachen sich die Ereignisse herum wie ein Lauffeuer. Vor der Schule hatte sich eine Menschenmenge versammelt. Man betrachtete die Aktionen mit einer Mischung aus Staunen und blankem Entsetzen. Die Schüler wuchteten eine monumentale Stalin-Büste aufs Fensterbrett. Mit dem Ruf: „Vorsicht Stalin kommt“ kippten die Schüler sie aus dem Fenster. Als sie in tausend Teile zerbarst brach Jubel los - trotz banger Ahnungen. Der Ausgang schien am 17. Juni völlig offen. Fotos wurden gemacht. Der indessen hoch aufgewachsene Peter Schridde war darauf stets als „Aktivist“ in vorderster Linie zu sehen.

Kurze Zeit später fuhren erste Lastwagen mit streikenden Arbeitern aus den Chemiebetrieben in Leuna durch Apolda. Ihr Ziel war Jena. Die Schüler hielten die Wagen an und baten darum, mitfahren zu dürfen. Peter war auf einem der ersten LKW, die Jena erreichten. Dort brannten die SED-Büros - von den Funktionären fluchtartig verlassen. Das Ziel der Arbeiter war das Stasi-Gefängnis. Mit Spaten bewaffnet stürmten sie die Zellen, befreiten die Gefangenen. Eine junge Frau hatte tagelang in brusthohem Wasser gestanden. Mit ihrer aufgequollenen Haut und ihren verfilzten Haaren glich sie einer Greisin. Das Bild der geschundenen Frau brannte sich in sein
Gedächtnis ein. „Es war entsetzlich. Wenn ich die Augen schließe, sehe ich diese Frau vor mir.“ Russische Panzer beendeten den Aufstand. Peter und ein ebenso aktiver Freund wurden von einem Onkel zur Grenze gebracht. Dort fielen sie russischen Wachtrupps in die Hände - zum
Glück nicht der Vopo. Denn Stasi-Haft hätten sie wahrscheinlich nicht überlebt. Bis Mitte Dezember mussten sie in einem russischen Lager in Grenznähe Kartoffeln schälen. Bekleidet nur mit einem Kartoffelsack. Am 16. Dezember 1953 flüchteten die beiden bei Schnee und Frost. Peter zog seinen Freund mit letzter Kraft an den Haaren aus dem vereisten Grenzbach. Mit
Schnittverletzungen und stark unterkühlt, wurden beide von Westgrenzern ins Krankenhaus nach Helmstedt gebracht. Gerade 14 Jahre alt und doch bereits vom Leben gezeichnet und geprägt.

Peter zog zu seiner Großmutter nach Woltorf, machte eine Buchhalterlehre in Braunschweig. Mit 16 Jahren schon fuhr er - groß gewachsen - Büromaschinen aus. Damals problemlos ohne Führerschein. Später lieferte er - inzwischen mit Führerschein - Butter und Sahne aus. 1962
heiratete er seine Frau Grit. Das Paar bekam einen Sohn und eine Tochter. Die Familie war seine Insel. Beim Rütgers-Werk in Woltorf, einem Betrieb der Holzindustrie, heuerte er an. Zunächst als stellvertretender Werksleiter später als Leiter des Betriebes. Im Konzernbetriebsrat vertrat er die Interessen seiner Kollegen. Bei der Schließung der Anlage handelte er für sie einen vorbildlichen Sozialplan aus. Mit 55 Jahren machte er sich als Holzhändler selbstständig. Als stellvertretender
Ortsbürgermeister war er zudem politisch aktiv, war über Jahrzehnte für die CDU und die Peiner Bürger Mitglied des Ortsrates von Woltorf, sowie des Rates der Stadt und des Kreises Peine. Er war Kassenwart einer Forstgemeinschaft, Bürgerkönig, aktives Mitglied des Gesangvereins und der Feuerwehr. Stets ansprechbar und hilfsbereit. Den Ortsverband des Roten Kreuzes leitete er engagiert. Parallel dazu arbeitete er im Gesundheitsbündnis mit und fertigte ein erstes Krebsregister an. Wichtiges Thema dort: Elektrosmog. Nach dem ersten Ausbruch des
Krebses setzte er sich beruflich zur Ruhe. Seinen Ärzten wollte er es indes zeigen. Er blieb bis zum Schluss ein Klotz mit Ecken und Kanten, an dem sich viele rieben. Ein Mann mit Mut, Tatkraft und Substanz. Im Jahre 2006 gehörte er zu den Gründern von Clean§tate. Am 3. Juli verlor er den Kampf gegen den Krebs „das wilde Tier“ in ihm. Er starb im Schoße seiner Familie.

Peine/Woltorf, den 6. Juli 2007 gez.: Prof. Dr.-Ing. Hans-Joachim Selenz

hans.joachim-selenz.de

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