Im Zeitalter der verengten Perspektiven

Der Versuch, Innovation und Ökologismus miteinander zu verheiraten, ist zum Scheitern verurteilt. Denn Fortschritt entsteht nicht, weil man Grenzen erfindet, in denen man sich zu bewegen habe. Die Zukunft gewinnt nur, wer gegenwärtige Grenzen hinausschiebt.

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Wenn es im Schwarzwald regnet, geht man am besten unter Tage. Die Berge dort sind von alten Stollen durchlöchert. Mineralien und Erze in großer Vielfalt wurden bis in das 19. Jahrhundert hinein gewonnen. Das Silberbergwerk „Segen Gottes“ in Haslach, das mit Unterbrechungen bis 1786 in Betrieb war, vermittelt einen Einblick in damalige Zustände. Enge, schlecht beleuchtete und belüftete Stollen, die man über lange Strecken nur gebückt durchwandern kann, führen zum Erzgang, aus dem in reiner Handarbeit das Gestein herausgebrochen wurde. Kaum ein Bergmann erreichte damals ein Alter jenseits der 50. Und auch Kinderarbeit, etwa zum Transport der Erzbrocken ans Tageslicht, war üblich. Attraktiv war das Gewerbe trotzdem. Die Bergleute stellten die höchstangesehenen Mitglieder der Gemeinde, sie hatten in der Kirche reservierte Plätze in den ersten Reihen und verdienten ein Vielfaches von dem, was die Bauern erwirtschaften konnten. Spezifische Kenntnisse, etwa über das treffsichere Vorantreiben von Zugangs- und Wetterstollen im Fels, sicherten als eifersüchtig gehütete Geheimnisse einiger Familien ein Auskommen über Generationen hinweg. Aufgegeben wurde die Grube aus wirtschaftlichen Gründen. Das Silbererz war schlicht zu fein verteilt, um es mit der damaligen Technologie gewinnbringend fördern zu können. Eine „Nachnutzung“ erfuhr „Segen Gottes“ erst im 20. Jahrhundert durch Mineraliensammler, auf deren Initiative hin es schließlich zur touristischen Attraktion ausgebaut wurde.

Alter Stollen im Silberbergwerk "Segen Gottes"

Alter Stollen im Silberbergwerk “Segen Gottes”

Vielleicht hat das Ende des Bergbaus im Kinzigtal schon im 18. Jahrhundert pessimistische Auguren von einer bevorstehenden Ressourcenverknappung schwadronieren lassen. Darüber könnten wir heute nur lächeln. Und trotzdem landen immer wieder Einladungen zu Veranstaltungen auf meinem Schreibtisch, in denen das „Zeitalter der Ressourcenverknappung“ beschworen wird. Zuletzt etwa zur  Fachtagung „Ressourceneffiziente Automobilproduktion“ mit der Unterzeile „Mit Blick auf den Klimawandel und zunehmend knapper werdende Rohstoffe steigt die Bedeutung von Maßnahmen zur Ressourceneffizienz auch in der Automobilproduktion“. Ein anderes herausragendes Beispiel ist “Ressource Parkraum – Herausforderungen und Lösungsansätze im Zeitalter der Ressourcenknappheit”. Ja, die meinen das wirklich ernst: „Das Zeitalter steigender Ressourcenknappheit hinterlässt auch in unserem Lebensraum immer mehr Spuren.“

Oha. Da begebe ich mich mal auf Spurensuche. Und finde unter anderem Professor Martin Faulstich.

Der Verfahrenstechniker ist seit 2006 Mitglied des Sachverständigenrates für Umweltfragen und sitzt diesem seit 2008 sogar vor. Sein großes Thema ist die nachhaltige Industriegesellschaft. Seine Geschichte hat er vor kurzem auf einem Kongreß in Wolfsburg zum Besten gegeben. Sie handelt von den Grenzen des Wachstums, von der Klimakatastrophe und dem Ende der Verfügbarkeit vieler Ressourcen, von der Notwendigkeit der Nutzung nachwachsender Rohstoffe und der Etablierung einer globalen Kreislaufwirtschaft. Ich war hier schon kurz auf seinen Vortrag eingegangen. Das Video ist nun auch online. Schon die ersten Sätze verhinderten für mich wirkungsvoll, ihm am Ende zu applaudieren:

Ich fange mal mit einer ganz einfachen Ingenieurthese an, die lautet: Wir leben in einer begrenzten Welt. Das wundert die Leute dann immer etwas, aber das ist für einen Ingenieur wirklich eine simple Tatsache…

Nun, für mich auch. Obwohl ich gar kein Ingenieur bin. Kann es sein, Herr Faulstich, daß Sie die Intelligenz Ihrer Mitmenschen ein wenig unterschätzen?

