Hollandes Carré ergibt sich nicht

Frankreich ist im Dauerwahlkampf und das wird sich bis zum Mai 2017 nicht ändern. Für die Reformbereitschaft bedeutet das schlicht Stagnation, Kurieren an Symptomen. Doch ob Grexit oder nicht: Paris profitiert.

Veröffentlicht:
von

Gestern vor zweihundert Jahren ging es bei der Schlacht von Waterloo um das Schicksal Frankreichs und Europas. Am Abend des 18.Juni 1815 war die Schlacht entschieden, die kaiserliche Garde aber focht heldenhaft weiter. Darin stimmen die Historiker überein. Napoleons großer Gegenspieler Wellington beschloss, dem letzten Carré der Garde – die Schlachtordnung damals sah solche Carres, Vierecke vor – ein ehrenhaftes Angebot zu machen. Auch das ist übereinstimmende Geschichtsschreibung. Ab hier beginnt die Legendenbildung. Die Kanonen hielten für einen Moment inne, man traf sich in der Mitte und Wellington unterbreitete dem General der Garde das Kapitulationsangebot, worauf dieser nur sagte: Die Garde mag verlieren, ja untergehen, sie ergibt sich nicht. Die zweite Version, die der Wirklichkeit wohl näher kommen dürfte, war etwas deftiger. Das Angebot wurde unterbreitet, ohne Verhandlungen, einfach durch männliche Stimmeskraft. Die Antwort aus dem Carrè übertönte den Schlachtenlärm und war ziemlich kurz. Sie lautete: „Merde“.

Der Ausgang der Schlacht ist bekannt. Weniger bekannt ist, daß dieser Ausgang in einer Minute entschieden wurde, in Hörweite vom Schlachtenlärm und von einem Mann, der in seiner Charakteristik erstaunliche Ähnlichkeiten aufweist mit dem heutigen Präsidenten Francois Hollande. Stefan Zweig beschreibt in seinen „Sternstunden“ diesen Mann, den Marschall Grouchy, so: „Ein mittlerer Mann, brav, aufrecht, wacker, ein Reiterführer, oftmals bewährt, aber ein Reiterführer und nichts mehr. Kein Mythos umrankt seine Gestalt, keine sichtbare Eigenheit gibt ihm Ruhm und Stellung in der heroischen Welt der Napoleonischen Legende: nur sein Unglück, nur sein Mißgeschick hat ihn berühmt gemacht“. Grouchy hatte den Auftrag, die preußische Armee zu verfolgen und anzugreifen, damit sie nicht in die Hauptschlacht eingreift. Während Grouchy die Preußen sucht, tobt die Schlacht und er hört sie. Aber statt einzugreifen und so das Blatt zugunsten der kaiserlichen Armeen zu entscheiden, befolgt er brav den Befehl und irrt suchend umher, während die Preußen an seiner Stelle das Blatt wenden.

Heute sind die Schlachten anders. Sie toben im Netz und auf den Finanzmärkten. Die Schlacht um Europa ist im vollen Gang, aber Grouchy-Hollande irrt dem Parteibefehl folgend durch die politischen Gefilde. Er sucht Unterstützung auf dem Parteitag der Sozialisten für eine nicht erklärte Kandidatur, er reist nach Algier und spielt Geschichte, hoffend, daß die eingebürgerten Nordafrikaner auf ihn setzen und nicht auf die bürgerlichen „Republikaner“ von Sarkozy oder gar auf die rechtskonservative Front National von Marine Le Pen. Seinen Premier lässt er derweil das Reformgesetz des Wirtschaftsministers durch das Parlament peitschen mit Hilfe des Artikels 49, Absatz 3 der Verfassung. Dieser Artikel sieht vor, daß ein Gesetz ohne Debatte angenommen wird, falls nicht innerhalb 24 Stunden ein Mißtrauensantrag gegen die Regierung eine Mehrheit bekommt. Dieser Mißtrauensantrag wird natürlich gestellt, bekommt aber keine Mehrheit in der Nationalversammlung, denn ein Sturz der Regierung Valls hätte Neuwahlen zur Folge und diese Aussicht diszipliniert auch die internen Gegner der Linksregierung. Der Fraktionschef der „Republikaner“, Christian Jacob, bezeichnete die Anwendung des Artikels 49-3 denn auch als „Mißtrauensantrag gegen die eigenen Abgeordneten“.

Das Gesetz Macron soll den Arbeitsmarkt aufmischen. Schlüsselelement ist die Deckelung von möglichen Abfindungen durch die Arbeitsgerichte. Das könnte die Arbeitgeber dazu verleiten, so hofft die Regierung, mehr Leute einzustellen, weil das finanzielle Risiko bei Entlassungen geringer ist. Aber die Hauptlast für die Unternehmen ist nicht das Risiko bei Entlassungen, sondern die Steuerlast. Die führt zu Pleiten und damit zu wachsender Arbeitslosigkeit. Jeden Tag erhöht sich derzeit die Zahl der Arbeitslosen in Frankreich um tausend Personen. Seit der Wahl Hollandes im Mai 2012 ist die Zahl der Arbeitslosen um 650.000 auf den Rekordstand von 3,55 Millionen gestiegen, das entspricht einer Arbeitslosenquote von mehr als zehn Prozent und besonders betroffen sind die jungen Leute, die nur selten einen unbefristeten Vertrag bekommen und deren Quote bei fast zwanzig Prozent liegt.

Die Regierung ist in einer Teufelsspirale gefangen. Senkt sie die Steuern, fehlen ihr Einnahmen für den Sozialstaat, der die Schmerzen der Arbeitslosigkeit betäubt und das Protestpotential der Straße dämpft. Deshalb versucht sie es mit vielen Einzelmassnahmen, die die Investitionsfreude der Unternehmen beflügeln sollen. Aber sie sind zu kleinteilig, um wirklich zu greifen und vor allem: Es fehlt das Vertrauen der Unternehmer in diese Regierung. Eine wirksame Maßnahme, die Reform der 35-Stunden-Woche, wurde von Wirtschaftsminister Macron zwar angesprochen, aber von Hollande verworfen. Hollande hat damit seine Widersacherin in der Sozialistischen Partei, die Bürgermeisterin von Lille und frühere Arbeitsministerin Martine Aubry, besänftigt und in sein Lager geholt. Er will Primärwahlen im linken Lager vermeiden und sich als einziger Kandidat für seine Wiederwahl küren lassen. Auch wenn er mehrfach betont hat, daß er seine Politik vor allem an der Zahl der Arbeitslosen messen lassen will und obwohl er weiß, daß nach Umfragen die Mehrheit im linken Lager lieber einen Kandidaten Valls sähen als Hollande, nutzt er sein Amt, um die öffentlichen Auftritte zu vermehren, bei denen der Rückblick in die Geschichte und das Gedenken der Nation wenig Widerspruch zulässt. Er reist nach Algier, er zelebriert Feiern im Pantheon zu Ehren des Widerstands gegen die Nazis, er tritt bei nationalen Sportereignissen auf, er weiht Denkmäler ein – es ist ein Wahlkampf mit den Waffen der gemeinsamen Erinnerung und nationalen Selbstvergewisserung. Für die Gegenwärtigen aber ist es ein Umherrirren auf den Schlachtfeldern der Vergangenheit.

Frankreich ist im Dauerwahlkampf und das wird sich bis zum Mai 2017 nicht ändern. Für die Reformbereitschaft bedeutet das schlicht Stagnation, Kurieren an Symptomen. Ein Grexit käme der Regierung da ebenso gelegen wie ein Verbleib Griechenlands in der Euro-Zone. In beiden Fällen entsteht eine Art finanzpolitischer Ausnahmezustand, in dem praktisch die Regeln der Stabilität suspendiert sind. Ein Grexit würde das staatliche Defizit Frankreichs um fast drei Prozent erhöhen, Brüssel würde angesichts anderer Probleme verstummen – mit dem französischen Kommissar Moscovici sowieso – und sich um die Reform des Euro kümmern müssen. Ein Verbleib Griechenlands aber würde Argumente liefern, daß es auch ohne Reformen ginge. Also kann man, so die Gedankengänge im Elysee, sich in aller Ruhe um die Alleingänge auf den wahltaktischen Feldern Frankreichs kümmern. Denn das letzte Carré Hollandes ergibt sich nicht.

Für die Inhalte der Blogs und Kolumnen sind die jeweiligen Blogger verantwortlich. Die Beiträge der Blogger und Gastautoren geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion oder des Herausgebers wieder.

Ihnen hat der Artikel gefallen? Bitte
unterstützen Sie mit einer Spende unsere
unabhängige Berichterstattung.

Abonnieren Sie jetzt hier unseren Newsletter: Newsletter

Kommentare zum Artikel

Bitte beachten Sie beim Verfassen eines Kommentars die Regeln höflicher Kommunikation.

Gravatar: Jürg Rückert

Die Welt der Politik ist voller Grouchys.
Man könnte statt Grouchy den Zappelphilipp als Beispiel nehmen: Man hampelt und strampelt, man gaukelt und schaukelt, man trickst und mogelt bis der Tisch ganz abgedeckt.
Keiner will der Anlass sein, keiner will die Blase anstechen oder durch einen kleinen Fehltritt die gewaltige Lawine auslösen, die unweigerlich abgehen wird. Am wenigsten die Deutschen. Der Grund ist nachvollziehbar, entschuldigt aber eine schlechte Politik nicht.

Schreiben Sie einen Kommentar


(erforderlich)

Zum Anfang