…denn die Erde ist eine Kugel…

Ach so. Na dann.

…und in dieser Kugel ist die Menge der Rohstoffe eigentlich seit Beginn der Erdgeschichte festgelegt. Eine Kugel hat auch eine begrenzte Oberfläche, zum Beispiel für landwirtschaftliche Aktivitäten und – darauf werden wir gleich noch zu sprechen kommen – diese Kugel hat auch eine Atmosphäre. Und diese Atmosphäre ist auch begrenzt für die Aufnahmefähigkeit von bestimmten Stoffen.

Ok. Volumen der Kugel: begrenzt. Oberfläche der Kugel: begrenzt. Bin ich aber froh, daß mir das endlich mal ein Ingenieur erklärt hat. Wäre ich von allein nie drauf gekommen.

Die folgenden Minuten widmet Faulstich der Energiewende. Dabei ist interessant zu sehen, wie er für synthetische Treibstoffe wirbt. Kein Wort über Elektromobilität. Auch Verzicht ist für ihn kein Thema. Da versucht der Ingenieur, sich in der Welt der Ökologisten Platz zu verschaffen. Mit dem Bild einer von Informationstechnik geprägten und umfassend vernetzten Welt, die metallischer Ressourcen in großer Vielfalt bedarf. Nur, man denke an die Kugel:

…denn die sind endlich, die können wir nicht vermehren [...] Die Zukunft gehört der weltweiten Kreislaufwirtschaft.

Das ist dann seine zentrale Vision: eine zu einhundert Prozent auf den NIEs basierende Energieversorgung verbunden mit einem umfassenden Recycling von Industrierohstoffen.

Für den Ingenieur Faulstich eine Notwendigkeit auf Basis simpler Tatsachen. Für mich aber leider nur simplifizierter Unfug.

Um die Sinnhaftigkeit von Faulstichs Ansatz in der zeitlichen Perspektive 2050 oder 2100, die er in seinem Vortrag so heraushebt, auch validieren zu können, sollte man zunächst die absolute Größe der begrenzten Erdkugel  in sein Kalkül einbeziehen. Die Erdkruste ist der Bereich, den der Mensch bergbautechnisch erschließen kann. Eine Gesteinsschicht, die sich im Mittel bis in 35 km Tiefe erstreckt und eine Dichte von 2,7 Tonnen pro Kubikmeter aufweist. Die Gesamtmasse der Erdkruste kann so auf etwa 1019 Tonnen abgeschätzt werden. Jetzt stellt sich die Frage nach ihrer Zusammensetzung. Wie häufig kommen die von Faulstich angesprochenen 90 Elemente in der Kruste vor? Hierzu verwende ich eine Tabelle der Wikipedia, die hoffentlich weitgehend korrekt recherchiert ist. Es handelt sich dabei natürlich auch nur um Schätzungen, die je nach Quelle durchaus unterschiedlich sind. Für ein grobes Bild genügt es aber allemal, ein paar Millionen Tonnen mehr oder weniger fallen tatsächlich nicht ins Gewicht, wie man gleich erkennen wird.

Nicht für alle Stoffe sind in dieser Übersicht aktuelle Produktionsmengen angegeben. Viele Elemente werden beispielsweise nicht in reiner Form gewonnen, sondern nur als Bestandteile von Mineralien, die man direkt nutzt. Auch gibt es zu vielen Rohstoffen keine verläßlichen Daten, da einige Staaten entsprechende Statistiken nicht öffentlich kommunizieren. In der folgenden Tabelle sind also nur die Elemente aufgeführt, für die ich der Wikipedia die Produktionsdaten entnehmen konnte.

Ressourcentabelle

Die Tabelle zeigt in der der ersten Spalte die Ordnungszahl Z, in der zweiten den Namen des Elements, in der dritten den (gerundeten) Anteil an der Masse der Erdkruste, in der vierten die sich daraus ergebende Gesamtmasse in der Erdkruste und in der fünften den gegenwärtigen Bedarf. Die letzte Spalte ist die wichtigste. Hier wird eine Abschätzung für die sogenannte „statische Reichweite“ angegeben. Das ist der Zeitraum, über den der Rohstoff noch zur Verfügung stehen könnte, wenn man den Bedarf auf dem heutigen Niveau fortschreibt. Hinsichtlich der Frage, ob man sich über einen Zeitraum von Jahrzehnten Sorgen machen sollte, ist dieser Wert durchaus aussagekräftig.

Es gibt keine Ressource, bei der die Befürchtung einer bevorstehenden Verknappung gerechtfertigt wäre. Rechnet man es genau aus, ohne zwischendurch zu runden, ist interessanterweise Chlor das knappste Gut. Seine statische Reichweite beträgt nur noch 5 Millionen Jahre. Dann ist es vorbei mit den Chlorhühnchen.

Moment mal, würde ein Geologe einwenden. So kann man das doch nicht betrachten. Schließlich sind die Elemente in der Erdkruste ungleichmäßig verteilt. Durch entsprechende Prozesse – man kann hydrothermale, magmatische und sedimentäre Lagerstätten unterscheiden – sammeln sie sich an bestimmten Orten. An denen sich ein Abbau nur dann lohnt, wenn eine entsprechende Mächtigkeit und eine ausreichende Konzentration vorliegen. Bei Eisen beispielsweise liegt letztere in der Größenordnung 50%, bei Kupfer um 1% und Gold lohnt sich schon bei 0,005% oder 5 Gramm pro Tonne Gestein. Es sind diese Lagerstätten, die uns ausgehen.

Aus diesem Grund wurde „Segen Gottes“ 1786 geschlossen. Ohne aber einen Mangel an Silber auszulösen. Die Limitierungen für wirtschaftlich abbaubare Vorkommen sind dynamische und keine fixen Größen.

Es ist diese Perspektive, die in der Debatte fehlt. Geradezu fahrlässig handelt ein Martin Faulstich, wenn er auf die begrenzte Größe der Erde hinweist, ohne aber die absoluten Dimensionen zu berücksichtigen. Und geradezu dämlich ist es, die Trends in der Entwicklung des Bergbaus außer Acht zu lassen. Dabei springt es einem doch von vielen Plakatwänden in Deutschland im Moment geradezu entgegen.

Außergewöhnliches Engagement einer Wachstumsbranche: Bewerbersuche per Großplakat

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Der Bergbau ist eine hochinnovative Branche, durch die aktuelle Diskussion um das Hydraulic Fracturing sollte sich das auch bei Laien herumgesprochen haben. Die Tiefsee ist der nächste Raum, den man eben nicht nur hinsichtlich Öl und Gas, sondern hinsichtlich aller Industrierohstoffe erschließen wird. In der gesamten Kette, von der Prospektion über die Exploration, über den Abbau bis hin zur Aufbereitung, sind stetige Fortschritte zu beobachten, durch die immer mehr Ressourcen zu Reserven werden. Unternehmen wie OneSubsea stehen in dieser Hinsicht auf den Schultern der Bergleute vergangener Jahrhunderte, auch auf denen derer aus Haslach. Und da sich die Ressourcen aus einer bezogen auf vernünftige Planungszeiträume unerschöpflichen Quelle speisen, wird uns auch weiterhin niemals ein Rohstoff ausgehen. Schon gar nicht in dem von Faulstich betrachteten Zeitraum von fünfzig oder einhundert Jahren.

Von einem abstrakten Standpunkt aus gesehen besteht das Wesen der Technologie aus der Umgruppierung von Atomen. Wir nehmen die Strukturen, die uns die Natur anbietet, und gestalten sie neu. Dabei geht kein Atom verloren. Sicher, wenn wir Eisenerz in einen Hochofen stecken und das Eisen dann aus diesem bei etwa 2.000 Grad herausschmelzen, landen die so gewonnenen Atome am Ende fein verteilt als Rost wieder in der Erde oder in den Ozeanen. Wo sie eigentlich für uns verloren sind. Aber man kann sich ja mal Gedanken darüber machen, wie die optimale Bergbautechnologie aussehen könnte.

Ich stelle mir eine Maschine vor, in die man Gestein einfach hineinschaufelt. Ganz egal, wo man es findet. Die Kiesel aus dem Bach eignen sich ebenso, wie die Lava eines Vulkans oder Felsbrocken aus dem Gebirge. Diese Maschine zerlegt dann das Material fein säuberlich in seine atomaren Bestandteile. Eigentlich benötigt man dafür nur sehr hohe Temperaturen, weit höher als im Hochofen. Eine geregelte Fusion könnte die Energiequelle dieser Maschine sein. Die Mineralien werden sozusagen verdampft. Die Sortierung der Elemente kann mittels ihrer differierenden chemischen und physikalischen Eigenschaften erfolgen. Beispielsweise durch eine Art Zentrifuge oder eine Art Destillation. Man kann sich sogar vorstellen, daß eine solche Maschine ihren Fusionsreaktor als Antrieb einsetzt, sich selbstständig in die Erde bohrt, einige Wochen in großen Tiefen herumflitzt und dann wieder an die Oberfläche kommt, um eine ganze Reihe an Behältern abzuliefern, die jeweils Eisen, Gold, Platin und so weiter in reinster Form enthalten.

Prospektion und Exploration wären nicht mehr notwendig, Gewinnung und Aufbereitung an einem Ort in einem Prozeß integriert. Reine Fiktion, keine Frage. Aber es ist ja nicht so, daß man eine solche Maschine in den nächsten Jahrzehnten bauen müßte, wie die obige Abschätzung zeigt. Ein paar Jahrtausende kann man sich schon Zeit nehmen. Vielleicht werden dann Touristen mit Tauchbooten die zurückgebliebenen robotischen Systeme am Meeresgrund aufsuchen und sich darüber mokieren, wie rückständig doch der Bergbau im 21. Jahrhundert gewesen ist. Ganz so, wie viele Besucher heute die Grube in Haslach betrachten – zu Unrecht übrigens, denn technisch gesehen war man auch in dem alten Silberbergwerk auf der Höhe der Zeit.

Der Apparat stellt übrigens auch die ultimative Lösung für die von Faulstich angeregten Recyclingketten dar. Denn es wäre der Maschine egal, ob man Erde, ein Auto oder ein Smartphone hineinwirft. Am Ende kann man sich sogar vorstellen, die so gewonnenen Rohstoffe über Pipelines direkt an 3D-Drucker zu leiten, die dann Atom für Atom die gewünschten Produkte wieder neu aufbauen. Vielleicht sogar Geflügelfleisch. Ganz ohne Chlor. Das Chlorhuhn verschwindet nicht durch Recycling. Es verschwindet nicht aus einem Mangel an Chlor. Es verschwindet nicht, weil Menschen irrationale Ängste pflegen. Es verschwindet erst, wenn es eine bessere Methode gibt, das Vorhandensein gefährlicher Keime auszuschließen.

Die Wiederverwertung von Wertstoffen ist ein durchaus anzustrebendes Ziel. Wir sollten an einem echten Recycling arbeiten und nicht nur das derzeit etablierte profane Downcycling optimieren. Auch gehe ich mit Professor Faulstich überein, wenn er die industrielle Wertschöpfung als Basis für unser Gemeinwesen hervorhebt und insgesamt auf weiter wachsenden Wohlstand setzt. Der Versuch allerdings, auf diese Weise Innovation und Ökologismus miteinander zu verheiraten, ist zum Scheitern verurteilt. Denn Fortschritt entsteht nicht, weil man Grenzen erfindet, in denen man sich zu bewegen habe. Die Zukunft gewinnt nur, wer gegenwärtige Grenzen hinausschiebt. Innovationen lösen eben keine Probleme. Sie schaffen neue Möglichkeiten. Die Optionen der Rohstoffnutzung zu erweitern, erweitert eben auch die Optionen zu ihrer Gewinnung. Die Reichweite der Rohstoffe hängt nicht von der Größe der Erde ab, sondern von unseren Fähigkeiten, sie zu gewinnen. Dieser Zusammenhang wird aus Unkenntnis oder Ignoranz kaum beachtet. Wir leben nicht im Zeitalter knapper Ressourcen, wir leben im Zeitalter verengter Perspektiven.

Zuerst erschienen auf science-skeptical.de

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Wie wäre es, wenn Sie mal eine Anleitung ins Netz stellen würden nach dem Motto: So befreie ich meine Hühnerteile aus dem Supermarkt von resistenten Keimen. Beschreiben Sie, wie man die Chlorlösung anrichtet und wie lange man das Fleisch dort lagern sollte. Und wie man das Chlor wieder los wird, auf dem Fleisch.

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